Privilegium des Grundbesitzes.

Eine Reihe moderner Reformvorschläge sieht das Heil der wirtschaftlichen Gerechtigkeit in der Beseitigung der persönlichen Freiheit für die Bewirtschaftung des Grund und Bodens, in der Erklärung seiner ursprünglichen Naturkraft als Eigentum der Gesamtheit und in der Verteilung der ihr zu dankenden Rente auf die einzelnen nach Maßgabe ihrer Arbeitsleistung im ganzen, sonach Gesamteigentum statt Privateigentum am Grund und Boden.

Die Erörterung dieses Problems lässt sich in zwei prinzipiellen Fragen zusammenfassen?


1. Findet nicht bereits unter der Herrschaft des auf der persönlichen Freiheit beruhenden Einzeleigentums an Grund und Boden eine gerechte Übertragung der auf das ausschließliche Wirken der ursprünglichen Naturkraft zurückzuführenden Rente auf die Gesamtheit statt?

2. Gibt es für diese Aufgabe eine bessere Wirtschaftsordnung als das System des Einzeleigentums an Grund und Boden, und des darauf beruhenden freien Verkehrs der Produkte, selbstredend vorbehaltlich fortschreitender Vervollkommnung der Einrichtungen innerhalb dieses Systems?

Zur ersten Frage:

Das Endziel jeder wirtschaftlichen Tätigkeit bezieht sich unmittelbar oder mittelbar auf die Herstellung von Erzeugnissen für den menschlichen Genuss und bei jedem Erzeugnis ist die ursprüngliche Naturkraft neben der menschlichen Arbeit beteiligt. Sie ist das den Menschen als Mitgift gegebene Stamm- und Erbgut, mittätig in jeder Produktionsart und Form, aber der Verwilderung preisgegeben, wenn sie nicht durch die menschliche Arbeitsvernunft in einer mehr oder minder langen Kette teils aufeinanderfolgender, teils gleichzeitiger schaffender Akte (Rohstofferzeugung in der Landwirtschaft, Veredelung in den Gewerben, und Überleitung an die richtige Genussstelle durch den Handel) lebendig gehalten und in steigender Vervollkommnung nutzbar gemacht wird. Aber ebensowenig wie früher die Lehre der Physiokraten, welche die Erde als die einzige Quelle aller Güter erklärte, ist die moderne, mehr oder minder kommunistische Behauptung, dass die Arbeit der alleinige Schöpfer sei, berechtigt. Beide, die Natur als Kraft des ganzen und die Arbeit als Kraft des einzelnen, ergänzen sich, keines ist das willenslose Werkzeug des anderen, oder die alleinige Quelle der Produktion. Nur aus ihrem Zusammenwirken können die Güter entstehen — das Kapital, das entweder zum Genuss verwendet, oder als Produktionsmittel für den weiteren Fortgang des Produktionsprozesses benutzt wird. Wäre die Arbeit allein die schaffende Kraft, müsste die gleiche Leistung auch stets Gleichwertiges hervorbringen. Da jedoch die gleiche Arbeit je nach der verschiedenartigen Qualität der ursprünglichen Fruchtbarkeit der Bodenkraft, hier schlechte Erzeugnisse in geringen Mengen, dort die wertvollsten in großen Mengen gewinnen lässt, und trotzdem nach Recht und Billigkeit nur den gleichen Lohn beanspruchen kann, ist klar ersichtlich, dass bezüglich des nicht auf Arbeit zurückzuführenden Ertrags des Grund und Bodens — der Naturrente — ein selbständiger Verteilungsakt stattfinden muss. Mit anderen Worten: Neben dem Recht auf individuellen Arbeitslohn steht das angeborene Recht aller auf die Mitbenutzung der Naturrente als Geschenk der ursprünglichen Bodenkraft im ganzen. Dieses Recht der Gesamtheit muss bis zum Ende des ganzen Produktionsprozesses, also durch die drei obengenannten großen Produktionsstufen der Rohstofferzeugung, Gewerbe- und Handelstätigkeit gewahrt werden. Der Umstand, dass innerhalb dieser Entwicklung der bis zu einer Stufe gemachte Arbeitsaufwand zusammen mit der Naturrente in einem festen Wertkörper, dem Kapital fixiert, als solcher rechtlich zum Gegenstand des Einzelbesitzes erklärt und in den weiteren Produktionsstufen als Produktionsmittel benutzt wird, darf keineswegs der Schlussentscheidung über die Frage präjudizieren, ob der auf die Naturkraft zurückzuführende Anteil wirklich der Gesamtheit oder nur den an dem einzelnen Produktionsprozess Beteiligten zu gute kommt. Es handelt sich hier nur um Zwischenabrechnungen, die für die Beteiligten privatrechtlich bindend sind, aber auf deren Einzelrisiko mit der Gefahr der Verlust- oder Gewinnchance laufen.

