Erste Fortsetzung

Das XVI. Jahrhundert bildet einen Wendepunkt in der Entwicklung der russischen Malerei. Die Kunst gewinnt immer mehr handwerksmäßige Züge, die Arbeit der Künstler wird vielfach mechanisiert. Ikonen werden immer reicher und prunkvoller ausgeführt, — der barbarische Geschmack des Moskauer Zarenreiches macht sich auch in der Malerei bemerkbar. Ikonen werden allmählich zu dekorativen Mustern und nur noch leise klingt in diesen Werken die Erinnerung an die hohe Kunst Rublews nach. Besonders unheilvoll scheint in dieser Epoche die Einmischung der Regierung auf das künstlerische Schaffen eingewirkt zu haben. Die Regierung gab den Künstlern ästhetische Vorschriften, sie beschränkte in jeder Richtung ihre Freiheit.

Auch die Freskomalerei dieser Zeit musste sich verändern. Freskomaler streben jetzt nach inhaltlichem Reichtum. Nicht ohne Wirkung auf die letzte Blüte der alt-russischen Wandmalerei blieb der Naturalismus der spät-byzantinischen Kunst: wir finden in russischen Fresken die gleiche Freude an der Wiedergabe naturalistischer Einzelheiten wie in Byzanz. Daneben macht sich aber in beiden Kunstzweigen der politische Druck auch inhaltlich immer deutlicher bemerkbar: wir sehen in dieser Zeit auf Ikonen und Fresken*) eine neue Gattung der religiösen Malerei auftauchen, — die Allegorie, die sich oft mit politischen Tendenzen verbindet.


Neben Allegorien aus der Bibel, vorzugsweise aus der Apokalypse, oder bildlichen Darstellungen von Gebeten (beides ist in der russischen Malerei dieser Zeit sehr beliebt) entstehen im XVI. und XVII. Jahrhundert Werke, in denen das politische Element entschieden das Religiöse verdrängt. So stellt beispielsweise ein Bild des XVII. Jahrhunderts einen allegorischen Baum dar, welcher von den Moskauer Großfürsten und Metropoliten gepflegt wird, an dessen Zweigen Bildnisse der Zaren und Patriarchen die Blüten ersetzen.**)

*) Zahlreiche Reste von Malereien des XVI. Jahrhunderts lassen sich in den Moskauer Kirchen nachweisen.

**) Dieses Werk gehört dem Pinsel von Semen Uschakow und befindet sich in der Kathedrale der Himmelfahrt Maria zu Moskau.


Die Kunst des XVII. Jahrhunderts wird noch prunkvoller und zeigt eine noch weitergehende Vergröberung der Kunstsprache. Zwar entstehen auch noch in dieser Zeit nicht unbedeutende Werke der Freskomalerei (namentlich in Nordrussland in Kirchen vom Gouvernement Jaroslawl), im allgemeinen merkt man aber ein ausgesprochenes Sinken der Kunst. Der Druck, welchen die Regierung auf die Kunst ausübt, ist noch stärker geworden, als im XVI. Jahrhundert. Die weltliche Gewalt und die geistliche wollen beide der Kunst ihre Entwicklungsrichtung vorschreiben. Wir wissen bereits vom Verbot des Patriarchen, Zeltkirchen zu errichten. Eine ganze Anzahl Gebote und Verbote begleitete in dieser Zeit die Tätigkeit russischer Maler.

Wir kennen ein höchst interessantes Schreiben des Zaren über die Ikonenmalerei, welches vom Jahre 1669 herrührt.*) Es wird darin von den Ikonenmalern verlangt, dass sie sich inhaltlich an die Überlieferung der Kirchenväter und die Bräuche der heiligen östlichen Kirche halten sollen. Sie sollen auch so malen, dass die Gläubigen durch das Anschauen der Ikonen „zur liebe zu Gott und seinen Heiligen angeregt wären, zur Nachahmung ihres gottgefälligen Lebens“ dass sie „vor den Ikonen stehend sich denken würden, im Himmel zu sein, vor dem Antlitz der Dargestellten selber“. Durch dieses Schreiben wird außerdem eine Kontrolle über die Ikonenmalerei eingeführt: nur diejenigen dürfen Ikonen malen, die der Aufgabe geistig gewachsen sind; Meister, die kein entsprechendes Zeugnis besitzen, dürfen kein religiöses Thema berühren. „Die es aber wagen, dagegen zu handeln, denen sei der Pinsel ganz genommen, und er (sie!) sei bestraft, da er den zarischen Befehl übertreten hat." Dieses Schreiben ist, nebenbei gesagt, schon dadurch interessant, dass es einen Einblick in die Verhältnisse gestattet, unter denen sich die freie Kunst im Zarenreiche entfalten musste. Das XVII. Jahrhundert war eine höchst aufgeregte Epoche im Leben der russischen Kunst. Gleichzeitig mit dem Barockstil waren ins Zarenreich westeuropäische Richtungen der Malerei eingedrungen. Viele westeuropäische Maler siedelten nach Moskau über. Auch einheimische Meister schlossen sich ihnen an, und es entstand eine europäisierende Malerschule, an deren Spitze der begabte Hofmaler Semen Uschakow stand. Es entbrannte nun ein erbitterter Streit zwischen den Anhängern der alt-russischen Malweise und den Vertretern der europäisierenden realistischen Richtung.*) Für die letzteren ergriffen auch der Zar und der Patriarch Partei. Das oben angeführte Schreiben zeigt, wie energisch dabei vorgegangen wurde, welche Kontrolle über die Malerei ausgeübt wurde.

