V. Die politische Situation bestimmt die Behandlungsweise aller Stoffe, den Gesichtspunkt für Liebe und Hass, Tochter- und Muttergefühl, das Verhältnis des einzelnen zum Volke, zwischen Genie und der Mitwelt, Gefühl und Vernunft, das Verhältnis zur Religion und Philosophie

Sobald man beobachtet hat, wie die drei Faktoren: der Volkscharakter, die Romantik und die politische Situation das Wesen der Dichter als Menschen bestimmen, entwickeln, exaltieren, brechen oder bezeichnen, entdeckt man auch leicht, wie dieselben Triebkräfte überall ihre Erzeugnisse bestimmen. Aber da die Romantik in allen Ländern dieselbe ist, und der Volkscharakter sich in der Literatur zu verschiedenen Zeiten ganz verschieden offenbart (z. B. jetzt ganz anders als damals) zeigt es sich, dass die politische Situation der entscheidende Hauptfaktor ist.

Sie bestimmt den Gesichtspunkt, woraus das Menschenleben gesehen wird, den Gesichtspunkt für alle die seelischen Probleme, die behandelt werden, das Wesen der männlichen und der weiblichen Hauptpersonen und den symbolischen Charakter sowie die allegorische Form der Dichtung.


Das Studium der polnischen Literatur lässt keinen Zweifel übrig, dass es das poetisch-politische Traumleben ist, welches die Beschaffenheit der seelischen Zustände und seelischen Fragen modifiziert, die in europäischer Poesie gleichzeitig vorkommen, indem es sie unter den nationalen Gesichtswinkel rückt, einige Fragen ganz ausschließt und gewisse neue hervorzieht, die an keinem anderen Orte behandelt werden.

Man denke z. B. an die Stoffe, worum sich die Dichtungen Goethes und Heines, Byrons und Shelleys, Hugos und Mussets drehen, und sehe, welche Form und Gestalt sie hier annehmen.

Solche Stoffe sind die ganze Domäne der Liebe und des Hasses, die Schilderung aller Leidenschaften in ihrem Bruche und Kampfe mit Pflichten, die Frage über die Fähigkeit des Menschengeistes, das Weltall zu durchdringen und zu verstehen, über die Berechtigung und Zukunft des religiösen Glaubens, über das relative Recht der verschiedenen Stände während des Klassenkampfes, über das Recht des Genies und dessen Bedeutung für sein Volk und die Menschheit, über die verschiedenen Lebensansichten zweier aufeinander folgender Generationen u. s. w.

Man nehme ein Gefühl wie Liebe zwischen Mann und Frau und sehe, wie sie in der damaligen polnischen Poesie geschildert wurde.

In den erzählenden und dramatischen Werken trägt sie oft einen wilden und verbrecherischen, doch nie einen sinnlichen Charakter. Aber wo die Dichter sich entweder im eigenen Namen oder durch Helden aussprechen, hinter deren Maske man ihre Züge erblickt, erstaunt man darüber, wie abstrakt und unsinnlich die Liebe ist. Sie ist immer nur ein Gefühl, nie zugleich ein Begehren. Selten hat sie die Wärme des Blutes. Hiermit stimmt, dass der Liebeskummer — und in der polnischen Poesie gibt es mehr Kummer als Freude der Liebe — zurückgedrängt und von anderen, weniger persönlichen Gefühlen wie politische Begeisterung oder Vaterlandsliebe überwunden wird. In Mickiewicz's Dziady gibt sich der Held unter dem Eindrucke eines solchen Wechsels der Gefühle sogar einen neuen Namen. Er bezeichnet den Tag, an dem er verhaftet wurde (der mit dem Tage zusammenfällt, an dem. man den Dichter gefangen nahm), als den Todestag seines alten Ich, den Geburtstag seines neuen, lässt seinen alten friedlichen Namen Gustav fallen und nimmt den neuen kriegerischen: Conrad an. Gustavus obiit MDCCCXXIII Calendis Novembris. Hic natus est Conradus usw. Das heißt: Der Heldennamen aus Byrons Korsar ersetzt den aus dem sentimentalen Liebesromane der Frau von Krüdener. Der Fall ist typisch: In der Regel stirbt hier ein Gustav, damit ein Conrad erstehen kann. Und hiermit stimmt es auch, dass die Frauengestalten in dieser Poesie so wenig irdisch sind. Man kann sie sich nie in der täglichen Arbeit des Lebens denken. Sie sind entweder Heldinnen, die, hoch zu Ross, sich in das Getümmel der Schlachten stürzen, oder sie sind lichte Phantome, Geistererscheinungen aus einer besseren Welt, Engelsoffenbarungen, deren Wesen lauter Seele ist.

