VI. Zwei Hauptmotive bei den Hauptdichtern Mickiewicz, Slowacki und Krasinski. Ausmalen von Grausamkeiten und Besingen von Hoffnungen. Die Poesie der Bache bei den ersteren zwei Dichtern, die Poesie der Menschenliebe bei Krasinski

Unter den romantischen Dichtern Polens gibt es drei, deren Namen mit Feuerschrift geschrieben stehen: Adam Mickiewicz, Julius Slowacki, Zygmunt Krasinski.

Lässt man den Blick über die gesammelten Erzeugnisse der drei großen Romantiker gleiten, so findet man bei ihnen besonders zwei Hauptmotive: Ausmalen von Grausamkeiten und Aussingen von Hoffnungen.


Mit anderen Worten: Es zieht in den Jahren 1820 — 1850 eine doppelte Grundströmung durch die polnische Poesie: Schilderung von Leiden, die in Rachegedanken ausmündet, und Schilderung von Leiden, die im Streben nach seelischer Entwicklung und Läuterung ausmündet. Und während man sonst im allgemeinen Mickiewicz für sich auf die eine Seite, Slowacki und Krasinski als die zwei verbundenen Freunde auf die andere stellen muss, kommen hier Mickiewicz und Slowacki einander am nächsten als Geister, die sich gerne und häufig mit Rachegedanken beschäftigen, während Krasinski ihnen gegenüber als Fürsprecher der allgemeinen Menschenliebe allein steht.

Gemeinsam ist allen Dichtern der Hang zum Tragisch-erschütternden, sei es, dass sie zu einer blutigen Katastrophe drängen, wie Mickiewicz in Grazyna, Slowacki in Hugo, oder dass die ganze Dichtung aus Untergangsszenen besteht.

Julius Slowacki, 1809 in Krzemieniec als Sohn eines Professors der Literaturgeschichte geboren, verlor als kleines Kind seinen Vater, stand jedoch sein ganzes Leben hindurch im zärtlichsten und vertrautesten Verhältnis zu seiner Mutter, die sich bald wieder mit dem in Mickiewicz's Dziady angegriffenen Professor Beku in "Wilna verheiratete. Verzogen von dessen Töchtern, geliebt von der Mutter, wuchs der Knabe in einem Phantasieleben auf, das in eine ausschließlich dichterische Neigung überging, und in einem alles verschlingenden Künstlerehrgeiz, welcher der Sporn und ewige Stachel seines Lebens wurde. Er wurde der typische Romantiker, der es als erwiesen ansah, dass ein romantisches Leben die Bedingung zur Erzeugung wirklicher Poesie sei, und der nie Zeit oder Gedanken daran verlor, seiner planlosen Lebensführung eine materielle Grundlage von Arbeit oder Wirksamkeit für den Unterhalt des Lebens zu geben. Jede Rücksicht auf das Nützliche war ihm verhasst.

Seine starke Phantasie war in ihrem Wesen nicht so sehr gestaltenbildend, wie musikalisch und malerisch ausschmückend. Sein Talent lag eigentlich in einer ungeheuren sprachlichen Begabung. Er wirkt durch den Wohllaut der Verse und durch die außerordentliche Menge der Bilder.

Er wurde an der Universität in Wilna erzogen, die seinem Geiste damals keine weitere Nahrung bieten konnte; sie war schon von der Reaktion verheert. Dagegen saugte er die hochgespannte Vaterlandsliebe der Periode und alle die extatischen Stimmungen der romantischen Geistesrichtung ein. Byron befruchtete ihn wie so viele der anderen Dichter, aber nirgends war das Gemüt vorbereiteter und verwandter. Die Ansichten und die desperaten Hauptpersonen Byrons wurden sofort zu den seinen. Auch er fasste als Jüngling seine unglückliche Liebe zu einem jungen Mädchen (eine Tochter von Andreas Sniadecki), die, feingebildet und bedeutend älter als er, nichts von seiner Leidenschaft wissen wollte, und erlitt darunter seine ersten Höllenqualen gekränkten Stolzes. Sein Stiefvater starb; Slowacki trat 1829 als Beamter in das polnische Finanzministerium in Warschau ein, als die Empörung losbrach und ihn so ergriff, dass er einige lyrische Gedichte im revolutionären Geiste schrieb. Sein Enthusiasmus scheint sich schnell abgekühlt zu haben, und im Jahre 1831 sehen wir ihn plötzlich von Polen unter Umständen fortziehen, die ihn verhindern mussten jemals zurückzukehren. Er reiste mit einem Passe der Aufstandsregierung ins Ausland, erhielt in Dresden den Auftrag, Depeschen nach London zu überbringen, und reiste von London nach Paris, wo er in den nächstfolgenden Jahren die ersten Bände seiner Dichtungen, Dramen und poetische Erzählungen im Stile Byrons drucken ließ.

Bald kam auch Mickiewicz nach Paris. Dieser war damals schon weithin berühmt, Slowacki ein vom unbefriedigten Ehrgeize verzehrter Anfänger, der mit seinem hohen Selbstgefühle und starken Drange nach Anerkennung den großen Nebenbuhler mit gemischten Empfindungen betrachtete. Seine ersten Poesien hatten kein besonderes Aufsehen erregt; doch erkannten einige polnische Literaturliebhaber nach dem Lesen des Dramas Maria Stuart ihm gewisse Vorzüge an, die Mickiewicz abgingen.

