Die russische Kunst. II. Die russische religiöse Malerei.
Aus: Russland
Autor: V. Erismann, Erscheinungsjahr: 1919
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, Russen, Landeskunde, Sitten und Bräuche, Wirtschaft, Landschaft, Natur, Umwelt, Völker, Vegetation, Bewohner, Arabien, Araber, Syrien, Christen, Heiligtum, Bildung, Kultur, Morgenland, Türken, Muselmänner, Gastfreundschaft, Ehre, Unwissenheit,
Inhaltsverzeichnis
Die russische Kirche verhielt sich den beiden Schwesterkünsten gegenüber, welche im mittelalterlichen Westeuropa Hand in Hand die Werke der kirchlichen Architektur zu verschönern pflegten, von jeher ganz verschieden. Die Malerei wurde in der russischen Kirche nicht nur geduldet, — sie wurde sogar zu einem nicht unwichtigen Attribute des Kultus erhoben; dagegen nahm das religiöse Gefühl Anstoß an jeder plastischen Wiedergabe heiliger Gestalten. Die russische Kirche war darin Erbin byzantinischer Traditionen. Ein tiefgreifender Gegensatz besteht in diesem Punkte zwischen der christlichen Kunst von West- und Osteuropa. Im Westen bemühte sich zunächst die romanische, später die gotische Kunst, den Kultusbauten neben malerischem auch plastischen Schmuck zu geben. Die byzantinische Kunst hatte im Gegenteil eine Zeit erlebt, wo selbst die Malerei aus Kirchen vertrieben wurde, ihre Abneigung gegen plastische Heiligenbilder blieb im ganzen Laufe ihrer Entwicklung unverändert. Das gleiche Gefühl finden wir auch auf russischem Boden wieder. Lokale Verhältnisse trugen noch dazu bei, es zu verstärken: die christliche Religion musste in Russland einen langen Krampf gegen das Heidentum bestehen, das Hauptsymbol des heidnischen Glaubens waren aber plastische Götzenbilder. Es war im Kleinen der gleiche Kampf, den einst das junge Christentum gegen hellenistische Götterbilder geführt hatte, die Erinnerung an diesen lebte ja auch in Byzanz noch immer fort.
Den orthodox-gläubigen Russen ist bis jetzt ein plastisches Heiligenbild zu sehr Fleisch und Blut. Der gleiche Zug geht durch die ganze historische Entwicklung der russischen Kunst. Selbst die reichsten Kirchen der alten Hauptstädte — Kiew und Moskau — entbehren vollkommen des plastischen Schmuckes. Es lässt sich ein solcher nur in verschwindend wenigen Ausnahmefällen nachweisen und auch das eher in Gestalt einer ornamentalen Dekoration. Werke statuarischer Bundplastik sind in altrussischen Kirchen gar nicht zu finden. Erst im „nachpetrischen“ Russland wurde die Bildhauerei neben der Malerei für die Ausstattung der Kirchen verwendet. Die Kirchenplastik war aber eine von auswärts importierte Pflanze, die nicht natürlich aus dem einheimischen Boden gewachsen war. Der Skulpturschmuck beschränkt sich bis jetzt auf wenige offizielle Prunkkirchen des XVIII. und XIX. Jahrhunderts, er findet keinen Zutritt in jene kleinen Kirchen, welche von den Mitteln der Gemeinden selbst in Dörfern und Städten errichtet werden.
Dafür war und bleibt die Malerei ein unentbehrlicher Bestandteil des inneren Schmuckes der Kirchen. Historische Quellen berichten, dass alte Kirchen ursprünglich von Heiligenbildern („Ikoni“) ganz überfüllt waren. Aus dem Bedürfnis nach möglichst reichem malerischem Schmuck entstand (wie angenommen wird, erst im XV. Jahrhundert)*) der „Ikonostas“ — eine richtige Scheidewand, welche den Altar von der übrigen Kirche trennt. Diese Wand ist aus mehreren übereinander gestellten Reihen von Ikonen gebildet. Der Altar der russischen Kirche ist vollständig von der übrigen Kirche abgeschlossen. Ist die große „Zarenpforte“, die sich in der Mitte vom Ikonostas befindet, geschlossen, so sehen die Gläubigen nicht, was im Altarraum geschieht, nur Rufe des Priesters bringen ihnen davon Kunde.
