Pflicht, Schutz und Recht der Arbeit.

Arbeitspflicht. Die Verantwortlichkeit des einzelnen, ohne die eine persönliche Freiheit nicht denkbar ist, bezieht sich in erster Reihe auf die Pflicht des einzelnen, aus eigener Kraft für seine wirtschaftliche Existenz zu sorgen, d. h. auf die Notwendigkeit der Arbeit. Wer gegen dieses Gebot, das die persönliche Freiheit durch Verbindung von Recht und Pflicht zur sittlichen Freiheit erhebt, fehlt, muss büßen. Diese Pflicht setzt aber eine wirtschaftliche Gesamtentwicklung voraus, die dem einzelnen die Verwertung seiner Arbeitskraft ermöglicht, und Raum für eine richtige Wertung der verschiedenen Arbeitsverrichtungen gibt. Gegenüber dem aus der Theorie der Übervölkerung und des steigenden Privilegiums des Grundbesitzes gezogenen brutalen Satz, dass der Mensch, der in einer schon okkupierten Welt geboren werde, ohne dass die Gesellschaft seine Arbeit nötig habe, zu viel auf der Erde sei, ist die Anerkennung des Rechts des einzelnen auf Existenz die Pflicht jeder Wirtschaftsordnung, und die Wegräumung der Hindernisse, die der Verwirklichung dieses Grundsatzes entgegenstehen, die Aufgabe des modernen Staates.

Allerdings sind die Arten der Arbeit verschieden: körperliche und geistige, rein mechanische und technisch eigenartige, abhängige und selbständige Arbeiten mit zahlreichen Mischformen und den verschiedenartigsten Wertabstufungen. Trotzdem ist die Güte der wirtschaftlichen Gesamtentwicklung von der Brauchbarkeit auch des kleinsten Teiles abhängig. Jede Arbeit ist das eigene subjektive Verdienst des Arbeiters; das individuelle Schaffen auf allen Teilstufen hält das Ganze und der wirtschaftliche Mechanismus darf keine Kleinigkeit kennen. Ist die Frage, ob geistige oder körperliche Arbeit wichtiger sei, nicht gleichmäßig, wie der Streit, ob Kraft oder Stoff den Vorzug verdienen? Beide sind sich gegenseitig unentbehrlich. Kann ohne die mechanische Arbeit an der Maschine eine Qualitätsarbeit sich entwickeln? Die automatische Arbeit der Maschinenkraft, dieses Wahrzeichen der modernen Welt, gereicht wie jeder technische Fortschritt, der Zeitersparnis und Vermehrung der Produktion bringt, der Gesamtheit zum Vorteil und dient, da ihre Vervollkommnung der Bevölkerungszunahme stets vorauseilt, zur Verbesserung der allgemeinen Lebenshaltung. Allerdings hat die Maschine, deren Kraft nicht nur darin liegt, was sie ist, sondern was sie werden kann, die Zahl der Lohnarbeiter für mechanische Dienstverrichtungen ungeheuer vermehrt, und das Massenproblem im Gegensatz zu der Qualitätsarbeit gesteigert, aber nicht durch Einschränkung der letzteren, sondern durch die Bevölkerungsmehrung, deren wesentlichste Ursache sie ist.


Aus dieser Einheit des Arbeitsprozesses im ganzen, dem inneren Zusammenhang und der gegenseitigen Unentbehrlichkeit aller notwendigen Arbeitsverrichtungen ergeben sich für die auf der persönlichen Freiheit beruhenden Wirtschaftsordnung, abzusehen von der später erörternden Auseinandersetzung über die Einzelwerte, folgende drei Grundforderungen:

a) Der geringste technische Fortschritt, der irgend einen Nutzen im Ganzen bringt, dient als Motor der Kultur, und die wirtschaftliche Entwicklung hat die für die Überleitung des durch die technischen Errungenschaften entstehenden Mehrnutzens an die Gesamtheit erforderlichen Lebensformen zu schaffen, sowohl bei der körperlichen Arbeit, wo leicht zu übersehen ist, wer den Nutzen beanspruchen kann, als bei der geistigen, wo häufig erst die Zukunft über den Wert der Arbeit entscheidet.

b) Jedem muss je nach seinem Arbeitswillen, seinen natürlichen Anlagen, und durch die Ausbildung gewonnener Fähigkeiten der Eintritt in die besseren Arbeitsstufen offen stehen, weil ohne diese Möglichkeit der Gesellschaft der Kraftzuwachs für ihre Lebensfähigkeit, die regelmäßige Erneuerung durch die Tüchtigen fehlen würde. Frisches Blut in den oberen Schichten befestigt ihre Autorität.

