Der moderne Staat.

Überall steht dem Streben der Starken, die Interessen anderer nur nach dem eigenen Vorteil anzuerkennen, die Forderung der Schwachen nach Hilfe gegenüber. Eine Verständigung ist nur auf dem Boden des organisch gegliederten Staates möglich, einer selbständigen, die Summe der Einzelkräfte übersteigenden Kraft, die Ausgleich und Entscheidungsstelle ist. Diese Macht des Ausgleichs rettet die persönliche Freiheit vor dem Chaos einer ungeordneten Gesellschaft und beugt der Anarchie der tüchtigen Elemente vor, die für die Menschheit gefährlicher ist, als die Anarchie der Schlechten. Seitdem durch die technischen Fortschritte in Produktion und Verkehr die räumlichen Schranken sich verringert haben, der abgeschlossene Staat unhaltbar geworden ist, und die Einheitlichkeit und der Zusammenhang des öffentlichen Lebens einen viel größeren Umfang annimmt, als in den engen Verhältnissen früherer Zeiten, sieht der moderne Staat sich in erhöhtem Masse vor die Aufgabe gestellt, eine soziale Ausgleichsstelle für die wirtschaftlichen Interessen der einzelnen unter einander zu bilden. Hieraus ergeben sich zwei wichtige Folgen. Zunächst spielen auf dem internationalen Gebiete die wirtschaftlichen Interessen der Staaten die Hauptrolle und steigern infolge des häufigen Wechsels der Konjunkturen die allgemeinen Reibungspunkte. Ferner drängen das Risiko und die Macht, die zur Austragung solcher Lebensinteressen nötig sind, zu der Entwicklung kraftvoller großer Staaten.

Diesem Nützlichkeitsstandpunkt, wonach der Staat zum Schutz der persönlichen Freiheit als Grundlage für die Herrschaft der Tüchtigkeit unentbehrlich ist, stehen zwei moderne Weltanschauungen gegenüber: Das Phantom der Weltwirtschaft und das rückläufige System der Rasseneinheit. Keine Täuschung wäre größer, als die Identifizierung der Interessen der Menschheit mit Weltwirtschaft. Die Erziehung zum reinen Menschentum oder zum Bürger eines Staates ist kein Gegensatz. Nur die Erdoberfläche ist eine Einheit, die Menschheit nicht; die Staaten sind die Verkörperungen des verschiedenartigen menschlichen Werdens und Schaffens. Fortpflanzung, Harmonie und Intelligenz sind ihre Stützen wie diejenigen der Menschheit im ganzen; aber so übereinstimmend sich auch die großen Probleme der Arbeits-, Einkommens- und Besitzverteilung in der Welt gestalten, die Entwicklung der Gattung, der Weg vom Willen zur Tat und vor allem der Besitz der Macht, die den auf eigene, nicht auf abgeleitete Kraft sich stützenden Dezentralisationsorganen innewohnt, setzen selbständige Staatenbildungen voraus. Der selbständige Staat ist der natürliche, in sich lebensfähige Dezentralisationskörper der Menschheit, der seine Eigenart als Lebenskraft betätigen und seine nationale Einheit wahren muss, ohne die eine persönliche Freiheit nicht denkbar ist, weil Zügellosigkeit stets zur Unfreiheit der Besseren führt. Die kosmopolitische Tendenz schafft weder Selbstüberwindung noch Exekutive, und würde die Staatenbildung kraft natürlicher Entwicklung verneint, wäre der Aufbau künstlicher, in sich nicht fortbildungsfähiger Schranken die Folge.


Nicht minder bedenklich ist die Identifizierung des Staatsbegriffs mit der Einheit der Rasse. Allerdings ist die Rasse ein Bollwerk der Eigenart der Gattung. Aber die Persönlichkeit steht mit ihrem Erhaltungstrieb über der Gattung, und nicht die naturwissenschaftliche Rassenschematisierung, sondern die Eigenart der Persönlichkeit ist der treibende Punkt im wirtschaftlichen Leben. Die Rasse ist kein ständiger, entwicklungsunfähiger Körper. Im Gegenteil: Fortschreitende Rassen sind durch die Aufnahme anderer lebensfähiger Elemente zum Übergewicht gekommen, wofür die Geschichte die glänzendsten Beispiele gibt. Die Rassenmischung muss sich ohne Schädigung der nationalen Einheit des Volkes innerhalb der Staatsentwicklung unter alleiniger Führung der besseren Rasse vollziehen; hierbei spielen die wirtschaftlichen Interessen und die auf Grundlage der persönlichen Freiheit selbstgewonnene Überzeugung von der Überlegenheit der besseren Rasse die Hauptrolle. Die Bevölkerungen aller Kulturländer sind mehr oder minder Mischrassen. Der Mischungsprozess vollzieht sich in sehr langen Zeiträumen und ist oft der Vorbote von dem Auf- und Niedergang der Staaten. Namentlich ist das Herrenrecht der besseren Rasse bedroht, wenn diese nicht der mit zunehmenden Alter verbundenen Absterbungsgefahr durch Emporheben ihrer Mischrassen auf die bessere Kultur rechtzeitig vorbeugt. Selbst diejenigen, die den größeren Gemeinsinn reiner Rassen rühmen und die Gefahren der Rassenverschlechterung infolge der Zunahme des modernen Wanderverkehrs betonen, können die aus einer Rassentrennung der Menschheit drohenden Konflikte nicht leugnen.