Bei Wordsworth kommen bekanntlich diese Worte über eine junge Frau vor, die er bewundert: „Ein Geschöpf, nicht zu gut für das tägliche Brot der Menschennatur, für vorübergehende Sorge, unschuldige List, Lob, Tadel, Liebe, Kuss und Tränen und Lächeln . . . . ein Wesen, das von der Geburt bis zum Tode mit festem Verstände, mit ruhigem Willen, mit Ausdauer, Fürsorge, Gewandtheit und Kraft lebt u .... So irdisch und einfach ist das Frauenideal hier so zu sagen nie, weil der nationale Grundton und die politischen Hintergedanken der Dichter es entweder in dem Bilde einer vaterlandsliebenden Amazone oder in der Gestalt des nationalen Genius zu sehen verlangen.

Die Frau ist hier also sehr bewundert, sehr verherrlicht, aber wenig beobachtet, wenig studiert. Weder als Liebende noch als Tochter, weder als Schwester noch als Mutter tritt sie als ein ganzer Mensch mit starten, individuellen Eigenschaften hervor. Das Bild wird sofort ideal und ist immer in Artbestimmungen gehalten. Die Liebe wird in der Regel ohne alle Schattierungen geschildert, das Tochtergefühl ist oft exaltiert, wie in Slowacki's Lilla Weneda durch all' die grausamen Leiden, die ein feindlicher Fürst den Vater erdulden lässt; und die Mutter tritt als diejenige auf, deren Gefühl früh verhärtet wird und deren Beruf darin besteht, den Sohn daran zu gewöhnen, mit Festigkeit alle harten Schicksale zu ertragen, die das Leben ihm bieten möge. So heißt es in Mickiewicz's berühmtem Gedichte, An die polnische Mutter:

Lass ihn in abgelegnen Höhlen hausen,
Auf Binsen schlafen, fern von Menschen weilen,
Einatmen faule feuchte Luft ohn' Grausen,
Mit giftigem Gewürm das Lager teilen.

Dort mag er lernen seinen Grimm vergraben,
Gedanken bergen in des Abgrunds Dunkel,
Mit Worten töten, wie mit gift'gen Gaben,
Und arglos, toter Schlange gleichend, funkeln.

Man malt das Kindlein Jesus mit dem Zeichen,
An dem es einst die Welt erlösen wollte, —
O Polin, so möchte’ deinem Kind ich reichen
Ein Spielzeug, dran sich's früh gewöhnen sollte.

In Ketten schmiede ihn bei guter Weile,
Und dass er früh sich an den Karren bücke,
Damit er nicht erbleiche vor dem Beile
Und nicht erröte vor des Henkers Stricke.

Er wird nicht wie die alten Ritter wallen,
Jerusalem den Heiden abzuringen:
Nicht als Soldat der Jetztzeit ruhmvoll fallen,
Der Freiheit Saat mit seinem Blut zu düngen.

Ihn fordert ein Spion, der sich nicht nennet,
Meineid'ge Richter sind's, die sich ihm stellen,
Der Kampfplatz ein Verlies, das niemand kennet,
„Gewalt vor Recht" wird ihm das Urteil fällen.

Und dem Besiegten stellt der Feind zu Ehren
Des Galgens Denkmal auf, ihn dran zu henken;
Sein Nachruhm sind der Weiber flüchtige Zähren
Und seines Volkes scheues Angedenken.

Die männlichen Hauptpersonen in dieser Poesie sind, wie romantische Helden in der Regel, nationale, außerdem leidenschaftliche und kriegerische Naturen. Aber sie zeigen Züge, woran man sie unter allen anderen erkennt.

Im Norden greift man in jenen Tagen zum Altertume zurück, um Helden zu finden. Der berühmteste derselben, Oehlenschlägers Helge, ist der Typus der frischesten Jugend jener Zeit, lebensfroh, kampflustig, reiselustig, im Grunde gutmütig, nicht ohne flüchtige Verhältnisse zu Meerfrauen und irdischen Weibern. Tegnérs Frithjof ist ein ähnlicher Held, ins Schwedische übersetzt, ein Rittersmann, dessen Zusammenhang mit den politischen Ereignissen jener Zeit äußerst schwach, fast unerkennbar ist.

