Die persönliche Freiheit und die Wissenschaft.

Die wirtschaftliche Initiative kümmert sich wenig um Theorien, sie schafft selbständig aus gegebenen Verhältnissen, nicht aus Lehrsätzen, sondern aus eigener Erfahrung und infolge der Verkettung so vieler zufälliger Umstände auch durch die Zuversicht des Glaubens an den Erfolg geleitet. Das natürliche Empfinden, die Stimmung und Energie geben instinktiv den Anstoß zum Handeln. Hieraus ergibt sich als nächste Angabe der Volkswirtschaftslehre als Wissenschaft, das Tatsächliche festzustellen, die einzelnen Erscheinungsformen in ihren Wechselwirkungen mit allen übrigen, ihre Eigenart, Verbindung und Trennung, Ursachen und Folgen zu betrachten, die Gesetzmäßigkeit und Gewissheiten der bewegenden Kräfte und Endziele zu klären und ihre Rückwirkung auf die Individuen in Höhen und Niederungen, nicht auf theoretische Einheiten, an der Hand charakteristischer Fälle kritisch zu prüfen und zu berichtigen.

Die Wissenschaft soll kein Spiel mit Denkmöglichkeiten sein, sondern muss mit den lebendigen Dingen fertig werden. Nur auf diese Weise wird sie selbst Wegweiser für die Praxis, und nur soweit ihre Ergebnisse unmittelbar oder mittelbar praktische Verwertbarkeit besitzen, leistet sie Nützliches, indem sie erklärt, welche Folgen bei bestimmten Voraussetzungen eine Handlung haben muss oder kann. Lehren, die keinen Anstoß zum Handeln geben, sind nutzlos. Weil sie die Vernunftsprache der wirtschaftlichen Interessen außer Berücksichtigung lässt, hat die Philosophie, die ohnedies der Phantasie und Uferlosigkeit besonders preisgegeben ist, so wenig Nutzen für das wirtschaftliche Leben.


Von drei großen Gefahren ist die Wissenschaft auf dem Gebiete der Volkswirtschaft bedrängt: von der Übertreibung der Forschungsmethoden, der Einseitigkeit der Schulmeinungen und der sich in mittelmäßige Kleinarbeit verlierenden Spezialisierung.

Vor allem ist die Forschungsmethode nur ein Wegweiser, ein Mittel zum Zweck, das sicher zur Erkenntnis führen kann, nicht selten aber auch zu falschen Ergebnissen, oder auf weiten Umwegen dahin führt, wohin der einfache Menschenverstand auf kurzem geraden Wege gelangt. Für den Einblick in die Gesetzmäßigkeit der wirtschaftlichen Bewegungen ist weder die historische, noch die logische, kritische und deduktive Forschung noch das konstruktive Element entbehrlich. Keine hat ein Privilegium. Aber höher als jede Methode, auch die vollkommenste, steht die persönliche Freiheit des Forschens und die unbeschränkte offene Aussprache der Meinung, das im Geiste des Menschen wurzelnde und schaffende Element des Subjektivismus. Wenn Methodenkultus oder Schulmeinungen dazu führen, den freien, weitausschauenden Blick zu versteinern, dann sind sie ebenso gefährlich, wie träumerisches Tasten nach Zielen, die überhaupt, oder wegen Mängel der technischen Mittel zur Zeit unerreichbar sind. Durch die Übertreibung der Methode kommen Sophistik, Schablone und Kleinkunst in den Vordergrund und die Eigenart der unabhängigen Gedankenarbeit in den Hintergrund.

Die handwerksmäßige Tätigkeit einer Denkerzunft, die Spezialisierung überwuchert, die im Kleinen spinnt und an den großen Problemen vorbeigeht. Und doch sind die großen Fragen vom Einzel- und Gesellschaftsrecht, Kapital und Arbeit, Zins und Lohn, Preis und Umsatz u. s. w. unerschöpflich. Zwar stehen sie im Mittelpunkt aller Epochen der wirtschaftlichen Entwicklung; aber ihre Gestaltung ist veränderlich, weil ihr Resonanzboden — die Dinge, auf die sie wirken, sich in Voraussetzungen und Formen technisch verändern.

Aus diesem Grunde würde namentlich eine Überschätzung der Bedeutung der Geschichtsforschung für die Beurteilung der wirtschaftlichen Bewegungen zur Erstarrung führen. Die Geschichtsforschung kann die bisherige Entwicklung als Gegenprobe für die Beurteilung des Bestehenden klarstellen, das Material für Vergleiche liefern, muss sich aber hüten, durch geschichtliche Zutaten Theorien den Schein der Nützlichkeit zu geben. Sie kann nur relative Lehren geben, die losgelöst von den Zeitverhältnissen zu großem Irrtume führen müssen.

Die treibende Kraft der Volkswirtschaft wurzelt in der Welt der Praxis, nicht zum geringsten Teile in der technischen Welt. Das beste Wissen ist das selbsterlebte. Darum ist auch für die Volkswirtschaftslehre die Schulung und ständige Fühlung mit der Praxis ebenso unentbehrlich, wie für die in praktischer Tätigkeit stehenden die ständige Beachtung der wissenschaftlichen Arbeit. Der Fehler vieler zur Gesetzgebung und Verwaltung Berufenen besteht darin, ohne Rücksichtnahme auf prinzipielle Grundlagen Einzelfälle zu regeln, gesetzgeberische Fragen, statt sie durch vieljährige systematische Arbeit vorzubereiten und im Zeitpunkt der Reife zu ordnen, mehr oder minder gewaltsam als Tagesproblem zu lösen. Das Leben ist Werden und Vergehen. In diesem Wechsel sollen Gesetzgebung und Wissenschaft den inneren Zusammenhang der Dinge sichern gegenüber den Tagesströmungen, der Zeitstimmung der Parteien und Parlamente; sie müssen vorwärts blicken und das Aufsuchen der sich aus neuen tatsächlichen Verhältnissen ergebenden Konsequenzen höher stellen, als die Erinnerung an Vergangenes.

Klarheit und Kürze sind hierbei von Bedeutung; denn schneller klärt sich die Wahrheit aus Irrtum als aus Konfusion und gefährlich ist die Kunst, die das Einfache in wissenschaftlicher Geheimsprache verwirrt.