Wirtschaftliche Gesetzgebung und Verwaltung.

Hier steht die moderne Gesellschaft vor ihrem schwierigsten Problem, dem Verhältnis des aus der politischen Entwicklung hervorgegangenen allgemeinen gleichen Wahlrechts zu der Verschiedenartigkeit der Berufsund Lebensinteressen in der wirtschaftlichen Entwicklung. Auf politischem Gebiete herrschen Parteibildung, Streben nach Alleinherrschaft oben, nach allgemeiner Gleichheit unten, auf dem wirtschaftlichen dagegen die Notwendigkeit parteiloser Elastizität und der Bewegungsfreiheit für die sich widersprechenden Interessen, — dort Parteidisziplin, hier persönlicher Unternehmungsgeist, dort kein Schutz der Minderheit, sondern die Macht, hier das Bedürfnis eines neutralen Bodens für gerechte Entscheidungen zum Schutze der Schwachen. Das allgemeine gleiche Wahlrecht schafft für das wirtschaftliche Gebiet eine unüberbrückbare Kluft, weil es den Vorrang der Tüchtigkeit im Berufe verneint und durch das Übergewicht der Menge zum Ausschluss berechtigter wirtschaftlicher Interessensphären führt. Stets muss es in dem Wirtschaftskörper organisch entstandene und tätige, von vorübergehenden Strömungen unabhängige Berufs-Gruppenbildungen mit festen Traditionen geben — nicht im Sinne des Kastengeistes, sondern als Vertreter der Eigenart —, denen die Führerschaft für eine vernünftige weiterbauende Tätigkeit obliegt und die gleich jeder Gattung je nach ihrer Tüchtigkeit leben oder sterben. Fehlt der Einfluss der Berufstätigkeit auf die wirtschaftliche Gesetzgebung, so wird diese bureaukratisch oder radikal und in jedem Falle von den Schattenseiten der parlamentarischen Tätigkeit — Einseitigkeit, Kompromisssucht, Unklarheit, Kasuistik, Misstrauen in die Exekutive, Übermenge von Kontrolle — beherrscht, und dem geheimen Interesseneinfluss auf versteckten, schwer greifbaren Wegen ausgeliefert. Lässt sich noch von dem Willen des Gesetzgebers als Quelle der Rechtssprechung und Verwaltungstätigkeit sprechen, wenn in den Parlamenten die wichtigsten Gesetzesbestimmungen durch eine oft ganz geringe Zufallsmehrheit oder durch aus ganz anderen Erwägungen entstandene Kompromisse in das Gesetz kommen?

Kann man von einer Geschlossenheit der Gesetzgebung als Grundlage des öffentlichen und privaten Rechtsverkehrs reden, wenn Lücken, Widersprüche und Zusammenhanglosigkeit nicht selten sind? Die einseitigste, der Parteileidenschaft nützlichste parlamentarische Form ist das Einkammersystem. Aber auch eine gleichberechtigte überwiegend durch Berufswahlen gebildete Kammer neben dem aus allgemeinen gleichen Wahlen hervorgehenden Parlament (Oberund Unterhaus, Senat und gesetzgebender Körper, erste und zweite Kammer) ist kein genügendes Gegengewicht für die Kardinalfrage, die technische Einheit der Gesetzgebung und die scharfe Scheidung in der Zuständigkeit der Gesetze und der Verwaltung. Ihre Tätigkeit kann Schlimmes verhüten, auch für die Wahrung berechtigter Tradition sorgen, aber in der Hauptsache wird sie sich auf die Annahme oder Ablehnung en bloc, oder auf die Austragung einzelner wichtigen Prinzipienfragen beschränken, wenn nicht ständiger Konflikt oder Unterwerfung ihr Los ist.


So entsteht die Frage: Ist ein die rein wirtschaftlichen mit den politischen Fragen verschmelzendes, auf dem allgemeinen gleichen Wahlrecht beruhendes einheitliches parlamentarisches System oder eine Sonderbehandlung beider Gebiete berechtigt? Sie muss zu Gunsten der letzteren Lösung entschieden werden. Ein großes aus allgemeinen Wahlen hervorgehendes Parlament sollte in wirtschaftlichen Angelegenheiten keine Alleinherrschaft, sondern ähnlich dem Referendum in Staaten mit unmittelbarer Volksabstimmung nur ein Einspruchsrecht im ganzen ausüben, und nur allgemeine Grundsätze, keine Detailpunkte feststellen, während Initiative und Gesetzesformulierung einer technisch geschulten, aus allen Berufsgruppen gewählten rein wirtschaftlichen Vertretung zu übertragen wäre. So kämen in einem großen allgemeinen Volksparlament und einem kleineren von diesem unabhängigen wirtschaftlichen Berufsparlament beide Interessen zur Geltung, statt dass heterogene wirtschaftliche Elemente unter politischen Schlagworten in einem widerspruchsvollen Agitationskörper zusammengedrängt, wirtschaftliche Fragen als Sprungbrett für politische Machtbestrebungen benutzt, und politische Forderungen wirtschaftlichen Klasseninteressen dienstbar gemacht werden. Nur durch eine verfassungsmäßige Auseinanderhaltung der beiden Gebiete in Gesetzgebung und Verwaltung können die berechtigten Klagen über technische Fehler und Widersprüche, über Mangel an Einheit, innerem Zusammenhang und Großzügigkeit der modernen von politischen Partei- und Zeitströmungen abhängigen wirtschaftlichen Gesetzgebung beseitigt werden.