*) Angeführt bei Kondakow in seinem Buch „Der gegenwärtige Zustand der volkstümlichen russischen Ikonenmalerei“.

**) In Grabars grundlegendem Werke über die russische Kunst findet man eine interessante Zusammenstellung der geschichtlichen Quellen, die diesen Kampf in ein helles Licht setzen.


Die Behörden waren in diesem Fall gänzlich auf Seiten der neuen Kunstrichtung, die den weitgreifenden kirchlichen Reformen der Zeit mehr angepasst zu sein schien. Für die Gegner dieser Reformen, für die Anhänger des „alten Glaubens“ gewann die alte Kunst die Bedeutung eines religiösen Symbols . So wurde der Kampf gleichzeitig auf dem religiösen und dem ästhetischen Gebiete geführt. Im kirchlichen Leben führte er*) zu einer tiefgreifenden Spaltung der orthodoxen Kirche. In der Kunst konnten alt-russische und byzantinische Einflüsse nicht vernichtet werden, wenigstens nicht, solange die Malerei ihren religiösen Charakter beibehielt. Selbst die Werke von Uschakow sind von diesen Einflüssen nicht frei, so sehr er sich auch an westeuropäische Vorbilder anlehnen möchte. Eine durchgreifende Umwälzung der russischen Kunst sollte erst zu Anfang des XVIII. Jahrhunderts unter der Regierung Peters des Großen erfolgen. Überblickt man — von dieser letzten europäisierenden Richtung abgesehen — die gesamte alt-russische religiöse Malerei, so fällt eine charakteristische Tatsache auf: das Vorherrschen eines Einflusses — des Einflusses der byzantinischen Kunst. Es war etwas Größeres als Gewohnheit, als selbst die mächtige Beeinflussung seitens der Kirche, — eine innige geistige Verwandtschaft war es, die den ästhetischen Sinn des russischen Volkes an byzantinische Vorbilder fesselte. Eine alte Legende erzählt, wie einer der ersten normannischen Fürsten Russlands — der heilige Wladimir — damals noch Heide — nach allen Ländern Boten entsandte, um verschiedene Religionen kennen zu lernen. Die Boten kehrten zurück und gaben dem Fürsten Bericht über ihre Eindrücke. Den tiefsten, unvergesslichen ästhetischen Eindruck hatten sie von Byzanz aus dem Inneren der Kathedrale der heiligen Sophia mitgebracht. „Wie wir dort hineintraten, sagten die Boten, wussten wir nicht mehr, ob wir uns noch auf Erden oder im Himmel befänden.“ Damit ließ sich auch der Fürst für die oströmische Kirche entscheiden, nahm die Taufe an und ließ sein Volk (zum Teil auch mit Zwang) taufen. Wie wenig geschichtliche Wahrheit solche Legenden auch enthalten mögen, so sind sie vom kulturellen und vom psychologischen Standpunkte in hohem Grade bedeutungsvoll. Die Kunstsprache des Byzantinismus schien dem religiösen Gefühl des russischen Volkes auf dessen erster Entwicklungsstufe am meisten zu entsprechen. Sie blieb es für die Malerei auch in der Folgezeit, und es gab dafür besondere psychologische Gründe. Der Byzantinismus war Idealen religiöser Askese, die dem russischen Volke eigen waren, adäquat. Höchst charakteristisch ist für diese Ideale die Gestalt des Heiligen, wie sich die religiöse Phantasie in Legenden und Heiligengeschichten der alten und späteren Zeiten diesen malt.

*) Siehe Artikel „Staat und Kirche in Russland" und „Religiöse Bewegungen in Russland". (Red.)

Der russische Heilige entzieht sich der Welt, als Jüngling flieht er schon das Leben, folgt seinen Visionen fern von Menschen in die Einsamkeit der Wälder. Dort wohnt er allein unter wilden Tieren in Gebet und religiöse Andacht versunken. Die innere Verwandtschaft zieht sich über Byzanz hinaus bis in Wüsten der Thebals und östliche Einsiedeleien des III. und IV. Jahrhunderts nach Chr.

