§ 15. Die Debatten in der Nationalversammlung über die aktiven Bürgerrechte der Juden

Die französischen Juden befanden sich einige Zeit in gehobener Stimmung unter dem Eindrucke des feierlichen Augenblicks vom 14. Oktober. Es schien ihnen, dass der aus den Tiefen ihrer Seele dringende Appell an die Gleichheit und Brüderlichkeit in den Herzen aller derjenigen, die die erhabenen hohen Gebote der „Deklaration der Rechte“ dekretiert hatten, einen Widerhall gefunden habe. Die Schönseher wollten glauben, dass die freundliche Antwort des Vorsitzenden Preteau die Stimmung der ganzen Nationalversammlung zum Ausdruck bringe und dass letzterer in der Tat „sich für glücklich erachten werde, wenn es ihm gelingen sollte, den Juden Ruhe und Glück zu verschaffen“. Diese Illusionen zerschellten bald an der harten Wirklichkeit. Als die jüdische Frage von den Höhen der Prinzipien auf den Boden der Praxis herabstieg, zeigte es sich, dass bei weitem nicht alle Mitglieder der Versammlung die Lösung der Judenfrage für eine einfache Schlussfolgerung aus der Deklaration der Rechte hielten. Es stellte sich heraus, dass die reaktionären und klerikal gesinnten Abgeordneten aus der Partei der „Schwarzen“ (les Noirs) bereit waren, für solche Grundfesten des alten Regimes, wie die Entrechtung und die Rechtseinschränkung der Juden, bis zum Äußersten zu kämpfen; dass die von jahrhundertelangen Vorurteilen durchdrungenen Stände des Adels und des Klerus organisch unfähig waren, die politische Gleichheit von Menschen anzuerkennen, mit denen sie wie mit Parias umzugehen gewöhnt waren.

Die jüdische Frage kam wieder auf die Tagesordnung der Nationalversammlung in der Sitzung vom 21. Dezember 1789, als die Bedingungen der ,,aktiven Bürgerrechte“, d. i. des Rechtes für administrative und munizipale Ämter zu wählen und gewählt zu werden, zur Diskussion standen. Die Liberalen beantragten die Ausdehnung der aktiven Bürgerrechte auf Nichtkatholiken, vornehmlich Protestanten. Um die Annahme dieses Antrags zu vereiteln, verlangten die unruhig gewordenen Konservativen, dass man zugleich auch die Frage von der Verleihung der aktiven Bürgerrechte an Vertreter niedriger Berufe, wie Komödianten und Henker behandeln möchte. Der liberale Abgeordnete Clermont-Tonnerre, der sich dadurch nicht aus der Fassung bringen ließ, schlug folgende Gesetzesformel vor: „Die Nationalversammlung beschließt, dass kein aktiver, den Bedingungen der Wählbarkeit genügender Bürger wegen seines Berufes oder seiner Konfession aus der Wahlliste gestrichen, oder des Rechtes, öffentliche Ämter zu bekleiden, beraubt werden darf.“ Es erhob sich die Frage von der Anwendung des beantragten Gesetzes auf die Juden. Der elsässische Abgeordnete Reubell, ein grimmiger Judenfeind, sagte: Ich denke von den Juden nicht anders, als sie von sich selber denken: sie halten sich nicht für Bürger. Und gerade in diesem Sinne lasse ich die Formel des Clermont gelten: ist dem er den Ausdruck aktiver Bürger gebrauchte, schließt er dadurch die Juden von dem von ihm beantragten Gesetze aus.“ Auf diese Herausforderung antwortete Clermont-Tonnerre mit Würde, dass er auch die Juden, die den formellen Bedingungen des Gesetzes genügen, zur Kategorie der aktiven Bürger zähle. In der Versammlung entstand ein Tumult, die Leidenschaften entbrannten — und die Debatten mussten bis auf die nächste Sitzung verschoben werden.


