Besitz und Nichtbesitz.

Die Arbeit unter eigener Verantwortlichkeit setzt voraus, dass der Lohn der Arbeit in den Eigenbesitz und das Verfügungsrecht des Arbeiters übergeht. Die wirtschaftliche Notwendigkeit ist der Ausgangspunkt für die rechtliche Zulassung des Privatbesitzes; er ist kein Mandat der Gesellschaft, sondern die höchste Verkörperung des Einzelwillens, die unentbehrliche Garantie der Selbständigkeit des einzelnen. Die technische Vervollkommnung der Wirtschaftsmethoden führte aus den unbeholfenen korporativen Frühperioden zur Einzelproduktion, aus den primitiven Formen des Gemeinbesitzes zum Sonderbesitz; die Beseitigung des Einzelbesitzrechts, als Motor der Arbeit und Grundlage der persönlichen Freiheit, wäre der größte Rückschritt der Menschheit. Der Inhalt dieses Besitzrechtes ist aber keineswegs eine unabänderlich feststehende Rechtsnorm, sondern eine der Bewegung unterworfene, durch die Gesetzgebung im Anschluss an die wirtschaftliche Entwicklung zu formulierende Ordnung. Es gab nie einen unbeschränkten Einzelbesitz. Dass ihm der Rechtsschutz zur Seite steht, ist nicht entscheidend; es kommt auf seine wirtschaftliche Stellung an. Ohne tatsächliche Brauchbarkeit ist der Rechtstitel bedeutungslos. Zweck des Besitzes ist seine Nutzbarmachung, die Rente, also ein ganz von der Gestaltung der wirtschaftlichen Entwicklung abhängiger Vorgang. Je nachdem sich die verschiedenartigen wirtschaftlichen Anschauungen über die Bildung des Arbeitslohns, aus dem der Besitz entsteht, und die sozialen Bedingungen für seine Nutzbarmachung, ferner über die Voraussetzungen, die die Besitzübertragung unter Lebenden und im Todesfalle (Erbrecht) und vor allem über die dem Besitz aufzulegenden Lasten für öffentliche Zwecke aller Art erweitern oder verengern, wird der Privatbesitz in der Volkswirtschaft eine veränderte Bedeutung und im Rechte eine veränderte Gestalt haben.

In der Beweglichkeit dieser Punkte liegen die Mittel zu den Reformen ausgleichender Gerechtigkeit durch Abstellung entstandener Missbräuche und Übergriffe, die Quellen des Fortschritts mit der Aufgabe:


Wenn es erschwert oder nicht mehr möglich ist, Besitz durch Arbeit zu erwerben, weil die bestehenden Besitzrechte gegenüber der Arbeit übermächtig sind, so verstößt eine solche Ordnung als unwirtschaftlich gegen den inneren Rechtfertigungsgrund des Besitzes und es muss Abhilfe geschehen.

Alle wichtigen Punkte der Wirtschaftsordnung wirken auf das Besitzsystem zurück; je größer die Zahl derjenigen ist, die sich an der Bildung von Besitz beteiligen können, je mehr dieser durch Unwirtschaftlichkeit verloren, durch Wirtschaftlichkeit gewonnen und zur Prämie für die Tüchtigkeit erhoben wird, desto lebensfähiger ist die Wirtschaftsordnung. Artet dagegen der Besitz zum Privilegium einzelner Klassen aus oder machen sich Auswüchse der Spekulation im Verkehr mit unbeweglichem oder beweglichem Besitz geltend, so sind Reformen im Interesse der Tüchtigkeit und Ehrlichkeit auf allen Punkten namentlich in Bezug auf die Einkommensverteilung, das Erbrecht, die Belastung für die öffentlichen Bedürfnisse und nötigenfalls auch hinsichtlich der öffentlichen Vorrechte gegenüber dem Privatbesitz geboten.

Auf steigenden Gewinn durch Fortdauer einer bestehenden Ungerechtigkeit hat der Besitz ebensowenig Anspruch als auf den Zuwachs überhaupt. Der wichtigste Punkt betrifft das Erbrecht als Voraussetzung für die unentbehrliche Einrichtung der Familie; diese ist die natürliche Vermittlerin der wirtschaftlichen und sittlichen Erziehung des Menschengeschlechtes, der Anschauungen der Gegenwart an die Zukunft, nicht stets in gutem, überwiegend aber im mäßigenden Sinne, die natürliche gesellschaftliche Teilung und nächste Stütze der individuellen Verantwortlichkeit. Dem Zweck der Familie entspricht die möglichst vollständige wirtschaftliche Gemeinschaft und Einheit in Erwerb und Besitz. Mit dem Erbrecht steht und fällt die Familie. Nicht weil die Gesellschaft ein Erbrecht sichert, ist der einzelne erbfähig, sondern kraft des Verfügungsrechtes des Erblassers über seinen Besitz, das die Gesellschaft rechtlich sichern muss, wenn sie nicht die Familie als Vermittlerin zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, als Pflegerin der stufenweisen Entwicklung aufgeben will. Nicht ein Machtspruch, innere Notwendigkeit ist der Ursprung des Erbrechts. Der Besitz an dem Arbeitsertrag muss infolge der zeitlichen Begrenzung des menschlichen Lebens über die Person des Arbeiters erhoben werden. Weshalb soll der Vorteil daraus, dass eine Generation gespart und Saaten angelegt hat, deren Früchte sie nicht selbst genießen konnte, der folgenden Generation als Gesamtgeschenk zufallen, statt denjenigen, zu deren Gunsten die Urheber verfügen wollen? Ist dieses Verfügungsrecht über das Leben hinaus nicht die Vertiefung des durch die zeitliche Beschränkung des Lebens begrenzten Erwerbs, das Mittel, durch das in der aufwärts schreitenden Entwicklung das scheidende Individuum einen Einfluss in seinem Sinne sicher stellen kann, der höchste Lohn der persönlichen Freiheit? Würde nicht ohne Erbrecht der Zufall der Lebensdauer entscheidend für die Bedeutung des Besitzes sein und das edelste Motiv, den Genussverzicht zu Gunsten anderer untergraben?