Die Bemalung des Ikonostas, die Verteilung der Themata auf die einzelnen Bilderreihen, aus denen er sich zusammensetzt, unterliegt bestimmten Regeln; diese sind im Laufe der Zeit beinahe kanonisch geworden. Jedoch bildet der Ikonostas mit seinen zahlreichen Tafelbildern nur einen Teil der malerischen Ausstattung russischer Kirchen. Wir sehen daneben eine reiche Freskobemalung der Wände, oft auch der Decken. Die Freskomalerei entwickelte sich in Russland parallel der Tafelmalerei und beide Kunstzweige hatten von ihren Anfängen an rein religiösen Charakter.
Auch die russische Malerei ist aus der byzantinischen entstanden. Anfangs war sie auch bloß eine von Byzanz nach Russland verpflanzte Kunst. Das junge Kiewsche Russland hatte auch auf diesem Gebiete nichts Selbständiges geschaffen. Erst nach der Katastrophe der Tatareninvasion entwickeln sich in Nordrussland die ersten Anfänge einer selbständigen Malerei. Und zwar im Gebiete von Nowgorod. Ursprünglich war auch die Malerei von Nowgorod, ebenso wie die Baukunst, rein-byzantinisch. Im XIV. Jahrhundert werden Fresken und Tafelgemälde („Ikonen") immer eigenartiger. Die allgemeine byzantinische Grundlage verbindet sich bereits mit neuen derb-realistischen, dabei aber starken und lebendigen Zügen. Aus den länglich-ovalen byzantinischen Gesichtern treten allmählich rein-russische Gesichtszüge hervor. Die Gesichter werden breiter, reinnational wirken die stark hervortretenden Backenknochen, die breite Stirn, die Stumpfnase. Diese Erscheinung tritt zum Beispiel an den großartigen Fresken der Kirchen von Feodor Stratilat und Spass-Nerediza auf.
*) Siehe Grabar, „Die Geschichte der russischen Kunst“ (russisch).
Die Entdeckung des nationalen Typus bildete die erste Etappe der selbständigen Entwicklung der russischen Malerei.
Jedoch folgte ihre weitere Entwicklung der Richtung nicht, welche von den Nowgoroder Meistern eingeschlagen war. An der Grenze des XIV. und XV. Jahrhunderts blühte zu Moskau eine ganz andere Kunstrichtung auf. Sie fand ihren vollkommensten Ausdruck im Schaffen des Moskauer Mönches Andrej Rublew. Seine Werke weisen einen neuen mystisch-symbolischen Zug auf, der in der Weiterentwicklung der russischen Kunst eine große Bolle spielen sollte.
Andrej Rublew (†1427 oder 1430 „in hohem Alter“, wie sich der Chronist ausdrückt) ist der bekannteste russische Maler der Zeit vor Peter dem Großen. Er ist auch tatsächlich einer der größten Künstler Russlands gewesen. Seine Kunst fand schon bei den Zeitgenossen Hochschätzung und Anerkennung. Nicht geringer war sein Ruhm bei den Nachkommen. Zeitgenössische Quellen schreiben dem Pinsel Rublews mehrere monumentale Arbeiten zu, von ihm gemalte Ikonen und Fresken werden erwähnt. Seine Fresken sind aber leider alle entweder zerstört oder bei Restaurationsversuchen völlig unkenntlich gemacht. Aus den erhaltenen Resten ließe sich kein richtiges Urteil über den Charakter seiner Kunst bilden. Rublew wäre für uns ein bloßer Name geblieben, wenn durch glücklichen Zufall nicht ein sicheres Originalwerk von seiner Hand erhalten wäre. Es ist ein Tafelgemälde, — die Darstellung der heiligen Dreifaltigkeit. Der russische Meister malte die Dreifaltigkeit in Gestalt von drei jugendlich schönen Engeln, die an einer symbolischen Tafel sitzen. Die drei Gestalten sind würdevoll, ernst, von einem Hauch feierlicher, erhabener Heiligkeit umweht, von einem tief-mystischen Empfinden durchdrungen. Die Komposition ist