Sie ähneln in keiner Hinsicht den Helden der zeitgenössischen, polnischen Literatur. Diese sind alle viel unheimlicher und treiben alle Politik. Vergleicht man z. B. Tegnérs Axel mit Mickiewicz's Grazyna, zwei Gedichte, deren ganze Form den poetischen Erzählungen Byrons entlehnt ist und die noch die Ähnlichkeit haben, dass in beiden eine Frau in Männertracht kämpft, so liegt der Unterschied besonders darin, das in Tegnérs Gedicht alles fehlt, was, wenn auch noch so schwach, wie eine Ermahnung oder Warnung an das Zeitalter des Dichters klingen könnte. Bei Mickiewicz dagegen, dessen Dichtung doch in dem heidnischen Litauen spielt, ist die Handlung diese: Fürst Litawor hat, unzufrieden mit seinem Schwiegervater Witold, die deutschen Ritter zu Hilfe gerufen. Seine Frau Grazyna, die nicht vermocht hat, ihn von diesem Abfall vom eigenen Stamme abzubringen, befiehlt eigenmächtig, dass den deutschen Boten der Zutritt zu Nowogródek verweigert werde, und da die erzürnten Bundesgenossen ihren Angriff gegen Litawor anstatt gegen Witold richten, legt Grazyna die Rüstung ihres Mannes an, gibt sich für ihn aus und zieht in den Kampf gegen die Deutschen. Obgleich der Sieg den Litauern zufallt — dank dem zur rechten Zeit herbeieilenden Litawor — wird die Fürstin doch tödlich durch den Schuss einer deutschen Flinte verletzt. Ihr Mörder wird mit ihrer Leiche auf den Scheiterhaufen geworfen, und Litawor stürzt sich selbst in die Flammen. Die Lehre, die der Dichter seinen Landsleuten geben zu wollen scheint, ist also diese: Eine Frau darf trotz der Befehle ihres Mannes und Fürsten Bundesgenossen abweisen, das Heer betrügen, das Land großer Gefahr aussetzen, Krieg fuhren, die Schlacht verlieren, wenn sie nur die nationale Ehre vor Augen hat; alles ist erlaubt, wenn es das höchste Ziel gilt.

Oder man nehme eine andere Gruppe poetischer Hauptpersonen, die von den Helden Byrons abstammen: die jungen Männer bei Alfred de Musset. Sie sind einer wie der andere in die innere Schwierigkeit geraten, dass die Möglichkeit ihnen verschlossen scheint, sich nunmehr durch Taten auszuzeichnen, nachdem das napoleonische Zeitalter aufgehört hat. Sie stürzen sich deshalb in Ausschweifungen, und durch ein Leben, das die Sinne erhitzt und betäubt aber die Tatkraft schwächt, werden sie mehr oder weniger unfähig zu politischer, künstlerischer oder kriegerischer Aktion.

Dieser innere Streit zwischen dem Hange nach Zerstreuungen und der Neigung zur Tat kommt bei den polnischen Dichtern niemals vor. Hier kämpft immer der Trieb nach Wirksamkeit im großen Stile mit dem einem oder dem andern Hindernis, das außerhalb der Persönlichkeit liegt, und das diese nicht imstande ist, aus dem Wege zu räumen.

Ebensowenig sind die Helden hier, wie bei Victor Hugo, junge Vertreter neuer Gesellschaftsschichten, die, wie von der Erinnerung an die französische Revolution getragen, sich zu einem erbitterten Kampfe gegen die höheren Stände erheben. Der Held ist hier nie prinzipieller Demokrat, geschweige prinzipieller Republikaner. Diese ganze Poesie trägt ein in sozialer Hinsicht konservatives Gepräge. Selbst Slowacki, der als Zukunftsdichter gilt, bildet keine ernstliche Ausnahme. Das einzige Werk, worin ein Klassenkampf die Hauptrolle spielt, Krasinskis, Die gottlose Komödie, ist soweit davon entfernt, den Fürsprecher der Demokratie zum Helden zu machen, dass er im Gegenteil als eine Gestalt von kalibanartiger Rohheit auftritt und nicht einmal selbst seines Rechtes und seiner Überzeugung völlig sicher ist.