Die meisten Begründer großer russischer Klöster haben der Legende nach ihr Werk auf diesem Gebiete merkwürdigerweise nur mit Widerwillen getan. Sie flohen die Welt, aber diese folgte ihnen bis in die Wildnis des Waldes hinein, störte dort ihre Andacht, verlangte hartnäckig, beachtet zu werden. Nachfolger siedelten sich um die Zelle des Heiligen an: sie wollten ebenfalls ihre Seelen retten, konnten es jedoch nicht selbständig ohne Hilfe tun. Dann kam eine Menge Sünder mit ihren Schmerzen, ihren irdischen Sorgen und Zweifeln, denen auch geholfen werden musste. So geht es den heiligen Theodosiua und Antonius in Kiew, dem heiligen Sergius in den Wäldern des Nordens, den Brüdern Sossima und Ssawati und noch vielen anderen. Gerade ihre Flucht aus dem Leben, ihre religiöse Andacht und ihr Schweigen sind es, die ihnen eine Menge Nachfolger zuziehen. Von „predigend reisenden, Liebe verheißenden" Heiligen weiß die russische Überlieferung viel weniger zu berichten. Weltentzogene, beschauliche, asketische Geister scheinen auf dem religiösen Gebiete das Ideal des Volkes zu sein. Es versteht und liebt sie. Sie sind ihm näher und teurer als offizielle Helden: Mönche und Bischöfe, die an Kampf und Politik Anteil nahmen. Der Heilige muss nur heilig sein, seine Taten sind die religiöse Anschauung und das Gebet. Bis jetzt gibt es in russischen Klöstern Einsiedler, die ihre Brüder verlassen, in Einsamkeit und strengem Fasten leben. Das Volk verehrt sie schon aus diesem Grunde allein, wie es auch jene Heiligen verehrt, welche sich in Höhlen einmauern Hessen, menschliche Stimme nicht hörten, kein menschliches Auge sahen — viele Jahre lang bis zu ihrem Tode.*)

Für weltentrückte Lebensideale war die Kunstsprache des Byzantinismus eine wirklich adäquate, vielleicht die einzig adäquate. Das Irreale, das Unkörperliche der byzantinischen Kunst hat sich auch die russische religiöse Malerei angeeignet. Es war eigentlich mehr als eine Beeinflussung: die russische Kunst war mit der byzantinischen innerlich verwachsen, vor allem bei der Lösung eines der wichtigsten Probleme der bildenden Kunst — des Problems der Beziehung des künstlerischen Schaffens zur Wirklichkeit. Die byzantinische Malerei ist keine leblos-steife Kunst, auch sie hat ihre eigene Evolution durchgemacht. Jedoch behielt sie auf allen Stufen der Entwicklung einige charakteristische Merkmale: die Neigung zur Abstraktion, die Vorliebe für das Symbolische, daneben eine stilisierte Flächenhaftigkeit der Darstellungen. Die byzantinische Malerei bleibt im Grunde genommen stets abstrakt, den Naturalismus kann sie sich nie zum Ideale machen, auch dort nicht, wo sie im Laufe ihrer Entwicklung diesem am nächsten steht, wie das bei ihrer letzten Blüte der Fall war. Aus den gleichen Prinzipien heraus hatte sich auch die russische religiöse Malerei der Zeit vor Peter dem Großen entwickelt. Als Volkskunst ist sie diesen Grundlagen bis in unsere Zeit treu geblieben.

*) Dostojewski hat in seinem großen Roman „Gebrüder Karamasow" diese Tatsache betont. Neben der moralisch verklärten Gestalt des Sossima lässt er einen halbwahnsinnigen Asketen auftreten, der gerade durch seine Askese eine enorm geistige Macht im Volke besitzt.

Eine ganz eigentümliche Erscheinung ist diese Volkskunst — die Malerei der Heiligenbilder — der Ikonen. Bis jetzt bemüht sich ein Ikonenmaler, seine Bilder in der gleichen Art zu malen, wie sie seine Vorgänger vor vielen Jahrhunderten gemalt hatten mit Anwendung der gleichen technischen Mittel und Methoden mit Verwendung ähnlicher mit der Zeit kanonisch gewordener Muster. Das Gesamtbild solcher Ikonen ist bis jetzt byzantinisch. In Einzelheiten werden schon allerhand Abweichungen zu konstatieren sein, auch ist das ganze Kunstgewerbe bei weitem nicht absolut einheitlich in seinen Stilrichtungen: manch Ikonenmaler hält sich an die herkömmliche Vergoldung des Hintergrundes, ein anderer zieht eher vor, stilisierte Landschaften zu kopieren. Aber beide werden sich an die alte konventionelle Formen- und Farbensprache halten. Dabei merken sie vielleicht selber kaum, wie sehr sich im Laufe der Zeit an ihren Werken doch manches verändert hat. Es sind vor allem die Gesichtstypen: die russische Ikonenmalerei hat die Gesichter byzantinischen Vorbildern gegenüber entweder russifiziert oder verallgemeinert, sie hat byzantinische Landschaften zu unkenntlichen Phantasiegebilden verwandelt, sie hat auch die Faltengebung ihrer byzantinischen Vorbilder vielfach missverstanden.