In der nächsten Sitzung stand es klar vor aller Augen, dass weder die protestantische Frage, deren Lösung in einem positiven Sinne bereits gesichert war, noch der grobe, bizarre Zwischenfall mit den Komödianten und Henkern die Versammlung irgendwie interessierte, und dass ihre ausschließliche Aufmerksamkeit einzig und allein dem Streite um die politischen Rechte der Juden galt. Diese Frage bedeutete einen Prüfstein für beide Parteien, für die liberale, wie für die reaktionäre. Für die Führer der ersteren handelte es sich darum, ihre Treue gegenüber den Prinzipien der Deklaration der Rechte in praxi zu beweisen, die Konservativen hingegen sahen sich vor der Aufgabe, die „Gefahr“ der politischen Gleichstellung der Juden, die ihrem ganzen System das Todesurteil gesprochen hätte, zu beseitigen. Am Dezember widerhallte der Sitzungssaal der Nationalversammlung vor solchen leidenschaftlichen Debatten, wie sie selbst in diesem stürmischen Parlament nur äußerst selten vorkamen. Clermont-Tonnerre, der zur Verfechtung seines Antrages mit einer begründenden Rede auftrat, widmete einen beträchtlichen Teil seiner Ausführungen den Juden. „Ihr“, sagte er, „habt euch über diese Angelegenheit schon ausgesprochen, indem ihr in der Deklaration der Rechte die Erklärung abgäbet, dass kein Mensch seiner Überzeugungen wegen, und seien diese auch religiöser Natur, irgendwelchen Verfolgungen ausgesetzt werden darf. Hieße es aber nicht die Bürger wesentlich einschränken, wenn man sie einzig und allein ihrer Überzeugungen wegen des wertvollsten Rechtes (des aktiven Bürgerrechtes) berauben wollte? Das Gesetz darf keineswegs das Glaubensbekenntnis eines Menschen antasten; keineswegs steht es dem Gesetze zu, einen Druck auf sein Gewissen auszuüben; nur die Handlungen des Menschen unterliegen der Gewalt des Gesetzes, das verpflichtet ist, ihnen allen Schutz angedeihen zu lassen, wenn sie nicht in Widerspruch zu den Normen gesellschaftlichen Zusammenlebens stehen. Gott wollte es, dass die Menschen in den allgemeinen ethischen Wahrheiten eines Sinnes werden, und überließ es unserem eigenen Ermessen, moralische Gesetze zu schaffen ; aber die dogmatischen Gesetze und das Gebiet des Gewissens behielt er für sich selber. Gebet also das Gewissen frei! Möge keine der Richtungen des Gefühls und des Denkens zum Himmel als ein Verbrechen angerechnet werden, für das die Gesellschaft mit sozialer Entrechtung zu strafen hätte! Oder aber — setzet eine nationale Religion ein, bewaffnet sie mit dem Schwerte und zerreißt eure Deklaration der Rechte! . . . Jedes Glaubensbekenntnis hat nur ein einziges Zeugnis vorzuweisen: das Zeugnis über die gute Beschaffenheit seiner Moral. Wenn es eine Religion gäbe, die ihren Bekennern Diebstahl und Brandstiftung zur Pflicht machte, so müsste man diesen Bekennern nicht nur das Wahlrecht verweigern, sondern sie einfach des Landes verweisen. Dies lässt sich vom Judentume ganz gewiss nicht behaupten. Den Juden wirft man verschiedenes vor. Die schwersten unter diesen Vorwürfen sind ungerecht, die anderen gehören in das Gebiet der sozialen Vergehen. Man sagt, die Juden beschäftigen sich mit Wucher . . . Aber Menschen, deren ganzes Vermögen ausschließlich in Geld besteht, können eben ihre Existenz nicht anders bestreiten, als indem sie das Geld in Umlauf setzen ; und ihr habt sie doch immer daran gehindert, etwas anderes zu besitzen . . . Den Juden als Nation muss alles verweigert, den Juden als Menschen alles gewährt werden. Es ist notwendig, dass sie Bürger werden. Man sagt, dass sie selbst keine Bürget werden wollen; wenn sie das behaupten, so soll man sie des Landes verweisen, denn es darf keine Nation in einer Nation geben . . . In ihrem Gesuche aber verlangen sie, dass man sie als Staatsbürger betrachte. Das Gesetz ist verpflichtet, ihnen diesen Titel, den ihnen nur das Vorurteil verweigern kann, zuzuerkennen.“

