Missstände.

Die Missstände eines Betriebes werden gewöhnlich danach beurteilt, wie viel Unfälle sich in demselben ereignen. Die Berufsgenossenschaften gehen, gezwungen durch ihre Versicherungspflicht, den Ursachen der Unfälle auf den Grund und suchen durch Verhütungsvorschriften vorzubeugen. Diese Vorschriften, die ja sowieso nur selten auf bestimmte Fälle zugeschnitten sein können, sind erklärlicherweise noch viel weniger im Stande in einem bewegten Hafenbetriebe alle Gefahren für Leben und Gesundheit zu beseitigen oder zu beschränken. Es bergen Ort und Art der Arbeit darnach Gefahren in sich, gegen die bestimmte Maßregeln nicht schützen können: Bei einer kritischen Betrachtung der Unfälle muss man daher wohl unterscheiden zwischen vermeidlichen und unvermeidlichen. Man kann sogar soweit gehen und zu den ersteren nur die zählen, die durch geeignete Vorkehrungen völlig unmöglich gewesen wären. Aber auch andere Übelstände, die nicht mit einer direkten Gefahr für Leben und Gesundheit des Arbeiters verbunden sind, muss man in einer ähnlichen Weise scheiden.

Für die Art von Missständen oder Übelständen, die als vermeidlich bezeichnet sind, ist auffallend, dass solche von dem Unternehmer soweit sie direkte Gefahr bedeuten, nicht sofort abgestellt werden, da er die Kosten eines eventuellen Unfalls sowie die von der Berufsgenossenschaft festgesetzten Strafen zu zahlen hat. Der Grund hierfür ist aber darin zu finden, dass die Unternehmer resp. ihre Vicen sich an die wechselnden Verhältnisse immer erst gewöhnen müssen. Dies ist vor allem bei dem kleineren Unternehmer zu bemerken, dem angeordnete Verbesserungen oder Neuerungen häufig zu kostspielig sind, der andererseits aber auch das Bedürfnis eines besseren Schutzes für die Arbeiter nicht erkennen kann, da der bisherige Schutz scheinbar völlig genügt hat. Doch darf man darin keine Gefühllosigkeit gegenüber der Lage des Arbeiters sehen. Gerade der kleinere Unternehmer oder Vice ist meistens in derselben Hafenarbeit aufgewachsen, in der er seine Leute beschäftigt. Ihm ist alles wohlbekannt, aber er vergisst, dass sich die Verhältnisse geändert haben, seitdem er aus der Arbeit ausgeschieden ist. Der Verkehr ist reger geworden auf der Elbe, die Fahrzeuge aller Art größer und, was das Schwerwiegendste ist, das Arbeiterpersonal ist ein anderes geworden und ist weniger vertraut mit den Wasserverhältnissen. Aus den entgegengesetzten Gründen kann in den Großbetrieben eine Änderung leicht und schnell eingeführt werden, da genügend Kapital vorhanden ist und die Untergebenen sofort bereit sein müssen die getroffenen Anordnungen zu vollziehen. Aus dem Gesagten geht hervor, dass der Arbeiter berechtigterweise dem Großbetriebe vor dem kleineren Betriebe den Vorzug geben muss, wo es sich um Neuerungen und Verbesserungen des Schutzes handet. Aber auch hier muss man vorsichtig zu Werke gehen. Liegt für den Großbetrieb auch eine leichtere Möglichkeit, ausgedehnte Fürsorge zu treffen, vor, so ist aus den Klagen der Arbeiter und den Berichten der Hafeninspektion deutlich genug zu ersehen, dass auch hier durchaus nicht alles Mögliche getan wird.


Der Hafenarbeiter ist bei seiner schweren Arbeit täglich allen Unbilden der Witterung ausgesetzt. Er kann sich der glühenden Sonnenstrahlen so wenig erwehren, wie des schneidenden Ostwindes. Oder wenn tagelang ein beständiger Regen niedergeht, er muss ausharren bei seiner Arbeit, wenn er auch nass ist, bis aufs Hemd. Unter diesen Umständen ist die Forderung der Arbeiter, dass für die Pausen, besonders die Essenspausen, ihnen angemessene Unterkunftsräume gewährt werden, vollauf gerechtfertigt. Dennoch geschieht das nicht oder nur in ungenügender Weise*).

*) Neuerdings wird diesem Bedürfnis wie auch anderen indes Rechnung getragen, doch liegt das in den Händen der einzelnen Reedereien. Der Verein Hamburger Reeder gestattet den Leuten z. B. den Aufenthalt im Zwischendeck. Das Weitere unter Kapitel 3.