Die moderne Ikonenmalerei ist keine Kunst mehr, da ihr das Prinzip der mechanischen Nachahmung zugrunde liegt. Ursprünglich war sie, wie wir bereits wissen, ein bedeutender Kunstzweig, der besonders in Nowgorod und Moskau blühte. Die Moskauer Zaren gingen in ihrem Interesse für die Ikonenmalerei so weit, dass sie im Kreml zu Moskau eine Werkstätte für Ikonenmalerei einrichten Hessen. Unter Peter dem Großen musste die Ikonenmalerei als Hofkunst ein Ende nehmen. Er war kein besonderer Kunstliebhaber, und wenn er überhaupt etwas von Kunst hören wollte, so musste sie westeuropäischen Ursprunges sein. So sank die Ikonenmalerei bis aufs Niveau eines Kunstgewerbes herab. Übrigens existieren noch heute im Wladimir Gouvernement Dörfer, deren gesamte Bewohnerschaft sich mit Verfertigen und Bemalen von Ikonen beschäftigt. Zum Teil ist hier die alte Kunst zu einem halbmechanischen Handwerk geworden. Diese Maler besitzen höchst wertvolle Sammlungen von Originalentwürfen, denen sie in ihrem Schaffen möglichst buchstäblich folgen, dadurch bleibt ihre Arbeit noch immer der letzte Ausläufer einer Kunst, der seinerzeit ihre eigene künstlerische Entwicklung durchgemacht hatte und deren Evolution gewaltsam unterbrochen wurde.

Erst im XTX. Jahrhundert kann man eine Wiedergeburt der russischen religiösen Malerei konstatieren. Durch die Reformen Peters des Großen, welche für die russische Kunst eine richtige Katastrophe bedeuteten, wurde die religiöse Malerei so gut wie vernichtet. Sie erhielt sich nur noch in der Form des eben erwähnten Kunstgewerbes der Ikonenmalerei. Von der Großmalerei verlangte Peter eine Ähnlichkeit mit der westeuropäischen. Dies war jedoch direkt unmöglich für eine Kunst, die so national war, wie die russische religiöse Malerei. Sie konnte sich nicht von heute auf morgen verändern, sie konnte nur verschwinden. Letzteres geschah denn auch tatsächlich.

Es folgten lange Jahre einer trostlosen Nachahmung in der religiösen Malerei. Ihre Wiedergeburt im XIX. Jahrhundert war das Werk eines merkwürdigen Malers, der die Hälfte seines Lebens einem einzigen Bude gewidmet hatte. Alexander Iwanow (1806 — 1868) verbrachte die besten Jahre seines Lebens in Rom, wo er seine „Erscheinung Messias“ schuf. Mühsam ging die Arbeit. Fast dreißig Jahre arbeitete der Künstler an diesem einzigen Bilde, ohne dass er jemals in seinem Werke Befriedigung finden konnte. Zahlreiche Entwürfe, unvollendete Skizzen und Vorarbeiten, die das gleiche Thema in kleinen Dimensionen behandelten, endlich das gewaltige Bild selbst sind lebendige Zeugen dieser langen Arbeit. Und doch misslang das Werk Iwanow ist ein großes Problem der Künstlerpsychologie. Seinem misslungenen Werke zur Seite stehen die reizvollsten, groß empfundenen, tief religiösen Handzeichnungen. Es war eine Idee der späteren Lebenszeit des Künstlers: Iwanow wollte einen Bilderzyklus aus dem Leben Christi schaffen mit Parallelbildern aus dem alten Testament und der Mythologie. Diese sollten die Mauern eines besonderen Gebäudes schmücken. Die Zusammenstellung und Prüfung der Themata dieses Zyklus führte einen modernen Iwanowforscher*) zu einem ganz interessanten Schluss: Iwanow, meint er, hätte die Absicht gehabt, in diesem Bilder-Zyklus eine vollständige Serie von Illustrationen zum bekannten Buche von Strauss, „Das Leben Christi", zu geben. Daher die Parallelen aus dem alten Testament und aus der Heldensage, wie diese bekanntlich auch das Werk von Strauss enthält.

*) W. S. Sammer, „Das System der biblischen Kompositionen von A. A. Iwanow“, ,,Die Kunst" 1914 (russisch).

