§ 19. Patriotismus der Freiheit; Opfer der Schreckensherrschaft

Seit den ersten Revolutionstagen waren viele Juden, und insbesondere die von der Freiheitsbewegung hingerissenen Pariser Juden von jenem Patriotismus ergriffen, der zu jener Zeit die Liebe zur Freiheit und zur Heimat der Freiheit, zum Lande, das als erstes die Rechte des Bürgers und des Menschen verkündet hatte, bedeutete. (Als Patrioten wurden bekanntlich die Anhänger der Revolution bezeichnet.) In den neuen Losungen der „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ hörten die Nachkommen der alten Propheten heimatliche Töne, die jahrhundertelang vom Klirren der Sklavenketten übertönt geworden waren . . . Dieser mächtige Einfluss der revolutionären Atmosphäre im Zusammenhang mit der vorangehenden Einwirkung der aufklärerischen Ideen des XVIII. Jahrhunderts erklärt den so raschen Eintritt der Menschen, die gestern noch in sich verschlossen und staatsbürgerlich isoliert lebten, ins politische Leben. Die regeste politische Aktivität entfalteten natürlich die Pariser Juden. Welchen Grad diese Aktivität erreicht hatte, ist daraus zu ersehen, dass die kleine jüdische Kolonie von Paris schon im ersten Revolutionsjahr 100 Freiwillige in die Nationalgarde stellte. Zur selben Zeit traten die Juden auch den verschiedenen einflussreichen politischen Klubs, wie dem der Jakobiner und der Feuillants als Mitglieder bei. Sie beteiligten sich auch an den Sektions- und Bezirksversammlungen der Pariser Bürger. An diesen Herden politischer Tätigkeit erwarben sich die jüdischen Politiker die Erfahrung und die Energie, die sie im Kampfe für ihre Gleichberechtigung, in ihrer außerparlamentarischen Agitation und in der unablässigen Beeinflussung der Nationalversammlung, der Pariser Kommune und der Presse, zeigten.

*) Der letzte Satz wurde auf Drängen einiger Abgeordneter aufgenommen, die darauf hinwiesen, dass die Juden nach der alten Gesetzgebung ihre „Privilegien“ haben und dass die Verleihung der Gleichberechtigung an sie mit diesen Privilegien unvereinbar sei. Es wurde damit beabsichtigt, die Gemeindeautonomie und die nationalkulturellen Einrichtungen der Juden einzuschränken oder sogar ganz abzuschaffen.


In der Presse hatten die Juden nur wenige Vertreter. Der tätigste unter ihnen war der alte Kämpfer für die Sache der Emanzipation, der bereits genannte patriotische Schriftsteller Salkind Hurwitz. Seine Aufsätze in der radikalen Pariser Presse („Chronique de Paris“ u. a. m.), die er mit „Polonais“ neben seinem Namen unterschrieb, lenkten die Aufmerksamkeit auf sich durch ihren originellen, scharfsinnigen Stil, einen Vorläufer des sarkastischen Stiles Börnes. Als die jüdische Frage in der Nationalversammlung vertagt wurde, veröffentlichte Hurwitz einen Brief in der „Chronique de Paris“ (am 22. Februar 1790), in dem er die ,, Kasuisten aller Religionen“ in ironischer Weise ersuchte, folgenden ihn quälenden Zweifel zu lösen: einerseits hätte er, der Verfasser, den „Bürgereid“ geleistet, dass er die auf der Anerkennung der Menschenrechte beruhende Verfassung respektieren werde; andererseits aber verpflichte ihn der Beschluss der Nationalversammlung, diese selben Rechte solchen Menschen nicht zuzuerkennen, die ihren Gottesdienst in hebräischer Sprache verrichten und das Glück, in Bordeaux oder Avignon geboren zu sein, nicht haben . . . Hurwitz beantwortete auch die Parlamentsreden des Abbé Maury und die Auslassungen der klerikalen Presse mit bissigen polemischen Aufsätzen. Als die durch das Dekret über die Enteignung der Kirchengüter aufgebrachte katholische Geistlichkeit gegen die Juden zu hetzen begann, ließ Hurwitz einen satyrischen Aufsatz erscheinen, in welchem er die Kundigen bat, ihm, dem Laien „einige physische und moralische Erscheinungen aus der Naturgeschichte der Geistlichkeit“ klarzumachen.