Auch volle Öffentlichkeit und Freiheit der Presse bieten keinen genügenden Schutz gegen Bureaukratie und Übermacht der Verwaltung und des parlamentarischen, von Cliquen- und Führerintoleranz beherrschten modernen Parteiwesens. Warum soll in einer Zeit, die mit Recht verlangt, dass überall die Entscheidung sachverständigen, im praktischen Leben stehenden Berufsorganen, statt doktrinären Einrichtungen anvertraut wird, in der höchsten wirtschaftlichen Instanz, dem gesetzgebenden Körper nicht für alle wirtschaftlichen Gruppen unbeschadet eines freien Wahlrechts innerhalb derselben ein Mitwirkungsrecht gesichert werden? Wie soll ohne solche Mitwirkung das Ziel: „Weniger Gesetze, bessere Sitten“ erreicht, und der modernen Gefahr: „Überzahl der Gesetze und Verdrängung der Tüchtigkeit im einzelnen durch die Mittelmäßigkeit in der Menge“ vorgebeugt werden? Die Geschichte lehrt, wie häufig die politisch freiesten Staaten auf wirtschaftlichem Gebiete lediglich einseitigen Klasseninteressen dienten, und der Fehler ist gleich groß, wenn es sich um Einseitigkeit gegenüber den sog. oberen oder unteren Klassen handelt.

Als Vorbild für die Scheidung der beiden Gebiete kann im allgemeinen die in den obersten Verwaltungsinstanzen der meisten Kulturstaaten bestehende Ressortteilung dienen, wobei die in das wirtschaftliche Leben tief eingreifende, und von diesem abhängige Steuergesetzgebung zu den wirtschaftlichen Angelegenheiten zu zählen ist.

Was die Gesetzgebung auf wirtschaftlichem Gebiet betrifft, so sind die Gesetze nutzloses Räderwerk, wenn sie nicht in den lebendigen Besitz der Menge übergehen, und die Tüchtigen zum Ausbau anregen. Es empfehlen sich:

a) Ermittlungs- und Übergangsgesetze zur Feststellung des Bedürfnisses. Ist in der Grundlage ein Fehler, sind Einzelvorzüge wirkungslos; besser kein Gesetz als ein schlechtes. Neid, Missvergnügen und die Lust, für die aus einer schlechten Gesetzgebung gezogenen Vorteile bei der Reform Sühne zu üben, sind für die Gesetzestätigkeit ebenso schädlich, wie Gelegenheitsgesetze. Namentlich sind, sofern die technischen Vorfragen noch nicht genügend klar liegen, nicht Gesetze, sondern auf den Einzelfall berechnete Verwaltungsanordnungen am Platze.

b) Spezialgesetze, sofern nicht unzweifelhaft ein allgemeines Bedürfnis besteht. Das öffentliche Recht, das die Pflichten der einzelnen bestimmt, soll weniger durch Gebote, als durch Verbot dessen, was über die Rechte der persönlichen Freiheit hinausgeht, wirken, die Freiheit nicht reglementieren, sondern durch Schutzvorrichtungen gegen Missbrauch sichern. Ein auf die gegenwärtigen Bedürfnisse sich beschränkendes Gesetz ist nützlicher, als ein bahnbrechendes Gesetz auf unsicheren Grundlagen.

c) Die Gesetze sollen sich auf die Grundlinien beschränken, nur andeuten, nicht ausführen, und gemeinverständlich im Ausdruck sein. Statt die Wirklichkeit in starre Formen zu pressen, muss man mehr der freien Erkenntnis und Tüchtigkeit der Spruchorgane und Verwaltung vertrauen. Das „Wie“ der Ausführung kann ein schlechtes Gesetz erträglich, ein gutes wirkungslos machen.

Für die Verwaltung ist oberster Grundsatz, dass die Selbständigkeit da besteht, wo die Verantwortung liegt. Wenn der Kopf zu groß, die Füße zu klein sind, überwuchert oben Prinzipien-, unten persönlicher Streit, und je größer die häufig aus parlamentarischem Misstrauen entspringende Zentralisation ist, desto stärker ist die Abhängigkeit von Tagesmeinungen und Interessen. Von der Tüchtigkeit der äußeren Vollzugsorgane ist das Verständnis der Gesetze in der Bevölkerung abhängig, wie überhaupt in der Kunst des Individualisierens das Geheimnis des Erfolgs jeder öffentlichen Tätigkeit liegt. Im übrigen gelten als wichtige Verwaltungsgarantien: Scharfe Begrenzung der Gewalten vorbehaltlich der festen Einheitlichkeit in der Leitung, tunlichste Trennung der wirtschaftlichen von der politischen Verwaltung, Beteiligung der wirtschaftlich Tätigen in allen Instanzen, namentlich auch der Techniker, deren Verwendung nur als Sachverständige statt bei der Entscheidung eine schwere Rückständigkeit ist, Ausschluss aller Sinekuren, weitgehende Öffentlichkeit im Gegensatz zu der gefährlichsten Waffe der Bureaukratie, der Geheimtuerei, und die Pflicht der Begründung. Die in der modernen Verwaltung bevorzugten Kommissionen von Sachverständigen werden in der Regel zwar wenig Neues schaffen, wohl aber individuelle Gedanken verarbeiten, Tradition und Kritik ausgleichen. Für die verwaltungsrechtlichen Organe genügt äußere Unabhängigkeit nicht; zur Unparteilichkeit muss Sachkenntnis kommen, ein einsichtsloser Spruch ist nicht weniger gefährlich, als ein beeinflusster. Schutz der Persönlichkeit, Milde bei entschuldbarer Tat, Strenge bei persönlicher Schädigung, und Fortentwicklung der gesetzlichen Grundbestimmungen im Geiste der Zeit statt automatischer Handhabung kommen in erster Reihe in Betracht.