Halb unsicher, halb zur Selbstüberschätzung geneigt, brannte er darauf, das Urteil Mickiewicz's zu hören. Im Vorworte zum dritten Bande seiner Dichtungen schrieb er: „Nicht durch Lob ermuntert, nicht von der Kritik gefällt, schleudere ich diesen dritten Band in den lautlosen Abgrund, der die zwei ersten verschlungen hat." Sein Stolz verhinderte ihn, Mickiewicz aufzusuchen. Aber gemeinsame Freunde brachten sie zusammen, und es folgte ein gegenseitiges Auswechseln von Artigkeiten und Lobreden. Bald darauf wurde Slowacki Mitglied des polnisch-literarischen Komitees, dessen Vorsitzender Mickiewicz war. Das gute Verhältnis wurde jedoch bald gestört. Bekannte überbrachten Slowacki die Äußerung Mickiewiczs, dass seine Poesie einem wunderbaren Tempel gliche, aber es sei kein Gott darin. Und bald fand Slowacki alles an Mickiewicz widerlich „von seinem gekräuselten Hemde bis zu seinem Papismus." Er verneinte sogar seine poetische Beanlagung. Da erschien der dritte Teil von Dziady, worin der Dichter höher als je zuvor steigt, aber darin war zu allem Unglück der Stiefvater Slowackis, dessen Andenken ihm selbst teuer und seiner Mutter heilig war, Professor Beku, als der niedrigste Speichellecker vor Nowosilcow dargestellt, der zur Strafe für seine Schlechtigkeit noch vom Blitze getroffen wird. Von nun ab hasste Slowacki Mickiewicz. Er dachte sogar daran, ihn zu fordern. „0 Mutter! schrieb er, es bleibt mir nichts anderes übrig, als dich mit einem solchen Strahlenglanze von Ruhm zu umgeben, dass dich die Pfeile anderer Leute gar nicht treffen können. Gott hat mich begeistert. Es wird ein ebenbürtiger Kampf mit Adam."

In den ersten wie in den späteren Dichtungen, die er herausgibt, hat die Poesie beständig eine Grundlage der Qual, eine Stimmung, wie sie den Anblick der Vernichtung begleitet.

Dies beruht bei ihm wie bei den andern Dichtern natürlicherweise am tiefsten auf der Übereinstimmung, die in der Regel zwischen einem Künstler und seinem Publikum besteht. Wo sich der Gemüter ein solch tiefer Ernst wie der alle polnischen Gemüter nach der missglückten Revolution umspannende bemächtigt hat, muss der Dichter, nur um angehört zu werden, um nicht wie ein die allgemeine Stimmung missverstehender Gaukler bei Seite geschoben zu werden, notwendigerweise in seiner Kunst das Leiden, die Unzufriedenheit, den Zorn über irdische oder himmlische Ungerechtigkeit abspiegeln und eine Menge missglückter Versuche darstellen, Unrecht abzuwenden oder wenigstens das gekränkte Recht zu rächen. Er tut es, weil er im allgemeinen den gleichen Einflüssen wie sein Volk unterliegt, und alle Eindrücke nur noch weit stärker und mit empfänglicheren Organen verspürt.

Am abstraktesten tritt dieser Hang in solchen Werken hervor, wie in Slowackis: Die Pest in der Wüste, das mit Recht höchst berühmt ist als tragische Schilderung eines Unglücks, welches an das der Niobe erinnert. Slowacki hatte im Jahre 1835 von Paris über Marseille eine Reise nach Italien, später von Neapel eine Reise ins Morgenland unternommen, die ihn nach Griechenland, Ägypten, Nubien, Syrien führte und wovon er 1837 über Cypern nach Italien zurückkehrte. Auf dem Wege nach Syrien musste er in El-Arish mitten in der Wüste in Quarantaine liegen. Diesem Aufenthalte entsprang das Gedicht vom Vater der Pestkranken in El-Arish, worin ein Araber in einfachen, großartigen Worten erzählt, wie er nacheinander seine vier Söhne, seine drei Töchter und seine Frau von der Pest hat fortreißen sehen. Diese Erzählung, die im Gegensatz zu den meisten andern des Dichters, nicht eine Zeile zu viel hat, sondern die sich durch ihre antike Strenge und alttestamentarische Größe auszeichnet, hat nicht allein durch ihre künstlerischen Vorzüge, sondern durch ihr Übereinstimmen mit der Melancholie der Lesewelt einen so hohen Grad von Anerkennung erreicht. Mehr als Einer fand das Bild seiner eigenen Prüfungen und Verluste in der Dichtung. In einem dunkeln Gefühle, dass es ein gewisses Band, einen gewissen Vereinigungspunkt zwischen dem Stoffe und dem Leser gab, haben die Kommentatoren versucht, eine sinnbildliche Erklärung des Ereignisses zu geben; sie wollten darin Hindeutungen auf die Verluste und die Trauer ihres Vaterlandes sehen, die man nur durch an den Haaren herbeigezogenen Auslegungen finden kann. In Wahrheit konnte der Leser, selbst ohne irgend eine Symbolik, in der von der Pest betroffenen Familie eine Menschengruppe sehen, deren Schicksal mit seinem eigenen verwandt war.