Ein weiterer Übelstand, der den Unfallverhütungsvorschriften zuwider immer noch nicht beseitigt ist, ist der Mangel an Waschwasser. Der Hamburger Senat hat eine Verfügung erlassen, welche bestimmt, dass Leute, die bei nassen oder trockenen Fellen arbeiten, vor dem Einnehmen der Mahlzeiten sich zu waschen und die Kleider zu wechseln haben. Der diesbezügliche § 37 der Lagereiberufsgenossenschaften lautet: „Bei Arbeiten mit nassen und trockenen Häuten und Fellen und dergl. ist für genügende Waschgelegenheit Sorge zu tragen“. Ähnliche Bestimmungen sind getroffen für Arbeiten mit giftigen Erzen oder Giftpflanzen. Trotzdem gibt es mit Ausnahme der neuen Kais der Hamburg-Amerika-Linie nirgendwo im Hafen geeignete Waschvorrichtungen zu diesem Zwecke. Mit denselben Händen, mit denen der Arbeiter die giftigen Waren anfasst, muss er seine Mahlzeiten zu sich nehmen, in der ständigen Gefahr, ein Opfer der Milzbrandseuche oder anderer schwerer Krankheiten zu werden.

Eine ebensolche Vernachlässigung wie die Waschgelegenheiten erleiden auch die Trinkwasserverhältnisse. Am Lande sind wohl genügend Brunnen mit frischem Wasser vorhanden, aber ein großer Teil der Schiffe ankert im Strom, und da ist der Arbeiter gezwungen das Wasser aus den Tanks der Schiffe zu trinken, wenn sein eigner Vorrat an Getränken ausgegangen ist. Dieses Wasser hat aber häufig recht lange Reisen hinter sich, ist infolge der Schiffswärme lauwarm und wimmelt dann von Tieren aller Art. Auch werden die Tanks, in denen dies Wasser aus aller Welt Gegenden hergebracht wird, vielfach nicht genügend gereinigt, jedenfalls zu selten Der Arbeiter sucht den Genuss eines derartigen Wassers naturgemäss zu vermeiden und nimmt möglichst eine bessere Gelegenheit wahr. Diese bessere Gelegenheit ist der verbotene Handel mit Bier und Spirituosen im Hafen, der von sogenannten fliegenden Krögern betrieben wird. Diese Leute fahren mit ihren Barkassen im Hafen umher und verkaufen an Bord der Schiffe Nahrungsmittel und vor allem Bier an die Arbeiter. Dies Geschäft ist verboten, mit der Begründung, dass der Arbeiter so Gelegenheit habe sich zu betrinken. In Wirklichkeit haben die fliegenden Kröger zu allen Zeiten trotz des Verbotes ein gutes Geschäft gemacht. Wenn die Hafenpolizei sie fasst, so werden sie bestraft, aber die Polizei kann nicht überall sein und diese Leute sind überaus geschickt in ihrem Geschäft. Der Vize oder Kapitän an Bord kann den Arbeitern den Kauf aber nicht untersagen, um nicht eine Störung in der Arbeit zu erleiden oder vielleicht auch, weil ihm selbst das vorhandene Trinkwasser nicht genügend erscheint, das Verlangen der Arbeiter zu befriedigen. Die Forderung der Arbeiter geht dahin, dem verbotenen Handel mit Getränken ein Ende zu machen und dafür staatlich konzessionierte Verkäufer einzusetzen. Diese Forderung erscheint um so billiger, als an den Schiffen, die am Kai liegen, der Arbeiter fast immer Gelegenheit zum Biertrinken hat, ohne dass es verboten ist.