streng symmetrisch: eine Figur in der Mitte, ihr zu Seiten die beiden anderen. Trotz der strengen Symmetrie wusste der Künstler jede Härte zu vermeiden. Die leise Kopfneigung des mittleren Engels gibt dem Ganzen etwas Müdes. Alle drei Figuren sind in schönen sanften Linien modelliert, in breite, einfache und zugleich feierliche Gewänder gehüllt. Das feine dekorative Gefühl der byzantinischen Kunst kommt in der kunstvollen reichen Faltenbehandlung zum Ausdruck. Aber die symbolische Sprache der russischen Kunst hat hier bereits neue Töne gefunden, welche sie von der byzantinischen Mutterkunst loslösen: sie ist menschlicher, milder, lebendiger und wärmer; der nüchternere byzantinische Symbolismus ist hier zu einem innig erlebten mystischen Gefühl geworden. In einer ganz neuen Art durchgeistigt sind die wundervollen Gesichter, in denen der Künstler das Göttliche zu erleben wusste, und für sein Erlebnis ein adäquates Symbol gefunden hatte. Dieser bis dahin in der russischen Kunst noch unbekannte Reichtum des Gefühls lässt an eine andere, an eine ganz verschiedene und doch so verwandte Kunst denken — an die Anfänge der Renaissance in Italien. Aber der Moskauer Mönch ist ebenso originell in seinem Werke wie die ersten italienischen Renaissancemaler. Dieses einzige erhaltene Bild *) genügt, um zu sehen, wie groß der Künstler gewesen sein muss, der eine so vollkommene künstlerische Verkörperung für seine religiöse Anschauung gefunden hatte.
*) Die „Dreifaltigkeit" von Rublew befindet sich in der Klosterkirche des Dreifaltigkeits- Sergiosklosters (Trotzko-Sergiewski) bei Moskau. Man kann vom Werk leider nur die drei Geeichter sehen, da die übrigen Teile nach russischer Sitte von einer Metallverkleidung bedeckt sind. Wir besitzen jedoch gute Photographien von diesem Werk.
Das Schaffen Rublews bedeutete den Anfang einer Blüteperiode der russischen Malerei, welche das XV. Jahrhundert umfasst. Beide Kunstzweige — die Tafelmalerei („Ikonen“) und Freskomalerei — entwickeln sich in der Richtung, welche im Schaffen Rublews bereits angedeutet war. Die Kunstsprache bleibt formell noch immer byzantinisch, und trotzdem ist diese Kunst eine ganz eigenartige Schöpfung des russischen Nationalgenies: das Gefühl, welches in diesen Schöpfungen zum Ausdruck kommt, zeugt von einer ausgeprägten psychischen Eigenart. Die mildere Kunstsprache der byzantinischen Kunst der Zeit der Paleologen wird hier noch gemildert. Jedoch weichen die russischen Meister in einer anderen Beziehung von der neuen byzantinischen Kunst ab: die naturalistischen Tendenzen der byzantinischen Malerei des XV. Jahrhunderts bleiben ihnen fremd. Sie schaffen weiter in der Richtung, die durch das Werk Rublews gegeben war. Es entstehen in dieser Zeit auf russischem Boden Schöpfungen von großer Innigkeit des religiösen Empfindens. Dem inneren Erlebnis entspricht eine idealistische stilisierende Farmsprache. Immer deutlicher wird das Streben nach Schönheit der Linien und Farben. Die Malerei steht auch auf dieser Stufe dem Byzantinismus bedeutend näher, als die Baukunst. Diese charakteristische Tatsache hat, wie wir sehen werden, tieferliegende Ursachen gehabt.
Einen Abschluss der Blüteperiode der russischen Malerei im XV. Jahrhundert bildet das Schaffen des berühmten Freskomalers Dionissij. Sein Wirken fällt größtenteils ins Gebiet von Nowgorod; er soll aber auch einige bedeutende Arbeiten in Moskau ausgeführt haben; letztere sind leider nicht erhalten.