Nach der Proklamierung der Emanzipation schwoll die patriotische Stimmung der Juden noch mehr an. Begeisterte Briefe und Dankhymnen Befreiter erschienen in den Zeitungen. Ein gewisser Samuel Levy, der sich den sonderbaren Titel: „Fürst der Gefangenschaft, Oberhaupt der westlichen und östlichen Synagogen“ zugelegt hatte, schrieb folgenden Brief, der mit besonderer Rührung gelesen wurde: „Frankreich, das als erstes die Schmach Judas beseitigte, ist unser Palästina; seine Berge sind unser Zion, seine Flüsse — unser Jordan. Lasset uns das lebendige Wasser seiner Quellen trinken: es ist das Wasser der Freiheit . . . Die Freiheit hat nur eine Sprache, und alle Menschen kennen ihr Alphabet. Die Nation, die mehr als alle anderen geknechtet war, wird für die Nation beten, die die Fesseln der Sklaven löste. Frankreich ist die Zuflucht der Bedrängten“ . . . Viele Juden riefen beim Leisten des Bürgereides die revolutionäre Losung jener Zeit: ,,Als Freie leben oder sterben.“ Ihre Anhänglichkeit an das Vaterland bemühten sich die Juden durch „patriotische Gaben“, d. h. durch reiche Spenden für gemeinnützige Zwecke zu bezeugen. Solche Spenden wurden in jenem Jahre der Finanzkrise und der Kraftanspannung des ganzen Landes im Kriege gegen die europäische Koalition (1792 — 1793) sehr geschätzt. Die Spenden bestanden aus barem Geld und auch Gegenständen: zuweilen gab man das Letzte hin; für Kriegszwecke wurde auch die Ausstattung einiger Bethäuser gespendet. Der Krieg erheischte auch Opfer an Blut, und jüdische Soldaten zogen an die Grenze unter die Kugeln der Preußen und Österreicher. Die Grenzgebiete Elsaß und Lothringen befanden sich in der Kriegszone, und die Juden teilten mit allen anderen Bürgern die Sorgen und Lasten der unruhigen Zeit. Im Jahre 1793 wählte die französische Armee ungefähr 2.000 Juden. Dies hinderte übrigens die judenfeindliche Einwohnerschaft der Stadt Nancy nicht, in einem von ihr im selben Jahre gefassten Beschlüsse zu erklären, dass die Vertreibung sämtlicher Juden aus Frankreich eine wünschenswerte Maßregel wäre. Als dieser Beschluss dem Jakobinerklub in Paris mitgeteilt wurde, dekretierte er folgendes: ,,Die Republik kennt nicht das Wort Jude, denn dieses Wort bezeichnet im gegenwärtigen Augenblick nicht ein Volk, sondern eine Sekte; nun erkennt die Republik keine Sekten an und hat nicht die Absicht, Sektierer auszuweisen, es sei denn, dass letztere sich eine Verletzung der gesellschaftlichen Ordnung zuschulden kommen lassen“ . . . Unwillkürlich drängt sich der Gedanke auf: was wäre, wenn die Juden in der Eigenschaft als Volk, als Nation anerkannt worden wären ? . . .