Ohne mit dieser Schilderung vermeidlicher Missstände dieselben erschöpft zu haben, sei zum Schluss noch auf einen Umstand aufmerksam gemacht, der allgemein in Erscheinung tritt. Die Unfallverhütungsvorschriften werden nicht genügend beachtet. Immer wieder werden die Klagen der Arbeiter darüber laut, und manche Unfälle sind allein hierauf zurückzuführen. Dasselbe geht aus den Berichten der Hafeninspektion hervor. Diese schreibt im Jahresbericht für 1906: „Auch in diesem Jahre wurden wieder die hauptsächlichsten der schon früher häufig gerügten Mängel vorgefunden, namentlich zu stark abgenutzte oder ungeeignete Ketten, Brahttaue, Stropps, Rohre u. s. w., nicht sicher angebrachte Stege, Brücken, Treppen, Fallreepsleitern, das Fehlen von Geländern oder Querleisten an denselben, nicht eingefriedigte Luken auf Schiffen, unbefestigte Scherstöcke an den Luken, verkehrsunsichere Zugänge zu den Schiffsräumen oder zu sonstigen Arbeitsstätten, ungenügende Beleuchtung derselben, nicht eingeschützte Triebwerksteile im Verkehrsbereiche an Winden und Kränen, Undichtigkeiten der Flanschen, Stopfbüchsen und Rohrleitungen, ungenügende Ableitung des verbrauchten Dampfes der Winden u. s. w., nicht sicher genug aufgebaute Stellagen und ungenügend befestigte Laufplanken, mangelhafte Öfen in den Wohnstätten der Schiffsleute, Fehlen einer Vorkehrung zur Lüftung dieser Räume, das Fehlen von Waschgelegenheit für Arbeiter, die mit trockenen und nassen Häuten umgehen, ungenügende Beleuchtung und nicht hinreichende Zufuhr frischer Luft, bei dem Verarbeiten von feuergefährlichen und gesundheitsschädlichen Farben.

Auch die Ausführung der Arbeit gab insofern wiederholt Anlass zum Einschreiten als nicht sachgemäß und mit der nötigen Vorsicht gearbeitet wurde. In 45 Fällen mussten gefahrvolle Arbeiten auf Schiffen untersagt werden“.

Die Vielseitigkeit des Hafenbetriebes ist kaum treffender darzustellen, als durch die Aufzählung dieser gerügten Betriebsmängel, die fast durchweg bei genügender Aufmerksamkeit zu vermeiden sind. Diese Fahrlässigkeit der verantwortlichen Unternehmer, resp. ihre Vertreter oder Vizen findet teilweise eine Erklärung in der überhastenden und drängenden Hafenarbeit. Da die Schiffe der Mehrkosten wegen nur eine möglichst kurze Liegezeit im Hafen haben sollen, wird nach Ankunft unverzüglich mit der Entladung begonnen. Dabei wird dann bei der Herrichtung und Prüfung des Geschirrs nicht die nötige Sorg- falt angewandt und kann auch nicht angewandt werden, da diese eine Verzögerung verursachen würde. Man geht in der Annahme nicht fehl, dass aus diesem Grunde die Berufsgenossenschaften selbst auf eine strenge Überwachung der Unfallverhütungsvorschriften nicht dringen, wie am deutlichsten aus den geringen Ausgaben für Überwachung hervorgeht. Von den beiden hauptsächlich in Betracht kommenden Berufsgenossenschaften gibt die Elbschifffahrtsberufsgenossenschaft für Überwachung der Vorschriften gar nichts aus, die Lagereiberufsgenossenschaft im Durchschnitt 11—12 Tausend Mark pro Jahr bei einer Beschäftigung von nahezu 200.000 Arbeitern. Dass auch vielfach die Vertreter der Unternehmer eine strengere Kontrolle des Geschirrs unterlassen, um ihre Stellung bei ihren Brotherrn nicht zu gefährden, ist auch von der Hafeninspektion erkannt, wenn diese im Jahresbericht für 1904 schreibt: „es wurde aber im Betriebsjahre auch wieder die Beobachtung gemacht, dass häufig die aufsichtsführenden Betriebsleiter, Vizen und Vorarbeiter u. s. w. noch nicht von dem vollen Gefühl der Verantwortlichkeit durchdrungen sind und sich wenig darum kümmern, ob in den von ihnen beaufsichtigten Betrieben den Bestimmungen der Unfallverhütungsvorschriften nachgelebt wird“.