Und vergleicht man endlich diese Hauptpersonen in den polnischen Dichtungen mit Byrons eigenen poetischen Jugenderzählungen, welche die Dichter hier so ungereimt tief beeinflussen, so findet man zwar eine gewisse Gleichheit in der Heftigkeit des Gemütes und der wilden oder schwermütigen Verzweiflung; ihr Leben ist eine Kette von Leiden, Täuschungen, Leidenschaften, Verbrechen und Verwünschungen, aber nie tragen sie den Zug, der aus dem eigenen Wesen Byrons in Childe Harold und Lara überging, nämlich ihre eigenen Landsleute, ihr eigenes Land zu verabscheuen. Wenn sie Verräter gegen es werden oder es bekämpfen — wie Litawor, wie Wallenrod — so ist es in einem flüchtigen Auflodern, das schnell bereut wird, oder nur auf kurze Zeit zum Scheine, in der Absicht, ihm schließlich um so energischer zu dienen. Ja selbst wo sie, wie jener phantastische König Geist bei Slowacki, das Volk zahllosen Leiden und Plagen unterwerfen, ist es im Grunde nur eine Art höherer Liebe, die unter der Maske der Grausamkeit die Triebkraft ihrer Handlungsweise bildet. Sie wollen das Volk härten, wie der Schmied durch Hammerschläge auf dem Ambosse das Metall härtet, sie wollen es mit Härte empor zu stets höheren Entwicklungsstufen zwingen. Und die Absicht des Dichters ist nie wie bei Byron, einen Leserkreis zu ärgern oder zu schmähen, sondern ein Volk zu wecken, es zu lehren, dass eine Volksexistenz nicht zu teuer mit der Tortur ganzer Generationen erkauft wird. Er will, um sein Volk zu wecken, „auf den Himmel schlagen, wie auf einen Erzschild." Die Spaltung zwischen der großen Persönlichkeit und der Nation, die für das Leben und Dichten Shelleys und Byrons so bezeichnend ist, kommt hier nie vor; es beruht zwar zum Teile darauf, dass diese Dichter sich nie so hoch über den geistigen Durchschnittszustand ihres Volkes, über sein religiöses und politisches Tagesleben, wie z. B. Shelley, erhoben, aber doch auch und fast mehr auf ihrem Gefühl der Zusammengehörigkeit mit dem Volke, das ihrer, als seiner einzigen Organe bedurfte.

Und wie sie sich mit dem Volke verschmolzen gefühlt haben, so haben sie auch das Volk als Ganzes gesehen. Darauf beruht, dass sie nie danach getrachtet haben, den Gegensatz zweier aufeinander folgenden Generationen zu schildern, der sonst einen so fruchtbaren Stoff für die Poesie abgibt und dessen sich Kraszewski später bemächtigt. Mickiewicz wollte höchstens den Stoff als Vergangenheitsthema streifen in seinem nur auf französisch geschriebenen, dramatischen Fragmente Jaques Jasinski ou les deux Polognes. In „Pan Tadeusz" stellt er das Nachahmen fremder Sitten und das Lobpreisen fremder Länder als Gegenstand eines milden Spottes auf. Entgegen stellt er die Liebe zur schönen Natur und zu den alten Sitten des Heimatlandes, aber einen Widerspruch zwischen der Denkweise zweier Generationen wollte er nicht als Motiv anwenden.

Und auf dem Gefühle des unauflöslichen Zusammenhanges dieser Dichter mit ihrem Volke beruht auch die stehende Auffassung des dichterischen Genies. Man fasste in jener Zeit in Polen den Dichter nie als Künstler, sondern als Seher auf. Dass die Poesie vor allem eine Kunst, nach der Auffassung einiger die erste aller Künste ist, dass ihr Wesen die Darstellung von Natur und Menschenleben in einer vollendeten und tadellosen, darum unvergänglichen Form ist, das wurde selten in Betracht gezogen. Lies einer der Dichter sich ausnahmsweise auf solch eine ruhige und umfassende Abbildung des Lebens ein, wie Mickiewicz in „Pan Tadeusz" es tat, so schätzte er persönlich dieses Werk sehr gering, verstand nicht dessen unvergleichlichen Wert. Man fasste die Poesie vor allem als Eingebung auf, als ein göttliches Basen, das sich in Halluzinationen und Improvisation offenbarte, und diese Dichter sind wirklich fast alle hervorragende Improvisatoren und sind Sinnestäuschungen ausgesetzt gewesen. In einem gewissen Sinne kann man deshalb sagen, das Conrads Improvisation in „Dziady", die eine potensierte Vorstellung von Mickiewicz's eignen Improvisationen gibt, den Höhepunkt der romantischen Dichtung Polens bezeichnet.