Die Rede Clermont-Tonnerres forderte den besten Redner der Rechten, den Abbé Maury, einen Mann „von scharfem Verstand, aber zweifelhafter moralischer Qualität“ (Aulard) zu einer Erwiderung heraus. Voltairianer im Grunde seiner Seele, der mit der Revolution zu liebäugeln verstand, verfocht er die Sache „des Thrones und des Altars“ mit einem Pathos, das kaum aufrichtig war, und machte oft von unsauberen polemischen Kunstgriffen Gebrauch. Dieser „schwarze“ Abbé war Antipode des „roten“ Abbé Grégoire, des edlen Kämpfers für die Gleichberechtigung der Juden. Für seinen Angriff auf die Judenheit gebrauchte der tückische Maury nicht nur die verrosteten Waffen aus der Rüstkammer der Judenfeinde, sondern auch noch eine von Clermont-Tonnerre leicht hingeworfene Bemerkung, nämlich, dass man den Juden als Nation alles zu verweigern, den Juden als Menschen hingegen alles zu gewähren habe. In seiner Erwiderung auf die Rede Clermont-Tonnerres sagte er: „Vor allen Dingen möchte ich bemerken, dass das Wort ,Jude' nicht die Benennung einer Sekte, sondern die einer Nation ist, die ihre eigenen Gesetze hat, diesen Gesetzen immer treu blieb und fürderhin treu bleiben will. Die Juden als Bürger (Frankreichs) anerkennen, wäre dasselbe, wie wenn man Engländer oder Dänen, die nicht naturalisiert sind und nicht aufgehört haben, sich für Engländer und Dänen zu halten, zu den Franzosen rechnen wollte . . . Die Juden sind durch siebzehn Jahrhunderte hindurchgegangen und haben sich mit den anderen Völkern nicht vermengt. Sie trieben nichts anderes, als Geldhandel. (Des Ferneren verfällt der Redner in kuriose geschichtliche Einzelheiten und behauptet z. B., dass die Juden auch in der Zeit der Könige David und Salomon keinen Ackerbau trieben und dass sie außer den Sabbaten um 56 Feiertage mehr haben, als die Christen . . .) Der Schweiß christlicher Sklaven berieselt jene Äcker, wo jüdischer Reichtum entsteht, während die Juden, die gut bestellte Äcker besitzen, sich nur mit dem Abwägen von Dukaten und der Berechnung des Gewinns beschäftigen, die sie aus diesen Münzen herausschlagen können, ohne der Verantwortung vor dem Gesetz zu verfallen . . . Im Elsaß befinden sich in ihren Händen Hypotheken in einem Betrage von 12 Millionen. In einem Monat können sie sich der Hälfte der Provinz bemächtigen. Und in zehn Jahren können sie diese Provinz vielleicht ganz an sich reißen, so dass sie zu einer jüdischen Kolonie wird. Das Volk hegt gegen die Juden feindliche Gefühle, die infolge des mächtigen Anschwellens des jüdischen Reichtums sich unvermeidlich in Gewalttaten entladen müssen. Man sollte eigentlich im Interesse der Juden selbst diese ganze Frage unberührt lassen. Die Juden darf man keineswegs unterdrücken: sie sind Menschen, und folglich unsere Brüder — und Fluch allen, die Unduldsamkeit predigen wollen! Seiner religiösen Überzeugungen wegen darf kein Mensch verfolgt werden. Ihr habt dieses Prinzip anerkannt und dadurch den Juden den weitestgehenden Schutz gesichert. Möge aber ihnen dieser Schutz als Menschen überhaupt, nicht aber als Franzosen zuteil werden, denn sie können keine Staatsbürger sein!“

Die Entstellung der Tatsachen aus dem Leben der Vergangenheit und der Gegenwart in der Rede Maurys wurde im Parlament und außerhalb desselben von vielen bemerkt. Das „Journal de Paris“, das tags darauf in einem ausführlichen Artikel eine Anzahl tatsächlicher Irrtümer in der Rede Maurys aufdeckte, bemerkte zu seinen Schlussworten über die den Juden zu gewährende Protektion: „Menschen dürfen nicht andere Menschen protegieren: solche Protektion erinnert an Tyrannei. Der Protektor aller Menschen ohne Unterschied ist das Gesetz, aber ein Gesetz ist immer ein Gewaltakt, wenn an seiner Ausarbeitung diejenigen, auf die es angewendet werden soll, nicht teilnehmen.“ Der grobe Sophismus Maurys, dass die Juden ewig Ausländer bleiben sollen, weil sie bisher in Frankreich nicht naturalisiert waren, d. h. dass man die Vergewaltigung fortsetzen müsse, weil sie bisher ausgeübt wurde, fand ebenfalls eine gebührende Würdigung in der Presse. Aber schwerlich konnte damals jemand von den Freunden der Juden auf die durchaus richtige Bemerkung Maurys, dass die Juden keine religiöse Sekte, sondern eine Nation seien, erwidern, dass sich daraus die Notwendigkeit ergäbe, ihnen zugleich mit den staatsbürgerlichen auch die nationalen Rechte zu gewähren. Dieser letztere Ausdruck fehlte im Lexikon der französischen Revolution. Durch den Mund Clermont-Tonnerres hatte der Liberalismus jener Zeit erklärt: Den Juden als Menschen — alles, den Juden als Nation — nichts. Die französische Revolution ließ die Gleichberechtigung der Stände, der religiösen Gruppen, aber nicht der Nationalitäten gelten. Und dies bedeutet, dass die vollständige Assimilation der Judenheit außerhalb des Gebietes der Konfessionalität die einzige Bedingung zur Erlangung der aktiven Bürgerrechte bildete.