Nicht um die Beseitigung des Erbrechts handelt es sich, sondern um seine Ausbildung als Mittel zur Beeinflussung der Besitzentwicklung durch seine vernünftige Gestaltung im Privatrecht. Die Fragen, inwieweit die gesetzliche Erbfolge eine obligatorische Teilung oder das Einzelerbrecht bevorzugt, die Pflichtteile bemessen, das Erbverhältnis zwischen Kindern und überlebenden Ehegatten geregelt, die Seitenverwandten berücksichtigt werden, der Freiheit testamentarischer Verfügung Schranken zu ziehen sind u. s. w., können namentlich bei dem unbeweglichen Besitz tief eingreifen.

Ebensowenig wie die Einkommensverteilung, d. h. die Auseinandersetzung zwischen Arbeit und Besitz darf die Erbfolge im Besitz ein Hemmnis für die gerechte Wertung der Ansprüche der Arbeit sein.

Dieser Gesichtspunkt ist auch entscheidend für die Frage der finanziellen Belastung des Besitzes und seiner Rentabilität für öffentliche Zwecke. Solange in der Hauptsache der Grundbesitz herrschte, wurden ihm die öffentlichen Lasten vorzugsweise aufgebürdet, wie auch die öffentlichen Einrichtungen seinen Interessen vorzugsweise dienten.

Die moderne Wirtschaftsordnung sieht sich dagegen angesichts der rapiden Entwicklung des beweglichen Kapitals vor die große Aufgabe gestellt, eine gerechte Verteilung der öffentlichen Lasten zwischen dem unbeweglichen und beweglichen Besitz vorzunehmen und behufs Abwehr kapitalistischer Übermacht über die Arbeit die gemeinnützigen öffentlichen Einrichtungen ganz erheblich zu steigern und dadurch die öffentlichen Lasten beträchtlich zu vermehren. Ja, die Frage der unbegrenzten Steigerung der öffentlichen Einrichtungen auf allen Gebieten, namentlich in den Kommunalverbänden zu Gunsten der Nichtbesitzenden auf Kosten der Besitzenden wird geradezu der Brennpunkt der modernen sozialen Entwicklung; sie ist um so schwieriger, als die Grundbedingungen des unbeweglichen und beweglichen Besitzes verschiedenartig sind.

Ersterer ist an feste Verhältnisse gebunden und für die Macht des Staates stets greifbar; letzterer unterliegt dem Wandel, dem freien Wechsel mit internationaler Tendenz. Der Reinertrag aus dem unbeweglichen Besitz kann bis zum Nullpunkt sinken, was das heilende Eingreifen der Wirtschaftspolitik kategorisch erfordert. Dem beweglichen Besitz ist dagegen die Rente für absehbare Zeit im allgemeinen gesichert, weil die progressive Steigerung der öffentlichen Einrichtungen eine Vermehrung der zinsbringenden öffentlichen Schuldaufnahmen im Staate und allen seinen Unterverzweigungen mit sich bringt. Ob die kommenden Generationen in der Lage sind, diese Verpflichtungen einzulösen oder Katastrophen entgegengehen, mag dahin gestellt sein. Richtig ist, dass den Perioden mit großer durch technische Umwälzungen bedingten Kraftanstrengung solche der Sammlung und Ausgleichung folgen. Jedenfalls rechnet die gegenwärtige Reformperiode mit der regelmäßigen Abwicklung in der Zukunft, aber die Gefahr, dass diese versagt, sollte ein Warnungsruf gegen Übertreibung sein. Indessen, gegen die Konsequenzen der technischen Vorwärts-Entwicklung und ihrer Unternehmungslust ist die fortschreitende Menschheit machtlos; sie muss ihr folgen, auf die Gefahr hin, dass die Zukunft die Überspannung der auf sie gezogenen Wechsel, die Überhastung der Vergangenheit durch eigene Enthaltsamkeit oder gewaltsame Lösung zu Ungunsten des Besitzes büßen muss. Kein Wirtschaftssystem kann diese Unvollkommenheit der sprungweisen Entwicklung menschlicher Tätigkeit verhindern; Vernunft kann nur schädliche Übertreibung verhüten.