Sechste Fortsetzung

VI. Dem Hin- und Herschwanken des Streits gegen die Juden, der am Hofe der Kaiser von Ost- und Westrom geführt, in ihren Verordnungen sich wiederspiegelt, bis in alle Einzelheiten nachzugehen, gehört nicht hierher. Wichtig für die Folge ist nur das Ergebnis. In den ersten Jahrzehnten des 5. Jahrhunderts wurden die Grundsätze festgelegt, nach denen fortan die Stellung der Juden im christlichen Staat sich regeln sollte. Spätere Jahrhunderte haben vielerlei zugefügt und gelegentlich auch einiges gemildert; die Grundgedanken blieben maßgebend, wo immer römisches Recht galt, und wurden anderwärts von der Kirche durch Übernahme ins kanonische Recht zur Geltung gebracht. Noch heute lassen sich die Nachwirkungen spüren. Vor allem das vollständig nach Motiven und Inhalt überlieferte Edikt des Kaisers Theodosius II. vom Jahre 438 führt in den Geist dieser spätrömischen Gesetzgebung ein. Dem Kaiser, so heißt es da, liegt besondere Sorge für den wahren Glauben ob, dessen Pflege den Weg zum Gedeihen in irdischen Dingen eröffnet. Lange Erfahrung hat das gelehrt, so sollen auch die Nachkommen daran festhalten. Welcher Art die Erfahrung war, aus der die Zeit ihre Schlüsse zu ziehen pflegte, zeigt das Edikt weiterhin, indem es die heidnischen Opfer bei Todesstrafe verbietet, wegen ihres ungünstigen Einflusses auf die klimatischen Verhältnisse. Der Frühling hat seine gewohnte Milde verleugnet; der Sommer hat durch dürftige Ernte den arbeitsamen Landmann in der Hoffnung auf Ährensegen getäuscht; des Winters unmäßige Wildheit hat den Reichtum des Bodens durch tief eindringenden Frost mit Unfruchtbarkeit geschlagen. Zur Strafe für die Gottlosigkeit überschreitet die Natur ihre Gesetze. Auf dass solches nicht weiter erduldet werden müsse, ist der ehrfurchtgebietenden Majestät des höchsten Wesens ein Sühnopfer darzubringen, und das sollen die Heiden bilden, die durch Ausübung ihrer Gebräuche das Unheil heraufbeschwören. Mit aller Strenge sollten auch die Juden (und Samaritaner) behandelt werden. Gleich Heiden und Ketzern gelten sie als verblendet. Wenn der Kaiser es versucht, durch heilsames Gesetz die Gesundung ihres Geistes zu fördern, so tragen sie an den Folgen selbst Schuld, da sie wegen harter Starrköpfigkeit der Gnade nicht Raum lassen.

Prinzipiell hatte der Kaiser die Aufgabe, im Staatsinteresse jede Abweichung vom wahren Glauben zu unterdrücken. Der noch nicht offen ausgesprochene Grundsatz ergibt sich mit Notwendigkeit aus den Prämissen. Bis zu den äußersten Konsequenzen gehen jedoch die getroffenen Maßnahmen nicht. Nur die Ausbreitung der verderblichen Sekten soll gehindert werden; denn nach altem Wahrspruch sei bei hoffnungslosen Krankheiten kein Heilmittel in Anwendung zu bringen. Dem Zwecke dienen die Ausschließung der Juden und Samaritaner von allen Ämtern und Würden des Staats, das Verbot, neue Synagogen zu bauen, und die Androhung der Todesstrafe nebst Güterkonfiskation für einen jeden, der einen Sklaven oder Freien durch Zwang oder Überredung zum Abfall vom Christentum verleitet.


