Der Arbeitsvertrag.

Wohl ist der Arbeitsvertrag als rechtlich klagbare Grundlage für die Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit über Zins und Lohn und die Erhebung der Lohnforderung zu einem Rechtsanspruch ein großer Fortschritt. Indessen: mehr als auf die juristische Form kommt es auf die wirtschaftliche Bedeutung des Inhalts an. Beide haben das gemeinsame Interesse an der Produktion, weil sonst die Arbeitskraft beschäftigungslos, das Kapitel ertragslos wäre. Mehr als von den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles ist der Arbeitsvertrag von der allgemeinen Entwicklung beherrscht, die hierfür keine Schablonen kennt, weder naturgemäße Anteile, noch mechanische Maßstäbe. Die Sätze: „Alles, was nach Bezahlung der Arbeit übrig bleibt, gilt als Belohnung des Kapitals“, oder umgekehrt: „Dem Arbeiter gebührt alles, was nach Deckung des landesüblichen Kapitalzinses vorhanden ist“, berühren überhaupt nicht den Kern. Gleich bedeutungslos ist die Behauptung, dass der Lohn sich auf die Dauer den Kosten der notwendigen Lebenshaltung anschließe, während das Kapital das Übrige erhalte, sonach die Zinshöhe von den Anschauungen abhänge, die jeweils über den Umfang der notwendigen Lebenshaltung herrschen. Auch mit den Selbstkosten der Arbeit ist kein greifbarer Maßstab gefunden. Es gibt nur eine Antwort: Der Arbeitsvertrag soll ein vom Gerechtigkeitsgefühl geleiteter Gesellschafts- und Friedensvertrag sein; in ihm spiegelt sich die Güte oder Reformbedürftigkeit der Wirtschaftsordnung im ganzen wieder.

Für die beiderseitigen Ansprüche kommen in der Hauptsache folgende Gesichtspunkte in Betracht. Lohn und Zins haben das gemeinschaftliche Interesse, dass der Ertrag eine große Menge und einen hohen Einheitspreis bringt. Bei gutem Ertrag sei es in der Menge oder im Einheitspreis kann eine geringere Anteilsquote ein höheres Einkommen bringen, als bei schlechtem Ertrag eine größere Quote. Ein langsames Steigen von Lohn und Zins unter Besserung der Produktionsverhältnisse ist daher von Nutzen, rasches Steigen unter Schädigung der Leistungsfähigkeit der Produktionsquelle von Nachteil.


Weiter kommt in Betracht die Menge an Kapitaleinschuss und Arbeitszeit in Verbindung mit der Qualität des Stoffkapitals (namentlich der Leistungsfähigkeit der Maschine) und der Arbeit. Die Entscheidung im ganzen ergibt die Wertfeststellung am Ende des Produktionsabschnittes. Inzwischen wird der Arbeitslohn im Arbeitsvertrag schon im voraus vereinbart, wogegen der Kapitalist den Unternehmergewinn in dem unter Abschnitt 9 beschriebenen Sinne für seine spekulative Tätigkeit und Risikoübernahme beziehen kann. Jede Entwicklungsform, die in dieses Abfindungssystem eine festere Grundlage unter Zuhilfenahme des Versicherungswesens bringt, dient der persönlichen Freiheit in hohem Grade. Schon der Akkordlohn wirkt als Prämiierung der tüchtigeren Arbeit mit erhöhter Zuverlässigkeit. Der kommunistische Einwand, dass hierdurch die älteren und schwächeren Arbeiter geschädigt würden, ist hinfällig; die Sorge für diese liegt auf anderem Gebiete.

Auf den Boden der Gesellschaft zwischen Kapital und Arbeit tritt die Entwicklung bereits bei der Vereinbarung einer nach der Ertragsbewegung gleitenden Lohnskala oder bei der Einräumung eines prozentualen Anteils am Ertrag. (Prämiierungssystem). Am weitesten voran steht das Kooperativsystem der für eigene Rechnung und Verantwortlichkeit tätigen Produktivgenossenschaft, die als Schlüssel zum gerechten Lohn gepriesen wird. Sie ist unzweifelhaft eine nützliche Konkurrenzform, aber kein Allheilmittel, teils wegen der Kollision der Arbeiterinteressen unter sich, teils wegen der allgemeinen Gefahren des Genossenschaftsbetriebs und der Befürchtung, dass die Einzwängung den aus der unbeschränkten individuellen Tätigkeit entstehenden Fortschritt hemmt. Die Geschäftsleitung aus einem einzigen verantwortlichen Willen wird stets voranstehen. Alle diese Bewegungen deuten auf das große Ringen nach neuen Formen für einen gerechten Anschluss des Lohns an den wirklichen Ertrag hin, und auf das Arbeitsfeld der Versicherungstechnik, die durch Ausgestaltung eines öffentlichrechtlichen Versicherungssystems hinsichtlich des Unternehmerrisikos und der Verlustgefahr bei Kreditgewähr für Kleinunternehmungen auch auf diesem Gebiete die Bahn zum Ausgleich zwischen Kapital und Arbeit ebnen kann.