Dem Abbé Maury antwortete Robespierre, der sich damals noch nicht als führender Revolutionär bemerkbar gemacht hatte. „Ihr habt über die Juden Dinge zu hören bekommen,“ sagte er in seiner kurzen Rede, ,,die äußerst übertrieben sind und den geschichtlichen Tatsachen widersprechen. Die Mängel der Juden rühren von dem Zustande der Erniedrigung her, in den ihr sie versetzt habt. Sie werden sich bessern, sobald sie sehen werden, dass es vorteilhaft ist . . . Ich meine, dass man keinen einzigen Angehörigen dieser Klasse jener heiligen Rechte berauben darf, auf die sie als Menschen Anspruch haben. Die Frage ist prinzipieller Natur und muss auch dem Prinzip gemäß gelöst werden.“

Robespierre hatte die Judenfrage von neuem auf den Boden der allgemeinen Prinzipien der Deklaration der Rechte gebracht. Eine derartige Zuspitzung der Frage war den Gegnern der Juden, zu denen auch der Bischof La Fare aus Nancy gehörte, nicht vorteilhaft. Ein Gesinnungsgenosse des Abbés Maury und seines Landsmanns, des Judenfeindes Reubell, konnte sich der Bischof von Nancy seines hohen Ranges wegen ihrer polemischen Methoden nicht bedienen. Seine Rede war mit dem Salböle eines Dieners der Kirche durchtränkt. „Die Juden“, sagte er, „haben viele Kränkungen erfahren, die man wieder gut machen muss. Man muss die Gesetze abschaffen, die der Gesetzgeber festlegte, ohne daran zu denken, dass die Juden Menschen und unglückliche Menschen sind. Man muss ihnen Schutz, Sicherheit und Freiheit gewähren. Soll man aber in eine Familie einem fremden Stamm (tribu), dessen Blicke stets nach seiner Heimat gerichtet sind und der den Boden, auf dem er jetzt wohnt, zu verlassen strebt, Einlass gewähren? Um gerecht zu sein, muss ich gestehen, dass die Juden dem Lande Lothringen und insbesondere der Stadt Nancy große Dienste erwiesen haben ; es gibt erzwungene Lagen ; mein Mandat befiehlt mir, eurem Antrag entgegenzutreten (dem Antrag, die Juden als aktive Bürger anzuerkennen). Dieser von mir erhobene Protest liegt im Interesse der Juden selbst. Für das Volk bilden sie einen Gegenstand des Entsetzens; im Elsaß sind sie stets die Opfer der Volksbewegungen. Vor vier Monaten wollte man in Nancy ihre Häuser plündern. Ich begab mich nach dem Orte des Aufruhrs und fragte: „Was habet ihr gegen die Juden? Und da erklärten mir die einen, dass sie das Getreide aufkaufen; die anderen beklagten sich, dass sie sich allzurasch vermehren, sich die schönsten Häuser erwerben und bald die Stadt in ihre Hand bekommen werden. Einer von der Rotte sagte: ,Ja, Eminenz, wenn wir Sie verlieren sollten, so werden wir vielleicht einen Juden als Bischof sehen; so geschickt eignen sie sich alles an. Ein Gesetzesbeschluss, der den Juden bürgerliche Rechte gewähren würde, könnte zu einer großen Volksempörung Anlass geben . . . Ich schlage vor: einen Ausschuss zu bilden und ihn mit der Revision der ganzen die Juden betreffenden Gesetzgebung zu betrauen.“