Da nun offenbar ist, dass von privater, d. h. von der Seite der Unternehmer aus, den Übelständen nicht nachdrücklich genug entgegengearbeitet wird, so ist es die Pflicht des Staates für die Sicherheit von Leben und Gesundheit des Arbeiters zu wachen und über die Arbeitsverhältnisse eine strenge Kontrolle zu üben. Wie schon mehrfach erwähnt, ist die hierfür eigens eingesetzte Behörde die Hafeninspektion. Diese Einrichtung hat sich in der Zeit ihres Bestehens den Dank der Arbeiterschaft des Hamburger Hafens verdient. Man ist in diesen Kreisen der Überzeugung, dass die Beamten der Inspektion ihr Möglichstes tun, dass sie aber in ihrer Befugnis zu sehr beschränkt sind, um den Missständen des Hafens wirksam abhelfen zu können. Es ist daher eine alte Forderung der Gewerkschaften, dass die Hafeninspektoren unabhängige vom Reiche angestellte Beamte sein sollen, denen Assistenten aus Arbeiterkreisen beizugeben sind. Wie weit die Einschätzung der Inspektion seitens der Arbeiter berechtigt ist, ist nicht zu entscheiden, doch muss eingeräumt werden, dass diese Einschätzung ihre Berechtigung haben kann. Die Hafeninspektion ist dem Polizeiherrn, meistens einem kaufmännischen Mitgliede des Senats, unterstellt. Da der Senat der Republik Hamburg als der direkte Vertreter der Kaufmannschaft anzusehen ist, so kann ein durch ihn angestellter Beamter den Kaufleuten gegenüber unmöglich eine zwingende Autorität besitzen.

Für den Beamten der Inspektion sind die Vorschriften der Berufsgenossenschaften maßgebend, doch darf er zwecks Abstellung von Mängeln nur dann den Betrieb stören oder unterbrechen, wenn für die Arbeiter eine direkte Gefahr für Leben und Gesundheit vorliegt, für alles übrige ist eine bestimmte Frist zur Änderung gesetzt. Die Hafeninspektion ist augenblicklich mit drei Beamten im Hafen tätig, eine Zahl, die bei der Ausdehnung des Hafengebietes sehr gering erscheinen muss. Es sind daher die Klagen der Arbeiter berechtigt, wenn sie diesem Umstande die Schuld geben, dass so manche Mängel im Betriebe nach geraumer Zeit erst von den Inspektoren bemerkt und dann zur Abstellung gebracht werden. Die Forderung der Arbeiter, dass die Inspektoren in ihrer Tätigkeit durch Arbeiterassistenten unterstützt werden sollen, hat in Hamburg kaum Aussicht auf Bewilligung wegen der Stellung der Arbeiter- und Arbeitgeberorganisationen zueinander, wie weiter unten des Näheren ausgeführt ist. Da der Arbeiterassistent die Autorität der Inspektion den in Betracht kommenden Unternehmerkreisen gegenüber durchaus nicht erhöhen könnte, so wäre mit der Einführung solcher Assistentenstellen nichts besonderes zu erreichen. Doch kann tatsächlich jeder Hafenarbeiter der Inspektion wirksam zu Hilfe kommen, indem er dem inspizierenden Beamten über irgendwelche Mängel an Bord des Schiffes Meldung macht. Von dieser Mitarbeit machen die Arbeiter gegenwärtig denn auch schon vielfach Gebrauch und können der Inspektion sehr nützlich sein, doch auch hier bleibt nicht aus, dass an Stelle einer sach- und fachverständigen Beihilfe eine unwissende Nörgelei tritt. Auch die Gewerkschaft als Vertreterin der Arbeiterinteressen wendet sich mit Eingaben an die Hafeninspektion, sodass durch die Inspektion die Behörde eine gewisse Fühlung mit dem Streben der Arbeiterorganisation behält.

Die Beamten der Inspektion sind schifffahrtskundige Leute, ehemalige Kapitäne, die mit allen Verhältnissen an Bord des Schiffes und des Verkehrs auf dem Wasser vertraut sind. Sie haben das Recht, jederzeit zwecks Ausübung ihres Amtes in die zu ihrem Wirkungskreise gehörenden Betriebe Einsicht zu nehmen. Dieser Wirkungskreis umfasst die gesamte Wasserfläche des Hafens und greift auf die festen Kais nur insoweit über, als diese direkt für die Warenabnahme zu Wasser in Betracht kommen. Die Kaischuppen unterstehen schon der Gewerbeinspektion. Die Autorität der Hafeninspektion wird in ihren Anordnungen geschützt durch die Hafenpolizei. Auch diese setzt sich zusammen aus schifffahrtskundigen Leuten, oder Angehörigen verwandter Berufe. Durch die Einsetzung sachverständiger Inspektionsbeamten und den Hafenverhältnissen entsprechend ausgewählten Polizeimannschaften ist sowohl der Arbeitgeber, wie der Arbeitnehmer bis zu einem gewissen Grade vor den Belästigungen durch bureaukratische Maßregeln geschützt. Es ist dies von außerordentlicher Wichtigkeit, da eine ungerechtfertigte Unterbrechung der Arbeit für den Unternehmer einen bedeutenden Verlust, für den Arbeiter die Einbusse seines Tagelohns zur Folge haben kann.