Der Araber von Slowacki ist ein Gedicht von ähnlichem Charakter. Es schildert die abstrakte Vernichtungsmanie, die satanische Lust, Tod und Verderben um sich zu verbreiten und die Lebensfreude zu töten, wo sie auch gefunden wird. So könnte das Wesen sprechen, das aus einem Hinterhalte die Pfeile der Pest gegen jenen unglücklichen arabischen Vater und seine Kinder abschoss.

Hier ist jedoch mehr vorhanden als die reine Poesie der Leiden. Hier ist damit die Poesie der Grausamkeit vereint, ein Motiv, das immer wieder zurückkehrt. Besonders schwelgt Slowacki im Ausmalen grausamer Handlungen. Das lag nahe. Denn diese Dichter hatten große Grausamkeiten erlebt und die Phantasie ist zuvörderst rezeptiv; sie wirft die Bilder zurück, womit sie angefüllt wurde. Die Grausamkeiten, wovon alle Dramen Slowackis und die meisten seiner poetischen Erzählungen wimmeln, verraten, welchen tiefen Eindruck die Martyrien, die er erlebt und worüber er gehört oder gelesen, auf sein Gemüt gemacht haben. Einzelne der wildesten Grausamkeitszüge in seinen Poesien sind auf bestimmte historische Motive gebaut. Iwan der Grausame hat einmal wie die Hauptperson in König Geist mit seinem Schwerte den Fuß eines Boten an die Erde genagelt; dieser Hess sich so wenig wie der alte Sänger im Gedichte dadurch in der Mitteilung seiner Botschaft stören. Und bei Slowacki muss zu weit mehreren solcher Züge das Vorbild augenscheinlich in zeitgenössischen Ereignissen gesucht werden, die sein Blut in Wallung gebracht und seine Phantasie in Schwingung versetzt haben.

Mit Vorliebe verweilen alle die Dichter bei Gefängnisszenen, Verbannungsszenen und harten Strafen. Schilderungen von Qualen, lange Repliken, welche grausame Handlungen erzählen und ausmalen, füllen fast den ganzen dritten Teil von Mickiewicz's „Dziady", wo der Schriftsteller so tief in seine persönlichen Erinnerungen gegriffen und ohne Scheu die Personen seines Zeitalters mit ihren wirklichen Namen auf den Schauplatz gebracht hat. Nie hat er eine solche, die Haut brennende, realistische Wirkung erreicht. Und wunderbarerweise hielt er gerade dies für die eigentliche höchste Romantik. In seinem Gedichte Die Romantik hatte er damit begonnen die toten Wahrheiten abzuweisen: „Willst Du Wunder sehen, voll von Lebenswahrheit”, heißt es dort, „so habe nur ein Herz und sehe in die Herzen!“ Kurz darauf definierte er das Wesen der Romantik derart, dass „wenn die Romantiker schreiben, sie die nackte Wahrheit vor Augen haben, während die Klassiker sich mit Gliederpuppen begnügen"; hier betont er ausdrücklich das Recht des Dichters die nackte Wahrheit in seinen nächsten Umgebungen zu suchen, wie niedrig und einfach sie auch erscheine. Dieselbe Lehre verfechtet er endlich ausdrücklich in dieser Dichtung, worin er in Dante'scher Art ohne irgend welche Rücksicht auf Personen, seine Zeitgenossen lobpreist und verurteilt.

In einem Salon in Warschau erzählt hier einer der jungen Herren die Leidensgeschichte Chikowskis im Gefängnis. Er, einer der schönsten, lustigsten und geistvollsten jungen Männer Polens, kürzlich vermählt und glücklich, verschwand eines Tages aus seinem Heim. Es hieß, er habe sich das Leben genommen. Niemand begriff die Ursache. Die Polizei ließ das Gerücht verbreiten, dass sein Mantel an der Weichsel gefunden sei. Jahre verstrichen; an einem finsteren Regenabend wurden Gefangene vom Karmeliterkloster nach Belvedere überführt. Ein unerschrockener junger Mann im Zuschauerhaufen rief laut: Gefangene, wer seid Ihr? Und zwischen hundert Namen wurde auch der Name Chikowski als Antwort gerufen. Man unterrichtete seine Frau darüber, sie reichte Bittschrift auf Bittschrift an die Regierung ein, erfuhr aber nichts. In den folgenden drei Jahren, innerhalb deren keine Nachricht von ihm eintraf, lief nun das Gerücht durch Warschau, dass man ihn peinige, aber dass er nichts eingestehen wolle, dass man ihn die Nächte hindurch wach halte, ganze Monate lang ihm gesalzene Heringe zu essen und nichts zu trinken gebe, dass man Opium in ihn einschütte, um ihn durch Erscheinungen und Gespenster zu schrecken, dass man ihn unter die Arme und unter die Fußsohlen kitzele — bis sein Name unter den Namen anderer Verschwundener in Vergessenheit geriet. Dann läutete es eines Nachts an der Türe seiner Frau; draußen stand ein Offizier, ein Gendarm und ein Gefangener, den sie gegen einen Schein ablieferten, Sie drohten ihm mit dem Finger: „Wenn du zu reden wagst . . .“ und zogen fort. Er war verändert, war dick geworden, aber mit dem ungesunden Fette der Gefangenen, Die Runzeln eines halben Jahrhunderts lagen auf seiner Stirne. Die alten Freunde, die ihn zu begrüßen kamen, schien er nicht wiederzuerkennen, stierte sie nur mit einem geistesabwesenden Blick an: „Alles, was er in den Tagen gelitten hatte, da er gemartert wurde, und alles, was er in den Nächten gedacht hatte, da er wach lag, offenbarte das Auge in einer Sekunde. Dieses Auge war fürchterlich anzusehen, es glich den Fensterstummeln, die in den vergitterten Fenstern der Gefängnisse sitzen geblieben, deren Farbe dem Grau der Spinngewebe gleicht, die aber, von der Seite gesehen, Regenbogenreflexe werfen, und worin man einen blutigen Rost, Spiegellicht und dunkle Flecke entdeckt. Sie haben ihre Durchsichtigkeit verloren, aber ihre Oberfläche verrät, dass sie lange der Feuchtigkeit, der Verwahrlosung, dem Staube und dem Dunkel ausgesetzt gewesen sind.“ Wenn man ihn nach etwas fragt, glaubt er stets noch im Gefängnisse zu sein und sagt: „Ich weiß nichts, ich weiß nichts."