Die jähen Schwenkungen der Revolution nach der Seite des Despotismus und der Schreckensherrschaft hin in der Zeit des Konvents von 1793 — 1794 trafen zuweilen auch die jüdischen Bürger sehr empfindlich. Das Dekret des Konvents vom November 1793 über die Einführung des ,,Kultus der Vernunft“, anstatt des katholischen Gottesdienstes erstreckte sich in der Praxis auch auf die jüdische Religion. All jene Szenen freiwilliger oder erzwungener Lossagung von der Religion, die sich in ausgedehntem Maße unter den katholischen Bürgern abspielten, wiederholten sich auch unter den Juden. An den im Revolutionskalender festgesetzten Feiertagen, den ,, Dekaden“, führten die Pariser jüdischen Schullehrer Ahron Polak und Jakob Kohen ihre Schüler in den „Tempel der Vernunft“, in den die katholische Notre-Dame-Kirche verwandelt war. Manche jüdischen Bethäuser stellten ihre „Beute“, d. h. die wertvollen Gottesdienstutensilien dem Konvent oder den städtischen Kommunen zur Verfügung; sie folgten hierin dem Beispiele vieler katholischer Kirchen, dieser ,,Lügenbuden“, wie man sie zu jener Zeit nannte. Die Deputation einer der Pariser Synagogen gab am Gitter des Konvents die Erklärung ab: „Unsere Vorfahren haben uns Gesetze überliefert, die vom Gipfel eines Berges (Sinai) verkündet worden waren; die Gesetze, die ihr Frankreich gebet, gehen von einem Berge^) aus, den wir nicht minder verehren. Wir sprechen euch dafür unseren Dank aus“ . . . Ein „jüdischer Geistlicher“ Salomon Hesse, überreichte einer Sektionsversammlung der „Freunde des Vaterlandes“ in Paris seinen silbergestickten Gebetmantel und erklärte, dass er „keinen anderen Gott als den der Freiheit, und keine andere Religion als die der Gleichheit“ kenne. Ähnliche Szenen spielten sich auch in der Provinz ab. In Avignon lieferten die ,,unter dem Namen Juden bekannten Bürger“ alle „Maschinen aus Gold und Silber“, deren sie sich bei ihrem Gottesdienste bedienten, an die Kreisverwaltung ab. Im rabbinischen Zentrum Lothringens, Metz, wurden die „Gesetzestafeln Mosis“ und die Thorarollen aus Pergament vernichtet. ,,Die auf Häuten geschriebenen Gesetze dieses gewandten Betrügers (Mosis)“, erklärte triumphierend der ,,Republikanische Kurrier“, ,,werden nun zur Bespannung von Trommeln dienen, um Attacken zu schlagen und die Mauern des neuen Jerichos umzuwerfen.“ Und das Blatt versicherte, dass sich unter den Juden kein Mensch darüber grämte, außer einigen „von dummen Vorurteilen befangenen Weibern“. In Nancy mussten die Juden auf Befehl eines Munizipalbeamten ihre „mystischen Pergamente“ und die goldenen und silbernen Verzierungen und Embleme ihres Kults abliefern. In Paris forderten die sansculottischen Blätter, dass man den Juden verbieten sollte, ihre Neugeborenen zu beschneiden; der Konvent schenkte aber dem keine Beachtung. Es wurden auch Versuche gemacht, den Juden die Sabbatfeier zu verwehren, in Anbetracht dessen, dass doch ein Bürgersabbat, die Dekade, als Ruhetag festgesetzt sei; an einigen Orten zwang man jüdische Händler, ihre Läden an Sabbaten offen zu halten. In Metz hatten die Juden große Angst auszustehen, als sie ihre Passahbrote (Mazzes) buken, da sie befürchteten, wegen „Aberglaubens“ angezeigt und angeklagt zu werden. Eine Frau erwirkte aber bei der Behörde die Erlaubnis, das Passahfest als Gedenktag der politischen Befreiung der israelitischen Nation zu feiern. Es kamen auch Fälle von Vergewaltigungen vor: fanatische Anhänget des „Kultes der Vernunft“ und der aus Rand und Band geratene Pöbel drangen in die Synagogen ein, verbrannten die Thorarollen und die heiligen Bücher („gaben ihre lügenhaften Bücher dem Feuer patriotischer Scheiterhaufen preis“ — wie die offiziellen Berichte lauteten) und schlossen die Synagogen; einige Rabbiner im Elsaß hatten Verfolgungen zu erdulden.

*) „D'une Montagne“ — Anspielung auf den damals herrschenden linkten Flügel des Konvents, der „Montagnards“.