In dieser Beziehung kann zunächst ein Vorrecht des Kapitals, dass der nach Deckung des für die Existenz des Arbeiters unentbehrlichen Lohns verbleibende Erlös zuvörderst als Zins wenigstens insoweit verwendet werde, als zur Deckung der allgemeinen Lebenshaltung des Besitzers erforderlich ist, nicht anerkannt werden. Die unterste Grenze des Zinses liegt vielmehr in denjenigen Unternehmungen, bei welchen nach Befriedigung der berechtigten Lohnansprüche noch ein für die Existenz des Besitzers hinreichender Überschuss erzielt werden kann.

Hinsichtlich des Anteils der Zeitdauer kann, sofern die Tätigkeit von Arbeit und Kapital nicht gleichmäßig beginnt, oder nicht gleichen Schritt hält, für die Mehrleistung eine Vergütung berechnet werden. Eine weitere Abmachung ist begründet, wenn auf den erst später fälligen Lohn oder Zins vorher Abschlagszahlungen gemacht werden. Dagegen berechtigt der Umstand, dass die ganze Rohstoffmenge bei dem Beginn der Produktion auf einmal eingeschossen wird, das Kapital nicht zu einem Mehranspruch, weil die spezifische Tätigkeit des Stoffes sich nur gleichzeitig mit der zunehmenden Arbeit entwickeln kann 10).

Von Bedeutung ist, dass im Falle der Beschaffung des Kapitals durch Schuldaufnahme dieser Leihverkehr einschließlich des Leihzinses eine innere Frage der Kapitalseite ist, durch welche die Lohnansprüche nicht beeinträchtigt werden dürfen. Indessen darf nicht verkannt werden, dass die dem Metallgeldkapital durch den gesetzlichen Zwang zur Annahme gewährte herrschende Stellung im Leihverkehr dem übrigen Stoffkapital gegenüber ein Privilegium schafft, das auch auf die Lohnentwicklung einwirkt.

Für die theoretische Klärung erübrigt noch die Besprechung zweier Punkte: des Einflusses der Menge in Angebot und Nachfrage und der nivellierenden Tendenz im Lohn und Zins, die beide im modernen Zeitalter der Lokomotive, der größten Beweglichkeit in kürzester Frist und weitestem Raum einen fundamental anderen Charakter tragen, als im Zeitalter der Postkutsche, der Schwerfälligkeit und Einschränkung. Der Überschuss in Angebot und Nachfrage, der nichts anderes bedeutet, als dass mit steigender Menge die Bedeutung und der Wert der Mengeneinheit sinkt, oder der Fehlbedarf mit umgekehrter Wirkung sind im modernen Zeitalter nur vorübergehende örtliche oder zeitliche Erscheinungen, die sich von selbst durch Zu- und Abzug von Kapital und Arbeit rasch ausgleichen, die regelmäßige Entwicklung von Lohn und Zins als außerordentliche Vorkommnisse zwar unterbrechen, aber in nachhaltiger Wirkung nicht unterbinden können. Das Kapital kann sich leicht sammeln und zurückziehen; nur die Sucht nach raschem und hohem Gewinn oder wagehalsige Spekulation führen es zeitweise auf Irrwege. In der Arbeiterschaft andererseits wächst das Streben nach einer dauerhaften und regelmäßigen Arbeitsstätte, was selbstredend die Ausnutzung besonders günstiger Konjunkturen an anderen Orten nicht hindert, das unruhige Element aber einer nomadisierenden Minderheit überlässt.

Im Zusammenhang hiermit steht die nivellierende Tendenz, die sowohl Lohn als Zins in sich tragen. Für die ganz gleiche Arbeitsleistung wird innerhalb der einzelnen Produktionszweige und zwischen diesen ein Einheitsniveau des Lohns ohne Rücksicht auf die Rentabilität der Einzelunternehmung erstrebt, wobei der Lohn in den geringer rentablen Unternehmungen auf denselben Satz zu kommen sucht, der in den höher rentablen Unternehmungen geleistet wird 11). Diese Lohnbewegung vollzieht sich jedoch nur in einem unter gleichen Bedingungen produzierenden Bezirk. Der Zins sucht sich dagegen infolge der schnelleren und leichteren Wanderfähigkeit des Kapitals bei Gleichartigkeit der Bedingungen allgemein zum Teil auf internationalem Gebiete auszugleichen, wobei auch der Umstand, dass der Leihzins bei gleichen Sicherheitsbedingungen nach Einheitssätzen drängt, mitwirkt. Dass diese umfassende Bewegung sich in vernünftiger Weise da, wo das Einheitsinteresse begründet ist, ohne Gleichmacherei, ohne Druck auf den Lohn und unter Schonung der Besitzinteressen vollziehen kann, ist auf die moderne Verkehrsentwicklung, die Öffentlichkeit und die Freiheit der Interessentenvereinigung auf wirtschaftlichem Gebiete zurückzuführen.