Unter dem Einfluss der Lektüre von Strauss fühlte sich Iwanow in seinem ursprünglichen naiven Glauben erschüttert. Seit seinem vierzigsten Lebensjahre scheint er ununterbrochen und qualvoll nach einer neuen Weltanschauung zu suchen. Als Denker fühlt er sich nunmehr zum Rationalismus bekehrt, als Künstler bleibt er aber ein Mystiker. Oder — richtiger gesagt — er wird es jetzt erst recht, wie dies der Vergleich seines großen Bildes mit seinen Skizzen in aller Klarheit zeigt. Hierin liegt gerade das große Rätsel dieser Künstlerindividualität: Iwanow schafft nicht so, wie er denkt. Die Weltauffassung des Menschen zeigt keine Übereinstimmung mit der Weltauffassung des Künstlers. Als naiv Gläubiger, als romantischer Freund der römischen Nazarener begann er sein großes Werk, welches so kühl und trocken wirkt. Als Rationalist und Verehrer von Strauss entwarf er jene Skizzen, die womöglich tatsächlich das Straussische Werk in Malerei übertragen sollten, und vollendete gleichzeitig sein großes Werk, das sein großes Unglück war. Wie dem auch sei, — die erhaltenen Zeichnungen sind nichts weniger als vom Geiste des Straussischen Werkes erfüllt. Wir finden in ihnen wieder jene Tiefe des mystischen Empfindens, welche die Werke der besten Zeit der altrussischen Malerei kennzeichnet. Himmlische Geister, die sich restlos in Lichtstrahlen auflösen, großartige, durchgeistigte Gestalten der Propheten und Helden, die majestätische über allen Welten erhabene Erscheinung Jehovas — alle diese Schöpfungen atmen den Hauch des höchsten künstlerischen Lebens. Wäre die Absicht Iwanows auch wirklich die gewesen, im Bilde das zu wiederholen, was Strauss in seinem Buche sagte, so steht das von ihm Geschaffene innerlich im größten Gegensatz zum Straussischen Rationalismus. Der Mystizismus seines Schaffens bildet gerade den Hauptreiz dieser kleinen Skizzen. Iwanow hatte den Gott bekämpfen wollen, der in seiner Seele lebte, er konnte aber für sein großartigstes Werk — für seine Skizzen — keine rationalistische Kunstsprache finden. Da er sich hier seinem schöpferischen Geiste frei hingab, wurden auch diese Werke zu einem bahnbrechenden Ereignis in der Geschichte der russischen Kunst. Wie in einer prophetischen Vision ahnen sie dasjenige, was für die russische Kunst erst viel später zur Realität werden sollte.

Merkwürdig erscheint neben diesen Skizzen sein großes Bild. Sieht man es an, so fragt man sich unwillkürlich: warum hat dieser Mann gerade hier in dem Werke seines ganzen Lebens auf die Stimme der künstlerischen Offenbarung nicht hören wollen, die doch so laut in seiner Seele tönte? Die Jahre, in denen er dieses Werk beendigte, fallen mit der Entstehungszeit der Skizzen zusammen. In seinen Zeichnungen hatte er den Entwicklungsgang der Malerei vorausgeahnt. Im „Messias" blieb er gebunden, der alten Malweise treu. Aber inhaltlich war für seine Zeit auch dieses Werk eine Neuerung. Das Bild stellt folgenden Moment vor: Der Täufer hat eben seine Predigt am Ufer des Jordan beendigt, von seinem Feuerwort angezogen, haben sich mehrere Zuhörer von ihm taufen lassen und ziehen nun ihre Gewänder wieder an. Plötzlich ertönt ein neuer Ausruf des Propheten. Mit den Worten: „Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt", weist er auf einen vom Hügel herannahenden Mann. Das ist Christus. Überraschend und neu war in diesem Werk für die russische Malerei das ausgesprochene Lokalkolorit. Jüdische Typen und Trachten in ein religiöses Bild hineinzusetzen, war für jene Zeit eine unerhörte Kühnheit. Iwanow ging in seinen Absichten noch weiter: er wollte nach Palästina reisen und dort die reale Umgebung suchen, in der sich das Ereignis abgespielt haben sollte.

Kein Wunder, dass der Anblick dieses Bildes dem Zuschauer keine ästhetische Freude bringt: es fehlt ihm die innere Einheit, und wie sollte es anders sein, da dieses Werk vom Gläubigen, vom romantischen Freunde eines Overbeck begonnen wurde, qualvoll im Laufe der Jahre verarbeitet und umgestaltet und endlich vom Künstler vollendet, dessen gesamte Weltauffassung sich inzwischen verändert hatte, der auch schon neue künstlerische Offenbarungen in seinen Skizzen gefunden hatte und sich dabei doch hatte sagen müssen, dass sein großes Werk ins Bereich jener Offenbarungen nicht passt.

Damit hat dieses Bild die Bedeutung eines in seiner Art einzigen Denkmals der Leidensgeschichte eines großen Künstlers, dem es nicht gegönnt war, für sein inneres Können einen passenden Ausdruck zu finden. Dieser Künstler, dem bei Lebzeiten nichts gelingen wollte — denn auch seine wundervollen Skizzen sind nur Skizzen *) und nie zur Ausführung gelangt — , ist zum Schöpfer der modernen russischen religiösen Malerei geworden, und zwar ihrer beiden von einander so weit entfernten Richtungen. Maler des sozialen Protestes, auf die wir weiter unten zu sprechen kommen, suchten in der religiösen Malerei jene Probleme weiter zu entwickeln, die zu lösen Iwanow sich bemüht hatte. Sie wollten eine rationalistisch-psychologische religiöse Malerei schaffen. Vom reflektierenden Denker Iwanow ist diese Richtung ausgegangen. Vom Künstler, der sein künstlerisches Wesen besiegen wollte und im Kampfe unterlag, rührt die Malerei des religiösen Mystizismus her. Es ist charakteristisch für Russland, das Land der größten Extreme, dass beide Richtungen sich gleichzeitig und parallel entwickeln mussten.