Unter den Dichtern hat nur einer, Krasinski, ein offenes Auge für die Gefahren dieses angespannten Phantasielebens, das so geführt wurde — er hat in seinem Drama „Die gottlose Komödie" mit Strenge auf die Charakterschwäche hingewiesen, die dessen Schattenseite war — von den übrigen wird der Dichter als der auserwählte Volksführer betrachtet, nicht myriadminded im allgemeinen, wie der englische Dichter den Poeten nennt, sondern ausschließlich die Menschenmillionen vertretend, die dessen Volk ausmachen. In diesem Sinne muss es aufgefasst werden, wenn Conrad von sich selbst sagt: Ich heiße Million, denn ich liebe und leide für Millionen Menschen.

Die Größe und die Schönheit dieser Auffassung des Genies beruht auf ihrer Enge. Die Genialität ist hier die potensierte Vaterlandsliebe, von welcher angenommen wird, dass sie den Menschen inspiriert und ihn tiefblickend macht. Indem sie ihm Worte in den Mund legt, die alle hinreißen, sichert sie seine Herrschaft über die Geister. In der Improvisation heißt es:

Meine Liebe ruht nicht auf einem einzigen Wesen, wie das Insekt auf einer Kose; auch nicht auf einer Familie oder einem Jahrhundert. Ich liebe ein ganzes Volk. Ich habe in meinen Armen alle die verflossenen und kommenden Generationen umarmt, sie an mein Herz wie ein Freund, ein Geliebter, ein Bräutigam, ein Vater gedrückt. Ich wollte meinem Vaterlande Leben und Glück schenken, es vor allen Völkern der Erde bewundert machen, wenn ich könnte. Aber dazu fehlt mir die Fähigkeit, und ich stehe hier mit aller Macht meines Denkens gewappnet . . . und noch mit dieser Kraft, welche die Menschen nicht geben, dem Gefühle, das in meinem Innern wie in einem Krater brennt, und zuweilen in Worten Ausdruck erhält. . . . Ich bin geborener Schöpfer. Ich habe meine Kräfte aus derselben Quelle, woher Du, Gott, die deinen hast. . . . Bist Du es, der mir diesen mächtigen, durchdringenden Blick gegeben hat, oder habe ich ihn mir selbst dort geraubt, wo Du den deinen geraubt hast. Wenn ich in den Augenblicken, wo ich in meiner vollen Kraft bin, die Augen nach den treibenden Wolken oder den segelnden Zugvögeln hebe, so brauche ich nur zu wollen, und mit einem Blick mache ich sie anhalten, fange sie wie in einem Netz . . . nur die Menschen, verdorben, gebrechlich, wenn auch unsterblich, dienen mir nicht und kennen mich nicht. . . . Aber ich will sie führen, nicht mit Waffen, denn eine Waffe schirmt gegen die andere . . . sondern durch das Gefühl, das in mir ist. . . Lass die Menschen mir werden wie die Gedanken und Worte, woraus, ich, wenn ich will, Poesien baue. Man sagt, dass Du so lenkest. . . . Ich will Macht haben. Gib sie mir oder zeige mir den Weg zu ihr. . . . Meine Seele ist in meinem Vaterlande verkörpert und ich habe in meinem Körper die ganze Seele meines Vaterlandes. Mein Land und ich sind nur Eins. . . . Ich sehe auf mein unglückliches Land mit denselben Augen, womit ein Sohn seinen Vater auf ein Bad geflochten sieht; ich fühle die Qualen eines ganzen Volkes, wie eine Mutter in sich die Qualen ihres Kindes fühlt.“

Das ist nicht die sorglose, nordische Auffassung des Genies als des Auserkorenen des Glückes, der durch ein Wunder mit Leichtigkeit findet, was die Forscher vergebens suchen. Aber Conrad ist ebenso weit davon entfernt den grübelnden Helden zu gleichen, womit George Sand ihn seiner Zeit verglich, einem Manfred oder Faust. Denn die Freuden und Qualen des Gedankenlebens nehmen in der polnischen Poesie bei weitem nicht den hervorragenden Platz ein, wie in der Poesie Deutschlands oder Englands. Der lange und mühsame Freiheitskampf des menschlichen Gedankens, um sich aus der tausendfaltigen Hülle der Vorurteile zu wickeln, sein Versuch die Geheimnisse des Daseins zu durchdringen, der anderwärts mit Vertrauen an den Gedanken als leitende Macht und mit Vertrauen an dessen endlichen Sieg geschildert wird — all dieses kommt hier nur als tollkühnes Streben oder als Ausbruch tragischer Verzweiflung vor.