Eine junge Dame [gemeint ist die weibliche Vorsehung der Emigranten, Claudia Potocka] fragt: „Warum wollen Sie nicht solche Stoffe behandeln?" Ein Graf antwortet: „Der alte Niemcewicz kann sie in seinen Memoiren gebrauchen." Ein Literat ruft aus: „Das ist eine fürchterliche Geschichte." Ein zweiter: „Tragisch, auf mein Wort." Ein dritter sagt endlich: „Man hört solches an, aber wer würde es lesen! Und wie kann man zeitgenössische Begebenheiten behandeln? An Stelle mythischer Personen Augenzeugen auf die Bühne bringen! Und außerdem gibt es eine unantastbare und heilige Regel für die Kunst: die Dichter müssen mit der Behandlung eines Ereignisses warten, bis . . . bis . . . a Ein junger Mann: „Wie viele Jahre soll man warten, bis eine frische Tatsache so trocken wie Tabak und so honigsüß wie eine Feige geworden ist? Erster Literat: „Es gibt keine bestimmte Regel." Zweiter: „Tausend oder zweitausend Jahre. Man kann doch nicht in Verse setzen, dass sie ihm gesalzenen Hering gaben."

Man wird schon aus dem Angeführten einen Eindruck von der Kraft und Anschaulichkeit erhalten haben, womit hier Leiden ausgemalt sind.

Man lese noch die Replik Sobolewskis von den zwanzig Kibitkas (Schlitten) voll von jungen Studenten und Schülern aus Samogitien, die er unter dem Klange der Trommelwirbel nach Sibirien abfahren sah, während die Volksmenge wie eine Mauer vor dem Gefängnisse stand hinter Gardisten mit aufgepflanzten Bajonetten. Hier ist jeder Zug Leben. Man achte z. B. auf diese Zeilen: „Arme Kinder, sie hatten alle den Kopf geschoren wie Rekruten und Ketten an den Füssen. Der jüngste, der nur zehn Jahre alt war, beklagte sich; er konnte seine Ketten nicht heben und zeigte seine nackten und blutenden Füße. Der Polizeioffizier frug, warum er klage, und menschlich, wie er war, untersuchte er selbst die Ketten. Zehn Pfund! Das stimmt mit dem Reglement, sagte er. — Dann führte man Janczewski heraus . . . die Tortur hatte ihn hässlich gemacht, mager und schwarz, ihn, der vor einem Jahre der lustigste und schönste von allen war. Er sah von seiner Kibitka herab wie der Kaiser von seinem Felsenblock. Sein Auge war stolz, trocken, klar; er schien seine Kameraden trösten zu wollen, und sein Lächeln schien der versammelten Menge zu sagen: Seht, wie wenig mich das Unglück berührt! . . . Er bemerkte, dass Leute weinten, indem sie seine Ketten sahen, hob sie deshalb in die Höhe und schüttelte sie, um zu zeigen, dass sie für ihn nicht zu schwer waren. Die Kibitka fuhr im Galopp fort, er schwang seinen Hut unter dem Rufe: „Nein, noch ist Polen nicht verloren!" Und die Menge verbarg ihn meinem Blick; aber noch lange sah man seinen erhobenen Arm gegen den Himmel als Hintergrund und den schwarzen zerrissenen Filzhut wie eine Trauerstandarte über dieses glattgeschorene junge Haupt geschwungen, dieses Haupt ohne Fleck, das noch in weiter Ferne so stolz von der Unschuld des Opfers und der Schande der Henker zeugte."

Wie die Farbe ihre Komplementfarbe, wie der Septimenaccord seine Auflösung, so ruft nun dieses Motiv bei Mickiewicz und Slowacki immer das Rachemotiv hervor.

Auch dies kann man am deutlichsten im dritten Teile von „Dziady" durch die verschiedenen Gesänge hindurch verfolgen, welche die Gefangenen singen.

