Die russische Landwirtschaft - ein Kraftelement Russlands

Aus: Die deutschen Ansiedlungen in Russland - Einleitung 06
Autor: Matthäi, Friedrich (?-?) Offizier der kögl. Sächs. Armee, corresp. Mitglied der Kaiserl. freien ökonomischen Gesellschaft, sowie der Gartenbaugesellschaft zu St. Petersburg, Erscheinungsjahr: 1866
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, Russen, Deutsche, Heimat, Auswanderung, Auswanderer, Kolonisten, Das Geschäftsleben der Bäcker und Apotheker, der Schneider, der Kaufleute, der Buchhändler, der Lehrer, Privatlehrer, Hauslehrer, Gymnasiallehrer, Universitätslehrer, Das Gesellschaftsleben, Die gute Gesellschaft, Die schlechte Gesellschaft, Die Frauen, Die Karten, Die Musik
Wie rasch sich der Landwirt daran gewöhnt, den Bedürfnissen der Industrie und des Handels zu folgen, das zeigen recht deutlich die mehrfachen Umwandlungen, welche die Schafzucht in Deutschland erfahren hat. Und solche Umwandlungen gerade im Bereiche der Tierproduktion, die doch Generationen für sich in Anspruch nehmen, erfordern weit größere Opfer als z. B. der Anbau von Fabrikpflanzen. Geht die Industrie Hand in Hand mit der Landwirtschaft, unterstützt eine die andere, dann werden beide florieren, und je freier dann die Handelsbewegung, desto fröhlicher werden sie gedeihen. Gewiss wird dann der Import fremder Industrieerzeugnisse steigen, es werden aber Fabrikate sein, die man im Lande nicht so gut und billig erzeugen kann, als das Ausland, dafür wird aber sicher die doppelte Menge der inländischen Fabrikate ins Ausland abgesetzt werden, das bei einer durchschnittlich 5—6 fach stärkeren Bevölkerung als Russland, die industriellen Rohprodukte niemals zu gleich billigem Preise herstellen kann, als das letztere.

Sollen also Handel und Industrie in Russland florieren, so muss die Landwirtschaft die Handhabe dazu werden. Diese leidet aber gegenwärtig unter einer schweren Krisis, und die Folge davon ist, dass auch der russische Handel lahmt und ein Teil der Industrie nur mit äußerster Anstrengung sich erhalten kann. Russland ist erst in zweiter Linie Handels-, in dritter Linie Industrie-, in erster Linie aber Agrikulturstaat. Ich lege hierbei nicht die Liebhaberei des Volkes, denn diese neigt sich verhältnismäßig weit mehr zum Handel und zur Industrie als zur Landwirtschaft, sondern die faktischen Verhältnisse zu Grunde. Russlands Hauptreichtum besteht in den Urprodukten seines Bodens und seiner Viehzucht, die Macht seines auswärtigen Handels beruht vorzugsweise auf dem Export seiner Landesprodukte, die Entwicklung eines großen Teiles seiner Industrie findet ebenfalls seine Stütze in der landwirtschaftlichen Urproduktion. Leider steht es aber in diesem Moment traurig mit der russischen Landwirtschaft. Um kurz zu sein, es fehlt an den Hauptelementen eines schwunghaften landwirtschaftlichen Betriebes: an Arbeitskraft, Kapital und Intelligenz.

Kapital lässt sich verhältnismäßig noch am raschesten schaffen, obgleich es unter den jetzigen Verhältnissen und bei dem großen Bedürfnis danach in allen Branchen des wirtschaftlichen Volkslebens auch seine Schwierigkeiten haben wird, denn der Landbau kann nur billiges Kapital brauchen, und ein solches ist allenthalben, namentlich aber in Russland, ein seltener Artikel geworden. Arbeitskraft und Intelligenz lassen sich aber in keinem Falle rasch schaffen, denn der Schritt der Volksentwicklung nach beiden Richtungen hin ist ein langsamer und zögernder, und doch wäre ein Riesenschritt notwendig, um die Umstände zu bessern und die ungünstigen Verhältnisse zu bewältigen. Dagegen besitzt Russland große Strecken vortrefflichen Kulturbodens, welcher einer landwirtschaftlichen Verwendung harrt, jetzt aber weder dem Staate noch dem Lande von Nutzen ist.

Würde man denselben zur Ansiedlung fremder Kulturkräfte benutzen, so ließen sich wenn auch nur in einer verhältnismäßigen Ausdehnung Arbeitskraft, Kapital und Intelligenz mit einem Schlage nach Russland führen. Es ist ohnedem schon die Rede davon, fremde Arbeitskräfte nach Russland zu ziehen, eine Idee, die vielfach vertreten, vielfach bekämpft wird. Dort, wo es sich, wie auf den meisten Privatgütern Russlands, weniger um Kulturkräfte in der höheren Bedeutung des Wortes, als um bloße Arbeitskräfte handelt, halte auch ich die Idee, diese letzteren aus dem Auslande zu bringen, für eine ziemlich verfehlte. Ich werde am Schlusse meines Werkchens diesem Gegenstande eine besondere Abhandlung widmen, und die Art und Weise darlegen, auf welche es vielleicht möglich werden dürfte, Arbeitskräfte nach Russland zu ziehen, wie solcher das Land bedarf. Wichtiger scheint mir aber die Herbeiziehung tüchtiger Kulturkräfte, welche Arbeitskraft mit Intelligenz und Kapital verbinden, denn sie sind es, die dem Lande noch mehr not tun. Der zum freien Besitzer seines Grund und Bodens gewordene Bauer bedarf heute mehr denn je eines guten Beispiels. In früheren Zeiten hoffte man ihm dasselbe auch durch ausländische Kolonisten zu geben, diese Ausländer waren aber leider keine Landwirte, und standen auf einer Kulturstufe, die der des russischen Bauern von damals ziemlich gleich war. Heute ist dieser Unterschied aber weit größer, als zur Zeit der ersten Kolonisationen. Während die russische Landwirtschaft im Laufe dieses Jahrhunderts nur wenige und keine wesentlichen Fortschritte gemacht hat, fallen gerade in diesen Zeitraum die wichtigsten Systemänderungen im Gebiete der deutschen Landwirtschaft, in welche auch die bäuerlichen Wirte mit fortgerissen worden sind. Der Bauer ist dadurch zum denkenden, sich seiner Aufgabe bewussten Landwirte geworden, der trotz seines langsamen und bedächtigen Naturells wohl geeignet ist, als Lehrmeister einem Volke gegenüber aufzutreten, das in wirtschaftlicher Beziehung noch einem längst überwundenen Standpunkte angehört. Obgleich diese Ansicht, ich verhehle mir es durchaus nicht, gerade in diesem Momente, wo sich in Russland eine feindliche Strömung gegen Alles, was deutsch ist, kund gibt, viele Anfechtungen erleiden, und den Zorn manches Nationalrussen erregen wird, so gründet sich dieselbe doch auf reine objektive Wahrnehmung faktischer Verhältnisse. Wenn den russischen Bauern eine Anleitung, ein Vorbild notwendig war, so ist dies gegenwärtig der Fall, wo sich eine volkswirtschaftliche Reform durch ganz Russland anbahnt.

Armenisches Büffelgespann

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Tarantaß - Russlands Postkutsche

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Auf dem Vieh- und Fleischmarkt in St. Petersburg

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Russicher Bauer in Wintertracht

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Moskau - Ein reicher Händler mit seiner Frau

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Anatolische Türken

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Kaukasier mit Frau

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Ossete

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Mutterliebe

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