Für die soziale Stellung der Juden ist die erste Bestimmung am bedeutsamsten geworden. Wie tief sie in bestehende Verhältnisse einschnitt, zeigt das Edikt selbst durch die Motivierung, die es ihr gibt, und die Ausnahmen. Es sei ein Frevel, so lautet die Begründung, dass die Feinde der himmlischen Majestät und des römischen Gesetzes Vollstrecker unserer Gesetze unter dem Vorwand erschlichener Gerichtsbarkeit werden und kraft der erworbenen Würde über Christen und selbst Bischöfe, gleichkam zum Hohn für unseren Glauben, zu urteilen und zu entscheiden, was sie wollen, Gewalt haben. Im christlichen Staat können Andersgläubige obrigkeitliche Befugnisse nicht wahrnehmen, das ist der Kernpunkt. Die herrschende Religion, im Bewusstsein ihrer eigenen Unduldsamkeit, befürchtet Erwiderung von gleichem mit gleichem, wenn nicht die Ausübung der staatlichen Hoheitsrechte ausschließlich ihren Anhängern zufällt, und der Kaiser, als Hüter des rechten Glaubens, legt gesetzlich fest, dass, wer der Staatsreligion nicht angehört, zur Bekleidung von Ämtern in Gericht und Verwaltung nicht zugelassen wird. Der allgemein gültige Grundsatz erleidet Einschränkungen im Staatsinteresse, die freilich unter den damaligen Verhältnissen nur scheinbare sind. Befreiung von den Kurien wäre viel eher ein Vorzug als eine Zurücksetzung gewesen; die mit den Kurien verbundenen munizipalen Ämter stehen den Juden auch fernerhin offen, ausser dem höchsten, dem Amt des defensor. Ebenso bleiben die Juden in den Kollegien, denen sie erblich angehören, und tragen die mit der Zugehörigkeit verknüpften realen und persönlichen Lasten. Sie finden daher auch fernerhin im Unterpersonal der staatlichen Ämter Verwendung, nur sollen sie als Gerichtsdiener zur Exekution von Urteilen im Zivilverfahren und zur Bewachung der Gefängnisse nicht herangezogen werden, damit nicht Christen, wie das zu geschehen pflege, dem Hass der Hüter ausgeliefert, doppelte Kerkerpein erdulden. Vollständige Entfernung der Juden aus dem Staatsdienst und der Betätigung in öffentlichen Verrichtungen verfügte also das Edikt des Theodosius keineswegs; aber zu Ehre und Einfluss, die das höhere Amt verleiht, sollen sie nicht gelangen. Sie bleiben auf der untersten Stufe der vom Staat festgesetzten Rangordnung, auch wenn einer der freigebig gespendeten Titel ihnen zuteil wird, was nicht ausgeschlossen erscheint. Mit dem Bekenntnis zum Judentum, wie zu jeder anderen vom orthodoxen Glauben abweichenden Lehre, wird also die Unfähigkeit verknüpft, in eine bevorzugte Gesellschaftsklasse emporzusteigen.

Dieses soziale Moment trat noch nicht hervor in einem Gesetze des weströmischen Kaisers Honorius, das gleichfalls den Ausschluss der Juden von der militärischen und zivilen Ämterlaufbahn verfügt hatte. Darin sollte, wie hier ausdrücklich gesagt war, ein bürgerlicher Makel nicht liegen; zum Ersatz für den Eintritt in die Staatskarriere wurden die entsprechend vorgebildeten Juden auf Ausübung der Advokatur verwiesen, den erblich der Curie verpflichteten sollten wohllautende Redewendungen vom Vorzug der Geburt und Glanz des Geschlechts Trost spenden.

Inwiefern die Ausschließung der Juden von Staatsämtern auf ihre wirtschaftliche Stellung zurückwirkte, lässt sich schlechterdings nicht ermessen. Die Religion ist ein von wirtschaftlichen Ursachen unabhängiger Faktor der sozialen Klassenbildung. Als Bürger zweiter Klasse, mit Missgunst von der Staatsgewalt behandelt, müssen die Juden besonders schwer an den Lasten getragen haben, die das sinkende Römerreich seinen Bewohnern aufbürdete. Wohl möglich, das schon damals der vermehrte Druck die Regsamkeit steigerte, dass ihre von der Betätigung im Staat zurückgehaltene Intelligenz sich mit erhöhter Intensität dem Erwerbsleben zuwandte, oder aber, und das würde eher den Zeitverhältnissen entsprochen haben, dass sie, schutzloser als andere der Ausbeutung durch Beamtenwillkür preisgegeben, vielfach zu besitzlosen Proletariern herabsanken; doch mangelt es für beides an Beweisen. Am wahrscheinlichsten ist, dass sich überhaupt in der wirtschaftlichen Lage der Juden nicht viel änderte. Zum Speisen an der Staatskrippe konnten immer nur wenige berufen sein. Für die Gesamtheit kam die beabsichtigte soziale Minderwertung viel wesentlicher in Betracht als der unmittelbare Nachteil. Es bedeutete einen Sieg der orthodoxen Kirche, wenn Kaiser Honorius tapfere Krieger, die ihre anerkannten Verdienste im Kampf gegen die Goten des Rombezwingers Alarich sich erworben haben mochten, aus dem Heere ausstieß, weil sie Juden waren; die Zivilbeamten kamen übrigens glimpflicher weg, indem sie wenigstens die begonnene Laufbahn durchmessen durften. Für die ganze Folge ist es wichtig, Zeit und Anschauungen zu erkennen, in denen Prinzipien wurzeln, die man sehr verschiedentlich zu begründen gesucht hat.