Da ist zuerst das Lied Jankowski's: „Damit ich gläubig werde, muss ich erst Jesus und Maria den Zaren, der mein Land besudelt, züchtigen sehen. So lange der Zar lebt und Nowosilcow trinkt und ich selbst Sibirien furchten muss, so lange darf niemand erwarten, dass ich rufen werde: Jesus, Maria!“

Dann folgt die ironische Weise Kolakowskis: „Was tut es, wenn ich Verbannung, Zwangsarbeit, Ketten ertragen muss, wenn mir nur als treuem Untertan gestattet wird, für meinen Zaren zu arbeiten! — Wenn ich in den Bergwerken mit Fleiß und Kunst schmieden muss, so sage ich mir: Dieses graue Eisen wird eines Tages eine Axt für den Zar. — Falls ich aus dem Zuchthause herauskomme und ein junges tatarisches Frauenzimmer zum Weibe bekomme, so sage ich zu ihr: Gebäre uns einen Pahlen für den Zar! [Pahlen, Paul I. Mörder]. — Schickt man mich als Kolonist aus, werde ich Hetman oder Bojar, so will ich auf meinem Acker Hanf säen, nur Hanf, für den Zaren. — Aus Hanf macht man einen Strick, einen grauen Strick, den man mit Silber einflechten kann; vielleicht wirft ein Orlow die Schärpe um den Hals des Zaren [Orlow, Peter III. Mörder]."

Endlich singt Conrad: „Mein Geist war verstummt, mein Lied lag im Grabe, aber mein Genius hat Blut gewittert, und mit einem Schrei erhebt er sich wie ein Vampyr, begierig nach Blut. Er dürstet nach Blut, nach Blut. Ja, Bache, Rache! Rache über unsere Henker! Rache, wenn Gott will, und wenn Gott nicht will!“

Man sieht, hier keimt die Poesie der Rache. Will Gott nicht rächen, so müssen die Polen sich selbst helfen.

Die Rache trägt fast immer eine Maske, lauert hinter der Verstellung, trifft unerwartet, lange vorbereitet. Der Grundgedanke ist stets, dass der von Göttern und Menschen Verfolgte berechtigt sei, alle Mittel zu gebrauchen, und dass die Errettung des Vaterlandes das höchste Gesetz sei. So ist Grazyna in ihrem vollen Rechte, wenn sie bis zum Ungehorsam gegen ihren Gemahl und Fürsten dem höheren Rufe folgt, jede falsche Allianz mit dem Erbfeinde zu verhindern. Und „Wallenrod" enthält denselben Gedanken in anderer Form: Keine falsche Allianz, aber wohl eine verstellte! Dem fremden Feinde gegenüber sind Heuchelei und Verrat berechtigte Kampfmittel. Als Ordensmeister zieht Wallenrod den Feldzug gegen die Litauer so lange hin, bis Tausende von Deutschen zu Grunde gegangen sind. Nachdem Litauen befreit ist, alles für den Orden verloren und er selbst vom heimlichen Gerichte der Ritter zum Tode verurteilt ist, wirft er mit stolzer Verachtung die Maske der Heuchelei ab, tritt das Großmeisterkreuz mit Füßen und bekennt jubelnd die Sünden seines Lebens.

Dass in der von „Wallenrod“ verkündeten Lehre ein Mittel zur Beschönigung jeden Abfalls lag, wurde von Mickiewicz selbst, aber nicht von seinem kritischen Mitbewerber Slowacki übersehen. Jedenfalls schreckten ihn nicht Missverständnis und Missbrauch. Den schärfsten Ausdruck seines Gedankenganges gibt sicherlich die Ballade Alpujarras, die bei dem großen Gastmahle gesungen wird: Der Maurenfürst Almansor muss Granada aufgeben, denn die Pest wütet in der Stadt; er schlägt sich durch und flieht. Die Spanier sitzen beim Trinkgelage, als die Wache meldet, dass ein Fremder um Eintritt bittet für eine wichtige Mitteilung, die er bringt. Es ist ein Araber. Spanier! ruft er mit demütigen Mienen: Eurem Gotte will ich dienen, an Euren Prophet will ich glauben, Euer Vasall will ich sein! Sie erkennen Almansor. Der Häuptling presst ihn an sein Herz und gibt ihm den Bruderkuss; alle Anführer umarmen ihn, einer nach dem andern. Da wird er plötzlich schwach, stürzt zu Boden, dreht seinen Turban und ruft triumphierend: Ich bin an der Pest erkrankt! — Er hat mit erheuchelter Unterwerfung den Spaniern die Pest in seinem brüderlichen Kusse gebracht.

So finden wir auch bei Slowacki immer wieder den Fluch, der den gegen die Landsleute ausgeübten Verrat trifft — Jan Bielecki, Waclaw (derselbe Peter Potocki, der in Malczewski's „Marja" und später in Slowacki's „Horsztynski" vorkommt) — und immer wieder eine Verherrlichung des Betrugs oder der Überrumpelung variiert, die gegen den Feind ausgeübt wird (Lambro, Kordjan). „Lambro" ist die Geschichte eines Griechen, der sich zum Räuber und Renegaten macht, um desto sicherer türkische Gewaltthäter zu treffen — eine Gestalt ohne Menschlichkeit, wozu das Modell kaum im Leben gefunden wurde, sondern in den orientalischen Poesien Byrons. Kordjan ist ein Pole, exaltiert und nervös, allzu fein und zart für den blutigen Auftrag, den er übernimmt, einen Mordversuch auf Kaiser Nikolaj — eine von Mickiewicz beeinflusste Gestalt, für welche doch Selbstbeobachtung zu Grunde liegt. Sowohl das Drama wie das Gedicht behandeln allein den Rachegedanken.

