Streikabwehrmittel.

Bis zur planmäßige Sicherung eines Arbeiterstammes begnügten sich die Unternehmer mit Abwehrmitteln verschiedener Art. Die Unternehmerschaft des Hamburger Hafens ist frühzeitig in der für sie günstigen Lage gewesen, dem Streben der Arbeiterorganisationen nachdrücklichst entgegen zu treten. Diese günstige Lage war eigentlich nur durch die gewaltige Übermacht des Kapitals bedingt, eine straffere Organisation der Gegenwehr war nicht vorhanden. Einzelne Arbeitgeberverbände zeigten allerdings schon eine bemerkenswerte Festigkeit und Geschlossenheit, so z. B. der Verein der Ewerführerbaase von 1874, welchem es gelang, die ziemlich starke Organisation der Ewerführer nach erfolglosem Streik im Jahre 1890 zu sprengen und unter ihren Arbeitsnachweis zu zwingen. Einen Fortschritt in der Arbeitgeberorganisation brachte der Anschluss an den Arbeitgeberverband von Hamburg-Altona, doch behielt jeder Berufsverein in seinen eigenen Angelegenheiten völlige Freiheit. Dennoch waren die Streikabwehrmittel fast überall dieselben. Mit Ausnahme des Vereins der Importeure englischer Kohlen, welcher gleich nach dem Streik 1897 eine Zwangskasse für die schwarzen Schauerleute gründete, beschränkte sich die Taktik der Unternehmer auf Aussperrungen, Maßregelungen, Beschaffung Arbeitswilliger. Seit der Einführung des Maistreiks wurde dieser im Hamburger Hafen durch eine mehrtägige Aussperrung beantwortet. Im übrigen war die Massenaussperrung anfangs nicht Gebrauch, bis im Frühjahr 1907 der Hafenbetriebsverein die ca. 3000 Schauerleute aussperrte, welche die Nachtarbeit verweigerten. Eine Massenaussperrung aller Hafenarbeiter ist bisher noch nicht vorgekommen, trotz der dauernden Lohnbewegungen der einzelnen Mitgliedschaften des Hafenarbeiterverbandes. Eine solche Aussperrung ist auch kaum denkbar wegen der schweren Schädigung des deutschen Handels und der ungeheuren Unkosten, welche die Beschaffung Arbeitswilliger verursachen würde.

Eine wichtige Rolle haben lange Zeit im Hafen zwei andere Maßnahmen, die Maßregelung und die Aufstellung sog. schwarzer Listen, gespielt. Von der Maßregelung wird auch gegenwärtig noch viel Gebrauch gemacht, doch die Wirksamkeit dieses Mittels ist fraglich. Wird sie angewandt gegen einzelne agitatorisch tätige Elemente in der Arbeiterschaft, so finden diese Gemaßregelten dann meistens eine Stelle im Dienste der Gewerkschaft oder es wird auf andere Weise für sie gesorgt. Eine Maßregelung großen Stils nach verlorenen Streiks ist nur geeignet eine tiefe Erbitterung unter den Arbeitern hervorzurufen, ohne ihre Forderungen zurückhalten und ruhige Zustände herbeiführen zu können. Die systematische Maßregelung durch die Führung schwarzer Listen ist nur möglich für Betriebe, die den Arbeitsnachweis absolut beherrschen. Das ist allerdings im Hafen der Fall, aber von dauernden Nutzen ist auch diese Maßnahme nicht. Sie hat Erbitterung und Arbeitsunwilligkeit bei allen Arbeitern zur Folge, ob sie davon betroffen sind oder nicht; das Gemeinschafts- und Billigkeitsgefühl wird schwer gekränkt, unwirksam ist dies Mittel für alle Berufszweige des Hafens auch, weil die schwankende Nachfrage nach Arbeitskräften eine genaue Auswahl der Gelegenheitsarbeiter und Tagelöhner vielfach unmöglich macht. Die Leute werden in den Wirtschaften und auf der Straße angenommen vom Vizen, eine weitere Kontrolle wird vorerst nicht geübt. Ein großer, nicht zu unterschätzender Nachteil der schwarzen Listen ist ihre große agitatorische Bedeutung für die Gewerkschaft, welche bei jeder Gelegenheit auszunutzen ist.


