Herrschaft der Menge oder Zügellosigkeit Einzelner.

Das Recht der Selbstbestimmung, d. h. nach eigenem Willen zu handeln, und die Pflicht der Verantwortlichkeit, d. h. der Mahnruf der Vernunft zur Selbstbeherrschung sind die Voraussetzungen der persönlichen Freiheit. In hellem Widerspruch hiermit steht die gefährliche moderne Lehre, die an Stelle der Milderungsgründe im Einzelfall die Entlastung des Verbrechens wegen Unfreiheit des Willens infolge der Abhängigkeit des einzelnen von überlieferten und aufgezwungenen Verhältnissen (Milieu) überhaupt predigt. Warum nur Entlastung der Schuld im Strafrecht, warum nicht auch Entlastung im wirtschaftlichen Verkehr wegen Torheit und Zufall? Allerdings ist das Einzelleben nur ein winziger Teil im Ganzen, und die Umstände sind stärker als die Menschen. Aber dadurch, dass der Einzelwille dies berücksichtigt, wird er nicht unfrei, sondern einsichtsvoll und vernünftig. Nur die Willkür, der von der Überlegung losgelöste Wille ist unfrei, weil er an den realen Verhältnissen Schiffbruch leiden und mit Recht büßen muss. Wohl drängt die Natur nach Anpassung an die Umgebung; der einzelne hat mit den Erbübeln der Einbildung und Leidenschaft bis zur Selbsttäuschung zu kämpfen, und die Aufgabe, die eigene Persönlichkeit, gleichviel welcher Wert ihr zukommt, in der Gesellschaft zu wahren, ist nicht leicht, zumal gegenüber dem Terrorismus der Schulmeinungen, des Parteigetriebes, der Suggestion durch Rede und Schrift, den nivellierenden Erziehungssystemen. Milde Beurteilung des Einzelfalles lässt sich hieraus in weitgehendem Masse rechtfertigen, nicht nur auf dem Gebiete des Strafrechts, sondern auch des Wirtschaftsrechts. Aber nimmermehr können Opportunität und Mitleid bis zu einem Rechtssatz gesteigert werden, dass Einzelwohl sich ungesühnt auf die Vernichtung anderer gründen und der einzelne für anderes als das Nichtgewollte entlastet werden darf. Der Deckmantel der äußeren Umstände ist der Nährboden für gegenseitige Täuschung, ein Hemmschuh der Tatkraft, die mehr als in der Vergesellschaftung sich im Alleinsein stählt. Bei jeder Handlung sprechen Gründe für und gegen; der Eigenwille entscheidet, und nur wenn er verantwortlich ist, wird er sich gegen falsche Einflüsse der Gesellschaft und schlechte Nachahmung schützen. Was der einzelne zur Abwehr des schlechten Milieu und zur Umgestaltung vererbter Fehler verlangen kann, ist: Gelegenheit zur Ausbildung, Möglichkeit des Vorwärtskommens ohne künstliche Schranken und das Bewusstsein der Besitzenden, dass sie den Nichtbesitzenden zur Seite stehen müssen. Eine gute und feste Hand findet stets Unterordnung; fehlt diese Hand, so büßt das Ganze die Folgen eines schlechten Milieu.

Die Wirtschaftsordnung der verantwortlichen persönlichen Freiheit, die einzige, die in dem ewigen Zwiespalt zwischen Ich und Welt auf der höchsten menschlichen Kraft, der Vernunft, beruht, kämpft zu allen Zeiten mit zwei prinzipiellen Gegnern, deren letzte Ziele lauten: Herrschaft der Menge oder Uebermacht einzelner — Kommunismus oder Privilegien in mehr oder minder radikaler Form. In der modernen Volkswirtschaft haben beide Bewegungen in den Mitteln zur Erreichung ihrer Ziele im Grunde genommen die gleichen Entwicklungsformen. Wenn man gewaltsame Vorstöße, deren Bekämpfung nicht auf wirtschaftlichem Gebiete liegt, außer Erörterung lässt, so ist beiden gemeinsam: Das Bestreben, die politischen Einrichtungen und Vorgänge ihren wirtschaftlichen Interessen dienstbar zu machen, Mängel der bestehenden Gesetzgebung für sich auszunutzen, Reformen, die ihren Zielen zuwiderlaufen, zu verhindern und in allen Punkten sachlicher und taktischer Art rücksichtslos nur ihren Standpunkt zu wahren.


Gewiss ist auf beiden Seiten manches für das Ganze Brauchbare oder Unbedenkliche zu finden. Aber die letzten Ziele beider sind unannehmbar und die hieraufgerichteten Schritte unbrauchbar, weil sie von Einseitigkeit ausgehen und zur Unterdrückung der persönlichen Freiheit führen müssen, bei den einen durch mechanische Gleichmacherei, bei den anderen durch Ausbeutung der Ungleichheit.