Dionissij war ein hochbegabter Maler. Er besaß ein feines Gefühl für das stilistisch Dekorative. Seine Farben sind reich und gesättigt. Er ist wohl weniger tief als Rublew, dafür ist sein Schaffen feierlicher und lebensfroher. Neben einem ausgesprochenen Farbensinn scheint dieser Meister ein bewusstes Verständnis für die Wirkung der Linien als solcher besessen zu haben. Auch zeigen seine Werke ein Streben nach formaler Schönheit; dieses tritt bei ihm bereits als Selbstzweck auf. Dabei wirkt sein Schaffen jedoch niemals ausschließlich formal. Den individuell verarbeiteten Formen des byzantinischen Stiles versteht dieser Meister stets einen tief erlebten religiösen Inhalt zugrunde zu legen.
Zu den bedeutendsten erhaltenen Werken dieses Meisters gehört die Bemalung des Ferapontow-Klosters im Gebiete von Noivgorod. Dionissij stellte in den Wandfresken dieses Klosters Szenen aus dem Leben Christi, Maria mit dem Kinde und einzelne Heilige dar. In diesen umfangreichen Arbeiten vermochte er sein stilistisches Können mit besonderem Glanz zu zeigen. Das Schaffen von Dionissij gehört bereits dem Ende des XV. Jahrhunderts an.
Den orthodox-gläubigen Russen ist bis jetzt ein plastisches Heiligenbild zu sehr Fleisch und Blut. Der gleiche Zug geht durch die ganze historische Entwicklung der russischen Kunst. Selbst die reichsten Kirchen der alten Hauptstädte — Kiew und Moskau — entbehren vollkommen des plastischen Schmuckes. Es lässt sich ein solcher nur in verschwindend wenigen Ausnahmefällen nachweisen und auch das eher in Gestalt einer ornamentalen Dekoration. Werke statuarischer Bundplastik sind in altrussischen Kirchen gar nicht zu finden. Erst im „nachpetrischen“ Russland wurde die Bildhauerei neben der Malerei für die Ausstattung der Kirchen verwendet. Die Kirchenplastik war aber eine von auswärts importierte Pflanze, die nicht natürlich aus dem einheimischen Boden gewachsen war. Der Skulpturschmuck beschränkt sich bis jetzt auf wenige offizielle Prunkkirchen des XVIII. und XIX. Jahrhunderts, er findet keinen Zutritt in jene kleinen Kirchen, welche von den Mitteln der Gemeinden selbst in Dörfern und Städten errichtet werden.
Dafür war und bleibt die Malerei ein unentbehrlicher Bestandteil des inneren Schmuckes der Kirchen. Historische Quellen berichten, dass alte Kirchen ursprünglich von Heiligenbildern („Ikoni“) ganz überfüllt waren. Aus dem Bedürfnis nach möglichst reichem malerischem Schmuck entstand (wie angenommen wird, erst im XV. Jahrhundert)*) der „Ikonostas“ — eine richtige Scheidewand, welche den Altar von der übrigen Kirche trennt. Diese Wand ist aus mehreren übereinander gestellten Reihen von Ikonen gebildet. Der Altar der russischen Kirche ist vollständig von der übrigen Kirche abgeschlossen. Ist die große „Zarenpforte“, die sich in der Mitte vom Ikonostas befindet, geschlossen, so sehen die Gläubigen nicht, was im Altarraum geschieht, nur Rufe des Priesters bringen ihnen davon Kunde.
Die Bemalung des Ikonostas, die Verteilung der Themata auf die einzelnen Bilderreihen, aus denen er sich zusammensetzt, unterliegt bestimmten Regeln; diese sind im Laufe der Zeit beinahe kanonisch geworden. Jedoch bildet der Ikonostas mit seinen zahlreichen Tafelbildern nur einen Teil der malerischen Ausstattung russischer Kirchen. Wir sehen daneben eine reiche Freskobemalung der Wände, oft auch der Decken. Die Freskomalerei entwickelte sich in Russland parallel der Tafelmalerei und beide Kunstzweige hatten von ihren Anfängen an rein religiösen Charakter.
