Fluktuation.

In engem Zusammenhange mit dem Anlocken verkrachter Existenzen steht die fortdauernde lebhafte Fluktuation im Hamburger Hafen. In Zeiten günstiger Konjunktur, wenn im regen Wechsel die Schiffe ein- und auslaufen, saugt der Hafen große Massen von Arbeitern in sich auf. Flaut das Geschäft wieder ab, werden die Arbeitskräfte zurückgegeben und der Arbeiter muss sein Glück anderswo versuchen. Die Schwankungen der Erwerbsgelegenheiten finden nicht nur in dem weiten Laufe veränderter Konjunkturen statt; von Woche zu Woche ja von Tag zu Tag ist im Hafenbetriebe die Nachfrage nach Arbeitskräften verschieden. Diese Unsicherheit muss naturgemäss auf den Charakter der Arbeiterschaft wirken, besonders auf die, welche nicht in festem Lohne stehen und den weitaus größten Teil ausmachen. Der unregelmäßige Erwerb zeitigt alle nachteiligen Folgen unregelmäßiger Ernährung. Die Gesundheit leidet. Ist der Arbeiter beschäftigungslos, so treibt er sich am Hafen oder in den Kneipen herum, da sich hier am ehesten wieder Gelegenheit zur Arbeit findet. Der Genuss des Alkohols macht ihn zur Arbeit unlustig und zerrüttet seine Energie. Ein wenig weiter auf dieser Bahn und aus dem Arbeiter ist der arbeitsscheue Hafenbummler geworden*). Wenn auch nun viele andere im Verlaufe steigender Konjunkturen das ganze Jahr hindurch Arbeit haben, die Möglichkeit, die Arbeit jeden Tag verlieren zu können, ist nicht geeignet, den Mann zu einem regelmäßigen Leben anzuhalten. Der Überschuss der guten Jahre wird nicht gespart, sondern dem Bedürfnis oder dem Genuss des Augenblicks geopfert. Das betrachtet der Arbeiter als ein gutes Recht gegenüber den Entbehrungen, die er in schlechten Zeiten ertragen muss.

Hiermit wäre das Gebiet aller durch Eigenart und Umstände geschaffenen Verhältnisse, mit denen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in ihrer sozialen Wirksamkeit zu rechnen haben, erschöpft. In den beiden folgenden Kapiteln soll untersucht werden, wie auf diesem Boden die beiden einander gegenüberstehenden Mächte der Unternehmer- und Arbeiterorganisationen sich begegnen, wie sie beschaffen sind und welche Positionen sie inne haben.


*) Vergl. Webb, Theorie und Praxis der englischen Gewerkvereine.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die sozialen Verhältnisse im Hamburger Hafen