*) Die Skizzen Iwanows Bind vom deutschen archäologischen Institut veröffentlicht worden. Die Originalblätter befinden sieh ebenso wie sein großes Bild in der Gemälde- Sammlung des Museums Rumjanzew zu Moskau.

Der Rationalismus in der religiösen Malerei fand gewissen Anklang in den Kreisen jener Künstler, deren Schaffen, wie wir sehen werden, viel mehr sozialen als religiösen Gefühlen Ausdruck gab. In naher Beziehung zu dieser Richtung steht der bedeutendste Vertreter der rationalistischen religiösen Malerei in Russland — Nikolai Gay (Ge). Er war ein intimer Freund von Leo Tolstoi, und dieser widmete in seinem Roman „Anna Karenina'' der Beschreibung seines Werkes „Was ist Wahrheit" unvergessliche Zeilen.

Das Hauptthema von Gay, sein Lebenswerk, war die Darstellung der Passionsgeschichte Christi. Seine bekanntesten und bedeutendsten Bilder, wie das „Abendmahl", „Was ist Wahrheit?", „die Kreuzigung", gehören in diesen Zyklus. Gay wollte Christus als Menschen und nur als Menschen darstellen. Das Schwergewicht legte er auf die Darstellung der inneren menschlich qualvollen Erlebnisse Christi; daneben versuchte er aber auch die moralische Überlegenheit Christi seiner Umgebung gegenüber hervorzuheben. Nichts von Mystik, nur das Menschliche, das Psychologisch-Ethische findet man in Gays Werken. Tolstoi liebte und schätzte die Bilder seines Freundes, er schätzte darin das moralische Suchen, das diesen Werken auch tatsächlich nicht abzusprechen ist. So ist vor allem die Gegenüberstellung von Christus und Pilatus („Was ist Wahrheit?") ein gemaltes Problem des Gegensatzes zweier auseinandergehender Weltauffassungen. Das Thema ist vom Künstler innig durchdacht und durchfühlt, nur steht in diesem Werke das Malerische weit hinter den Absichten des Künstlers zurück. Es gelingt ihm wohl, eine Gestalt Christi zu schaffen, die von der traditionellen Auffassung weit entfernt ist, seine künstlerischen Mittel reichen jedoch nicht aus, um dieser Gestalt eine entsprechende lebendige, geistige Höhe zu verleihen. Der Künstler vermochte zwar sein Ideal zu durchdenken, es gelang ihm aber nicht, es in adäquater Form zu verkörpern. Sein Bild lässt den Zuschauer kühl und vermag ihm nicht durchs unmittelbare Gefühl dasjenige mitzuteilen, was der Künstler verkörpern wollte.*)

*) Diese Bild befindet sich in der Galerie Tretjakow zu Moskau.

Der bis jetzt noch lebende, etwas jüngere Künstler Poljenow wirkte im gleichen Sinne, wie Gay. Nur ist Poljenow ein begabterer Künstler, als sein Vorgänger. Die Farben, die in Gays Werken gewöhnlich den schwachen Punkt bilden, sind in Poljenows Bildern harmonisch und reich. Dieser Künstler schuf einen großen Bilderzyklus: „Das Leben Christi". Um sein Werk zu vollenden, reiste er nach Palästina und konnte daher den einzelnen Episoden des Lebens Christi den Reiz der identischen landschaftlichen Umgebung verleihen, diese reproduzierte er auch tatsächlich als perfekter realistischer Landschaftsmaler. Vielleicht überwiegt bei Poljenow sogar zu sehr das Landschaftliche; als kleine Genreszenen verlieren sich in diesem leuchtenden Hintergrund die dramatischen Ereignisse. Poljenow suchte wie Iwanow das historisch-ethnographische Milieu der Ereignisse wiederherzustellen: jüdische Typen, alt-jüdische Trachten, Sitten und Bräuche sucht er mit peinlicher Gewissenhaftigkeit zusammen. Die am besten gelungenen Bilder seines großen Zyklus, der über sechzig Bilder umfasst, sind ganz zweifellos bedeutend anziehender als die Werke von Gay, jedoch steht Poljenow diesem an innerer Bedeutsamkeit entschieden nach.

Die rationalistische religiöse Malerei stand, wie bereits bemerkt, in innerer Beziehung zu der im XIX. Jahrhundert vorherrschenden Richtung der Malerei des sozialen Protestes. Als diese gegen Ende des Jahrhunderts rein-künstlerischen Richtungen das Feld räumen musste, blieb auch für ihre religiöse Abzweigung keine weitere Entwicklungsmöglichkeit. Poljenows Schaffen steht in unserer Zeit ganz vereinzelt da.