Auch die russische Malerei ist aus der byzantinischen entstanden. Anfangs war sie auch bloß eine von Byzanz nach Russland verpflanzte Kunst. Das junge Kiewsche Russland hatte auch auf diesem Gebiete nichts Selbständiges geschaffen. Erst nach der Katastrophe der Tatareninvasion entwickeln sich in Nordrussland die ersten Anfänge einer selbständigen Malerei. Und zwar im Gebiete von Nowgorod. Ursprünglich war auch die Malerei von Nowgorod, ebenso wie die Baukunst, rein-byzantinisch. Im XIV. Jahrhundert werden Fresken und Tafelgemälde („Ikonen") immer eigenartiger. Die allgemeine byzantinische Grundlage verbindet sich bereits mit neuen derb-realistischen, dabei aber starken und lebendigen Zügen. Aus den länglich-ovalen byzantinischen Gesichtern treten allmählich rein-russische Gesichtszüge hervor. Die Gesichter werden breiter, reinnational wirken die stark hervortretenden Backenknochen, die breite Stirn, die Stumpfnase. Diese Erscheinung tritt zum Beispiel an den großartigen Fresken der Kirchen von Feodor Stratilat und Spass-Nerediza auf.
*) Siehe Grabar, „Die Geschichte der russischen Kunst“ (russisch).
Die Entdeckung des nationalen Typus bildete die erste Etappe der selbständigen Entwicklung der russischen Malerei.
Jedoch folgte ihre weitere Entwicklung der Richtung nicht, welche von den Nowgoroder Meistern eingeschlagen war. An der Grenze des XIV. und XV. Jahrhunderts blühte zu Moskau eine ganz andere Kunstrichtung auf. Sie fand ihren vollkommensten Ausdruck im Schaffen des Moskauer Mönches Andrej Rublew. Seine Werke weisen einen neuen mystisch-symbolischen Zug auf, der in der Weiterentwicklung der russischen Kunst eine große Bolle spielen sollte.
Andrej Rublew (†1427 oder 1430 „in hohem Alter“, wie sich der Chronist ausdrückt) ist der bekannteste russische Maler der Zeit vor Peter dem Großen. Er ist auch tatsächlich einer der größten Künstler Russlands gewesen. Seine Kunst fand schon bei den Zeitgenossen Hochschätzung und Anerkennung. Nicht geringer war sein Ruhm bei den Nachkommen. Zeitgenössische Quellen schreiben dem Pinsel Rublews mehrere monumentale Arbeiten zu, von ihm gemalte Ikonen und Fresken werden erwähnt. Seine Fresken sind aber leider alle entweder zerstört oder bei Restaurationsversuchen völlig unkenntlich gemacht. Aus den erhaltenen Resten ließe sich kein richtiges Urteil über den Charakter seiner Kunst bilden. Rublew wäre für uns ein bloßer Name geblieben, wenn durch glücklichen Zufall nicht ein sicheres Originalwerk von seiner Hand erhalten wäre. Es ist ein Tafelgemälde, — die Darstellung der heiligen Dreifaltigkeit. Der russische Meister malte die Dreifaltigkeit in Gestalt von drei jugendlich schönen Engeln, die an einer symbolischen Tafel sitzen. Die drei Gestalten sind würdevoll, ernst, von einem Hauch feierlicher, erhabener Heiligkeit umweht, von einem tief-mystischen Empfinden durchdrungen. Die Komposition ist streng symmetrisch: eine Figur in der Mitte, ihr zu Seiten die beiden anderen. Trotz der strengen Symmetrie wusste der Künstler jede Härte zu vermeiden. Die leise Kopfneigung des mittleren Engels gibt dem Ganzen etwas Müdes. Alle drei Figuren sind in schönen sanften Linien modelliert, in breite, einfache und zugleich feierliche Gewänder gehüllt. Das feine dekorative Gefühl der byzantinischen Kunst kommt in der kunstvollen reichen Faltenbehandlung zum Ausdruck. Aber die symbolische Sprache der russischen Kunst hat hier bereits neue Töne gefunden, welche sie von der byzantinischen Mutterkunst loslösen: sie ist menschlicher, milder, lebendiger und wärmer; der nüchternere byzantinische Symbolismus ist hier zu einem innig erlebten mystischen Gefühl geworden. In einer ganz neuen Art durchgeistigt sind die wundervollen Gesichter, in denen der Künstler das Göttliche zu erleben wusste, und für sein Erlebnis ein adäquates Symbol gefunden hatte. Dieser bis dahin in der russischen Kunst noch unbekannte Reichtum des Gefühls lässt an eine andere, an eine ganz verschiedene und doch so verwandte Kunst denken — an die Anfänge der Renaissance in Italien. Aber der Moskauer Mönch ist ebenso originell in seinem Werke wie die ersten italienischen Renaissancemaler. Dieses einzige erhaltene Bild *) genügt, um zu sehen, wie groß der Künstler gewesen sein muss, der eine so vollkommene künstlerische Verkörperung für seine religiöse Anschauung gefunden hatte.