Wenn die mehr oder minder kommunistischen Systeme die Gesellschaft zur alleinigen Quelle für Arbeit, Erwerb und Genuss erheben, Privateigentum in Gesellschaftseigentum, Privatproduktion in Gesellschaftsproduktion einrichten wollen, bedeutet dies etwas anderes, als dem Tüchtigeren die bessere Leistung als Gewinnquelle versagen, um geringere Leistung mit höherem Genuss entgelten zu können, an Stelle von Begabung und Tatkraft, die bemeistern, was die Menge für Zufall hält, durch Gleichheitsdrang und Förderung der Mittelmäßigkeit das Mehrheitsprinzip als alleinigen Gebieter setzen? Dieses gefährlichste aller Autoritätssysteme, weil es ohne Rücksicht auf Tradition, ohne Angabe von Gründen und ohne greifbare Verantwortlichkeit heute zerstört, was es gestern geschaffen hat, diese moderne Form der Tyrannei, die infolge der Disziplinlosigkeit der Menge im ganzen und der Halsstarrigkeit im einzelnen zum ununterbrochenen Wechsel drängt, nicht die Besten, sondern die Verwegensten in die Höhe hebt, den einzelnen zur Entsagung oder Auflehnung zwingt, ist ein Zerrbild der Freiheit, das System der Unfreiheit. Dass die Minderheit Toleranz verlangt, ist natürlich, dass die Mehrheit sie übt, selten. Tief ist in jedem das Vertrauen auf eigene Kraft, das Misstrauen gegen andere begründet; mehr als die Gleichheit, die eine Unterordnung persönlicher Vorzüge erzwingt, ist die Ungleichheit eine Quelle wirtschaftlichen Fortschritts. Gleichheit ist nur bei gleichartigen Voraussetzungen begründet, während die Freiheit auch bei ungleichartigen Verhältnissen das höchste Glück der Menschen, die Ursprünglichkeit ohne falschen Ton, wahren kann. Kurz: Die Mehrheit als Alleinherrscher führt zur Vergewaltigung im ganzen und einzelnen.

Nicht anders wirkt das Gegensystem: Das Monopol und Privilegium des Starken, das Herrenbewusstsein der überlegenen Kraft, gleichviel ob beim einzelnen oder in Verbänden als Gebieter. Wenn ausgehend von dem Satze, dass durch den freien Wettbewerb sich alles von selbst am besten entwickle, Wissenschaft und Gesetzgebung nur als Ausdruck der jeweils herrschenden Strömung betrachtet werden, und dem Staate nur die Rolle des Zuschauers und des Beschützers der unbeschränkten Freiheit der Kraftbetätigung zugewiesen wird, ist dies etwas anderes, als die Wehrloserklärung des Schwächeren, die Zulassung der Skrupellosigkeit des Erwerbs, die Privilegierung der Besitzenden im Wettbewerb gegenüber der Erschwerung des Aufwärtssteigens der Nichtbesitzenden trotz Tüchtigkeit, die Beschränkung der Rechtsentwicklung auf die privatrechtlichen Beziehungen und des Staates auf die außerhalb des wirtschaftlichen Gebietes liegenden Notwendigkeiten?

Wie gegenüber dem System der Herrschaft der Mehrheit das Recht des einzelnen, so ist gegenüber dem System der Übermacht einzelner und von Verbänden die Pflicht des einzelnen als oberstes Gesetz aufzustellen und durchzuführen. Kein Recht ohne Pflicht und zwar allgemein gültig; denn es ist ebensowenig zulässig. Wenige beschließen und die Mehrheit zahlen zu lassen, als der Menge die Rechte und Wenigen die Lasten zu übertragen.

Wo liegt zwischen den beiden Extremen der befreiende Punkt? In der Gerechtigkeit für den einzelnen im Rahmen des Ganzen vermittelst des öffentlichen Wirtschaftsrechtes. Wohl und Wehe des einzelnen und des Ganzen stehen in enger Wechselwirkung. Der Stärkste ist von den Einrichtungen im Ganzen, und dieses von der Tüchtigkeit der einzelnen abhängig. Dementsprechend muss es eine gemeinschaftliche Ordnung geben, welche die individuelle Tüchtigkeit in den Dienst der allgemeinen Nützlichkeit und Sittlichkeit stellt, die Pflicht aus selbständiger Willenskraft als höchsten, das Recht ohne Verantwortlichkeit als niedrigsten Grad der persönlichen Freiheit behandelt und die Vergewaltigung unter der Maske des Rechtes ausschließt. Zu viel ist hier besser, als zu wenig. Die Aufgabe der modernen Volkswirtschaft ist allerdings eine andere, als diejenige der früheren Epochen, weil die progressive Vervollkommnung der Technik die tatsächlichen Voraussetzungen völlig umgestaltet hat und weiter umgestalten wird. Was nützen produktive Gedanken im Reiche des Geistes, wenn sie technisch nicht ausführbar sind? Die technischen Fortschritte sind entscheidend, weil ihre Errungenschaften nie verloren gehen und die wirtschaftlichen Einrichtungen gezwungen sind, sich ihnen anzupassen und zwar mit solcher Notwendigkeit, dass heute unter veränderten Verhältnissen als unrecht gelten kann, was gestern berechtigt war und umgekehrt. In diesem Anschluss der Volkswirtschaft an die jeweiligen technischen Möglichkeiten, nach deren Lösung auch die mächtigste Gegenbewegung sich über kurz oder lang beugen muss, liegt die Schwierigkeit der modernen Entwicklung. Alle großen wirtschaftlichen Probleme, das Verhältnis zwischen Erwerb, Besitz und Nichtbesitz, Schaffen und Verbrauch, Lohn und Zins, die Umsatzvermittlung nebst Geld- und Kreditwesen, die Regelung der Hilfsbedürftigkeit, die Leistungen für allgemeine öffentliche Zwecke u. s. w. berühren das öffentliche Wirtschaftsrecht. Je beweglicher und vielgestaltiger die Entwicklung dieser Fragen ist, desto schwieriger und lohnender sind die der modernen Wissenschaft, Gesetzgebung und Verwaltung in Bezug auf das Recht der guten Sitten gestellten Aufgaben.