Neben der rationalistischen Richtung war aber von Iwanow auch eine ganz andere Richtung ausgegangen, diejenige der Mystiker, die an der längst vergessenen Quelle der byzantinischen Malerei reichlich schöpften. An der Spitze dieser Richtung stehen zwei Maler: Wrubel und Wasnezow. Von einer Beziehung zu Iwanow kann man bei Wasnezow nur ganz allgemein sprechen. Wie Iwanow suchte auch Wasnezow neue Wege für die religiöse Malerei.

Victor Wasnezow hatte bei der rein realistischen Richtung begonnen und stand zu Anfang seiner künstlerischen Tätigkeit nicht fern von den Malern des sozialen Protestes. Doch konnte er sich ihren Ideen nicht restlos hingeben . Er geht seine eigenen Bahnen. Er wendet sich vor allem der russischen Geschichte zu. Während seine Zeitgenossen die finsteren Seiten derselben in ihren Büchern kritisierten, zog ihn das Poetische und Schöne in der Vergangenheit an: alte Heldensagen und Märchen. Von dieser schönen irdischen Phantasiewelt schritt Wasnezow bald zum Überirdischen. Sein eigentliches Gebiet war die religiöse Malerei. Man kann keinen anderen modernen russischen Maler nennen, der soviel, wie er, in der religiösen Malerei geschaffen hätte. Sein Hauptwerk ist die Bemalung der Wladimir-Kathedrale zu Kiew. Es ist eine großartige Leistung von großer Begeisterung, — die Arbeit vieler Jahre. Er bedeckte mit Fresken den Hauptaltar, die Decke, Kuppel, die Gewölbe und die Wände des gewaltigen Baues. Auch der Ikonostas des Hauptaltars besteht aus Bildern von seiner Hand. Die Überlebensgroße Madonna in der Altarabside, das „Jüngste Gericht" an der Eingangswand, ganz in Einklang mit dem Brauche der herkömmlichen Kunst. Die Madonna, die Heiligen und Propheten sind ernst, sogar streng und voller Andacht. Man merkt jedoch sofort die realistische Schulung des Meisters: sie sind ganz ausgesprochen Fleisch und Blut. Sie sind nicht (wie es byzantinische Malereien zu sein pflegen) mit der Wand, mit der Decke verwachsen, in ihrer ausgesprochenen Dreidimensionalität treten sie aus ihrer architektonischen Umgebung heraus. Die großartige Madonna in der Altarabside ist streng und schlicht als Himmelskönigin dargestellt. In dunkle Gewänder gehüllt, trägt sie in ihren Armen das Christuskind. Sechsflügelige Cherube belauschen ihren feierlichen Gang durch die Himmelssphären. So sehr unmateriell das Objekt der Darstellung in diesem Falle ist, finden wir auch darin merkwürdig realistische Einzelheiten. So scheint die Gestalt der Madonna sich uns perspektivisch zu nähern. Die Wolken, auf denen sie schreitet, sind wie von hartem Stoff gemeißelt und dazu ganz perspektivisch angeordnet. Ein Windhauch hebt bei ihrer raschen Bewegung die Enden ihres schweren Mantels.

Die realistische Schulung Wasnezows macht sich selbst hier spürbar. Und es ist ganz charakteristisch für ihn, wie er seine realistische Malweise mit dem orthodoxen Byzantinismus des Inhaltes verbindet. Er sucht seine Heiligengestalten womöglich in Stellungen zu bringen, die in der altrussischen und byzantinischen Kunst üblich waren, sie bleiben aber stets Schöpfungen des XIX. Jahrhunderts. Orthodox-byzantinisch ist er eigentlich nur im Thema, man mag es bis in die Einzelheiten verfolgen, nirgends ist ein Fehler, eine Abweichung von den Vorbildern. Diese Mischung macht auch seine Bilder ganz eigenartig, einzig in ihrem Stil. Sein großes Talent, verbunden mit einer innigen Pietät, verleiht seinen Werken einen eigentümlichen Beiz, besonders jenen Werken, in denen er diesem Stile treu bleibt; da schafft er gewaltige Gestalten von innerer Starke und strenger Frömmigkeit. In den späteren Jahren seines Schaffens beginnen gewisse Stilschwankungen immer deutlicher zu werden. Der Meister fühlt offenbar das Bedürfnis, sich dem Byzantinismus noch näher anzuschließen, er beginnt einzelne Züge, selbst ganze Gestalten oder Gruppen aus der alten Kunst in seine Werke aufzunehmen. So sehen wir beispielsweise unter den ganz naturalistisch gemalten Gestalten des „Jüngsten Gerichtes" der Spätzeit die Zentralgruppe des „Deisus" (des thronenden Heilandes mit der Madonna und dem Täufer). Diese Gruppe war in der alt-russischen Kunst sehr beliebt und wurde oft wiederholt. Wasnezow malt sie nach dem byzantinischen Schema mitten in sein realistisches Werk hinein, er wiederholt selbst den Fehler der zu hoch angesetzten Schultern der beiden zum Heiland sich neigenden Figuren Maria und des Täufers, was ganz merkwürdig neben den realistisch aufgefassten Heiligen und den noch realistischeren Sündern anmutet. Die Kunst Wasnezows spielte eine nicht zu unterschätzende Bolle. Wie seine Zeitgenossen auf einem anderen Gebiete und in einem anderen Sinne national geschaffen hatten, so hatte er den ersten Schritt in dieser Richtung auf dem Gebiete der modernen religiösen Malerei gemacht.

