Hafenbetriebsverein.

Die Spar- und Unterstützungskasse des Hafenbetriebsvereins, die nach diesem Vorbilde ins Leben gerufen ist, ist keine Zwangskasse, sie übt allerdings auf die Arbeiter einen gewissen Druck dadurch aus, dass nur der Angehörige der Kasse den erhöhten Lohn von 5 Mk. pro Tag erhält, doch erwächst ihm daraus kein großer Vorteil, da er den Betrag zur Kasse davon bestreiten muss. Der Beitrag des Arbeiters wird berechnet nach seinem Wochenverdienste und beträgt bei einem Einkommen

bis 30 Mk. 1 Mk. pro Woche
bis 33 Mk. 2 Mk. pro Woche
über 33 Mk. 3 Mk. pro Woche


Die Unterstützungen werden bezahlt:

1) von den Zinsen der einbehaltenen Beträge bis 200 Mk.,
2) von dem 4fachen der Zinsen als Zuschuss des Vereins,
3) von den Zinsen des sonst angesammelten Kapitals,
4) von anderweitigen Zuwendungen.

Die Verzinsung des eingezahlten Geldes ist mithin eine außerordentlich hohe. Zur Zeit beläuft sich der Ertrag der Spareinlagen auf nicht weniger als 22 1/2 % und kann in dieser Höhe zu Unterstützungen verwandt werden. Die Einlagen über 200 Mk. sind von den Unterstützungsgeldern getrennt zu halten und gelten als Sparsumme des betreffenden Arbeiters, dem der Kassenvorstand die Verfügung darüber gewähren kann. Als Altersgrenze für die Aufnahme in die Kasse ist das 40. Lebensjahr festgesetzt. Der Austritt erfolgt durch 4 wöchentliche Kündigung. Die Unterstützungen werden an unverheiratete und Verheiratete in verschiedener Höhe bezahlt in Grenzen von 3 bis 7 Mk. pro Woche, mit einem weiteren Zuschuss, wenn Kinder vorhanden sind. Bei Geburten und Sterbefällen werden ebenfalls Unterstützungen gewährt. Stirbt ein Kassenmitglied aus Ursachen, gegen deren Folgen die Hinterbliebenen nicht durch sonstige Ansprüche versichert sind, so erhält die Witwe, wenn Kinder vorhanden sind, für die Dauer von 12 Monaten eine wöchentliche Unterstützung von 7,50 — 10 Mk. Am Ende dieser 12 Monate wird das Guthaben des verstorbenen Mitgliedes ausbezahlt. Bei sofortiger Auszahlung dieses Guthabens wird keine Unterstützung gewährt.

Die Leitung der Kasse liegt in den Händen der Mitglieder selbst, die in ihrer Gesamtheit die Generalversammlung bilden und aus sich heraus 7 Leute in den Vorstand wählen. Der Hafenbetriebsverein hat sich aber einen so weitgehenden Einfluss vorbehalten, dass die Selbständigkeit der Leitung stark in Frage gezogen wird. Der Verein hat das Recht, Vertreter in die Generalversammlungen zu schicken, und alle Beschlüsse und Wahlen bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Zustimmung seines Vorstandes. Das Vetorecht des Vorstandes des Betriebsvereins geht soweit, dass nach zweimaliger Ablehnung des gewählten Kassenvorstandes er der Generalversammlung einen Wahlaufsatz von 15 Mitgliedern vorlegen kann, aus denen diese zu wählen hat.

Bei Entlassung aus dem Dienste erfolgt gleichzeitig der Ausschluss aus der Kasse, der das Guthaben des Betreffenden bis zur Höhe von 200 Mk. verfällt. Als Gründe für die Ausschließung gelten:

1) Unbefugter Feierabend,
2) Fehlen an der Arbeitsstelle,
3) Widersätzlichkeit, Ungebühr, Trunkenheit, Diebstahl, Hehlerei, Unterschlagung usw.

Diese Entlassungsgründe lassen ebenfalls deutlich erkennen, dass die Kasse als ein wirtschaftliches Machtmittel anzusehen ist.