Gegen diesen Grundgedanken hat Zygmunt Krashiski die Tendenz seiner bedeutungsvollsten Werke gerichtet. Sein Geburtsschicksal und seine Familienverhältnisse hatten ihn dahingebracht eine weniger einfache Lehre aus dem Schauspiel der menschlichen Leiden zu ziehen.

Zygmunt Krasinski wurde 1812 in Paris von polnischen Eltern geboren, die der höchsten Aristokratie angehörten. Sein Vater trat als junger Mann in das Heer Napoleons ein, stieg bis zum kaiserlichen Adjutanten und führte nach der Thronentsagung Napoleons als General die polnischen Regimenter zurück. Er wurde Senator, Wojewode, eröffnete in Warschau einen großen Salon für Männer der Wissenschaft und Künstler, worin die klassische Geistesrichtung eins ihrer Kastelle hatte, und erwies sich bald als einer der treuesten Diener Alexanders und Nikolajs. Er machte sich auf eine sehr unvorteilhafte Weise bemerkbar, da er 1828 als Mitglied des Reichstaggerichtes, das über die politischen Verbrecher in Polen eingesetzt war, ganz allein für strenge Verurteilungen der Verschworenen war. So tapfer er auf dem Kampfplatze gewesen war, so furchtsam, so leicht geschmeichelt und leicht verlockt zeigte er sich in Friedenszeiten der russischen Regierung gegenüber.

Die hohe, öffentliche Stellung des Vaters — noch im Jahre 1856 löste er Paskiewicz als Statthalter ab — wurde verhängnisvoll für das Leben des Sohnes, beraubte ihn, der trotz aller Uneinigkeit mit dem Vater sich an ihn durch unverbrüchliche Pietät gebunden fühlte, jeder Freiheit nach außen hin, sowohl im persönlichen als literarischen Auftreten.

Nur 16 Jahre alt erlitt er um des Vaters Willen eine Kränkung, die er nie vergessen konnte. Als im Jahre 1829 eine der populären Persönlichkeiten Polens, der Gerichtspräsident Bielinski begraben wurde, fanden sich nach Verabredung alle Studenten der Warschauer Universität in Massen zur Feierlichkeit ein und ließen die Vorlesungssäle leer stehen. Auf Befehl des Vaters musste Zygmunt Krasinski jedoch wie sonst zur Universität gehen, wofür seine Kameraden am nächsten Tage über ihn herfielen und ihn herauswarfen. Die Szene wird in Krasinskis, Das unvollendete Gedicht, geschildert: „Ich sehe das alte Gebäude, in dessen Sälen tausend Gleichaltrige sitzen und wo die Lehrer von den Kathedern sprechen. Ich sehe die Treppe, die sich wie eine Schlange windet. Nicht wahr? Ich war ein tapferer kleiner Bursche, wenn auch noch nicht ausgewachsen und nicht stark. Ich kam von Hause, ging stolz an allen vorüber, wohl wissend, dass sie mich hassten, nur wusste ich nicht, weshalb. Sie umringten und bedrängten mich von allen Seiten und riefen: Junker! Junker! als wäre es eine Schande, dass ich weiß, wo meine Vorfahren begraben liegen. Ich erfasste das eiserne Geländer, aber sie zogen mich an den Händen, an den Füßen, am Mantel . . . Da offenbartest Du Dich, mein Genius, und sagtest: Sie sind ungerecht. Sei Du mehr als gerecht, verzeihe ihnen und habe sie lieb!"

Das Schicksal hatte ihn zum Leiden geweiht, und er sah in dem erlittenen Unglimpfe keine Aufforderung die Rolle zu übernehmen, welche die Ungerechtigkeit seiner Landsleute und die Versuchungen der Machthaber für ihn zurecht legten. Ebensowenig konnte es ihm mit seinem vornehmen und sanften Naturell einfallen, sich bei der Masse durch einen Bruch mit seinem Vater beliebt zu machen. Er nahm sowohl als Jüngling, wie als Mann, eine übertrieben kindliche Rücksicht auf diesen Vater, der als Überläufer mit russischen Ehrenerzeigungen und polnischen Verwünschungen bedeckt war. Seinetwegen verblieb er sein ganzes Leben hindurch als Dichter anonym, und das Bewusstsein den Vater im gegnerischen Lager zu haben, machte es ihm unmöglich in seinen Poesien ein Evangelium der Bache zu verkünden. Er wagte einem der Glaubenssätze seines Volkes und einer Grundstimmung in der Literatur jener Zeit zu trotzen, indem er die Ohnmacht des Hasses einem Volke verkündete, das von leidenschaftlichem Temperament, von kriegerischem Instinkte und überdies so zermartert und verzweifelt war, dass alle Erzeugnisse seiner Phantasie bisher nicht nur finster wie ein wolkenbedeckter Himmel, sondern vom Blitzstrahl der Bachsucht durchkreuzt waren. Über die Produktionen der andern Dichter wird in „Wallenrod" gesagt: „Mord und Feuersbrunst, darüber liebt Ihr Waideloten (litauische Sänger) zu singen. Uns überlasset Ihr die Ehre und die Todesqual. Von der Wiege an, windet Euer Gesang sich wie eine Schlange um die Brust des Kindes und gießt ihr Gift in seine Seele: die wahnsinnige Begierde nach Ruhm, und die wahnsinnige Liebe zum Vaterland." Aber keiner von ihnen besaß ein solches Gefühl der Verantwortung, wie Krasinski. Er litt schrecklich, wenn er von den grausamen Strafen hörte, die junge Studenten trafen, weil sie seine verbotenen Poesien verbreitet hatten.

