Dritte Fortsetzung

III. In Palästina selbst befand sich das Grundeigentum, wenn nicht mehr ausschließlich, so doch überwiegend in jüdischen Händen. Vorkehrungen waren getroffen, es nicht an Heiden übergehen zu lassen oder doch von ihnen zurück zu erwerben. Dementsprechend standen hier den jüdischen Kolonen, der Masse der Landbevölkerung, jüdische Grundbesitzer gegenüber. Der Patriarch Gamaliel (von Jabne) verpachtete seine Felder zu Teilbau; er lieferte den Pächtern das Saatgetreide, um es nach der Ernte nebst einem Anteil am Ertrage wieder zu empfangen. Einer seiner Nachfolger in der Patriarchen würde, Juda I., scheint Viehzucht im Großbetriebe gepflegt zu haben. Es ging von ihm das Sprichwort: „R. Judas Viehställe haben mehr Wert, als des persischen Königs Schatzkammern." Begreiflich, dass er aus seinen Einnahmen den Unterhalt der zahlreich um ihn gescharten Schüler bestreiten konnte. Ein Kaiser Severus soll das Patriarchat mit Landgütern ausgestattet haben. Später erscheint die Familie Silvani zu Tiberias als begütert an Ländereien; und wenn dann auch die jüdische Bevölkerung Palästinas sieh verminderte, so muss doch noch am Anfang des 7. Jahrhunderts der reiche Benjamin von Tiberias, der in den Kämpfen des Kaisers Heraklios mit den Persern als Führer der Juden hervortrat, ein Großgrundbesitzer gewesen sein.

Aus Babylonien, wo die Verhältnisse ähnlich lagen, erfahren wir von R. Huna, dem Vorsteher des Lehrhauses von Sura, dass er, obgleich dem Hause der Exilsfürsten verwandt, seinen kleinen Acker selbst bestellte. Der Reichtum, den er in der Folge erlangte, bestand in landwirtschaftlich nutzbarem Besitz, Feldern, die er durch Teilpächter anbauen ließ, Weinbergen und Viehherden. Offenbar aus den Naturaleinkünften seiner Güter konnte er die ihm nachgerühmte Wohltätigkeit üben. Auch R. Joseph ben Chija, Schulhaupt zu Pumbadita, besaß Äcker, Palmbäume und Weingärten. In dem Verfahren seines zweitnächsten Nachfolgers, Raba bar Joseph aus Machuza, machte sich der Gegensatz zwischen den reichen Grundeigentümern und den armen Bebauern des Bodens bemerkbar. Von seinen Pächtern nahm er eine höhere, als die übliche Pacht; Mitgliedern des Lehrhauses erlaubte er, wenn sie Bedürftigen das Geld zur Bezahlung der Kopfsteuer vorschossen, dafür von den Schuldnern Frondienste zu fordern.


Der soziale Gegensatz hatte schon früher in Palästina selbst die Bevölkerungsklassen entzweit. Vom Ertrage fremder Arbeit, in den Städten lebend, konnten die wohlhabenden Grundbesitzer sich der strengen Beobachtung aller Vorschriften des Gesetzes hingeben; sie verachteten daher als unrein das rohe Landvolk, das, entsittlicht und verwildert in der Not der Zeit, ihnen mit erbittertem Hass vergalt. Aus späterer Zeit vernehmen wir Klagen über den Steuerdruck und die Naturallieferungen an das Heer, deren Höhe und gewaltsame Einforderung die verzweifelten Provinzialen in Palästina zum Aufstand trieb, ganz ähnlich wie in Gallien, denn die rechtliche Lage der Landbevölkerung war in Palästina die gleiche wie in den anderen Provinzen; dafür legt noch ein Gesetz des Kaisers Justin vom Jahre 572 Zeugnis ab. Nachdem nämlich Justinian den Samaritanern zur Strafe für eine Erhebung zivilrechtliche Beschränkungen hinsichtlich des Erbrechts auferlegt und sie später wieder davon befreit hatte, entzog ihnen sein Nachfolger Justin aufs neue das Recht, Erbschaften zu hinterlassen und zu empfangen; nur für Kolonen, die dem samaritanischen Bekenntnis anhingen, wurde eine Ausnahme gemacht, nicht um ihrer selbst willen, sondern im Interesse der Güter, denen sie angehörten. Damit die Gefälle an den Grundherrn und den Fiskus regelmäßig fortentrichtet würden, sollten die Kinder des Kolonen oder Seitenverwandte das Gut übernehmen; in Ermanglung von Erben fiel es an den Grundherrn zurück, der davon die Staatsabgaben entrichtete, nicht an den Fiskus, der sonst die Erbschaften der Samaritaner einzog. Die Kolonen waren also auch in Palästina an die Scholle gefesselt. Ihnen die Güter entziehen, die sie erblich inne hatten, wäre nichts anderes gewesen, als dem Boden die Bebauer zu rauben, auf deren Arbeit seine Nutzbarkeit für die Possessoren und den Staat beruhte. Dass gleich den samaritanischen die jüdischen Bauern nach Maßgabe des Kolonatverhältnisses Hörige ihrer Grundherren waren, kann keinem Zweifel unterliegen.