Die Beschränkungen im Besitz von Sklaven, mit denen die gegen die Juden gerichteten Maßnahmen begannen, haben mehrfache Wandlungen durchgemacht. Als Norm bildete sich heraus, dass kein Jude einen christlichen Sklaven erwerben darf; erst unter Justinian erscheint das Verbot des Besitzes schlechthin. Die wirtschaftlichen Folgen dieser Bestimmungen verdienen wohl eine etwas nähere Erörterung. Im späteren Altertum fanden die Sklaven vorwiegend auf zweierlei Weise Verwendung, zu häuslichen Verrichtungen statt des Gesindes, und zum Ackerbau, als Zubehör der Landgüter, denen sie in den Steuerrollen zugeschrieben waren. Die letztere Gattung Sklaven, an die Scholle gefesselt, wechselte mit dem Boden, von dem sie nicht willkürlich entfernt werden konnten, den Besitzer. Zins und Dienste gingen von dem alten auf den neuen Herrn über; die Stellung der Sklaven blieb unverändert. Jüdischen Grundbesitzern die auf ihren Gütern angesiedelten Sklaven entziehen, hätte nichts Anderes bedeutet als ihnen die Bewirtschaftung unmöglich machen. So weit reichte zunächst die Absicht der Gesetzgeber offenbar nicht. Eine Verordnung des Kaisers Honorius im Westreich gestattete jüdischen Herren christliche Sklaven zu behalten, unter der Bedingung, dass sie diese in der Ausübung ihrer Religion nicht hindern. Ähnlich verfügte im Ostreich Theodosius II., indem er das Verbot des Erwerbs durch Kauf oder Schenkung wiederholte, dass die nach der Steuerveranlagung im Besitz von Juden befindlichen christlichen Sklaven und die, welche sie künftig durch Erbschaft oder Fideikommiss erlangen würden, ihnen verbleiben sollten, nur ist bei Todesstrafe untersagt, die Sklaven mit oder gegen ihren Willen ins Judentum aufzunehmen. Ganz augenscheinlich waltete hier die Rücksicht auf die stabilen Verhältnisse der ländlichen Unfreien ob; die Hausdienerschaft, auf dem Sklavenmarkt ergänzt, konnte sich nicht durch Generationen vererben. Dass selbst noch nach der Zeit Justinians jüdische Possessoren christliche Sklaven auf ihren Gütern hatten, zeigt der bereits früher erwähnte Fall in Luni. Immerhin dürften die Juden im Besitz und Erwerb von Land durch die Beschränkungen im Sklavenhalten bis zu einem gewissen Grade behindert worden sein. Es war ihnen nicht verwehrt, selbst den Acker zu bauen oder die üblichen Rechte über Kolonen zu genießen; aber für die Bewirtschaftung größerer Güter ließ sich ein Personal unfreier Knechte kaum entbehren. Da musste denn allein schon die Unbestimmtheit der Gesetzgebung Störungen verursachen. Wie es gehalten wurde, wenn ein Jude Land mit zugehörigen Sklaven kaufte, ist gar nicht ersichtlich. Die Annahme liegt nahe, dass die Verbote, christliche Sklaven zu erwerben, eine Zurückdrängung der Juden vom Landbesitz zur Folge hatten. Um jedoch die wirtschaftliche Bedeutung der einschlägigen Gesetze vollständig zu erkennen, sind noch andere Momente in Betracht zu ziehen.