Auch Krasinski schildert nur Leiden. In Irydion stellt er das Leiden dar, welches eine Fremdherrschaft geschichtlich verursacht hat, indem er ein Bild des alten Griechenlands gibt, einige hundert Jahre nachdem es von Rom erobert wurde. Er schildert bei den Auserlesenen unter den Griechen die Liebe zu Hellas als dem Lande, dem Europa für alle schöne Kultur zu danken hat und das sein erster Lehrer über die Bedeutung der politischen Freiheit gewesen ist, und er malt den Hass gegen Rom, den grausamen und hochmütigen Herrn Griechenlands, dessen halb barbarische Kultur entliehen ist. Das Drama zeigt uns den hellenischen Volksgeist über einem großen Rachewerk brütend nach Jahrhunderten der Unterdrückung und Schande, zu einer Zeit, da Caracallas und Heliogabals entsetzlicher Machtgebrauch die Gemüter aller Besseren erregt hat.

Irydion ist „der Sohn der Rache", des Rächers Kind; er ist Sohn des großen Griechen Amfilochos, der selbst einer Generation angehört, für welche die Rache noch nicht reif schien, der aber Irydion und, seiner Schwester Elsinoe, zwei Kindern, die ihm ein nordisches Weib geboren, den Hass gegen Rom eingeprägt hat. Als er sie segnete, während sie als kleine Kinder schliefen, sagte er zu ihnen: „Erinnert Euch, Rom zu hassen, und Euch zu rächen, Du Irydion mit Feuer und Schwert, Du Elsinoe mit aller Klugheit und treulosen Kunst der Frau!"

Und Irydion lebt in seinem Palast zu Rom nur dem Rachegedanken und verkuppelt in dessen Dienst seine reizende Schwester dem elenden und schwachen Knaben, der an der Spitze des Reiches steht. Elsinoe biegt Heliogabal wie ein Rohr, und Irydion erklärt dem Kaiser, dass nicht dessen Mitbewerber Alexander Severus, sondern die Stadt Rom selbst sein Feind sei. Gegen die Stadt solle er den Krieg führen, den Nero mit der Feuersbrunst begann, und dann die Kaiserkrone für Byzanz retten. Und den Heliogabal bezaubert diese Poesie der großartigen Vernichtung, die ihn fesselt, wie sie bessere Menschen, als ihn, fesseln konnte — zum Beispiele polnische Dichter.

Krasinski hatte richtig empfanden, dass zu jener Zeit für die meisten seiner Landsleute Polen allmählich nur ein Name geworden sei, der nach Rache rief. Er sah die Gefahr, die für den Rechtssinn der Nation darin lag, dass sie dazu gelangt war, alles dem Unterdrücker gegenüber für erlaubt zu halten. Schon in dem Gedichte an die polnische Mutter waren ja Lüge, Heuchelei und Betrug als Tugenden gepriesen. So hatte niemand dem Helden von Ostrolenka, General Bern, übel genommen, dass er sich nur deshalb zum Muhammedaner machte, um in türkischem Dienste Russland besser zu Leibe gehen zu können. So nahm es später niemand Wielopolski übel, dass er in einem offenen Briefe an Metternich nach dem Gemetzel in Galizien das Aufgehen des Volkes in Russland in der bloßen Hoffnung predigte, dass Übereinkunft mit dem mächtigsten Feinde Rache über die beiden andern Feinde, Osterreich und Preußen, schaffen möge, die dann ein neuer Attilla vernichten könne.

Krasinski ängstigte sich vor diesem Nationalgefühle, das nur im Hasse lebte, vor dieser Vaterlandsliebe, die zwar stärker als der Tod war, aber immer den Tod im Munde führte. Er schrieb Irydion um sein Volk zu warnen.

Im letzten Augenblicke scheitert für Irydion alles an dem Misstrauen der christlichen Bischöfe gegen ihn. Elsinoe verlangt, dass Heliogabal getötet werde, um zu rächen, was sie als seine Geliebte gelitten; dann tötet sie sich. Alexander Severus siegt und wird Kaiser. Und Irydion will sterben, als Massinissa — sein böser Schutzgeist, der Waidelote aus Wallenrod in größerem Stile, außerdem eine Art Inkarnation des antiken Abscheus für das christliche Wesen — ihn in den Weltenraum entführt. In der Entfernung sieht er von einer Anhöhe an der Küste Rom „seinen Marmor in der Sonne zeigend, wie ein Tiger seine weißen Zähne zeigt." Und Angst ergreift ihn, dass Born nicht zu Grunde gehen werde, wie seine Mutter prophezeit hatte. Massinissa lehrt ihn dann, dass die Goten zwar Rom in Schutt zerstampfen aber dass die Christen dann ein neues Born schaffen werden, das die Krieger des Nordens an seinem Gängelbande führen, zum zweiten Male alle Völker der Erde beherrschen werde.