Dieses Machtmittel kann den Arbeitgebern andrerseits sehr unbequem werden, da die angesammelten Spargelder über zweihundert Mark im Streikfalle den Arbeitern unbedingt zur Verfügung stehen als Streikfond, bei ordnungsmäßiger Kündigung von 4 Wochen ihnen sogar das ganze Guthaben ausgezahlt werden muss. Allerdings können die Kontraktarbeiter ohne Verlust ihres Guthabens nicht unmittelbar in den Streik eintreten, aber das ist auch nicht erforderlich, da sie einmal nur 1/4 aller Schauerleute ausmachen und andrerseits während der 4wöchigen Kündigungsfrist den Arbeitgebern durch „passive Resistenz“ unberechenbaren Schaden zufügen können. Bei den hohen Beiträgen wächst dieser unfreiwillige Streikfond rapide an. Es wurden in den 8 Monaten von Mai bis Dezember 1907 über 80.000 Mk. eingezahlt und die Kasse ging mit einem Kapital von 66.448 Mk. in das neue Jahr über. Tritt ein Streikfall auch vorläufig nicht ein, so ist die optimistische Vermutung, dass die Mitgliedschaft der Kasse, getrieben durch die Gegnerschaft der freien Gewerkschaft, sich in eine gelbe Gewerkschaft umwandeln werde, doch verfrüht. Es spricht jedenfalls stark dagegen, dass von den Kontraktschauerleuten nur wenige einen längeren Zeitraum im Kontrakt verblieben sind. Nach ca. sechs Monaten ist durchschnittlich nur die Hälfte noch in Kontrakt gewesen in der Periode März — Dezember 07. Wird auch gegenwärtig in der Zeit fallender Konjunktur eine größere Ständigkeit erreicht werden, mit steigender Konjunktur wächst die Initiativkraft der Arbeiterorganisation durch den Zuwachs an Mitgliedern mit der Nachfrage nach Arbeitskräften. Bei einer starken Initiativkraft wird den Arbeiter sein natürliches Gefühl eher in die Gewerkschaft als in die Unternehmerkasse treiben, die ihm durch Wort und Schrift verhasst genug gemacht wird. Nach diesen Voraussetzungen wird auch die Kontraktarbeiterschaft sich aus dauernd wechselnden Elementen zusammensetzen und die Bildung eines festen zuverlässigen Arbeiterstammes durch dieses System in Frage gestellt.

Die Unterstützungskassen des Vereins der Importeure englischer Kohlen, wie des Hafenbetriebsvereins sind nicht gegründet zum Zwecke der Arbeiterfürsorge, sondern sie sind lediglich Mittel zu einem anderen Zwecke, die Schlagkraft der Arbeiterorganisationen zu schwächen. Einen Nutzen aus dieser Unterstützungskasse haben außerdem allein die schwarzen und die weißen Schauerleute, während der übrige Teil der Hafenarbeiterschaft nur den Schutz der gesetzlichen Arbeiterversicherung, resp. auch den der Kasse des Hafenarbeiterverbandes genießt. Eine Ausnahme machen die Arbeiter der Hamburg- Amerika-Linie, welche allein von allen Hafenbetrieben zu einer planmäßigen Arbeiterfürsorge übergegangen ist.

In den Augen der Arbeiter, mindestens aber in denen der Gewerkschaftsführer, ist jede Wohlfahrtseinrichtung seitens der Unternehmer ein Lockmittel*). Wenn hiermit gemeint ist, dass durch dieses Mittel die Arbeiter an den Betrieb enger angeschlossen werden sollen, so ist dagegen nichts zu erwidern. Ein solcher Erfolg, muss im Interesse der Arbeiter, des Unternehmers und des Betriebes liegen. Eine „Versklavung“ der Arbeiterschaft ist hierdurch nicht zu befürchten. Die Gewerkschaft macht diese „Lockmittel“ aber verächtlich und bedient sich doch selbst dieser Mittel und zu demselben Zwecke. Der Arbeitgeber ist bemüht, seine Leute im Betriebe zu halten, die Gewerkschaft will sie im Verbände halten. Das gibt der Hafenarbeiterverband im Protokoll des 9. Verbandstages 1906 unumwunden zu, wenn er schreibt: „Die in unserer Organisation herrschende Fluktuation ist immer noch eine ganz erstaunliche ja sie vergrößert sich, sie nimmt öffentlich zu, anstatt wie wir r hofften, durch die Einführung der Unterstützungseinrichtungen zu vermindern.“

*) Prot. d. Ew., Kaiarb., Schauerleute.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die sozialen Verhältnisse im Hamburger Hafen