Der Verteilungsakt findet in dem Preise statt, der am Schlüsse des Produktionsprozesses bei der Genussstelle anerkannt und geleistet wird. Hier spricht die Gesamtheit das entscheidende Wort über ihren Anteil an der Naturrente und weist die Arbeit und Kapitalabrechnungen der Vorstufen auf ihren wirklichen Wert nach oben oder unten an. Die privatrechtlichen Abmachungen der Vergangenheit bleiben unberührt, aber der Kurs für die kommenden steigt oder fällt je nach dem Stande dieser Schlusspreise. Wenn der Ausfall der Rohstoffernte in Quantität und Qualität günstig ist, hat die gesamte Produktion und der Verbrauch unmittelbar oder mittelbar den Vorteil. Die Grundbesitzer sind, soweit es sich nur um die diesen Vorteil schaffende ursprüngliche Bodenkraft handelt, tatsächlich nur Verwalter für Rechnung des Ganzen, sie empfangen deren Ertragsleistung — die Naturrente — und überweisen den Nichtgrundbesitzern ihren Anteil im Wege der Preisbewegung. Sie selbst erhalten gleich den Produzenten der übrigen Stufen für ihren zum Ankauf des Grundstückes und für die ausgeführten Bodenkulturen gemachten Kapitalaufwand Zins, für ihre Arbeit Lohn und Unternehmergewinn und in diesen Einnahmen kommt auch der auf die Grundbesitzer entfallende Anteil an der durch den Wechsel des Ernteertrages bestimmten Höhe der Naturrente zum Ausdruck. Die Auseinandersetzung über eine gerechte Verteilung der Naturrente zwischen ihren Verwaltern, den Grundbesitzern und den übrigen, den Nichtgrundbesitzern, ist der Kernpunkt der agrarischen und sozialen Kämpfe aller Zeiten und Orte.

Zur Klärung dienen hierbei zwei Grundsätze: Zunächst die Erkenntnis, dass die sich in der Verschiedenartigkeit der Bodenqualität und dem wechselnden Ausfall der Ernte bei sonst gleichbleibenden Verhältnissen kundgebende Naturkraft keineswegs zum Kapital (auch nicht zu dem sogenannten unbeweglichen Kapital) gehört, sondern neben der Arbeitskraft der Erzeuger des Kapitals ist, und sich daher weder als bewegliches noch als unbewegliches Kapital im Privateigentum befindet. Sie wird, sofern keine Gewaltakte dazwischen treten, durch die Bewegung der Preise, Löhne und Zinsen auf die Gesamtheit übertragen und nur als deren Glieder beziehen die Grundbesitzer ihren Anteil. Dass hierbei die Besitzer der in der Bodenqualität besseren Grundstücke einen größeren Anteil — eine Prioritätsrente — gegenüber den Besitzern der schlechteren Grundstücke erhalten, ist eine rein innere Angelegenheit der Grundbesitzer unter sich über die Verteilung der auf den Grundbesitz als Rohstofferzeuger im ganzen entfallenden Quote der Naturrente.