c) Das Vorwärtskommen des einzelnen darf nicht an der Unmöglichkeit oder dem Mangel der Ausbildung scheitern; vielmehr muss die Lernbegier, einer der wichtigsten Triebe des Menschen und die Voraussetzung für die Arbeitstüchtigkeit durch die Erleichterung der Ausbildung in jeder Weise gefördert werden. Neben dem Wirken einzelner überragender Personen kommt es auf die Brauchbarkeit der Leistungen mehr oder minder allgemeiner Art, der Hebung des allgemeinen Niveau geistiger und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit an. Nur in den gelehrten Berufen ist die Mittelmäßigkeit entbehrlich, die Überfüllung eine Quelle schwerer Entsagung, und die Prämiierung der Menge zweckloser Bildungsaufwand. Dagegen fallen die mittlere Fachausbildung und technische Schulung, unter Fernhaltung zu hoch gespannter Arbeitsmethoden, besonders ins Gewicht, weil hierauf das Streben der Menge gerichtet ist, und hier die Läuterungsstufe für das generationsweise Aufsteigen der Gutveranlagten liegt.

Vor allem bedeutungsvoll ist die Erziehung der Jugend. Zwar ist die Ausbildung eine Aufgabe für das ganze Leben; aber während der Zeit der jugendlichen Unselbständigkeit hat das Ganze eine Fürsorgepflicht, die sich bis zum Rechte der Suspendierung des Erziehungsrechtes der Familie im einzelnen steigern kann. Im Verfall der Jugend setzt der Niedergang von Generationen ein, und wenn Alt und Jung sich nicht verstehen, so ist dies der Fluch traditionsenger Erziehungsmethoden und des Mangels an guten Beispielen. In dem Konflikt, inwieweit die Schule die sittliche oder die wirtschaftlich praktische Ausbildung in den Vordergrund zu stellen hat, kann kaum ein Zweifel darüber bestehen, dass sie innerliche Leute mit einheitlicher Gesinnung und Charakter statt mit Zerfahrenheit bilden, die individuelle Persönlichkeit und das Gefühl der Verantwortlichkeit entwickeln, aber auch frühzeitig auf die technische Grundlegung für den künftigen Beruf Bedacht nehmen soll. Sie soll lehren, dass die Selbstsucht in der Hingebung an Gleichgesinnte Erlösung findet, dass für das Handeln nicht der subjektive Wunsch, sondern die objektive Wirkung entscheidend ist, und wirtschaftliches und sittliches Handeln sich vereinen müssen. Im übrigen ist die Ausbildung mit allgemeinen Kenntnissen um so notwendiger, je mehr der Staat Wert darauf legen muss, dass die öffentlichen Angelegenheiten nicht von Spezialgelehrten, sondern von den Tüchtigsten ohne Rücksicht auf den Beruf geführt werden. Für die gelehrten Berufe ist eine Vorschulung im abstrakten Denken unentbehrlich; für die Mehrzahl aber kann bei der Unermesslichkeit des Wissensgebietes neben der Berufserziehung nur die Grundlage für Fortbildung in späteren Lebensabschnitten geschaffen werden, lieber die Pflicht des modernen Staates bezüglich der Einrichtung öffentlicher Bildungsanstalten unter Fernhaltung jeder Einseitigkeit bedarf es keiner näheren Erörterung. Sie gehört zu den Hauptforderungen der persönlichen Freiheit.

Arbeitsschutz. Das wichtigste Humanitätsziel der modernen Volkswirtschaft liegt in der Aufgabe, zu verhüten, dass die Arbeitspflicht zur Tyrannin der persönlichen Freiheit, die Menschheit zur Sklavin eines rücksichtslosen Arbeitsfanatismus wird, der von der Furcht, den Besitz zu verlieren, und der Hast, mehr zu besitzen, allein beherrscht wird. Die Arbeit ist doch nur ein Mittel, um zum inneren Frieden auf einer durch Pflichterfüllung gewonnenen wirtschaftlichen Grundlage zu gelangen. Auf die richtige Zeiteinteilung kommt es oft mehr an als auf ein Übermaß von Arbeit; zu viel Arbeit kann so schlimm wie Trägheit sein. Der Streit, ob für die Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer der freie Arbeitsvertrag unter Gleichberechtigten, oder das patriarchalische Herrschafts- und Fürsorgesystem als Norm gelten soll, berührt nur die äußere Seite. Gleichviel welche rechtliche Form das Arbeitsverhältnis annimmt, keine kann gewährleisten, dass der einzelne die Arbeitsgelegenheit nötigenfalls nicht unter den drückendsten Bedingungen annehmen muss. Alles kommt hier auf die tatsächliche Wirkung an. Daher gilt für jegliche Arbeit, nicht nur für Lohnarbeit, die Forderung: Schutz gegen Unlauterkeit im Wettbewerb und gegen Missbrauch. Die Ziele sind klar, lassen sich aber nur im Verhältnis der Gesamtentwicklung verwirklichen, da vorzeitiges Eingreifen auf der einen Seite größere Nachteile, als auf der anderen Vorteile bringen kann. In einer unter der allgemeinsten Öffentlichkeit sich vollziehenden Wirtschaftsordnung werden das ungeschriebene Gesetz des öffentlichen Gewissens, das natürliche Verhältnis des Menschen zum Menschen, die Macht des Beispiels zur Ausführung des Reifen drängen und die Entwürdigung bekämpfen.