Geht aus dem bisher Gesagten hervor, dass mit einigem guten Willen seitens der Unternehmerschaft und des Staates viele Missstände behoben und schwere Schädigungen für Gesundheit und Besitz abgewendet werden können, so verdienen diejenigen Verhältnisse eine besondere Beachtung, die aus der Eigenart der Arbeit selbst entstehen und deren nachteilige Folgen unvermeidlich sind.

Die unmittelbare Gefahr für alle Tätigkeit auf dem Wasser ist der Tod des Ertrinkens. Trotz aller Schutzbestimmungen macht die Zahl der Ertrunkenen jährlich über die Hälfte aller Todesfälle im Hafengebiete aus. Häufig überrascht das Wasser seine Opfer, die Fahrzeuge schlagen voll und ziehen die Unglücklichen mit in die Tiefe. Der Wellengang im Hamburger Hafen ist für beladene Schuten oder offene Jollen an Wochentagen leicht gefährlich durch die Dünung, die die vielen großen Schlepper bei ihrer Fahrt aufwerfen. Zufälligkeiten aller Art können jeden Augenblick Verderben bringen. Z. B. ein Mann geht auf dem schmalen Bord einer Schute entlang, um sie weiter zu ziehen oder zu schieben, ein schmieriger Fleck, ein Zigarrenstummel, ein ausgedienter Priem lassen ihn ausrutschen, er fällt ins Wasser und ertrinkt. Vor solchen Zufälligkeiten, die ihm täglich begegnen können, kann sich der Arbeiter unmöglich wahren. Die schädliche Folge ist, er stumpft gegen die drohenden Gefahren, von denen er immer umgeben ist, ab. Die Geschicklichkeit, die er in der Ausführung seiner Arbeit erwirbt, gibt ihm das Gefühl der Sicherheit und damit leider auch eine zu große Sorglosigkeit. Nicht allein das, das Gefühl der Überlegenheit gibt dem berufsmäßigen Schiffer nicht selten Anlass zu Waghalsigkeiten, die ihm die Gesundheit oder gar das Leben kosten können.

Die in der dauernden Umgebung von Gefahren erworbene Gleichgültigkeit dagegen ist gemeinhin als die Ursache vieler Unfälle anzusehen. Droht außerhalb des Schiffsbordes das Wasser, so droht innerhalb die Arbeit. Wer je gesehen hat, wie die mächtigen Warenballen, Kohlenkörbe, Baumstämme, oder was es ist, in steter Geschwindigkeit ununterbrochen aus den engen Luken herausgeholt oder hineingeladen werden, wird sich des beängstigenden Gefühles nicht erwehren können, dass die Arbeiter im Räume ihr Leben oder ihre Gesundheit der Haltbarkeit der dünnen Drahtseile verdanken müssen. Gegen dieses Gefühl ist der Arbeiter abgestumpft, wenn auch die vielen Unfälle dafür sorgen, dass er sich seiner gefahrvollen Lage bewusst bleibt. Wenn das gesamte Arbeitsgeschirr, besonders die Drahtseile oder Taue auch jedes Mal vor Gebrauch untersucht werden, so lässt sich die Gefahr nicht ausschalten, da es unmöglich ist, jede schwache Stelle des Seiles sofort zu erkennen. Die Gleichgültigkeit gegenüber den Gefahren führt häufig zur Rücksichtslosigkeit gegen die Arbeitsgenossen. Es wird z, B. die nötige Vorsicht außer Acht gelassen bei dem Zusammenhaken der Warenballen, dem Vollschaufeln oder Ausschütten der Kohlenkörbe, dem Bewegen schwerer Lasten usw. Immer wieder kommt es vor, dass solche Unachtsamkeiten und Gleichgültigkeiten Unfälle herbeiführen, trotzdem schon die Führer der Gewerkschaft diesen Punkt auch ins Auge gefasst haben und dazu Stellung zu nehmen versuchen*). Andererseits darf hier nicht unerwähnt bleiben, dass diese Sorglosigkeit des Arbeiters für den regelrechten Betrieb des Hafens sogar erforderlich ist. Unabsehbar wären die Schwierigkeiten, die entstehen würden, wenn alle Vorschriften aufs peinlichste befolgt würden, das Geschirr ängstlich geprüft würde und der Arbeiter im Angreifen seiner Arbeit zaghaft wäre. Abgesehen von den bedeutenden Unkosten der dadurch entstehenden Verzögerungen, würde das Leben des Arbeiters in noch weit höherem Masse gefährdet sein, da eine zaghafte Hand nicht fest und sicher anpacken kann, der Masse und der Schwere der aufgestapelten Waren also weniger gewachsen scheint. Die Hafenarbeit, die ja reine Muskelarbeit ist, erfordert eine sichere Routine, welche der bedächtigen Handhabung fehlen würde, um das zu verstehen, braucht einer nur einmal beobachtet zu haben, wie sich die Mauerleute die Ziegelsteine zuwerfen oder die Krahnführer ihre Maschinen leiten.