Der zweite Grundsatz betrifft die Erkenntnis, dass die Nichtgrundbesitzer dem Grundbesitz nicht im einzelnen, sondern nur im ganzen gegenüberstehen und hiernach an der Prioritätsrente, die beim Kauf eines Grundstücks neben der in demselben enthaltenen Kapitalmenge bezahlt wird, überhaupt nicht beteiligt sind. Man darf nicht zwei völlig verschiedene Dinge zu einem absoluten Gesetz vermengen, einesteils die öffentlichrechtliche Frage des Verhältnisses des Einkommens aus dem Grundbesitz im ganzen zu demjenigen aus den übrigen Besitz- und Arbeitsformen und andernteils die Stellung der Grundbesitzer unter sich in Bezug auf die Verschiedenartigkeit der natürlichen Fruchtbarkeit der einzelnen Grundstücke — eine innere Frage des Grundbesitzes privatrechtlichen Charakters. Für die Gesamtheit ist es ohne Interesse, ob 1.000 Kilogramm Getreide von A und B je zur Hälfte oder von ersterem zu 2/3, von letzterem zu 1/3 produziert werden. Die Gesamtheit hat nur ein Interesse daran, dass die Naturrente nicht ein Rentenprivilegium des Grundbesitzes wird. Diese Gefahr läge nahe, wenn die Annahme, dass die Bevölkerungsvermehrung stärker sein müsse, als die Rohstoffgewinnung, richtig wäre. Es würde sich dann um das allmähliche Entstehen und Wachsen einer Seltenheitsrente handeln, gegen die jede Wirtschaftsordnung ohnmächtig wäre. Zeitliche und örtliche Seltenheiten sind vorübergehend möglich, können aber ebenso überwunden werden, wie solche bei der Arbeit und dem Kapital. Ein ständiges Zurückbleiben der Bodenkraft hinter der Volksvermehrung ist dagegen im Rahmen des Weltverkehrs und der technischen Entwicklung ein leeres Phantom, wie die Übervölkerungslehre oder Prophezeiungen über Veränderungen des Erdkörpers oder die Unhaltbarkeit der persönlichen Freiheit wegen Degeneration der Menschheit. Jedenfalls kann die Jetztzeit sich nicht nach Grundsätzen einrichten, die für Eventualitäten, deren Eintritt auch in unübersehbarer Zeit zweifelhaft ist, vielleicht nützlich sein können 1).

Das die persönliche Freiheit schützende Einzelbesitzrecht am Grund und Boden ist hiernach kein Hinderungsgrund für die Zugänglichmachung der ursprünglichen Bodenkraft für die Gesamtheit, kein Klassenprivilegium, das Anlass zu einer Vorausbelastung des Grundbesitzes bei Verteilung der öffentlichen Lasten geben könnte.

Zur zweiten Frage:

Das Besitzrecht ist die einzig mögliche Ordnungsart, die einerseits durch die Verantwortlichkeit und Unternehmungslust des Einzelbesitzers die größtmögliche Förderung der ursprünglichen Bodenkraft im Interesse des Ganzen gewährleistet, anderseits durch die freie Konkurrenz die Bildung eines Privilegs verhindert. Wie soll durch Verordnungen einer von schwankenden Mehrheiten abhängigen Zentralgewalt und eine mechanisch zusammengewürfelte Arbeiterschaft mit einer Menge von Aufsicht und Kontrollen die Bodenkultur mit ihren verschiedenartigen, zahlreichen und zersplitterten Arten, mit ihren vielfachen und plötzlichen äußeren Beeinflussungen für die Gesamtheit nutzbringender gestaltet werden, als durch den Einzelbesitz als Sonderberuf mit persönlicher Verantwortlichkeit, Eigenart und Tradition wurzelnd in dem festen Boden der Familie? Keine Produktion verträgt die Arbeitsnivellierung und den Wechsel weniger und erfordert mehr Sesshaftigkeit und Ständigkeit in der Berufs- und Lebensführung als die Rohstofferzeugung, die Bodenkultur, in welcher der wirtschaftliche und soziale Nutzen eines intensiven, individuellen Kleinbetriebs eine größere Rolle spielt, als die Maschine. Dem modernen Staat liegt hier im wesentlichen die Aufgabe ob, einseitige Entwicklungen in den Beziehungen einerseits der Grundbesitzer und Nichtgrundbesitzer, andererseits der Grundbesitzer unter einander zu verhüten.