Anlässlich der Drohung Reubells und des Bischofs La Fare, dass die Proklamierung der jüdischen Gleichberechtigung zu Ausschreitungen gegen die Juden führen könnte, wurde in der Pariser Presse (,,Le patriote français“ vom 24. Dezember) folgende treffende Bemerkung gemacht: ,,Seltsam genug, dass man sich auf die eine Ungerechtigkeit beruft, um zu beweisen, dass es notwendig sei, eine andere zu begehen. Muss denn wirklich das Gesetz der beständige Helfer des Fanatismus und unsinniger Vorurteile sein?“ Diesen Standpunkt machte sich ein Redner zu eigen, der dem Bischof von Nancy antwortete; es war dies der ehrliche Duport, einer der einflussreichsten Führer der liberal-konstitutionellen Partei in der Nationalversammlung — ein Mann, dem es in der Folge beschieden war, das Werk der jüdischen Emanzipation zu seinem endgültigen Abschluss zu bringen. ,,Das Gesetz“, sagte er, ,,ist die Verkörperung der strengen Gerechtigkeit, und wenn die Gebräuche und Sitten zu dieser Gerechtigkeit im Widerspruche stehen, so ist es die Pflicht des Gesetzes, die Gebräuche der Gerechtigkeit anzupassen ; letzten Endes werden die Sitten mit dem Gesetze eins werden.“ Duport schlug eine neue Formulierung des Gesetzes vor, in welcher nur das Prinzip der Gerechtigkeit zum Ausdruck kommt, ohne dass dabei der Konfession Erwähnung getan wird: „Kein Franzose darf je seiner aktiven Bürgerrechte verlustig gehen, es sei denn aus Gründen, die in den Beschlüssen der Nationalversammlung dargelegt sind.“ Die Formel Duports wurde mit einer Mehrheit von nur 5 Stimmen abgelehnt (408 gegen 403).

Als die Debatten am nächsten Tag (24. Dezember) von neuem einsetzten, brachte der Herzog Broglie folgenden Vermittlungsantrag ein: Die Formel Duports ist mit dem Vorbehalte anzunehmen, dass die Lösung der Judenfrage auf einen späteren Zeitpunkt hinausgeschoben wird. Beide Parteien beeilten sich, diesen Vorschlag anzunehmen: die Rechte hoffte, die „Gefahr der Gleichberechtigung“ durch diese Vertagung hinauszuschieben, was Reubell mit der ihm eigenen zynischen Offenheit zugab ; was die Liberalen anbelangt, so stimmten sie ebenfalls der Vertagung zu, denn sie fürchteten, die ganze Formel Duports, die vornehmlich auf die Protestanten hinzielte, den Juden zuliebe aufs Spiel zu setzen, und selbst Mirabeau schloss sich diesem Antrage an, mit der Begründung, dass „die Frage nicht genügend geklärt sei“ Allem Anscheine nach glaubte der Führer der Nationalversammlung, dass die Vertagung von kurzer Dauer sein und der Triumph des Rechts und der Freiheit nicht lange auf sich warten lassen würde; er konnte nicht voraussehen, dass er sterben würde, ohne die Emanzipation der Juden erlebt zu haben . . . Der Beschluss der Nationalversammlung lautete dahin, dass alle Nichtkatholiken in völliger Gleichstellung mit den Katholiken das aktive und passive Wahlrecht, wie auch das Recht, im Staatsdienste tätig zu sein, genießen dürfen, „wobei hinsichtlich der Juden, über deren Lage sich die Versammlung eine Aussprache vorbehält, nichts Neues beschlossen wird“.

Im Lärm der Debatten entging ein sehr gewichtiger Umstand der allgemeinen Beachtung. Indem nämlich die Nationalversammlung die Lösung der Frage von den „aktiven Bürgerrechten“, d. i. von der Gewährung der vollen bürgerlichen und politischen Rechte an die Juden vertagte, schob sie zugleich die Lösung der Frage wegen jener elementaren Rechte der Juden beiseite, gegen die auch die gemäßigt-rechte Opposition nichts einzuwenden hatte. Der Abbé Maury und der Bischof La Fare gaben zu, dass das Gesetz verpflichtet sei, den Juden als Menschen „Schutz angedeihen zu lassen“, und dass Vieles an der alten repressiven Gesetzgebung bezüglich der Juden abgeschafft werden müsse — und dessen ungeachtet lautete der Beschluss der Klammer: „hinsichtlich der Juden wird nichts Neues beschlossen“, d. h. der Beschluss der Kammer beließ sie im früheren Zustande persönlicher Entrechtung. Die Lösung der jüdischen Frage wurde auf diese Weise von der Kammer zweimal verschoben: am 23. August, als der Paragraph der Deklaration der Rechte, der sich auf die Gewissensfreiheit bezog, zur Abstimmung stand, und am 24. Dezember, als die Bedingungen der aktiven Bürgerrechte zur Sprache kamen.