Ein anderes Streikabwehrmittel, die Beschaffung Arbeitswilliger, so wichtig sie ist, ist für den Unternehmer doch nur ein Aushilfsmittel. Das Ersatzmaterial an Arbeitskräften in Streikfällen, wie z. B. beim letzten Schauermannsstreik, ist durchaus nicht als genügend zu bezeichnen. Einen großen Teil der Arbeitswilligen liefern die nicht gewerkschaftlich organisierten englischen Arbeiter. Die Verfassung, in der diese Leute hier ankommen, ist jammervoll. Verwahrlost und ausgehungert, ist das erste was sie verlangen Essen, Essen und nochmals Essen. Sind sie gesättigt, so kann am nächsten Tage die Arbeit angehen, wenn sie nicht doch vorziehen, wieder in ihre Heimat zurückzukehren. Dann muss die Gesellschaft sie wieder unentgeltlich zurückbefördern, wie sie sie herbeförderte. Es kamen beim letzten Schauermannsstreik aber auch gewerkschaftlich organisierte Arbeiter von England. In dem klassischen Lande der Arbeiterbewegung nahm man nicht nur keine Notiz von dem Streikbrecherexport, sondern auch den eigenen Mitgliedern wurde die Annahme der Arbeit in Hamburg nicht untersagt. Erst auf den Einspruch einer Delegation der Hamburger Hafenarbeiter hin hat die englische Gewerkschaft zum Hamburger Streik Stellung genommen.

Das Anwerben Arbeitswilliger seitens der Reedereien geschieht durch Agenten, von der Gewerkschaft „Ballinagenten“ genannt, die in den betreffenden Städten Werbebureaux errichten, z. B. in Antwerpen, London usw. Die Angenommenen werden zur Nacht- oder Morgenzeit, um sie vor Belästigungen zu schützen, aufs Schiff gebracht und nach Hamburg transportiert. In der Verteilung dieser Arbeitskräfte liegt für die Reedereien eine neue Schwierigkeit, da die besseren Elemente darunter, besonders die englischen Organisierten, sich weigern, mit den anderen zusammen zu arbeiten, untergebracht werden die Arbeiter in Logierschiffen oder Lagerschuppen, um sie am Entweichen zu hindern und vor Gewalttätigkeiten der Streikenden zu schützen.

Dies System der Beschaffung Arbeitswilliger hat viele große Mängel. Es ist leicht möglich, dass für die Zukunft der Ersatz an europäischen Arbeitern für den Streikfall ausbleibt, da die sozialdemokratische Organisation gerade unter den nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeitern Englands große Fortschritte macht. Der vielerwogene Import asiatischer Arbeitskräfte dürfte für immer an dem Widerstände des Staates scheitern. In jedem Falle sind zur Herbeischaffung Arbeitswilliger beträchtliche Mengen Geldes erforderlich, welches die Anwendung dieses Mittels in schlechteren Zeiten unmöglich machen kann. Nach Beendigung des Streiks hat der Unternehmer daraus ebenfalls keinen Vorteil. Er hat keine Veranlassung die minderwertigen Arbeitskräfte zu behalten. Daher schiebt er sie wieder ab und nimmt soweit angängig seine alten fähigeren Arbeiter wieder in Dienst. Die Beschaffung von Arbeitswilligen ist wohl geeignet die Forderungen der Arbeiter abzuweisen, ist aber nicht im stände, ruhige und geordnete Zustände herzustellen. Gelingt es dem Unternehmertum einheimische Arbeitswillige heranzuziehen, die brauchbar und zuverlässig sind, so sucht er diese fester an seinen Betrieb zu fesseln, was ihm um so leichter gelingt, als die in Frage kommende Gewerkschaft, wie in Kapitel 2 schon erwähnt wurde, lediglich im Interesse ihres Bestandes die Leute nur widerwillig aufnimmt. Diese Arbeitswilligen ermöglichen den Unternehmern des Hafens die neue Art des Arbeitsverhältnisses, das Kontraktsystem.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die sozialen Verhältnisse im Hamburger Hafen