Im Frühjahr 1794 wurde die „Religion der Vernunft“ vom Robespierrischen deistischen Kult des Höchsten Wesens abgelöst: die Religionsverfolgungen hörten auf — aber die Schreckensherrschaft wütete weiter. Die Revolution verschlang ihre eigenen Kinder: unter dem Messer der Guillotine fielen hintereinander die Köpfe der Girondisten, Hebertisten, Dantonisten; die Reihe kam an die Partei Robespierres. Da die Juden sich an verschiedenen politischen Parteien und Klubs beteiligten, so wurden sie auch vom roten Flügel des Terrors getroffen. Schon die Dekrete des Konventes vom Jahre 1793 über die Verhaftung aller, die sich einer unfreundlichen Haltung gegenüber der Republik verdächtig machten, und über die Ausweisung aller ,,Aristokraten“ und Ausländer versetzten viele Pariser Juden in eine unerträgliche Lage. Die einen wurden auf den Verdacht hin verhaftet, dass sie fremdländischer Herkunft seien, die anderen unter der Anklage eines ,,verstockten Aristokratismus“, die dritten — wegen der Zugehörigkeit zu der Partei, die im gegebenen Augenblick von den zuständigen Revolutionsausschüssen dem Untergange geweiht war. Der jüdische Politiker aus Bordeaux, der Girondist Furtado musste flüchten, um dem traurigen Los der Idealisten der Revolution, der Girondisten zu entgehen (1793). Verhaftungen und Einsperrungen wurden des öfteren auf falsche Angaben hin vorgenommen; man unterzog die Verhafteten und Eingesperrten einem gerichtlichen Verhör, worauf sie in den meisten Fällen freigelassen wurden; zuweilen aber hatten die Verhaftungen ernste Folgen. Einige jüdische Bankiers und Kaufleute aus Bordeaux wurden zu beträchtlichen Geldbußen verurteilt, weil sie früher in Beziehungen zum königlichen Hof und der Aristokratie gestanden hatten oder auch einen nicht genügenden Eifer für die Sache der Revolution an den Tag legten. Der Bankier Peixotto wurde neben allen diesen Versündigungen auch noch des Versuches beschuldigt, unter dem alten Regime den Titel eines Adligen zu erlangen, wobei er sich auf seine Abstammung vom biblischen Geschlechte Levi berufen hätte. Auf Grund solcher kurioser Beschuldigungen verurteilte ihn die Kriegskommission zu Bordeaux zu einer Geldbuße im Betrage von 1.200.000 Livres. Nicht immer begnügte man sich aber mit Geldbußen: mehrere jüdische Köpfe kamen unter das Messen der Guillotine.

Jakob Pereira bestieg als einer der ersten das Blutgerüst. Südfranzose von Geburt, übersiedelte er im Jahre 1790 nach Paris, wo er eine Tabakfabrik gründete und sich in den politischen Strudel der Hauptstadt stürzte. Er schloss sich den extremen linken Parteien an und wurde zu einem hervorragenden Repräsentanten des Jakobinerklubs. Als die „Religion der Vernunft“ offiziell eingeführt wurde, beteiligte sich Pereira in Gemeinschaft mit dem Kosmopoliten Anacharsis Klotz, dem „Redner des Menschengeschlechtes“ an einer antikatholischen Demonstration, die ganz Frankreich in Aufregung versetzte. Beide Jakobiner kamen zum Pariser Bischof Gobel und forderten ihn auf, vor dem Konvent zu erscheinen, um sich da von seinen ,,Verirrungen“ öffentlich loszusagen, d. i. sein geistiges Amt niederzulegen. Der eingeschüchterte Bischof begab sich nach einigem Widerstand vor den Konvent, wo er die Erklärung abgab, dass er auf sein Amt verzichte. Er legte das Kreuz ab und setzte die rote Mütze auf, die ihm einer von den Umstehenden unter dem begeisterten Beifall des gesamten Konvents auf den Kopf stülpte. Die Beteiligung Pereiras an dieser Komödie besiegelte sein Schicksal. Als Robespierre bald darauf, nach der Abschaffung des Vernunftkultes einen Feldzug gegen die „Missionäre der atheistischen Religion“ eröffnete und einen Prozess gegen die Terroristen aus der Hebertschen Partei anstrengte, geriet auch Pereira in Gemeinschaft mit Anacharsis Klotz unter die Angeklagten. Nach einer fünfmonatlichen Haft, wurde Pereira wegen angeblicher „Beteiligung an einer die Vernichtung der nationalen Vertretung (des Konventes), die Ermordung ihrer Mitglieder und den Sturz der Republik bezweckenden Verschwörung“ vom Revolutionstribunal zum Tode verurteilt. Er wurde im gleichen Wagen mit Hebert, Klotz und den anderen auf den Richtplatz geschafft. Unter den lauten Schreien der Menge: ,,Es lebe die Republik“ fiel der Kopf des jüdischen Demagogen.