*) Die „Dreifaltigkeit" von Rublew befindet sich in der Klosterkirche des Dreifaltigkeits- Sergiosklosters (Trotzko-Sergiewski) bei Moskau. Man kann vom Werk leider nur die drei Geeichter sehen, da die übrigen Teile nach russischer Sitte von einer Metallverkleidung bedeckt sind. Wir besitzen jedoch gute Photographien von diesem Werk.
Das Schaffen Rublews bedeutete den Anfang einer Blüteperiode der russischen Malerei, welche das XV. Jahrhundert umfasst. Beide Kunstzweige — die Tafelmalerei („Ikonen“) und Freskomalerei — entwickeln sich in der Richtung, welche im Schaffen Rublews bereits angedeutet war. Die Kunstsprache bleibt formell noch immer byzantinisch, und trotzdem ist diese Kunst eine ganz eigenartige Schöpfung des russischen Nationalgenies: das Gefühl, welches in diesen Schöpfungen zum Ausdruck kommt, zeugt von einer ausgeprägten psychischen Eigenart. Die mildere Kunstsprache der byzantinischen Kunst der Zeit der Paleologen wird hier noch gemildert. Jedoch weichen die russischen Meister in einer anderen Beziehung von der neuen byzantinischen Kunst ab: die naturalistischen Tendenzen der byzantinischen Malerei des XV. Jahrhunderts bleiben ihnen fremd. Sie schaffen weiter in der Richtung, die durch das Werk Rublews gegeben war. Es entstehen in dieser Zeit auf russischem Boden Schöpfungen von großer Innigkeit des religiösen Empfindens. Dem inneren Erlebnis entspricht eine idealistische stilisierende Farmsprache. Immer deutlicher wird das Streben nach Schönheit der Linien und Farben. Die Malerei steht auch auf dieser Stufe dem Byzantinismus bedeutend näher, als die Baukunst. Diese charakteristische Tatsache hat, wie wir sehen werden, tieferliegende Ursachen gehabt.
Einen Abschluss der Blüteperiode der russischen Malerei im XV. Jahrhundert bildet das Schaffen des berühmten Freskomalers Dionissij. Sein Wirken fällt größtenteils ins Gebiet von Nowgorod; er soll aber auch einige bedeutende Arbeiten in Moskau ausgeführt haben; letztere sind leider nicht erhalten.
Dionissij war ein hochbegabter Maler. Er besaß ein feines Gefühl für das stilistisch Dekorative. Seine Farben sind reich und gesättigt. Er ist wohl weniger tief als Rublew, dafür ist sein Schaffen feierlicher und lebensfroher. Neben einem ausgesprochenen Farbensinn scheint dieser Meister ein bewusstes Verständnis für die Wirkung der Linien als solcher besessen zu haben. Auch zeigen seine Werke ein Streben nach formaler Schönheit; dieses tritt bei ihm bereits als Selbstzweck auf. Dabei wirkt sein Schaffen jedoch niemals ausschließlich formal. Den individuell verarbeiteten Formen des byzantinischen Stiles versteht dieser Meister stets einen tief erlebten religiösen Inhalt zugrunde zu legen.
Zu den bedeutendsten erhaltenen Werken dieses Meisters gehört die Bemalung des Ferapontow-Klosters im Gebiete von Noivgorod. Dionissij stellte in den Wandfresken dieses Klosters Szenen aus dem Leben Christi, Maria mit dem Kinde und einzelne Heilige dar. In diesen umfangreichen Arbeiten vermochte er sein stilistisches Können mit besonderem Glanz zu zeigen. Das Schaffen von Dionissij gehört bereits dem Ende des XV. Jahrhunderts an.