Krasinski wollte seinem Volke in einem großen Beispiele zeigen, dass die bloße Rachsucht nichts dauerndes erzeuge, und dass der Hass allein unfruchtbar sei. Er wollte vielleicht außerdem, wie Klaczko fein bemerkt hat, andeuten, dass der Feind neue Lebenskraft gewinnen kann, wo es am wenigsten vermutet wird, wie Rom den Grund wall seiner zweiten Größe im Christentume fand, die Nachfolger des deutschen Ordens einen ähnlichen Grundwall in der Reformation fanden, und wie Russland in der Zivilisation unseres Jahrhunderts die gerade eine Drohung gegen Russland scheinen könnte, ihn vielleicht finden wird.

Der Epilog versetzt uns in das Rom der Papstmacht zur Zeit von 1830. Irydion wandert mit Massinissa über die Ruinen des alten Roms und inmitten der Ruinen von dessen späterer Größe. Die Herrschermacht ist durch ein Paar Greise mit Purpurmänteln vertreten, die von einigen Mönchen gegrüßt und Kirchenfürsten genannt werden. Sie setzen sich in einen Wagen, mit zwei schwarzen alten Pferden bespannt, und hinten steht ein Diener mit einer Laterne. Das sind die Nachfolger der Cäsaren! sagt Massinissa. Irydion hasst nicht mehr das Christentum, dessen Schicksal ihm nun so traurig erscheint, wie ehedem dasjenige Griechenlands.

Zuletzt hört Irydion eine Stimme, die ihm zuruft: „Gehe nach Norden in Christi Namen, und halte erst im Lande der Gräber und Kreuze an! Du kannst es an dem Schweigen seiner Krieger und an der Traurigkeit seiner kleinen Kinder erkennen. Du kannst es an den abgebrannten Hütten der Armen und den zerstörten Palästen der Verbannten erkennen. Gehe dorthin und siedle Dich zwischen den neuen Brüdern an, die ich Dir gebe. Es soll Deine zweite Prüfung sein. Zum zweiten Male sollst Du den Gegenstand Deiner Liebe durchbohrt und im Todeskampfe sehen, und die Leiden tausender von Seelen wird dein Herz fassen."

Die Moral ist also diese: Im Lande der Gräber und der Kreuze handelt es sich um dasselbe, worum es sich im Lande der Tempel und Zypressen handelte, nicht darum, seinen Feind mit allen Mitteln zu bekriegen, sondern ihn durch geistige und sittliche Überlegenheit zu überwinden.

Die von Krasinski immer wieder verkündete Lehre lautet: Nicht bessere Zeiten aus dem Bösen zu erwarten, das wir wünschen könnten unserem Feinde zuzufügen, sondern aus dem Guten, das wir in unserm eigenen Gemüte entwickeln. Was er fürchtet, ist das Gift, das die Knechtschaft erzeugt und in die Seelen ausscheidet. Für ihn ist Sibirien, Knute und Qualen das weit geringere Unglück im Vergleiche damit, dass der Volksgeist an der Bachsucht vergiftet werde.

Wir haben also diesen Grundgegensatz:

Dort die Rücksichtslosigkeit der Verzweiflung, die alles gutheißt, wenn es nur den Tyrannen trifft: Grazynas Tat, Wallenrods Betrug und Verrat, Almansors Pestkuss, Kordjans Mordversuch.

Hier, während Paskiewicz in Warschau herrscht, eine Stimme, die gegen den unfruchtbaren Hass warnt und die, ihrer angeblichen Feigheit wegen mit Spott beantwortet, sich damit begnügt immer wieder auf das Streben nach einer höheren Kultur hinzuweisen, um durch geistige Entwicklung und Läuterung den Feind zu überstrahlen und solchermaßen zu überwinden.

Es gibt zwei große leitende Prinzipien im Kampfe des Lebens. Das eine ist irdisch, das andere geistig, das erstere hat die nächsten, das zweite die fernen Folgen einer Handlung vor Augen. Das erstere lautet: Da das Leben voller Schrecken ist, so mache deinen Feind unschädlich, indem du ihn vernichtest. Dazu sind alle Mittel gut. — Das andere lautet: Da das Leben voller Schrecken ist, so vermindere ihre Zahl, indem du Hass mit Liebe vergeltest! Liebe deinen Feind, entwaffne ihn durch ein Selbstgefühl, das sich nur in Liebe entfaltet und das, stärker als der Tod, überall Leben erweckt! — Das erste ist das Prinzip Conrads und Kordjans, das letzte ist das Prinzip des großen Anonymus. Vielleicht sind sie, von Volk zu Volk verkündet, beide gleich unpraktisch. Das eine, weil die Rache stets aufs neue Rache erzeugt, das andere, weil Liebe als einziges Prinzip unzulänglich ist in einer Welt, wo die Sanftheit des Lammes keinen Schutz gegen den Zahn des Wolfes bietet.

Aber es sind diese zwei Prinzipien, die, beide gleich romantisch, die romantische Literatur Polens durchziehen.

Es gibt noch ein drittes, unromantisches und unsentimentales Prinzip, das nicht lehrt: seinen Feind vertilgen, auch nicht: ihn lieben, sondern mehr und besser arbeiten, als er. Die Zukunft gehört weder dem Rächer noch dem Apostel, sondern dem, der mit Genie arbeitet.