Einen Monat später kam der Prozess der Dantonisten zur Verhandlung, und unter diesen befanden sich zwei Angeklagte jüdischer Abstammung: die Brüder Frey. Aus Österreich, wo ihr Vater, ein reicher Armeelieferant, zum Christentum übergetreten war, übersiedelten die Brüder Julius und Emanuel Frey samt ihrer jugendlichen Schwester Leopoldine nach Paris, um die „Wohltaten der Freiheit“ zu genießen (1792). Hier trat die Familie Frey in nähere Beziehungen zu den Montagnarden, insbesondere zu dem rohen Demagogen Chabeau, einem ehemaligen Kapuziner. Um ihr Bündnis mit der Revolution zu befestigen, verheirateten die Brüder ihre sechzehnjährige Schwester mit Chabeau, indem sie ihm das schöne Mädchen mit einem ansehnlichen Vermögen als Mitgift beinahe aufdrängten. Das Ehebündnis erwies sich als verhängnisvoll für beide Teile. Als Chabeau bald darauf in die Netze der revolutionären Spionage geriet, wurde gegen ihn die Anklage erhoben, dass er sich mit einer Österreicherin verheiratet und Geld aus dem Auslande erhalten habe, um einen Staatsstreich zu inszenieren. Die Freys wurden beschuldigt, eine Verschwörung angezettelt zu haben, zum Zwecke, „das Prestige der republikanischen Regierung mittels Bestechungen zu untergraben“. Die beiden Brüder, von denen der eine 36, der andere 27 Jahre alt war, wurden vom Revolutionstribunal verurteilt und zugleich mit Chabeau, Danton, Desmoulins und anderen Revolutionshelden im April 1794 hingerichtet. Freigesprochen und am Leben geblieben war nur die nach halbjähriger Ehe verwitwete Leopoldine Frey, eine zarte, vom Revolutionssturm gebrochene und vernichtete Blüte.

Eine andere Tragödie spielte sich in der Familie des jüdischen Barons Liefmann Kalmer, eines Einwanderers aus Holland, ah, der sich in Frankreich lange vor der Revolution naturalisiert hatte. Von seinen beiden Söhnen stand der eine, Isaak Kalmer in den Reihen der wildesten Sansculotten („ein Sansculotte mit 200.000 Livres Jahreseinkommen“), der andere aber sympathisierte mit den Royalisten; beide Brüder wurden durch die Schreckensherrschaft von zwei Polen der politischen Welt heruntergeholt und vor die Stufen des Schafotts gebracht. Isaak Kalmer, ein tätiges Mitglied des revolutionären Ausschusses von Clichy (bei Paris), in dem er öfters den Vorsitz führte, wurde von seinen politischen Gegnern der despotischen Willkür, der verletzenden Behandlung der Munizipalitätsbeamten und der Terrorisierung der Bürger von Clichy angeklagt. Kraft eines vom Revolutionstribunal gefällten Urteils, wurde er im Juni des Jahres 1794 hingerichtet. Sein jüngerer Bruder, Louis-Benjamin, wurde unter der Anklage, „die extremen Royalisten und Konterrevolutionäre unterstützt zu haben“, ins Gefängnis geworfen.

Die Anklage gründete sich darauf, dass er, als er während des Aufenthaltes der königlichen Familie in den Tuilerien Grenadier war, des öfteren ins Schloss gekommen sei und mit dem Könige und der Königin gesprochen habe; auch dass er Aufträge des „verächtlichen Höflings“ Lafayette ausgeführt und in dessen Namen Medaillen verteilt habe. Im Mai 1794 wurde auch der zweite Kalmer vom Revolutionstribunal zum Tode verurteilt und bald darauf guillotiniert. Die Guillotine drohte auch der Schwester der hingerichteten Kalmers, Sarah, die durch einen glücklichen Zufall dem Tode entrann; sie war im Gefängnisse etwas länger als ihre Brüder geblieben, inzwischen aber vollzog sich der Umsturz vom Termidor, der der blutigen Diktatur Robespierres ein Ende setzte (Juli 1794). Die eingekerkerte Jüdin wurde mit allen anderen zum Tode verurteilten Gefangenen freigelassen.

Jüdische Namen tauchen auch in den politischen Prozessen der folgenden Jahre, der Zeit der „Beruhigung“, auf. Wenn zur Zeit des Konvents der Verdacht eines mangelnden Radikalismus genügte, um ins Gefängnis geworfen zu werden, so wurden in den Jahren des Direktoriums (1795 — 1796) Prozesse gegen Personen angestrengt, die sich des extremen Jakobinertums verdächtig machten. Dies alles berührte jedoch nur die Interessen einzelner Personen und wurde nicht der ganzen jüdischen Bevölkerung als solcher auf die Rechnung gesetzt.