*) Vers. Protok. der Ewerführer 6. Aug. 1905, bei „einigermaßen Vorsicht würde manches verhütet“.

Ein großer Teil der Unfälle ist auch allein den Verhältnissen an Bord zuzuschieben. So groß die modernen Dampfer auch sein mögen, der Raum, der eine freie Beweglichkeit gestattet, ist immer nur klein. Zwischen den vielen Lukenöffnungen liegen die rastlostätigen Dampfwinden. Die ganze Bordfläche ist von Brettern, Tragbalken, Laufbrücken, Tauwerk belegt, und während zwischen diesem Wirrwarr die Leute arbeiten, gehen die schweren Lasten über ihre Köpfe hinweg. Eine Unachtsamkeit, ein Stolpern, Ausrutschen, kann die schlimmsten Folgen haben. Gesetzt den Fall, ein schwerer Korb mit Steinkohlen schnellt in die Höhe, ein unglücklicher Zufall will, dass der Korb schwankt, er schlägt gegen die Stellagen, und alles stürzt auf die im Schiffsräume beschäftigten Leute nieder. Solche oder ähnliche Ursachen liegen vor, wenn die Inspektion berichtigt, dass in 13 Unglücksfällen 60 Menschen verletzt wurden, wovon allein auf 1 Fall 18 kommen.*)

*) Jahresbericht der Hafeninspektion von 1900.

Aus den von der Hafeninspektion angegebenen Ursachen der Unfälle ist leicht zu erkennen, dass man einen großen Teil davon als unvermeidlich bezeichnen muss. Nach dem Jahres- bericht von 1905 ereigneten sich Unfälle:

1. An Motoren und Transmissionen 30
2. An sonstigen Arbeitsmaschinen 49
3. Durch feuergefährliche heiße, giftige Gase, Gegenstände 66
4. Durch Bewegen von Lasten 565
5. Durch Herabfallen von Gegenständen 330
6. Durch Einsturz, umfallen, Fortschnellen, Anschließen usw. von Gegenständen 301
7. Durch Bruch von Hebezeugen und deren Tragorganen 46
8. Durch Fallen im Betriebe 849
9. Durch einfache Handwerkszeuge 86
10. Durch Zusammenstoss, Kentern, Schwanken und Sinken von Fahrzeugen 147
11. Durch Glasscherben, Holz-, Eisenplatten, Nägel usw. 130
12. Durch infolge von Glätte, Stolpern, Fehltritt, Abschnappen von Halsen usw. beim Verholen von Fahrzeugen 309
13. Durch Klemmen, Quetschung, Stoß usw. 369
14. Durch Schlägerei, Neckerei bei der Arbeit 2
15. Durch Hitzschlag, Krämpfe 10
16. Durch Trunkenheit bei der Arbeit 1
17. Durch Blutsturz, Leistenbruch usw. 21
18. Durch verschiedene Ursachen 64
.................................Gesamtzahl der Unfälle 3375

Wenn auch bei jedem Unfall eine Unterlassungssünde mit Schuld sein mag, so ist doch fraglos, dass die unter Punkt 4, 8, 12, 13, 15 und 17 aufgeführten Fälle zum weitaus größten Teile der Art der Arbeit zuzuschreiben sind. Von der Gesamtzahl der Unfälle machen Punkt 4, 6 und 8 allein die Hälfte, alle 6 Punkte zusammen gerade 2/3 aus. Dies Verhältnis ist ungefähr konstant (1905, 2042 : 3349, 1906, 2123 : 3375). Alle diejenigen Fälle, die unter dieser Verhältniszahl unrechtmäßig mitgezählt sind, würden sich wieder ausgleichen durch Fälle, die unter den übrigen Punkten fälschlich einbegriffen bleiben. Bei der Hinzurechnung der Todesfälle stellt sich die Zahl für die durch die Beschaffenheit der Arbeit resp. des Arbeitsortes verursachten Fälle noch ungünstiger, da der „Fall ins Wasser“ allein schon über die Hälfte der Gesamtzahl beträgt, und unter der obigen Zahl der glückliche Ausgang eines Falles ins Wasser nicht mit gerechnet ist.

