Das Versicherungsproblem.

Alles menschliche Handeln ist unvollkommen insofern, als es dem unverschuldeten Zufall unterworfen ist, d. h. der nicht erkennbaren Verkettung von Ursachen und Wirkungen, der aus dem Ineinandergreifen der Verhältnisse entstehenden höheren Gewalt und ihrem Niederschlag, dem Risiko, das dem einen Vorteil, dem anderen Schaden bringt. Keinem wirtschaftlichen System, auch keinem kommunistischen ist es möglich, dieses nicht aus eigenem Verschulden entstehende Ungewisse, dessen Wirkungen denjenigen des Spieles gleichen, zu beseitigen; es lässt sich nur einschränken und mildern und darf weder die Willensfreiheit lähmen noch als Gegenstand des Vertrauens zur Wagehalsigkeit oder zur Trägheit reizen. Allem voran geht die Notwendigkeit, durch präventive Einrichtungen die Ursachen der Unsicherheit einzuschränken, wozu insbesondere alle Vorkehrungen auf dem Gebiete der Gesundheitspflege, und zur Vermeidung plötzlicher Änderungen in den öffentlichen Einrichtungen gehören. Zur Abschwächung der wirtschaftlichen Folgen dient nur ein Mittel: das Versicherungswesen, eine der reifsten Früchte der persönlichen Freiheit, dessen Wirkung um so ausgedehnter sein kann, je gerechter die Einkommensverteilung und je größer der Sparsinn ist. Die Ausgleichung des Wechsels der Rohstoffernten, der Schutz gegen das Risiko der Erwerbsgelegenheit und des Unternehmungssinnes, der aus persönlichen Unfällen (Krankheit, Invalidität u. s. w.) erwachsenden Nachteile — kurz zahllose individuelle und allgemeine Interessen drängen dem Versicherungsproblem den öffentlich-rechtlichen Charakter auf, und machen seine technische Vervollkommnung zu einer der bedeutendsten geistigen Angaben.

Drei Stufen sind zu unterscheiden:


Die allgemeine im Staate gegebene Gegenseitigkeitsversicherung für den Fall der Notlage und Hilflosigkeit aus öffentlichen Mitteln. Je mehr die freie Wohltätigkeit diesen Dienst für das Ganze besorgt, desto besser. Dass, soweit diese nicht ausreicht, eine öffentlichrechtliche Organisation einspringen muss, deren besonderes Augenmerk auf die Gefahr der missbräuchlichen Ausnutzung und die Haftbarkeit der subsidiär Beteiligten gerichtet sein muss, bedarf für die moderne Staatsauffassung keiner besonderen Rechtfertigung. Für diese öffentliche Armenpflege ist eine Rechtsordnung mit fester Begrenzung gegen das Gebiet der Versicherung mit Beiträgen der Beteiligten erforderlich.

Die mittlere Stufe bildet die öffentlich-rechtliche Versicherung derjenigen, deren geringes und unregelmäßiges Einkommen eine Selbstversicherung allein aus eigenen Mitteln für die Fälle nicht gestattet, in denen ihre Erwerbstätigkeit schwer geschädigt oder vereitelt ist. (Versicherung gegen Krankheit, Unfall, Arbeitsunfähigkeit, Erwerbslosigkeit, außerdem Alters-, Witwen-, und Waisenfürsorge.) Ohne die Gewährung von Zuschüssen aus öffentlichen Mitteln und seitens des beteiligten Besitzes sind diese Organisationen, die eine wesentliche Entlastung der öffentlichen Armenpflege ermöglichen, nicht lebensfähig. Dagegen ist die Frage, ob für die beteiligten Arbeitsstufen ein Zwang zum Beitritt auszusprechen ist, in erster Reihe eine finanz- und verwaltungstechnische, bei der insbesondere die schärfste Sicherung gegen Täuschung, und die Möglichkeit eines einheitlichen Verfahrens trotz der nötigen weitgehenden Dezentralisation eine Rolle spielen. Große soziale Organisationen obligatorischer Art leiden zumeist in der Kleinarbeit an starken Mängeln, sie müssen mit Heuchlern und kleinlichen Ausführungsorganen rechnen. Als Durchgangsstufe für die Erziehung des für solche Organisationen unentbehrlichen sozialen Geistes kann der Zwang nützlich sein. Im letzten Grund wird aber doch die freiwillige aus der inneren Kraft der Beteiligten kommende Mitgliedschaft als Regel und der Zwang nur unter bestimmten Ausnahmevoraussetzungen als angezeigt zu betrachten sein.

In jedem Falle müssen bei diesen Organisationen die Versicherten nach Maßgabe ihres Interesses und Könnens sich mit Beiträgen beteiligen. Die öffentlichrechtliche Versicherung darf nicht zu einer staatlichen Pensionsanstalt ausarten. Besser sind gute Löhne und Gehälter, die für die Selbstversicherung ohne drückende Belastung hinreichen, als das Mitschleppen einer wachsenden öffentlichen Pensionslast. Dies gilt auch für die im öffentlichen Dienste Angestellten.

Die dritte Stufe vertritt das große zukunftsreiche Gebiet der freiwilligen privat rechtlichen Versicherungseinrichtungen ganz aus eigener Kraft der Beteiligten, technische Interessenprobleme, bei denen allzugroßes Spezialisieren zu vermeiden ist, da bei Einrichtungen, die weite Kreise berühren, sich einfache Ausgleiche und Abrechnungen nach großen Interessensätzen empfehlen. Hier bewährt sich die Durchschnittsziffer und große Leistung bei geringem Aufwand — vorausgesetzt dass etwaigen kapitalistischen Monopolisierungsbestrebungen mit aller Kraft entgegengetreten wird. Solange es sich hier noch um die Lösung der schwierigsten geistigen Probleme handelt, ist allerdings eine Gefährdung der freien Konkurrenz weniger zu befürchten. Im allgemeinen kann von einer Abwälzung des geschäftlichen Risiko auf die Gesamtheit durch Bildung einer allgemeinen Gegenseitigkeitsversicherung im kommunistischen Sinne keine Rede sein, da hierdurch die Grundlage der Wirtschaftsordnung, die persönliche Verantwortlichkeit, das Selbstinteresse der Einzelwirtschaft beseitigt würde. Es kann sich immer nur um Schutzgenossenschaften für einzelne Gefahrenkategorien handeln, allerdings auch gegen geschäftliche Misserfolge, bei denen ein gewisser Grad von persönlichem Verschulden des Versicherten mitspielen kann. So kann beispielsweise bei der Kredit- und Verlustversicherung für die Kreditgewährung ohne besondere Deckung die Versicherung gegen Gefahr eines Verlustes nur für den Fall eines groben Verschuldens seitens des Kreditgebers ausgeschlossen werden.