Kontraktarbeit.

Schon im Frühjahr 1906 mit der Gründung des Hafenbetriebsvereins hatte sich ein Umschwung in der Taktik de Unternehmer des Hafens vollzogen. Mit Aussperrungen und Maßregelungen war man nicht zu einem befriedigenden Ziel gekommen. Zunächst konzentrierte man nur die Arbeitsnachweise der verschiedenen Stauereibetriebe in einer Hand, um Angebot und Nachfrage besser regeln und ständig darüber orientiert sein können. Diese Konzentration bedeutete eine nicht geringe Stärkung der Arbeitgeberposition, welche von de Leitung des Hafenarbeiterverbandes wohl erkannt und durch eine heftige Agitation gegen den Nachweis zum Ausdruck gebracht wurde. Als dann im Frühjahr 1907 der Streik zur Ausbruch gekommen war, unternahmen die Arbeitgeber von ihrer festen Stellung aus einen weiteren Vorstoß gegen den Hafenarbeiterverband durch die Einführung des Kontraktsystem und einer damit verbundenen Spar- und Unterstützungskasse. Dieses Kontraktsystem ist auf dem Gebiete gewerblicher Arbeit durchaus neu, da der Verein selbst Arbeitgeber ist, und für die sämtlichen einzelnen Arbeitgeber aber als gemeinsamer Kontrahent auftritt. Dieses System ist in seinen rechtlichen Beziehungen noch nicht klar gestellt. Das Hamburger Gewerbegericht hält sich für unzuständig zwischen Kontraktarbeitern und Verein, weil der letztere nicht Gewerbetreibender ist, und das Gesetz diese Sondergerichte nur für gewerbliche Streitigkeiten zwischen Arbeitern und ihren Arbeitgebern eingesetzt hat. Klagen aus dem Arbeitsverhältnis zwischen Kontraktarbeitern und den Stauereibetrieben, die sie beschäftigen, hält das genannte Gericht überhaupt für unzulässig, weil diese Arbeiter zu den Betrieben „in keinerlei Vertragsverhältnis stehen“. Nach Ansicht des Hafenbetriebsvereins „besteht zwischen dem Kontraktarbeiter und dem Stauereibetrieb, dem er vom Verein zugewiesen ist, ein mit dem Augenblick des Eintritts zustande gekommener, ungeschriebener, aber nichts desto weniger echter Arbeitsvertrag, denn der Arbeiter schulde dem Betriebe seine Arbeit, die dieser in Empfang nehme, und der Betrieb schulde dem Arbeiter den Lohn. Dieser eigentliche und stillschweigende Arbeitsvertrag empfange seinen Hauptinhalt aus dem Kontrakt, den der Arbeiter mit dem Verein geschlossen. Der Kontrakt mit dem Verein ist nach dieser Auffassung kein Arbeitsvertrag, sondern ein Arbeitsvermittlungs- und Arbeitsgarantievertrag. Danach würden für Streitigkeiten zwischen Kontraktarbeiter und Betrieb die Gewerbegerichte, für solche mit dem Vereine die ordentlichen Gerichte zuständig sein, die letzteren aber praktisch kaum in Betracht kommen, da es sich immer wohl nur um Streitigkeiten aus dem eigentlichen Arbeitsverhältnisse handeln kann.“ Welche Stellung die Gerichte zu dieser Streitfrage künftig nehmen werden, ist für die Hafenunternehmer äußerst wichtig, da mit der Ungültigkeit des Vertragsverhältnisses zwischen Arbeiter und Betrieb die ganze Aktion der Unternehmer einen Schlag ins Wasser bedeutet.

In ihrem Bestreben, einen festen, zuverlässigen Arbeiterstamm zu schaffen, bringen die Hafenunternehmer drei Mittel in Anwendung. Sie suchen ihr Ziel zu erreichen:


1) durch hohen Lohn bei längerer Kündigungsfrist,
2) durch Gründungen von Kassen und Wohlfahrtseinrichtungen,
3) durch Unterstützung der gelben Gewerkschaft,

Der Tagelohn des Kontraktarbeiters ist von 4,80 Mk. auf 5 Mk. erhöht worden, sodass ihm der Hafenbetriebsverein ein Mindesteinkommen von 30 Mk. pro Woche garantiert. Die Kündigungsfrist ist auf einen Monat festgesetzt. Die übrigen Neuerungen des Tarifs sind für Tagelöhner und Kontraktarbeiter gleich. Doch ist die Stellung des Kontraktarbeiters auch insofern günstiger, als seine Arbeitsgelegenheit sicher ist. Außerdem ist der Kontraktarbeiter verpflichtet der Spar- und Unterstützungskasse des Vereins beizutreten. Der Hafenarbeiterverband hat seine Mitglieder von der Eingehung des Kontraktverhältnisses mit allen Mitteln abgehalten. Von den 2.248 Arbeitern, die vom März bis Dezember 1907 in Kontrakt arbeiteten, waren die weit- aus meisten zugezogene. Dem Berichte des Hafenbetriebsvereins zufolge hat neuerdings die Zahl einheimischer Kontraktarbeiter zugenommen, ein Vorgang, der auf die verschlechterten Verdienstverhältnisse durch den Rückgang der Konjunktur zurückzuführen ist. Die Durchschnittszahl der monatlich in Kontrakt beschäftigten Arbeiter ist ca. 1.250, die Höchstzahl wurde im November 1907 mit 1.296 Kontraktarbeitern erreicht.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die sozialen Verhältnisse im Hamburger Hafen