Denn für alle die Dichter ist im Grunde die von der Religion gegebene Antwort die endliche Antwort. Sie zweifeln mitunter, aber sie verwerfen nie. Sogar, wenn sie sich längst von einzelnen Dogmen des Katholizismus entfernen, sogar, wenn sie Angriffe gegen die Kirche und ihre Priester richten oder das Heilige in eine komische Beleuchtung stellen, entfernen sie sich nicht von dem Grundwalle der Weltauffassung des Christentums.

So sahen wir aus den Briefen Odyniecs über den Aufenthalt in Weimar, dieser liebenswürdigen Beschreibung eines Verkehrs zwischen Genien, Talenten und schönen Damen, dass, so große Bewunderung der Schriftsteller auch für Goethe als Künstler und Gelehrten hegt, er von der Weltanschauung Goethes doch nichts verstand, und wenn auch Mickiewicz sie besser verstanden, ist es doch klar, dass er keine größere Hinneigung zu ihr empfunden hat. Die Reflexionen Odyniecs über Faust sind so feminin wie die der Frau von Stael im Buche „Über Deutschland", und Mickiewicz vermochte in der Naturverehrung und der Naturfrömmigkeit Goethes nichts anderes als Indifferentismus gegenüber einer offenbarten Religion zu erblicken. Ganz im gleichen Geiste drückt sich auch Krasinski aus, wenn er in der Vorrede zur „Morgendämmerung" davon spricht, dass „das phlegmatisch-rasende Verleugnen der deutschen Philosophie nun ins Chaos geführt hat", wenn er also in dem kühn vorgreifenden Versuche, ein positives System der Grundbestimmungen und Grundgesetze des Weltalls zu geben, nur die Negation einer Offenbarung sieht.

Die polnischen Dichter teilten nicht den Vernunftglauben des größten Deutschen, schon weil sie dunkel empfanden, dass mit jenem Glauben, dem menschlichen Begreifen seien nicht feste, unübersteigbare Schranken vorgeschrieben, als notwendiges Supplement der Glaube folge, dass es solche feste Schranken dafür gebe, was unsere Fähigkeit zur Handlung ausrichten könne. Sie bedurften eines Glaubens an die Tatkraft der jugendlichen Begeisterung, wie dieser in der Ode an die Jugend hervortritt, eines Glaubens an Wunder von Mut und Großtat, der wieder den Glauben an das Wunder als Glied der Weltenlenkung voraussetzte, und betrachteten deshalb die Vernunft notwendigerweise als eine sehr begrenzte Fähigkeit. Da sie das Recht haben wollten, das Unwahrscheinliche, das Unmögliche von der Jugend zu fordern, mussten sie sich notwendigerweise eine Enklave für das Übernatürliche im Raume wie in der Zeit sichern.

Endlich fühlten sie Goethe gegenüber stark, dass die Religion, deren sie bedurften, nicht eine Religion der Betrachtung, wie die seine, war, sondern eine Religion der Handlung und des Leidens. Der Pantheismus Goethes konnte ihnen deshalb nicht ihren ererbten Vorstellungskreis ersetzen, der zu Taten anspornte und um Qualen Glorie legte.

Und der sonst übermächtige Einfluss von Byrons Poesien konnte eben so wenig diesen Ideenkreis zersplittern. Sie trafen bei ihm keine entgegengesetzte Überzeugung, nur Zweifel und Fragen. Nimmt man jedoch das Gedankenexperiment vor, dass es Shelley noch bei Lebzeiten gelungen wäre so durchzudringen wie ein halbes Jahrhundert nach seinem Tode, dann würden die Dichter Polens bei ihm die Kombination gefunden haben, die ihnen nirgends begegnete: die hohe und sichere Naturauffassung Goethes vereint mit dem praktischen Enthusiasmus, der starken Hoffnung und dem Glauben an die Wunder der Tatkraft, die sie selbst brauchten und die sie mit Schmerz bei dem Greise in Weimar vermissten; denn Shelley war ewig jung und appellierte wie sie an die Jugend des Gemüts. Wären sie unter seinen Einfluss, anstatt unter den Einfluss Byrons gekommen, so würde die Sache der Geistesfreiheit in Polen in unseren Tagen einen weniger harten Kampf zu bestehen haben. Ohne die religiösen Gefühle ihrer Leser zu verletzen, hätten sie diese dergestalt umformen können, dass die in der Zukunft unvermeidliche Spaltung zwischen den Ideen des Jahrhunderts und dem Gefühlsleben der Nation weniger tief geworden wäre.