Diese Ausführungen leiten zu dem Grundsatz, dass die innere Kraft das Rückgrat des Staates bleiben muss, und dass nur soweit diese nicht gefährdet wird, für wirtschaftliche Interessen, nicht für Kulturprobleme, eine Weltpolitik zulässig ist. Die Zeiten, in denen die Staaten den Schwerpunkt auf das Weltgebiet verlegen, tragen Sturmcharakter, und die Sturmzentren der Welt verschieben sich schnell. Wie bei den Menschen beginnt auch bei den Völkern das Sterben, wenn sie Überlieferung und Stammeseigenart verlieren oder monopolisieren. Erst Organisation und Festigkeit im Staate, dann Beziehungen von Staat zu Staat. Keine Nivellierungssucht auf internationalem Boden, von dem die herabziehende Konkurrenz der tieferstehenden Kultur und die Herrschaftslust unruhiger Staaten, aber keine persönliche Freiheit kommt.

Die innere Kraft des modernen Staates ist abhängig von dem Zusammenwirken der persönlichen Freiheit und der Autorität auf dem Boden des Rechtes und der Toleranz. Ohne Rechtsordnung keine Freiheit, ohne Autorität keine Rechtsordnung und ohne Duldsamkeit, die ein besserer Motor als Einheitszwang ist, keines von diesen.

Die Autorität im Staate kann verschiedene Formen haben; in jedem Falle muss sie das Ständige verkörpern, eine Tradition für sich haben und die höchste Stufe der Tüchtigkeit sein. Ohne Autorität wird die Ordnung von Edelmenschen oder schlechten Köpfen abhängig, zwischen Despotismus und Widersetzlichkeit hin und her geworfen. Selbst die radikalsten Parteien können den Autoritätsglauben nicht entbehren. Aber grundverschieden von der Autorität wechselnder Parteien ist die im Staate notwendige ständige Autorität über den Parteien, ein fester Punkt gegenüber den wechselnden Zeitströmungen. In dem Kampf der Parteipolitik mit dieser durch die Tradition gestützten Autorität liegt der Brennpunkt für die Austragung der Machtinteressen. Gerade, je wandelbarer das wirtschaftliche Leben infolge der vorwärts schreitenden technischen Veränderungen wird, desto weniger darf die Tradition in der Ordnung der Machtverhältnisse schwinden und das Gleichgewicht der Parteiherrschaft ausgeliefert werden. Zwar die wirtschaftspolitischen Probleme vertragen nur große Parteibildungen; aber deren natürliche Entwicklung leidet unter der Verquickung mit der politischen Parteibewegung, bei der unbedeutende Ereignisse zu fundamentalen Änderungen Anlass geben, und Unzuverlässigkeit Regel wird. Wenn nur zwei große Parteigruppen bestehen, steht der Autorität eine feste Stütze in der Mehrheitspartei zur Verfügung. Je größer dagegen die Zahl selbständig tätiger Parteien ist, desto mehr nutzloser Streit und Ohnmacht im ganzen, günstigsten Falles eine Einigung in nationalen Lebensfragen. Das Bedenklichste ist die Übermacht einer Partei, die nicht selbst die Mehrheit hat, aber die Minderheitsparteien im Schach hält und von Fall zu Fall benutzt. Hier liegt der Nährboden für die der Autorität und Gesetzgebung so schädlichen Zufallskompromisse. Demgegenüber muss die Autorität im Staate mit selbständiger Verantwortlichkeit auf dem Boden ihrer rechtlichen Befugnisse fest und tolerant, vor allem nicht kleinlich handeln und die Führung behalten. Begibt sie sich ins Schlepptau der Parteien, oder stützt sie sich mehr auf die wankelmütigen als auf die tatkräftigen Elemente, so ist sie ebenso bedenklich, wie eine reine Parteiherrschaft mit selbstsüchtigen Interessen. Das Parteigetriebe, das zu allen Zeiten das gleiche ist und nur die Formen wechselt, wäre ein Hemmschuh der Kulturentwicklung, wenn sein Kampf nicht die Durchgangsstufe zur Erprobung der persönlichen Tüchtigkeit wäre. Wohin der Würfel fällt, ist eines der vielen unlösbaren Rätsel. Abgesehen von vorübergehenden Blendern spricht die Vermutung gegen die Schönredner und Stürmer, und für die mit kühler Abwägung und praktischer Erfahrung Tätigen, die Gegenwart und Vergangenheit zu verbinden wissen. Abstrakte Geister und Beredsamkeit sind keine Macht, wo starker Wille herrscht.

Wenn für eine völlig spruchreife Frage aus dem Wirrwarr der Verhältnisse eine Lösung auf dem Boden der persönlichen Freiheit sich nicht erzielen lässt, dann ist der Gebrauch der Macht Pflicht der Autorität. Besser die Freiheit allein, als mit der Freiheit die Gerechtigkeit opfern. Solche vorübergehende Krisen werden um so schneller überwunden, je mehr die persönliche Freiheit die Frucht eines langen gegenseitigen Erziehungsprozesses innerhalb des nationalen Staates ist. In einem internationalen Verband wäre der Wechsel von Gewalt- und Freiheitsepochen die Regel, die Gewaltsamkeit abwechselnd Ursprung oder Folge der Freiheit, der Segen nationaler Geschichte, Tradition und Eigenart des Volkes verlorenes Gut. Familie und nationaler Staat sind die beiden Grundsteine für die persönliche Freiheit in Recht und Pflicht, die erstere als die natürliche Gliedteilung der menschlichen Gesellschaft, der letztere als das natürliche Arbeitsfeld. Auf allen Arbeitsgebieten leistet eine Nation durch die Entwicklung ihrer Eigenart der Menschheit größeren Nutzen, als durch Nachahmung anderer Nationen.