Die Existenz jüdischer Possessoren und Kolonen ist nicht auf Palästina und den Orient beschränkt geblieben. Rechtliche Hindernisse legte die Gesetzgebung des Römerreichs dem Erwerb von Grundeigentum nicht in den Weg. Wo nur immer Juden sich niederließen, konnten sie, falls ihre Mittel ausreichten oder sie anderweitig zu Wohlstand gelangt waren, in die Reihe der Grundbesitzer eintreten. Ganz greifbar wird die Gestalt eines jüdischen Possessor von einer Quelle vor Augen geführt, die Zweifelhaftes berichten mag in dem, was sie von seiner Bekehrung zum Christentum meldet, die aber für rein tatsächliche, mit der Tendenz nicht unmittelbar zusammenhängende Nebenumstände Glauben verdient.

Auf der Insel Menorka, in der Stadt Magona (Mahon), lebte zu Anfang des 5. Jahrhunderts ein sehr angesehener und mächtiger Mann, Theodorus, der unter den Juden und Christen der Stadt durch Schärfe des Geistes und weltliche Würden hervorragte. Wohl erfahren in der Kunde des Gesetzes war er Vorsitzender des Kollogs der Gemeindeältesten. In seiner staatsbürgerlichen Laufbahn hatte er alle Pflichten der Kurie erfüllt, war defensor gewesen und führte den Titel Stadtpatron. Dass nun die ökonomische Grundlage für die Stellung dieses Theodorus in Landbesitz bestand, zeigt die eingeflochtene Bemerkung, er habe sich gerade auf Mallorca befunden, um seine Güter zu besichtigen, als die Juden von Magona durch den bekehrungswütigen Bischof bedrängt wurden. Meletius, der Bruder des Theodorus, hatte ein Landgut auf Menorka selbst, das er, angeekelt von dem Treiben der fanatischen Menge in der Stadt, aufsuchen wollte. Ihm wird auch der Weinberg mit einer zur Kelter eingerichteten Grotte gehört haben, in die seine Gemahlin Arthemisia, entrüstet über den Abfall des Gatten, von wenigen Dienerinnen begleitet sich zurückzog. Arthemisia, deren Standhaftigkeit im Judentum nur ein krasses Wunder besiegt haben soll, war die Tochter des ehemaligen Statthalters der Provinz, Lectorius, der, wenn unsere Quelle recht unterrichtet ist, zur Zeit ein mit der „Comes“ würde ausgezeichnetes Amt bekleidete.

Finden wir in diesem einen Falle jüdische Grundbesitzer in verwandtschaftlicher Beziehung zu einem Angehörigen der hohen römischen Beamtenaristokratie, so dürfte es sich hierbei schwerlich um eine singulare Erscheinung handeln. Der nichts weniger als judenfreundliche Kirchenvater Hieronymus schildert an einer Stelle seiner umfangreichen Werke, wie die Juden sich die Ankunft des Messias vorstellen. Es sollen dann vom ganzen Erdkreis die Kinder Israel zurückgeführt werden, nicht auf Pferden, sondern auf numidischen Maulegeln. Die Männer senatorischen Ranges und die Höchstgestellten werden aus Britannien, Spanien, Gallien und Germanien auf Karossen einhergefahren kommen. Demnach müsste es grade im Westen des Reichs Juden gegeben haben, die zur ersten Klasse der römischen Gesellschaft zählten. In dem bescheideneren Stand der Possessoren, denen das Joch der Curie aufgehalst wurde, treffen wir jedenfalls Juden am Ufer des Rhein, in der römischen Provinz Germanien. Kaiser Konstantin hätte nicht nötig gehabt, den Decurionen von Köln seinen allgemein gültigen Erlass, der die frühere Befreiung der Juden von der Berufung in die Kurien aufhob, besonders zur Kenntnis zu bringen, wenn nicht eben dort zum Eintritt geeignete Juden wohnten, und zwar mehr als zwei oder drei, für die der Kaiser zur Erleichterung des Übergangs die Exemtion fortdauern lassen wollte. Dass, wie begreiflich, nicht sämtliche Kölner Juden den ökonomischen Voraussetzungen zur Aufnahme in die Curie entsprachen, zeigt eine zweite Verordnung Konstantins, die alle in gottesdienstlichen Funktionen bei den Synagogen Beschäftigten von den der niederen Bürgerschaft obliegenden persönlichen Leistungen entband.