Viele Missstände und Unglücksfälle sind schließlich auch darauf zurückzuführen, dass alte Schiffe noch im Gebrauche sind, bei denen die neueren vorgeschriebenen Schutzvorrichtungen unmöglich angebracht werden können; die Hafeninspektion muss zufrieden sein, wenn sie nur jede unmittelbare Gefahr für die Arbeiter beseitigt sieht. Im erfreulichen Gegensatze hierzu wird bei den modernen Schiffen schon beim Bau darauf gesehen, dass den Arbeiterschutzbestimmungen nachgekommen wird. Einzelne Unzulänglichkeiten und Fehler lassen sich auch hier nicht gleich vermeiden, doch sowie das Schiff in den Dienst tritt, werden auch diese den Anforderungen gemäss verbessert. Da auch ausländische Schiffe, die im Hamburger Hafen mit deutschen Schauerleuten arbeiten, den Bestimmungen unterworfen sind, führten die Klagen über Missstände allerseits zu vielen Unannehmlichkeiten. Doch scheinen die Schwierigkeiten mit den englischen Schiffen behoben zu sein, seitdem auch England seine Arbeiterschutzbestimmung einer Revision unterworfen hat.

Über Art und Schwere einer Arbeit geben Ursache und Häufigkeit der Unfälle den besten Aufschluss. Doch bleibt eine solche Darstellung immer lückenhaft insofern, als eine genügende Berücksichtigung der Bedingungen, unter denen die tägliche Arbeit geleistet wird, nicht stattfindet. Da eine eingehende Erörterung an dieser Stelle des Mangels an Raum wegen nicht vorgenommen werden kann, sei nur auf das Allgemeine und das Wichtigste hingewiesen. Dass der Hafenarbeiter in seiner Eigenschaft als Transportarbeiter mit den verschiedensten Waren und Stoffen in mehr oder weniger enge direkte Berührung kommt und dadurch Erkrankungen aller Art infolge von Infektionen ausgesetzt ist, wurde oben schon unter den Missständen erwähnt. Einer besonderen Betrachtung sind wegen der Schädlichkeit und Schwere jedoch drei Arten der Hafenarbeit zu unterziehen, das sind die Arbeiten in losem Getreide, in Kohlen und in den Kesseln. Diese Sonderbetrachtung rechtfertigt sich daraus, dass die betreffenden Arbeiter nur ausschliesslich diese Arbeiten verrichten und sich daher auch beruflich gegen die andern Hafenarbeiter abgegrenzt haben.

Die Arbeit in losem Getreide wurde früher in der Weise gehandhabt, dass man Säcke, Körbe oder dergl. vollschaufelte und dann in der üblichen Art aus dem Räume hinausbeförderte. Bei diesem Umschaufeln wirbelt ein unerträglicher, pulverfeiner Staub auf, der sich in den Atmungsorganen der Arbeiter naturgemäß in beträchtlichen Mengen festsetzt. Neuerdings ist an Stelle dieses alten Verfahrens allerdings der selbsttätige Heber getreten, soweit dieses jedoch keine Saugheber sind, haben die Arbeiter den doppelten Nachteil, dass ihre erforderliche Zahl verringert, ihre Arbeit aber keineswegs an Gesundheitsschädlichkeit verloren hat, da sie dem starren Heber fortwährend das Getreide zu schaufeln müssen. Die rastlose Tätigkeit des Hebers gestattet ihnen auch nicht, einen Augenblick bei der Arbeit zu verweilen. Ist unter das Getreide, wie es namentlich bei russischen oft vorkommt, viel Sand und Dreck gemischt, so ist die Arbeit für die Leute im Raum noch schlimmer. Vom sozialhygienischen Standpunkte aus wäre die allgemeine Einführung des Saughebers für loses Getreide dringend wünschenswert, welcher alle Fährlichkeiten auf ein geringes Maß beschränken könnte.

