§ 3. Preußen

Die Reglementierung der staatsbürgerlichen Knechtung der Juden artete nirgends in solche Ungeheuerlichkeiten aus, wie in Preußen zur Aufklärungszeit Friedrichs II., des Großen. Hier war das ganze Leben der Juden durch die harten Paragraphen des Friederizianischen „Reglements für die Juden“ (1750) wie mit ehernen Fesseln umklammert. Seiner inneren Tendenz nach unterschied sich dieses Reglement, die Frucht der schöpferischen Phantasie eines an die kirchlichen Satzungen nicht glaubenden, freidenkerischen Königs nur sehr wenig von den mittelalterlichen kanonischen Statuten und der judenfeindlichen Gesetzgebung des westgotischen Spaniens.

Durch das Reglement von 1750 und die nachträglichen Erläuterungen zu diesem wurden die Juden des Königreichs Preußen unter die zwei Hauptkategorien der Schutz- und der geduldeten Juden gebracht. Die


1. Die Generalprivilegierten genossen das Wohn- und Gewerberecht auf Grund eines königlichen Privilegs, das sich auf alle ihre Familienangehörigen und auf alle den Juden als Wohnstätte angewiesenen Orte erstreckte.
2. Die ordentlichen Schutzjuden wohnten auf Grund eines Schutzbriefes, in welchem genau angegeben wurde, in welchen Orten sie sich aufhalten, welche Gewerbe sie treiben durften, und auf welche Familienangehörigen sich diese Genehmigung erstreckte; die ordentlichen Schutzjuden durften ihre Rechte nur auf eines ihrer Kinder übertragen, aber im Falle einer besonderen Befürwortung und unter der Bedingung eines soliden Kapitalbesitzes durften sie es auch auf zwei Kinder übertragen; den anderen Kindern war das Handelsrecht entzogen.
3. Die außerordentlichen Schutzjuden genossen das persönliche, lebenslängliche Recht, sich in einem bestimmten Orte aufzuhalten und ein bestimmtes Gewerbe zu betreiben, aber dieses Recht konnte auf ihre Kinder nicht übertragen werden; zu dieser Gruppe gehörten Ärzte, Maler und andere freie Gewerbe ausübende Personen. Der Kategorie der ,,geduldeten Juden“ gehörten Personen an, die ein Amt in der Gemeinde ausübten (Rabbiner, Vorbeter, Schächter), die Kinder der „ordentlichen“, außer den beiden älteren, sämtliche Kinder der ,,außerordentlichen“ Juden, das Hausgesinde u. a. ; ihnen war in verschiedenem Grade verboten, Gewerbe und Handel zu treiben und Ehen untereinander zu schließen (nur durch Verschwägerung war ihnen die Möglichkeit geboten, in die Familien der „privilegierten“ Juden einzutreten). Über die Beobachtung all dieser drakonischen Gesetze wachte ein von der Regierung eingesetztes Generaldirektorium, bestehend aus Mitgliedern des Ministeriums des Innern und des der Finanzen, das alle jüdischen Angelegenheiten in Preußen unter seiner Aufsicht und Leitung hatte.

In der von den Abgeordneten der jüdischen Gemeinden der preußischen Regierung im Jahre 1787 überreichten Denkschrift werden alle Belastungen und Einschränkungen aufgezählt, die das Leben der Juden in Preußen vergällten. Die speziellen Besteuerungen nahmen ungeheure Dimensionen an.

