Der Arbeitslohn.

Für diejenigen, die den Kapital- und Arbeitsaufwand eines Produktionsprozesses in sich vereinigen, kommt nur die Höhe des Produktionsertrages in Betracht. Wie viel sie nach Verzinsung und regelmäßiger Tilgung einer etwaigen Kapitalschuld auf Kapitalzins und Arbeitslohn rechnen, steht ihrem Ermessen frei. Dagegen kommt, wenn der Arbeiter nicht zugleich im Besitz des Kapitals ist, außer der Höhe des Produktionsertrages die genaue Verteilung desselben zwischen Lohn und Zins in Frage. Im allgemeinen gilt der Satz: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Dementsprechend lassen sich drei Hauptgattungen der gelernten Arbeit mit zahlreichen Zwischengliedern: die geringe, mittlere und gute Arbeit als Grundlage für die Lohnabstufung unterscheiden. Für die Einreihung in die einzelne Gattung kommt nur die brauchbare Durchschnittsarbeit in Betracht; eigenartige Arbeit, sei es in Mängeln oder in Vorzügen, erfordert besondere Behandlung. Die unterste Stufe, die nichtgelernte Arbeit, hat in allen Produktionszweigen ein gleiches Niveau, während in den Stufen der gelernten Arbeit der Charakter des Produktionszweiges für die Bedeutung der Arbeit entscheidend ist. Von Interesse ist zunächst die unterste Stufe, die allgemeine einfache Dienstleistung, weil es sich hier um den Grundwert der Arbeit, die Sicherstellung des für die Existenz des Arbeiters erforderlichen Bedarfs handelt, auf welchen sich sodann die Ansprüche auf ein höheres Lohneinkommen für die Stufen der gelernten Arbeit aufbauen. Der Kapitalbesitz ist im ganzen verpflichtet, der Arbeit Rückhalt für die Erhaltung ihrer Kraft zu bieten, weil es ein Geschöpf der beiden Produktionselemente, Natur- und Arbeitskraft ist, von denen die erstere zur Erhaltung der letzteren bestimmt ist. In diesem Sinne kann von einem Minimallohn gesprochen werden, der geleistet werden muss, bevor ein Kapitalzins entstehen kann. Zwei Fragen treten hier in den Vordergrund. Worin besteht der durch den Minimallohn zu deckende Mindestsatz der Lebenshaltung? und: vollzieht sich eine Vorwärtsbewegung der letzteren unter der Herrschaft der persönlichen Freiheit von selbst?

Unter dem Mindestsatz der Lebenshaltung ist nicht der absolut niedrigste Stand der Bedürfnisse zur Lebensfristung, sondern ein sich allmählich dem Fortschritt der übrigen Lebenshaltung entsprechend verbesserndes Niveau zu verstehen. Die geringste Lohnstufe muss sich über die Maschinenrente erheben, die sich auf Unterhalt und Erneuerung beschränkt; sie muss die Voraussetzungen für eine Familie, Garantien gegen eine Degeneration, und die Möglichkeit gewähren, über den täglichen Bedarf hinaus eine wenngleich beschränkte Balance zwischen Notwendigem und relativ Entbehrlichem durch vernünftiges Verhalten eintreten zu lassen 8). Diese unterste Lebenshaltung muss sich allmählich verbessern, weil die kostenlose Steigerung der Massenproduktion ohne Mehrarbeit durch die wirtschaftlich-technischen Fortschritte und leistungsfähigeren Organisationsformen auch den Massenverbrauch der allgemeinen Bedarfsartikel erweitern muss, ferner weil diese Massenproduktion der Maschinen den Bedarf an Arbeit der einfachsten Formen keineswegs vermindert, sondern getrieben durch die Konkurrenz und die Kapitalkonzentration weiter steigern muss und endlich weil unter einer Kulturentwicklung, die auf politischem Gebiete Gleichheit, Assoziationsfreiheit und Öffentlichkeit anerkennt, alle sozialwirtschaftlichen Bemühungen gerade auf diesen Punkt gerichtet sind. Wie sich diese Tendenz verwirklicht, lässt sich nur aus einem Zusammenhalt der Löhne mit den Preisen der allgemeinen Bedarfsartikel erkennen. Abgesehen von großen allgemeinen Krisen, die zeitweise einen vorübergehenden Druck ausüben können, wird das in einer Kulturperiode gewonnene Niveau der allgemeinen Lebenshaltung und entsprechender Lohnhöhe ohne Gefahr für die ganze Wirtschaftsordnung sich weder zurückschrauben, noch in einer der Vorwärtsbewegung im übrigen entsprechenden Verbesserung hemmen lassen.