Im allgemeinen sind die Fälle, in denen die Gesetzgebung feste Rechtsnormen trifft, auseinander zu halten von der administrativen nicht rechtsverbindlichen Fürsorge. In der ersteren Kategorie muss die Rechtsvorschrift nicht durch wirtschaftliche Interessen, sondern durch ein zwingendes Sittengesetz begründet sein. Hierher gehören die einschränkenden Maßregeln bezüglich der Frauen- und Kinderarbeit, der Nachtarbeit, der Arbeitsruhe zum Schutze der Existenz des Arbeiters. Für die fakultative öffentliche Fürsorge ist das Arbeitsfeld vorsichtig, aber mit Festigkeit zu ziehen. In ihr Bereich gehören diejenigen gemeinnützigen Unternehmungen, die von der Privattätigkeit mangels hinreichender Einheitlichkeit, Autorität und Verantwortlichkeit trotz eifrigen Strebens nicht genügend gefördert werden können, vor allem Wohnungs- und Gesundheitsfragen. Nichts ist gefährlicher als Zwiespältigkeit in der Verantwortung.

Von Bedeutung sind weitgehende Dezentralisation, da es sich zumeist um örtlich verschiedene Voraussetzungen und Detailarbeit handelt, ferner für das Gebiet des Arbeitsschutzes überhaupt öffentlichrechtliche, außerhalb des Interessenkreises stehende Aufsichtsorgane. Ein Zensoramt, das über Recht oder Missbrauch der persönlichen Freiheit entscheiden soll, darf nicht Delegierten der Beteiligten übertragen werden. Die Aufsichtsorgane müssen sich von Einseitigkeit, Machthaberei, Kleinlichkeiten und Geheimwegen freihalten.

Andere Gesichtspunkte spielen bei der Forderung einer gesetzlichen Normalarbeitszeit für die Lohnarbeiter mit mechanischer Tätigkeit mit. Ihr Vorbote ist die Beseitigung der Akkordarbeit. Würde mit diesem ohnedies für die Tüchtigkeit verhängnisvollen Schritte noch eine Normalarbeitszeit verbunden, so würde den tüchtigeren Arbeitern das Recht der Mehrarbeit, bei günstigen Konjunkturen zum Zwecke besserer Einnahme, bei ungünstigen zur Ausgleichung des Lohnrückgangs untersagt. Also: Arbeiterinteresse gegen Arbeiterinteresse mit dem Kernpunkt: Verkürzung des Einkommens der tüchtigeren Kräfte durch Einschränkung ihrer persönlichen Freiheit, um für die Schwächeren Arbeitsgelegenheit und Lohnbesserung zu sichern. Eingriff der öffentlichen Gewalt in die Lohnbewegung unter dem Deckmantel des Arbeitsschutzes. Ganz abgesehen von der Verschiedenartigkeit und dem Wechsel der Konjunkturen und Produktionsbedingungen, die eine feststehende allgemeine Regelung erschweren, wäre ein Zwang aus Humanitätsrücksichten auf Kosten der Tüchtigkeit der Arbeit ein sehr bedenklicher Rückschritt. Das Lebensbedürfnis gering halten, die wirtschaftliche und geistige Lebensführung einschränken, um wenig Arbeit leisten zu müssen, ist Niedergang. Nur als Schutzmittel für die wirtschaftliche Existenz der Arbeiter ist ein Höchstsatz der Arbeitszeit bzw. ein Mindestsatz der Arbeitsruhe als öffentlichrechtliche Einrichtung zulässig. Durch genaues Material begründetes Bedürfnis, Anpassung an die Sonderheiten des Produktionszweiges und Fernhaltung kasuistischer Einzelbestimmungen sind notwendige Voraussetzungen.