Eine körperlich außerordentlich anstrengende Tätigkeit ist die Arbeit der Kohlenschauerleute und -Arbeiter. Das so- genannte Kohlenjumpen*) ist allerdings durch die Einführung der Dampfwinden glücklich beseitigt, die schwere Arbeit in dem Schiffsräume aber unverändert geblieben, ja durch die ununterbrochene Tätigkeit der Maschinen noch intensiver gestaltet. Der Raum eines in Arbeit befindlichen Kohlendampfers ist derart mit

*) H. Bürger, die Hamburger Gewerkschaften, Hamburg 1899. „Das Jumpen besteht darin, dass vier Personen gleichzeitig und taktmäßig an den Tauenden, den sogenannten „Bellrops“ den ca. 110 Pfund schweren Kohlenkorb aus dem Schiffsraum zu ziehen, indem sie einige Züge tun, dann gleichzeitig mit dem Tau in der Hand einen Sprung rückwärts machen, wodurch der Korb aus der Luke hervorschnellt und von einem fünften Mann ergriffen und ausgeschüttet wird“.

F. Tönnies, Archiv für soz. Gesetzgebung und Statistik, Bd. 10, Heft 2. „Dieses Jumpen ist eine sehr anstrengende, durch die lange ununterbrochene Dauer schwer erschöpfende Arbeit. Nur der kräftigste und bestgenährte Schauermann ist ihr gewachsen, manche halten es nur einige Jahre aus und wenden sich dann andern, wenn auch schlechter bezahlten Arbeiten zu“.

Kohlenstaub erfüllt, dass es einem fast unmöglich erscheinen muss, wie hier die Leute stundenlang in härtester Arbeit tätig sein können. Von den 7 Leuten, die zu einem „Gang“ gehören, leitet einer die Dampfwinde, zwei besorgen das Ausschütten der Kohlenkörbe in die Schuten oder andere Fahrzeuge und vier Mann schaufeln die Körbe im Räume voll. Unaufhörlich schnurrt das Seil. Der leere Korb geht, von geübter Hand geleitet, zwischen den im Räume arbeitenden Leute nieder, um im nächsten Augenblicke hochauf mit Kohlen gefüllt und über 100 Pfund schwer wieder über dem Lukenrande zu erscheinen. Gemäss der Schwere der Arbeit, ist der Lohn höher als der übliche, dennoch hat die große Masse der Schauerleute eine starke Abneigung gegen diese Arbeit. Diese Abneigung hat nicht zuletzt ihre Ursache darin, dass bei dem „schwarzen“ Schauermann, d. h. dem Kohlenschauermann die tägliche schwere Arbeit in dem dichten Kohlenstaub, der Gesicht, Hände und Kleidung mit einer dicken, kaum abwaschbaren Schmiere überzieht, nicht nur die Gesundheit gefährdet wird, sondern auch das moralische Niveau stark gedrückt wird.

Eine noch ungünstigere Stellung nehmen vielleicht die Kesselreiniger ein. Bei dieser Kategorie der Hafenarbeit ist eine verderbliche Auswahl am Werke. Da zur Arbeit in den Kesseln nur kleine Leute gebraucht werden können, sind unter diesen Arbeitern viele schwächliche und krüppelige Gestalten. Um das Schiff bald wieder zur Fahrt bereit zu haben, wird oft nicht erst so lange gewartet, bis der Kessel genügend abgekühlt ist. Sobald wie möglich müssen die Kesselreiniger mit einer qualmenden Öllampe in der Hand in den Kessel hineinkriechen. In den Kesseln herrscht dann bald eine Luft zum Ersticken, die Leute sind schwarz von Russ und am ganzen Leibe von einer widerlichen Schmiere überzogen. Man sollte meinen, eine solche Arbeit sei hoch bezahlt, doch ist das nicht der Fall. Der Lohn für diese schwere schmutzige Arbeit beträgt noch heute im Hamburger Hafen für den vollen Arbeitstag von morgens 6 Uhr bis abends 5 1/2 Uhr inkl. Pausen nur drei Mark.

Aus der im vorhergehenden versuchten Schilderung der Missstände und der Art der Hafenarbeit geht mit Notwendigkeit hervor, dass eine solche Arbeit nicht ohne Einfluss auf die Arbeiterschaft sein kann. Es ist schon erwähnt worden, wie die aus der Vertrautheit mit den Gefahren entspringende Gleichgültigkeit selbst eine Gefahr wird. Es sind aber noch drei andere wichtige Momente von dauerndem Einflüsse auf den Charakter und die Zusammensetzung der Hafenarbeiterschaft. Diese drei Momente sind:

a) die unüberwachte Arbeit,
b) die ungelernte Arbeit und
c) die Fluktuation.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die sozialen Verhältnisse im Hamburger Hafen