In Anbetracht des Umstandes, dass wegen der Haftbarkeit für die Steuern des Stadtgebiets zu Mitgliedern der Kurien sich im wesentlichen nur Grundbesitzer eigneten, dürfen die Gesetze der Kaiser über das Verhältnis der Juden zu den Kurien als Anzeichen für die weite Verbreitung jüdischer Possessoren angesehen werden. Speziell in Unteritalien müssen sie recht zahlreich gewesen sein; nach einem Erlass des Kaisers Honorius hingen in den Städten Apuliens und Kalabriens so viele Kurialen dem mosaischen Bekenntnis an, dass die Versehung der städtischen Ämter, von der sie Befreiung in Anspruch nahmen, nicht mehr ordnungsgemäß erfolgen konnte. Einen ganz positiven Beleg für die Existenz jüdischer Possessoren gibt noch ein Brief des Papstes Gregor I. vom Jahre 594. Darnach besaßen Juden, die in der (später zerstörten) Stadt Luni an der Küste Toskanas (nicht weit vom heutigen Spezia) wohnten, christliche Sklaven, nicht nur im Hause, sondern auch auf ihren Landgütern. Die Sklaven waren fest angesiedelt und entrichteten, dem spätrömischen Gebrauche entsprechend, den Herren Abgaben von dem Boden, den sie bebauten, gleichwie Kolonen, in die sie sich nach ihrer vom Papst geforderten Freilassung verwandelten.

Die Zeugnisse für den Grundbesitz der Juden aus der trümmerhaften Überlieferung von den Zuständen des Römerreichs hervorzuheben, erschien um so dringender erforderlich, als sie gar leicht dem Missverständnis ausgesetzt sind oder übersehen werden. Wohl in keinem Stücke weichen antike und moderne Verfassungs- und Wirtschaftszustände so stark von einander ab, als in dem Verhältnis der Stadt zum Lande. Ganz fremd war dem Altertum die politische Trennung, die das deutsche Mittelalter in der Epoche des Städtewesens herausbildete, ebenso wie die Lokalisierung des grundbesitzenden Adels und der Ackerbau treibenden Bauern auf dem platten Lande im Gegensatz zu den gewerbetätigen, in den Städten lebenden Bürgern. Dass die Juden des Altertums — vermutlich — vorwiegend in Städten wohnten, schloss keineswegs ihre Anteilnahme an landwirtschaftlich nutzbarem Grundeigentum aus in einer Zeit, als die Stadträte sich aus Grundbesitzern zusammensetzten. Indessen auch die eigentliche Landarbeit haben Juden außerhalb Palästinas verrichtet. In der Stellung von Kolonen betrieben sie auf der Insel Sizilien Ackerbau. Nach Briefen des Papstes Gregor I. waren auf den dort gelegenen, weit ausgedehnten Gütern der römischen Kirche viele Juden ansässig, denen er ein Viertel bis ein Drittel des Pachtzinses nachlassen wollte, wenn sie sich zum Christentum bekehren würden. Landwirtschaftliche Beschäftigung ist bei den Juden des Westens schwerlich auf Sizilien beschränkt geblieben. Aus dem Mangel an Nachrichten darf, wo die Quellen so spärlich fließen, nicht geschlossen werden, dass vereinzelte Zeugnisse, die ein überraschendes Licht auf mannigfach von den späteren abweichende Zustände werfen, eben nur singuläre Verhältnisse betreffen. Jener Jude, der den Claudius Rutilius Namatianus aus idyllischer Ruhe am Weiher auf der Insel Faleria (bei Elba) aufstörte und ihm so zu beweglichen Klagen über die Verjudung des Römerreichs Anlass gab, war nicht etwa ein zudringlicher Hausierer, sondern ein Feldhüter, der kam, um Ersatz für Flurschaden zu fordern.