Nach mosaischem Rechtsbrauch konnte der Jude einen gekauften Sklaven überhaupt nicht im Hause behalten, wenn dieser sich nicht durch Beschneidung ins Judentum aufnehmen ließ. Verstand er sich nicht freiwillig dazu, so musste er binnen Jahresfrist wieder an einen Nichtjuden veräußert werden. Nun war schon nach älterem römischen Recht die Beschneidung nur für Söhne von Juden erlaubt; es hätten also in ihrem Besitz sich nur Kinder jüdischer Sklaven befinden können. Ob das wirklich durchgängig der Fall war, lässt sieh bezweifeln. Der gesetzeskundige R. Abbahu, ein reicher Fabrikant zu Caesarea, hielt gotische Sklaven. Vielleicht wurde zu seiner Zeit, unter der Regierung Diokletians, das Beschneidungsverbot nicht mehr streng beobachtet und ist deswegen von Konstantin und Konstantius neu eingeschärft worden. Immerhin werden in dem Zwiespalt zwischen Religionspflicht und Staatsgesetz die Juden sich vielfach ohne die nach antiker Sitte allerdings für jeden einigermaßen begüterten Mann schwer entbehrliche Bedienung durch Sklaven haben behelfen müssen, schon ehe christlicher Glaubenseifer es für einen Frevel erklärte, dass fromme Knechte durch die Herrschaft gottloser Käufer besudelt werden. Die Sklaverei an sich erkannte die Kirche so gut wie der Talmud als rechtsbeständig an. Nun darf es ohnehin als wahrscheinlich gelten, dass im Osten die angesiedelten Unfreien, wenn überhaupt vorhanden, weit weniger zahlreich waren als im Westen.


Die fürsorgliche Ausgestaltung des Rechts der freien Arbeiter durch den Talmud zeigt, welche Bedeutung dieser Klasse im Osten zukam. Bei der Verschiedenheit der Wirtschaftsformen innerhalb des Römerreichs können die Gesetze nicht überall gleichmäßig gewirkt haben.

Die spätere Entwicklung der Sklaverei ging dahin, dass im Orient die Sklaven, nach mohamedanischem wie ähnlich nach talmudischem Recht weit besser gestellt als nach römischem, wesentlich zu häuslichen Diensten Verwendung fanden, während im Abendland die Verbindung des Sklaven mit dem Boden in die mittelalterlichen Formen der Unfreiheit und Hörigkeit überging. Wo Juden Landgüter mit zubehörenden Unfreien hatten, waren sie in dem Bestreben, den Besitz zu wahren, wohl nicht ganz erfolglos. Es ist bei Erörterung ihrer Stellung im westgotischen Spanien darauf zurückzukommen. Freilich sind dort auch die weitergehenden Beschränkungen nicht recht in Kraft getreten, weil, ehe sie verhängt wurden, das Land dem unmittelbaren Geltungsbereich der kaiserlichen Gesetzgebung entzogen war, und grade im Westen konnte sich ein von Juden betriebener Sklavenhandel herausbilden. Es dürfte also nicht ratsam sein, die wirtschaftliche Tragweite des Verbots, christliche Sklaven zu erwerben, sehr hoch zu veranschlagen. Es hat ohne Zweifel die Bewirtschaftung von Landgütern durch Juden erschwert, aber nicht unmöglich gemacht. Sein Ursprung lag in dem Bestreben, die Ausbreitung des Judentums auf einem durch die mosaische Sitte vorgeschriebenen Wege zu hindern. Dass es den Zweck erreichte, ist möglich; doch wirkte schon die vorkonstantinische Gesetzgebung in gleicher Richtung.

Eine letzte gegen die Juden gerichtete Ausnahmemaßregel der spätrömischen Legislation, das Verbot der Mischehe mit Christen, ist weniger seiner praktischen Folgen wegen bemerkenswert, da der Fall ohnehin nicht häufig vorgekommen sein dürfte, als weil es die gesellschaftliche Absonderung in ihrem wichtigsten Stücke zur gesetzlichen Norm erhob. Die zu Grunde liegende Tendenz konnte keine andere sein, als die auch sonst maßgebende, jeden Weg zu einer etwaigen Ausbreitung des Judentums abzuschneiden. Dass die sehr starke Abneigung kirchlicher Kreise gegen Mischehen von Christinnen mit Heiden nicht gleichfalls zum völligen Verbot führte, findet in dem schnellen Herabsinken des Heidentums zu völliger Bedeutungslosigkeit seine Erklärung.

Während die Gesetzgebung der Kaiser nachhaltig die Entrechtung der Juden in Angriff nahm, waren die Stürme der Völkerwanderung mit voller Wucht über das Römerreich hereingebrochen. Indem sodann der Westen, durch die Barbaren überflutet, vom Osten gelöst wurde, schieden sich die Geschicke der unter römisch-byzantinischer Herrschaft verbleibenden Juden von denen der abendländischen. Nur auf erstere übte die fortschreitende Identifizierung des Staates mit der rechtgläubigen Kirche ihre verhängnisvollen, aber das wirtschaftliche Gebiet wenig berührenden Wirkungen. Die Juden des Westens traten in neue Verhältnisse ein und verfielen dem Einfluss der nach den germanischen Invasionen sich allmählich umwandelnden Wirtschaftszustände.