Einem anderen, jüngeren Künstler war es bestimmt, in dieser Richtung als direkter Nachfolger Iwanows weiter zu gehen. Was bei Iwanow nur eine Ahnung, ein Tasten, war, entfaltete sich im Werke von Michael Wrubel frei und bewusst. Seine religiöse Malerei ist nur ein Zweig seines vielseitigen Schaffens, aber fast würde man sagen, eine der prävalierenden Richtungen davon. Wrubel geht ganz bewusst zur Quelle der religiösen Malerei Russlands, er greift zur byzantinischen Kunst zurück. Sein Biograph*) berichtet, vom Künstler folgende Worte gehört zu haben: „Der Hauptmangel eines modernen Malers, der den byzantinischen Stil wiedererwecken will, liegt darin, dass er die Gewandfalten, in deren Angabe die Byzantiner so geistreich sind, durch ein Betttuch ersetzt. Der Begriff des Reliefs ist der byzantinischen Malerei fremd, ihr Hauptgewicht liegt in der Steigerung der Flächenhaftigkeit der Wand durch eine ornamentale Behandlung der Formen." Und er bleibt ganz konsequent auch in seinem eigenen religiösen Schaffen, welches er bewusst in die Bahnen des Byzantinismus lenkt. Sein Hauptwerk auf dem religiösen Gebiete sind Malereien der Kyrill-Kirche zu Kiew. Er musste hier in Nachbarschaft erhaltener Kompositionen aus dem XII. Jahrhundert arbeiten, welche noch durch und durch byzantinisch sind. In der Kuppel der Kirche malte er die Verklärung der Apostel durch den heiligen Geist. Die Zentralfigur der Komposition ist die Gestalt Maria, welche stehend dargestellt ist. Ihr zu Seiten sitzen zehn der Apostel, zwei von ihnen haben sich erhoben und tief verneigt. Die Taube des heiligen Geistes schwebt über der Gruppe. Schematisch gemalte leuchtende Strahlen fallen von der Taube auf die dreizehn Gestalten herunter. Streng und dabei tief durchgeistigt ist die richtig byzantinisch aufgefasste etwas herbe Gestalt der Madonna. Ein Ausdruck von Verzückung und innerer Ergebung durchstrahlt die Gesichter der Apostel. Das Ganze ist ein Werk von hoher Mystik und strengem Stilgefühl. Es entsteht kein falscher Ton neben den alten Schöpfungen der byzantinisch-russischen Kunst des XII. Jahrhunderts. Und es ist doch das Werk eines modernen Künstlers, der auch sein Eigenes ihm Eigentümliches in seinem Werke zu verwirklichen weiß. Dieser eigentümliche Zug der religiösen Malerei von Wrubel besteht in einer höchst reizvollen Verbindung des byzantinischen Stils mit einer der modernen Kunst entlehnten Behandlung des Lichtproblems. Das ganze Fresko ist von mystischen Lichtstrahlen durchdrungen. Noch unkörperlicher erscheinen dadurch die einzelnen Gestalten, noch gewaltiger wird der Eindruck des Ganzen. Damit betrat Wrubel einen neuen Weg. Seine Kunst war die letzte Stufe, welche die russische religiöse Malerei bis jetzt erreicht hat. Wenn auch neuere Künstler ab und zu sich dieser Malerei zuwenden, so ist bis jetzt unter ihnen noch keiner aufgetaucht, der sein eigenes großes Wort darin gesagt hätte. Wrubel zeigte der religiösen Malerei Russlands jener Zeiten Möglichkeiten einer selbständigen Entwicklung, die sich ihr offenbaren könnten, wenn sie vom nationalen religiösen Schaffen ausginge.

*) Jaremitsch, „Wrubel" (russisch).

Auf die Tätigkeit Wrubels kommen wir noch im folgenden Kapitel zu sprechen. Es sei hier nur noch bemerkt, dass er sich bis an sein tragisches Lebensende mit der religiösen Malerei beschäftigte. Schon vollkommen geistig krank und halb erblindet, malte er in der Irrenanstalt kurz vor seinem Tode ein Bild, das erstaunlich schmerzlich wirkt — ein letztes Delirium des dämmernden Geistes. Es ist die Vision des Propheten Hezekiel, der Engel mit dem feurigen Schwert. Das gleiche Stilgefühl, welches seine früheren Werke aufweisen, verlässt den Meister auch in diesem letzten Werke nicht. Das Bild ist jedoch nicht mehr von strahlendem Lichte durchdrungen, es ist in die weichen Wellen einer mystischen Finsternis getaucht, die nicht weniger mystisch wirkt — das war die Finsternis seiner kranken Seele.