Das Licht der Öffentlichkeit trennt den Kern leicht von Nebenpunkten, schützt vor Einseitigkeit und ist die Voraussetzung für den Schutz gegen Missbrauch der Koalitionsfreiheit. Neben den gemeinsamen Interessen besteht auch ein natürlicher Interessengegensatz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wie zwischen Verkäufer und Käufer, der auf beiden Seiten zur Anwendung von Mitteln fuhren kann, mit denen Machtfragen ausgetragen werden. Als Endziel muss aber jede zur Wahrung bestimmter Berufsinteressen entstandene Vereinigung bei Streitigkeiten über Arbeitsbedingungen, Lohntarif und Abänderung des Arbeitsvertrages bei tatsächlich veränderten Verhältnissen nicht den Kampf, sondern die Einigung betrachten, nicht Missbrauch treiben, sondern gegen Missbrauch schützen und sich vor den beiden Hauptgefahren, den Übergriffen auf das politische Gebiet und dem Terrorismus gegenüber den ihr Fernbleibenden hüten.

Die Interessenvereinigung ist als Organisation des Klassenkampfs verwerflich, auch im übrigen kein Allheilmittel, vielmehr oft dem Mengenkultus und der Herrschaft der Mittelmäßigkeit ausgesetzt, nicht wählerisch in den Mitteln, ebenso zur Unterschätzung der Autorität wie zur Unterdrückung entgegenstehender Arbeiterinteressen geneigt. Immerhin: besser unterwirft sich der Pflicht, wer sein Recht geltend machen kann, und zumeist ist Unordnung noch schädlicher, als der Übereifer einer Berufsorganisation. Nur muss das öffentliche Wirtschaftsrecht Schranken zur Wahrung der verantwortlichen Autorität, gegen Vertragsbruch, Einmischung nicht unmittelbar Beteiligter, gegen Tyrannei gegenüber der Minderheit und den Arbeitswilligen ziehen und Grundlagen für den Hauptzweck, die Einigung, schaffen.

Allgemeine ständige Einigungsämter neigen zu Schablonen und Scheinkonzessionen. Noch bedenklicher sind ständige von beiden Seiten gewählte Schiedsgerichte; sie sind dem Druck der Parteiprogramme und Vorurteile ausgesetzt. Der zweckmäßigste Weg ist, dass die Beteiligten von Fall zu Fall die beste Ausgleichsform durch besondere Einrichtungen suchen. Weil die Kampfmethoden wechseln, und die Ursachen der Streitigkeiten verschiedenartig sind, müssen auch die Mittel der Friedensstifter veränderlich sein.

Auch die Arbeitseinstellung oder Aussperrung hat eine andere Bedeutung, je nachdem sie als Angriff oder Abwehr erfolgt, sich auf rein wirtschaftlichem Boden bewegt oder als Gewaltmittel für politische Propaganda missbraucht wird und in diesem Falle politische Gegenmaßregeln provoziert. In wirtschaftlichen Kampfesfragen ist die nicht unmittelbar beteiligte öffentliche Meinung zumeist von richtigen Instinkten geleitet, und keine Arbeitseinstellung oder Aussperrung kann sich auf die Dauer gegen deren Urteil halten. Unter diesen Umständen ist namentlich in großen weittragenden Fällen ein von einem für den betreffenden Fall besonders sachverständigen unabhängigen Organ ausgehender Spruch ohne Zwang weit wirkungsvoller, als die Entscheidung eines Schiedsgerichts, die nur mit Zwang ausgeführt werden könnte.

Die Kämpfe zwischen Lohn und Zins, sowie der Arbeitergruppen untereinander sind an sich reine Interessenfragen, bei denen eine Verständigung stets möglich ist, sofern sie auf realem Boden behandelt und von Nebenabsichten und Stimmungseinflüssen freigehalten werden; sie sind Durchgangsstufen zu der unter den Produktionsverhältnissen der modernen Entwicklung angestrebten Vervollkommnung des Arbeitsvertrages und der Arbeitsordnung mit dem Ziele, dass die Neubildung von Kapital sich mehr aus dem Lohne als aus dem Zins vollziehe. Der Zins kräftigt bestehenden, Ersparnis schafft neuen Besitz; in dem ersteren liegt der Rückhalt, in dem letzteren die Verjüngung 12), Wenn Besitz und Nichtbesitz zu groß und die Mittelstufen zu klein sind, fehlt die Verantwortlichkeit und leidet die Tüchtigkeit.