Besonders in Conrads großem Monologe in„Dziady" hat Mickiewicz seine Kräfte daran erprobt, eine Weltanschauung zu formen. Der ungeheure Umfang des menschlichen Leidens hat Conrad dazu gebracht, an der Existenz eines Gottes zu zweifeln. Er fühlt sich von Beginn an selbst so stark, wie ein Gott. Die Dichter betrachteten sich in jener Zeit ja gerne als Götter. Das ist die Verwechslung, die in allen Ländern zum Vorschein kommt, sobald die Romantik ihren Gipfel erreicht, dass der Dichter, der in seiner Phantasie den Flug der Vögel und den Lauf der Sterne anhalten, es im Grunde auch in Wirklichkeit tun könne, da er in jener Phantasie eine Gottesmacht besitze; denn nach der romantischen Lehre ist die Phantasie die entscheidende Fähigkeit, die Mensch und Gott gemeinsam haben; die Schöpferkraft der Gottheit ist Phantasie.

Und im Gefühle seiner vermeintlichen Allmacht über die Natur fragt sodann Conrad hinaus in den Weltenraum, ob es eine höhere Macht als seine eigene gebe: „Zeige dich und lass mich deine Überlegenheit verspüren!" Den Widerspruch kann er nicht lösen, dass die Gottheit ruhiger Zuschauer zu den Leiden des Erdenlebens sei: „Ich leide, ich rase! — und vergnügt und sicher regierst du beständig, richtest stets, und man sagt, du irrest nie. Höre mich, falls es wahr ist, dass, was ich schon in der Wiege gelernt und mit einem kindlichen Glauben geglaubt habe, falls es wahr ist, dass du liebst, dass du die Welt liebtest, während du sie schufest . . . . falls ein Herz, das empfindet, nicht ein Naturspiel ist, das vom Zufalle erzeugt wird und stirbt, ehe das Alter kommt; falls in deinem Reiche Gefühl nicht ein gesetzwidriges Ding ist; falls Millionen Unglücklicher, die um Hilfe rufen, in deinen Augen etwas anderes sind, als eine Gleichung, die schwer aufzulösen ist; dann . . . du schweigst! Ich habe dein innerstes Wesen entschleiert . . . mit einer Stimme, die von Geschlecht zu Geschlecht wiederhallen wird, rufe ich es hinaus in das Weltall bis an die äußersten Grenzen der Schöpfung, dass du nicht der Vater der Welt bist, sondern . . . (des Teufels Stimme:) ihr Zar." Man sieht, dass der Dichter Sorge getragen hat, dass der Leser dessen eigenen Gedankengang nicht mit dem des Helden verwechseln könne; denn es ist der Teufel, der hier Conrad souffliert, und die Erbitterung, worunter er spricht, wird ihm von Dämonen beigebracht, die unsichtbar die ihn umgebende Luft erfüllen.

So, aber noch deutlicher, hat auch Krasinski, wo er in „Der gottlosen Komödie" Zweifel zum Ausdruck bringt, die er zu Zeiten vielleicht selbst genährt hat, sie auf die Lippen geisteskranker Männer und Frauen gelegt. Der stärkste Ausbruch des Zweifels, der in den Werken Krasinskis vorkommt, wird in dem Irrenhause ausgesprochen. Dort sagt die kranke Gräfin: „Christus kann uns nicht mehr erlösen. Mit beiden Händen hat er sein Kreuz ergriffen und es in den Abgrund hinab geworfen. Hörst du dieses Kreuz, das die Hoffnung von Millionen von Geschlechtern gewesen ist, in seinem Fall zurückspringen von Stern zu Stern! Es bricht, es zersplittert und mit seinem Staube verdunkelt es das Weltall."

So sehen wir auch, dass der einzige von den Dichtern, der eigentlich an die Philosophie glaubte, der kühne Lyriker Stephan Garczynski, der Kampf dichter der Revolution von 1881, Mickiewicz's Liebling und Nachahmer, derjenige unter allen, der sich als Schüler Hegels persönlich am meisten vom Kirchenglauben entfernt zu haben scheint, in seinem Hauptwerke Waclaw den Helden zwar Mönche und Priester mit harten und wilden Worten angreifen lässt, aber doch in der Weise, dass die Religion unberührt vom Angriffe bleibt. Er wirft den Mönchen vor, dass sie die Denkfähigkeit und Tatkraft durch ihre Lehre töten, aber er selbst glaubt und betet; es ist nicht im Namen des Verstandes, sondern des Gefühls, dass er sich den kirchlichen Formen entwachsen erklärt.