Andere Gesichtspunkte treten bei den verschiedenen Stufen der gelernten Arbeit in Erscheinung. Diese ist mit dem Schicksal des betreffenden einzelnen Produktionszweiges verknüpft, und zwar um so mehr, je wertvoller ihre spezielle technische Fertigkeit ist. Die größere oder geringere Rentabilität und Krisengefahr des speziellen Produktionszweiges, die richtige Einreihung der individuellen Qualitätsleistung im Vergleich zu anderen, der für die Erlernung und Fortbildung gemachte Aufwand sind hier der Gegenstand rein individueller Fürsorge und der Geltendmachung der persönlichen Interessen. Es liegt auf der Hand, dass die Lohnhöhe sich der Bedeutung der Arbeit für das einzelne Unternehmen anschließen, und die bessere Lebenshaltung allgemein auch die Möglichkeit einer Kapitalansammlung aus dem Arbeitslohn gewähren muss. In dem Entstehen des Kapitalbesitzes aus dem Arbeitslohn liegt die sicherste Gewähr gegen Missbrauch des Besitzes. Je mehr der Erfolg des Unternehmens von der individuellen Qualität der Arbeit abhängig ist, desto höher muss die Lohnquote an dem Produktionsertrag sein. Auch steigt mit jeder Vervollkommnung der technischen Mittel der spezifische Wert der Arbeit, soweit diese die Unterlage für die Ausnutzung des technischen Fortschrittes bildet 9). Dass dieser vielgestaltige Wertungsprozess der Arbeit, in dem sich die Kräfte der persönlichen Freiheit messen, sich ausschließlich unter der Herrschaft der Gerechtigkeit vollzieht, und eine Herabdrückung der besseren Arbeiten in geringere Lohnstufen nicht zur Notwendigkeit wird, ist die Lebensfrage der ganzen Wirtschaftsordnung. Alle wirtschaftlichen Ursachen und Wirkungen fließen hier ineinander. Es kann hiernach weder von einer Einheitlichkeit der Arbeiterinteressen, noch von einem gemeinschaftlichen Nenner der Arbeit als einheitlichen Repräsentanten für die verschiedenen Arbeitskategorien und als Maßstab für Leistung und Lohn, noch von einem allgemeinen Durchschnittslohn, der abwärts nach der geringsten Lebenshaltung dränge, gesprochen werden. Die Verelendungstheorie, wonach beim Steigen des Lohns über den notwendigsten Satz sich die Arbeiterzahl rascher vermehre und das Mehrangebot von Arbeitskräften den Lohn wieder herabdrücke (das sog. eherne Lohngesetz) gehört den früheren abgeschlossenen und technisch unvollkommenen Produktionsperioden an und wird schon durch den Hinweis darauf entkräftet, dass jeder technische Fortschritt, der die Massenproduktion erleichtert, zu einer Besserung der allgemeinen Lebenshaltung führen muss. Zwar drängt auch der Arbeiter nach den Produktionszweigen, wo der Lohn höher ist, und die gleiche Arbeitsleistung drängt nach Nivellierung der Löhne ohne Rücksicht auf die Höhe des Produktionsertrages; dies sind jedoch ganz natürliche Strömungen, denen auch der Kapitalzins unterworfen ist, und die, wie im folgenden Abschnitte näher erörtert ist, bei der Auseinandersetzung zwischen Lohn und Zins keineswegs zum Nachteil des ersteren ausschlagen müssen.