Von Bedeutung ist im übrigen, namentlich wo der Lebenslauf in mechanischer Arbeit besteht, zeitweiser Wechsel in der Arbeitsart und die Entwicklung einer kombinierten Tätigkeit — ein Kulturfortschritt, gleich vorteilhaft für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die Verlegung der Großindustrien auf das Land würde die Verbindung verschiedener Arbeitsarten fördern.

Arbeitsrecht. In welcher Weise ist eine Sicherstellung der Arbeitsgelegenheit möglich? Festzuhalten ist, dass der einzelne mit seiner ganzen Spannkraft zunächst die Sorge für seine Beschäftigung selbst übernehmen muss. Ohne diese Pflicht ist die persönliche Freiheit überhaupt nicht möglich. Auch hat niemand ein Recht auf Verwertung einer besonderen Befähigung oder auf eine Arbeitsgelegenheit von besonderer Quantität behufs Ermöglichung eines verfeinerten Genusses. Steigende und fallende Perioden wechseln, und unter jedem Wirtschaftssystem wird es Zufall sein, inwieweit das Leben des einzelnen in eine mehr oder minder günstige Arbeitsperiode fallt. Es ist Sache des einzelnen, sich bei günstigen Zeiten gegen den Umschwung zu decken und im öffentlichen Leben auf bessere Zustände hinzuwirken. Ein Recht auf Arbeit besteht hiernach nicht in einem einzelrechtlichen Anspruch auf Beschäftigung, wohl aber in dem allgemeinen Anspruch auf eine derartige Gestaltung der Wirtschaftsordnung, dass dem Fähigen und Willigen mindestens die zur Erhaltung seiner Existenz notwendige Arbeitsbeteiligung ermöglicht wird. Versicherung der dauernden Arbeitsgelegenheit im einzelnen in der Güte der wirtschaftlichen Entwicklung im ganzen ist hiernach das Ziel. Das Stocken der Arbeitsgelegenheit in den Qualitätsbranchen ist Krisis, der Rückschritt auf den unteren Stufen Katastrophe; im ersteren Falle zeigt sich die Unzulänglichkeit, im zweiten die Unhaltbarkeit bestehender Einrichtungen. Alle öffentlichen Organisationen, die der Regelmäßigkeit der Produktion dienen sollen, kommen hier in Betracht: Die öffentlichen Betriebsverwaltungen, Arbeitsvermittlung und Statistik, Spar-, Verkehrs-, Kredit- und Versicherungswesen, Handels- und Verkehrspolitik auf internationalem Gebiete, planmäßige Vergebung der öffentlichen Arbeiten und Lieferungen 3). Was die öffentlichrechtliche Versicherung gegen Arbeitslosigkeit betrifft, so lässt sich wohl in einem leicht übersehbaren Verbände z. B. der Gemeinde eine solche Organisation unter sesshaften Arbeitern gegebenenfalls auch mit Zuschüssen aus öffentlichen Mitteln einrichten; bei zunehmender Vervollkommnung der Verwaltungstechnik mag auch eine Vereinigung solcher Verbande in größerem Umfange, immer mit der Beschränkung auf sesshafte Arbeiter durchführbar sein. Für eine allgemeine Versicherung dieser Art besteht aber wegen Unzulänglichkeit der Kontrollen die Gefahr unübersehbaren Missbrauchs. Man darf überdies nicht außer Acht lassen, dass der gefährlichste Erzieher schlechter Sitten übertriebene Humanität ist.

Was die Arbeitslage der Frau betrifft, so gilt als oberster Grundsatz, dass die Frau als Hüterin der Familie, Erziehung und ausgleichenden Güte innerhalb der ihr durch die Natur gezogenen Grenzen die produktive Tätigkeit des Mannes soweit möglich und nötig als Beistand in seinem Beruf oder durch andere Arbeit ergänzen und mehr noch auf eine vernünftige Ordnung des Verbrauchs hinwirken soll. Wenn neben der Fürsorge für die Familie noch für die edelste öffentliche Betätigung der persönlichen Freiheit der Frau, der Fürsorge für Hilflose, Raum bleibt, desto besser für die Kultur. Anderseits liegt keine Berechtigung vor, das freie Arbeitsrecht der Frau, deren persönliche Freiheit ebenso zu achten ist, wie diejenige des Mannes, anderen besonderen Beschränkungen zu unterwerfen, als solche in der Natur der Sache oder auf dem Gebiete des Arbeitsschutzes liegen. Selbstredend muss ihr ein Anspruch auf Schutz gegen Vermögensvergeudungen des Mannes, die ihre und ihrer Kinder Existenz in Frage stellen, zustehen.