Garczynski's Hoffnung oder Wunsch als Mensch und Dichter war, seine Gefühlswelt mit seiner Vernunft in Harmonie zu bringen, das Reich des Herzens mit dem des Geistes auszusöhnen. Der vierte Gesang seines „Waclaw“, Die Wissenschaft betitelt, zeigt, dass er nicht wie der deutsche Denker, dessen Jünger er war, die Erlösung und das höchste Leben im Denken und dessen Entfaltung zur Wissenschaft sah. Erst die Umkehr von Theorie zur Praxis, die Begeisterung, die vom Gedankenleben zur Tat führt, schien ihm die volle Wahrheit des Menschenlebens in sich zu tragen. Im Kampfe für praktische Ideale allein hörte nach seiner Auffassung der Gegensatz zwischen Gefühl und Vernunft auf, ein Streit zu sein. Und die persönliche Vorliebe des Dichters lag, wie aus dem Gedicht hervorgeht, und wie es zu erwarten war, nicht auf der Seite des räsonnierenden Verstandes, sondern auf Seiten der Begeisterung.

Wir treffen endlich denselben Charakterzug bei Slowacki, sogar wo er in Beniowski seinen großen, leidenschaftlichen Ausfall gegen die Jesuiten macht. Er geht hier so weit, dass er ein Vaterland ohne Zukunft einem Vaterland unter Jesuitenvormundschaft vorzieht. Er überhäuft Rom, ja sogar den Papst mit Hohnwarten, aber er ist so weit entfernt, das Christentum selbst als Geistesmacht in Zweifel zu ziehen, dass er Polen zuruft: Das Kreuz, das ist dein Papst!

Der Erguss könnte für das Empfindungsleben jener Tage nicht bezeichnender sein. Der polnische Priester war bei der Empörung von 1831 mit dem Kruzifixe in der Hand an der Spitze der Truppen geschritten und war in Wirklichkeit die Macht, die den gemeinen Mann an die Unabhängigkeitssache knüpfte. Aber dieser Katholizismus war nicht derjenige Roms. Denn als in demselben Jahre das verschmachtende Polen um Hilfe bittend die Hand nach dem Papste ausstreckte, verwies dieser die Polen an den Zaren, verlangte von ihnen Gehorsam und Unterwerfung, und stempelte die polnische Erhebung als Rebellion. Deshalb konnte auch ohne Widerstand von Seiten des Papstes im Jahre 1833 die erzwungene Bekehrung der unierten Gemeinden stattfinden. Man wandte von russischer Seite Dragonaden von Kosaken an; sie umringten die Dörfer und knuteten die Priester. Dann hielt der russische Pope mit der Peitsche in der Hand Heerschau über seine neue Gemeinde, und in den Militärkolonien wurden die Widerspenstigen wie aufständische Soldaten getötet. Offiziell hieß es von russischer Seite in der Proklamation über dieses Verschmelzen der unierten Gemeinden mit der griechischen Kirche: „Glückliche Vereinigung, die keine Träne gekostet hat! Es ist nur Milde und Überredung angewendet worden." Und der Papst, der einzige Souverän, dessen Pflicht es war, das Äußerste für Polen zu tun, sah zu, ohne Protest einzulegen. Es lässt sich daher verstehen, dass Slowacki im Jahre 1841 gleichzeitig seinen Abscheu vor dem Papste und sein Vertrauen zu Kirche und Kreuz aussprechen konnte. Gleichwohl deutet vieles darauf hin, dass er, wenigstens bis zu der letzten Zeit, wo er von Towianski benommen wurde, skeptisch und schwankend in seinem Glauben gewesen sei. Die Vorrede zu Lambro mit ihrem Ausfall gegen die Dichter der religiösen Schule und mit ihrem scharfen Blick für das Falsche und das Künstliche in den Theorien Friedrich Schlegels ist ein Zeugnis dafür. Es ist auch nicht ohne Bedeutung, dass in seiner Jugendtragödie Mendog, ebenso wie in seiner Dichtung Der Mönch, der Übergang vom Heidentum oder Muhammedanismus zum Christentum, gleichviel ob aus Berechnung oder aus Glauben vollbracht, als unheilbringend, Fluch und Hass der Nächsten hervorrufend, dargestellt wird. Jedenfalls ist es für die polnische Romantik sehr eigentümlich, dass der mit der Bekehrung folgende politische Abfall von den alten Sitten des Volkes oder von der Gemeinschaft mit Landsleuten als so unverzeihlich geschildert wird, dass kein Steigen zu einer höheren religiösen Lebensauffassung dafür entschädigen könne.