Zweite Fortsetzung


Gleich unten am Strande befindet sich die Terreiro da Se, eine höchst angenehme, mit Bäumen bepflanzte, von einer Mauer eingefasste und mit Sitzen reichlich ausgestattete öffentliche Promenade, die sowohl am Tage als namentlich abends den Sammelplatz der Einwohnerschaft Funchals bildet. Die Baumpflanzung scheint absichtlich aus den verschiedensten Arten zusammengesetzt zu sein, um dem Fremden sogleich beim Betreten der Insel die Mannigfaltigkeit ihrer Vegetation vorzuführen, und wahrlich, man muss auf ein herrliches Klima schließen, wenn die in den üppigsten Laubbüscheln prangende Eiche, der Rhododendron, der Apfelsinen-, der Korallenbaum, die Platane und die Palme gleich kräftig nebeneinander gedeihen.

In der Tat besitzt auch die Insel ein herrliches Klima, das schönste in der Welt.


Auf der Grenze der Tropen liegend und rings umgeben von den Fluten des Ozeans, herrscht auf Madeira ein ewiger Frühling und die Glut der Sonne wird durch das Meer gekühlt. Es gibt wohl kein Land auf der Welt, wo ein geringerer Temperaturwechsel stattfindet als hier, und dies sowie die warme feuchte Lust macht Madeira zum Eldorado der Schwindsüchtigen, wo Heilung erfolgt, wenn sie noch möglich, und wo die Krankheit zum Stillstand gebracht oder mindestens aufgehalten wird, wenn vollständige Genesung nicht mehr erwartet werden darf.

Nach achtzehnjährigen Beobachtungen wurde die mittlere Monatstemperatur wie nachstehend gefunden: Januar 64°,18; Februar 64°,3; März 65°,8; April 65°,50; Mai 65°,53; Juni 69°,74; Juli 73°,45; August 75°,2; September 75°,76; Oktober 72°,5; November 69°,8; Dezember 65° Fahrenheit, mithin während des ganzen Jahres nur eine Differenz von kaum 11° Fahrenheit oder 5° Réaumur.

Schlechtes Wetter kommt während der neun Sommermonate gar nicht, während des Winters äußerst selten vor und beschränkt sich auf etwas Wind und Regen. Die Winterstürme sind mäßig; nur zweimal in diesem Jahrhundert wurde die Insel von einer Sturmflut heimgesucht, die allerdings großes Unglück anrichtete. Im Jahre 1803 wurden von der Flut 400 Personen verschlungen, und ähnliche Verwüstungen richtete die zweite am 24. Oktober 1842 an.

Am 15. Oktober erschien die Insel wie unter einer einzigen großen Wolke begraben, die eine nächtliche Finsternis verbreitete. Ein wolkenbruchartiger Regen entlud sich aus ihr, der später an Stärke zwar etwas nachließ, aber ohne Unterbrechung neun Tage lang andauerte. Dasselbe wiederholte sich am 24. Oktober; und um 1 Uhr erschien plötzlich eine furchtbare Flutwelle in der Bucht von Funchal, die, mit gewaltiger Kraft gegen die Küste stürmend, die niedrig gelegenen Teile der Stadt überschwemmte, welche schon durch die angeschwollenen Gebirgsströme bedroht waren, und bei ihrem Rücklauf 200 Gebäude mit sich fortriss. Am 26. Oktober wehte ein Orkan aus Süden, der sechs in der Bucht ankernde Schiffe auf den Strand warf und sie total zertrümmerte, während fast ihre gesamten Mannschaften in den Wellen begraben wurden.

Diese Fälle sind jedoch Abnormitäten, welche in besonderen Naturereignissen ihren Grund haben und keinen Maßstab für gewöhnliche Zustände abgeben können.

Madeira wird von Brustkranken aus allen Teilen der Welt aufgesucht. Im Winter befinden sich durchschnittlich 2.000 Fremde auf der Insel, die dort Genesung von ihren Leiden suchen. Meistens sind es Engländer, jedoch gehen jetzt auch viele Deutsche dahin.

Wenn man durch die Straßen Funchals wandert oder morgens einen Spazierritt in die höher gelegenen Partien des Landes macht, begegnet man sehr häufig den Kranken, die je nach ihrem Zustande zu Pferde oder zu Wagen die liebliche erfrischende Morgenlust mit vollen Zügen einschlürfen. Langsam und geräuschlos gleiten die mit Ochsen bespannten Schleifenkutschen über das Straßenpflaster, und in unserer durch die reizenden Umgebungen und den prachtvollen Morgen froh und heiter gestimmten Seele erklingt ein schmerzlicher Misston, wenn wir durch die Vorhänge des dichtverhüllten Wagens die bleichen leidenden Züge eines solchen Unglücklichen erblicken, der selbst am Rande des Grades, vielleicht mit um so größerer Lust, sich an das sprossende blühende Leben klammert, das ringsum in reicher Fülle ihn anlacht. Wer weiß, ob nicht schon in wenigen Tagen der schwellende Rasen ihn deckt, dessen duftiges Aroma ihn heute noch erquickt. Dort kommt ein anderer Trauerzug. der unser freudevolles Herz mit wehmütigem Mitleid erfüllt. Zwei kräftige Männer der Insel, mit weißen Hemden und Beinkleidern und der kleinen sonderbar geschwänzten Kappe auf dem schwarzen dichten Haupthaare, tragen an einem Bambusrohre eine Hängematte, deren Kopfende durch einen von der Stange herabhängenden Teppich gegen die Sonnenstrahlen geschützt ist. Behutsam, gleichmäßig schreiten sie vorwärts, damit ihre Last vor jeder Erschütterung bewahrt bleibe. Eine Kranke ruht in der Matte; ein junges Mädchen in der Blüte der Jahre, aber bereits gebrochen in der Fülle der Jugend und den Todeskeim in der wunden Brust tragend, schwebt an uns vorüber. Ihre großen blauen Augen, aus denen noch vor kurzer Zeit Lust und Leben strahlte, schweifen matt und glanzlos über die prachtvolle Morgenlandschaft; über ihre feinen Züge hat bereits der Todesengel seinen Schleier ausgebreitet und auf ihren Wangen blühen die Kirchhofrosen. Wird auch dieser Ärmsten die Insel ein Retter sein? Sie kam wohl zu spät hierher, und bald schläft auch sie in der kühlen Erde, wo schon so viele Hunderte ihrer Leidensschwestern Erlösung fanden. Möge die Erde ihr leicht sein!