Was die ersteren Beziehungen anlangt, so ziehen bei günstigem Ernteausfall die Grundbesitzer aus der Vermehrung der verkäuflichen Rohstoffeinheiten, die Gewerbetreibenden aus dem erleichterten Bezug der Rohstoffe, der Handel aus der Vermehrung der Umsatzmenge, die Lohnarbeiter aus der Besserung der Löhne, die Konsumenten aus der Preisermäßigung — kurz alle einen Vorteil. Darin, dass bei besserem Ernteausfall der Wert der Gütereinheit sinken kann, ohne dass sich die Gesamteinnahme der Grundbesitzer im ganzen verschlechtert, liegt der Schlüssel zu dem Übertragungsprozess der Naturrente 2). Die Verbilligung der Mengeneinheit verbessert die Lage auf allen Stufen des Schaffens und Verbrauchs ohne Steigerung des Arbeitsund Kapitalaufwandes. Bei ungünstigem Ernteausfall treten überall die gegenteiligen Wirkungen ein.

Angesichts dieser Schwankungen ist auf zwei Punkte besonders zu achten, nämlich dass der Grundbesitz zu dem ihm gebührenden Gesamtanteil an der Naturrente kommt und dass die Lohnarbeiter durch den Anschluss der Detailpreise an die sinkenden Großhandelspreise Nutzen ziehen. Wenn die steigende Roheinnahme des Grundbesitzes aus Anlass des günstigen Ernteausfalls durch Steigerung der Betriebsausgaben aus anderen Gründen (z. B. wegen Arbeitermangels) wieder aufgehoben wird, wäre es eine falsche Wirtschaftspolitik, einer solchen ungesunden Entwicklung, deren Rückschlag auf die Gesamtentwicklung unvermeidlich ist, teilnahmslos gegenüberzustehen. Ein gleich großer Fehler wäre es, wenn die Lohnbewegung dadurch, dass sie sich den Schwankungen der Naturrente nur periodisch nach gewissen Beharrungszuständen anschließen kann, während in der Zwischenzeit der Besitz das Risiko der Schwankungen auf und abwärts trägt, in seinem Anteilsrechte an der Naturrente verkürzt würde.

Was das Verhältnis der Grundbesitzer unter sich betrifft, so besteht eine ähnliche Prioritätsrente, wie sie der Besitzer des von Natur aus fruchtbareren Grundstückes gegenüber den weniger fruchtbaren bezieht, auch in den übrigen Produktionszweigen infolge unermesslicher Bewegungen, die niemand beeinflussen kann und die doch entscheidend für Gewinn und Verlust sind. (Verschiedenartigkeit der Arbeitsbefähigung, des Klimas, der Konsumbewegung, Änderungen in Technik und Verkehr). Alle diese Prioritätsrenten sind keine isolierten, ständigen Werte; über ihre Bedeutung wird vielmehr erst in der allgemeinen Wertbewegung abgerechnet. Auch für den Grundbesitz gibt es keine absolut feststehende, sondern nur eine relativ in Verbindung mit anderen Faktoren zu schätzende Bodenqualität; die bessere Qualität ist keine für alle Verhältnisse gleich realfundierte Rentenquelle, sondern eine dem Wechsel unterworfene Teileigenschaft eines Gesamtwertes. Sie wird beim Erwerb eines Grundstücks im Kaufpreise natürlich in Berechnung gezogen, aber nur mit dem Risiko ihres Wechsels, nicht als ein für allemal feststehendes garantiertes Wertverhältnis. Was für die Bedürfnisse der Gegenwart als qualitätsreicher Boden gilt, kann für diejenigen der nächsten Zukunft als Boden geringerer Brauchbarkeit gelten und umgekehrt. Die Absatzfähigkeit und Marktlage, die Konkurrenz gleichartiger Stoffe, Tüchtigkeit der Bewirtschaftung, Technik der Produktionsmethoden wirken auf die Qualitätsstellung zurück, nicht nur im Einzelverkehr, sondern auch in dem Wettbewerb der Länder. Weder das Unverdienst beim Qualitätszuwachs, noch das Unverschulden bei ihrer Minderung können als Argument für die Notwendigkeit eines Gesellschaftseigentums benutzt werden. Die Beziehungen der Rohstofferzeugung zu der übrigen Produktion sind eine sehr komplizierte Maschinerie, in allen Einzelheiten aus innerer Lebenskraft der Teile tätig unter dem privatwirtschaftlichen System, rein mechanisch tätig von einer auswärts stehenden Kraft automatisch geleitet unter einem kommunistischen System.