Im Vordergrunde stand das sogenannte Schutzgeld, das der Staatskasse eine jährliche Einnahme von 25.000 Talern brachte und von der gesamten jüdischen Kolonie Preußens unter gegenseitiger Bürgschaft gezahlt wurde. Dann folgten: die Rekrutensteuer, die Silberakzise (kein Mensch weiß, wofür diese Steuer erhoben wird — erklären die Deputierten), eine Steuer für die Bestätigung der jede drei Jahre erfolgenden Wahlen der Vertreter der Gemeinde, die Feuerwehrgebühr, verschiedene Arten der Stempelsteuer und viele andere. Als sehr charakteristisch erscheint die bei Ausfertigung von Ehebewilligungen für jede unter den Juden geschlossene Ehe erhobene „Ehesteuer“; die Steuerzahler zerfielen in einige Kategorien, die von 20 bis 80 Taler für jede Ehebewilligung und außerdem noch eine besondere Gebühr von 14 Talern für jeden Trauschein zahlten; bei der zweiten Ehe wurde eine Zuschlaggebühr erhoben. Solche beträchtlichen Steuern machten unvermögenden Leuten das Eingehen einer Ehe unmöglich. Die natürlichen Folgen der Ehe flößten den Ehepaaren noch größere Angst ein. Für die Registrierung jedes der Kinder musste man an die Staatskasse bis zu 160 Talern zahlen. Das berühmte Geleit wurde nicht nur von ausländischen, sondern auch von einheimischen Juden bei ihrer Übersiedelung von der einen preußischen Provinz nach der anderen erhoben. Die Behandlung der Steuerzahler, erklären die obenerwähnten Deputierten, ist äußerst demütigend und degradiert den Juden zum Vieh. Im Jahre 1788 befreite das Gesetz die preußischen Juden von dem Geleit, indem es letzteres nur für ausländische Juden als obligatorisch erklärte; aber dadurch wurde die demütigende Prozedur des „Durchlasses“ nicht beseitigt, denn um einen steuerfreien Passierschein zu erhalten, musste der Jude bei den städtischen Torwachen seine preußische Staatsangehörigkeit dokumentarisch beweisen. Übrigens sicherte ein derartiger Passierschein in einigen Provinzen (Vorpommern und anderen) dem Juden einen Aufenthalt von nur 24 Stunden. Als Gipfel der Findigkeit der Regierung Friedrichs II. muss die bekannte, für alle preußischen Juden im Jahre 1769 festgesetzte Porzellain-Exportation-Steuer bezeichnet werden. Jeder Jude wurde beim Eingehen einer Ehe, dem Ankauf eines Hauses und dem Abschließen anderer zivilrechtlicher Verträge verpflichtet, aus der königlichen Fabrik Porzellanfabrikate im Betrage einer bestimmten Summe (bis 300 Taler) zu kaufen, und diese Fabrikate, wenn auch mit Schaden, im Auslande abzusetzen. Diese aufgezwungene Förderung der vaterländischen Industrie brachte den Juden Preußens im Zeiträume von nur 8 Jahren (1779 — 87) Verluste aus gekauftem Porzellan im Betrage von 100.000 Talern; bei denjenigen, die nicht kapitalkräftig genug waren, um die ihnen aufgedrängte Ware zu bezahlen, wurden die Häuser gepfändet und verkauft. Und auch nach allen diesen Eintreibungen blieben den Juden der Staatskasse eine beträchtliche Summe schuldig (im Jahre 1786: 52.000 Taler). Erst im Jahre 1788 befreiten sich die jüdischen Gemeinden durch Zahlung einer einmaligen Abfindungssumme von dieser Porzellansteuer. Das Berliner Porzellan der königlichen Manufaktur war im In- und Auslande unter der ironischen Benennung „Juden-Porzellan“ bekannt.

Welches waren denn die Rechte, die den Juden als Entgelt für alle diese schweren Opfer zugunsten der Staatskasse geboten wurden? Trotz des Überflusses an freiem Ackerland in dem damaligen Preußen war den Juden der Ackerbau verwehrt; Ländereien und landwirtschaftliche Betriebe zu erwerben oder auch bloß in Pacht zu nahmen, war ihnen verboten, ebenfalls war ihnen untersagt, Branntweinbrennereien und Bierbrauereien zu besitzen. Die in allen Städten sich breit machenden Gewerbezünfte schnitten den Juden den Zutritt zu jeglichem Gewerbe ab und nahmen keine jüdischen Kinder als Lehrlinge auf. Selbst auf dem den Juden zur Verfügung gestellten Gebiete des Handels blieben ihnen ganze Zweige verschlossen (der Handel mit Lebensmitteln, der Hausiererhandel). In einigen Handelsstädten (Stettin, Magdeburg, Kolberg, Elbing) war ihnen überhaupt der Aufenthalt verboten. In dem den Juden zugewiesenen Ansiedelungsrayon wachte die Administration darüber, dass sie an Zahl nicht zunahmen. Selbst die „ordentlichen Schutzjuden“ durften nicht mehr als zwei erwachsene Kinder in das Register ihrer Familienangehörigen aufnehmen, was darüber hinausging, musste auswandern. Dies brachte den Zerfall und den materiellen Ruin der Familie mit sich. Ein Jude, der sich irgendwelches Vermögen erworben, musste einen beträchtlichen Teil davon für die ausgewanderten Kinder, die in fremden Landen ihren Unterhalt suchten, hergeben. Der jüdische Familienvater durfte sich nicht des Glückes erfreuen, im Kreise der Seinigen, der Kinder und Enkel zu weilen. Er war genötigt, sich von seinen Angehörigen zu trennen und sein Vermögen zu zersplittern. In Königsberg bestand die christliche Kaufmannschaft darauf, dass den Juden keine neuen Begünstigungen hinsichtlich ihres Wohnrechts zuteil werden, damit ihre Zahl nicht zunehme. Auf das Gesuch zweier jüdischer Kaufleute aus Berlin, Itzig und Ephraim, die um Schutz ihrer Handelsrechte baten, schrieb Friedrich II. folgende barsche Resolution: „Was wegen ihres Handels ist, behalten sie. Aber dass sie ganze Fölkerschaften von Juden zu Breslau anbringen und ein gantzes Jerusalem draus machen wollen, das kann nicht seynd.“ Der König wachte sogar eifrig über alle Kuriositäten der alten „Gesetzgebung“ betreffs der Juden. Auf Grund eines unsinnigen Ediktes vom Jahre 1737, das alle verheirateten Juden zum Tragen eines Bartes verpflichtete, beantwortete er abschlägig das Gesuch eines reichen Juden, der um die Erlaubnis, sich den Bart abnehmen zu lassen, nachsuchte. Kein Wunder, dass der berühmte Mirabeau, der im Todesjahre Friedrichs (1786) Berlin besuchte, einige von seinen Gesetzen betreffs der Juden ,,würdig eines Kannibalen“ nannte (loi digne d'un canibale).