§ 14. Der Kampf um die Gleichberechtigung auf dem Boden der Deklaration der Rechte

Im historischen Frühling des Jahres 1789, als die Generalstaaten Frankreichs, die sich bald darauf in die konstituierende Versammlung verwandelten, in Paris zusammengetreten waren, erkannten die französischen Juden, dass die heranrollende Freiheitswelle auch sie aus den Tiefen der Rechtlosigkeit mit in die Höhe ziehen könnte. An der sozialen Bewegung, die der Einberufung der Volksvertreter vorangegangen war, konnten sich die vom staatsbürgerlichen Leben ferngehaltenen jüdischen Massen nicht beteiligen; sie wählten keine Abgeordneten und äußerten keine Wünsche in „Instruktionen“. Einigen Anteil an der Wahlkampagne nahm nur eine einzige Gruppe naturalisierter Juden im südlichen Frankreich (die sogenannten Portugiesen oder Sephardim); in Bordeaux fanden sich einige jüdische Wähler, und einem von ihnen mangelte es bloß an einigen Stimmen, um Abgeordneter werden zu können (David Gradis). Allein die Verfechter jüdischer Interessen in den nördlichen Gebieten rüsteten sich auf ihre Weise zum Kampf um ihre Rechte. Der Kampf wurde auch durch die Notwendigkeit der Selbstwehr hervorgerufen, denn in vielen Bezirken der jüdischen Ansiedelungszone — Elsaß-Lothringen — erteilten die christlichen Wähler aus den beiden ersten Ständen ihren Abgeordneten judenfeindliche Instruktionen. In den Bistümern Kolmar und Schlettstadt verlangte die Geistlichkeit, dass in jeder jüdischen Familie nur dem ältesten Sohne die Ehe gestattet werde, um „die übermäßige Vermehrung dieses Stammes“ zu verhindern; der Adel dieser Gegend äußerte die Ansicht, dass schon die bloße Existenz der Juden ein „gesellschaftliches Unglück“ bedeute; die Stadt Straßburg beharrte auf ihrem alten „Vorrecht“ — die Juden aus ihrem Gebiete auszuweisen. Die judenfeindlichen Tendenzen der Geistlichkeit und des Adels fanden oft auch in den Instruktionen an die Abgeordneten des dritten Standes ihren Ausdruck. Wenn in Paris und in anderen kulturellen Zentren (Metz) den Abgeordneten eingeschärft wurde, „die Lage der Juden in Erwägung zu ziehen“ und für deren Gleichberechtigung einzutreten, so gab sich im Elsaß auch der dritte Stand alle Mühe, dem Wachstum der jüdischen Bevölkerung einen Damm entgegenzusetzen, ihrer gewerblichen Tätigkeit, insbesondere auf dem Gebiete der Kreditversorgung, enge Grenzen zu ziehen, und selbst einzelne jüdische Gemeinden zu beseitigen. Die meisten Elsässer wünschten — am Vorabende der Revolution — eine neue vermehrte Auflage des drakonischen Reglements des Jahres 1784 (§ 6) herbei . . . Gegen diese Bestrebungen traten die Verfechter jüdischer Interessen aus Elsaß und Lothringen auf. Dem „Generalsyndikus“ der elsässischen Juden Cerf-Berr gelang es nach langwierigen Bemühungen, von der Regierung Neckers die Erlaubnis zur Einberufung eines Kongresses von Bevollmächtigten aus den jüdischen Gemeinden dreier Provinzen (Elsaß, Lothringen und Metz) zu erwirken und der Regierung ihre Wünsche darzutun. Die Beratungen der jüdischen Bevollmächtigten begannen im Mai 1789, als die Generalstaaten bereits zusammengetreten waren; es wurde eine Anzahl bescheidener Forderungen aufgestellt, die sämtlich nicht etwa auf die gänzliche Abschaffung der jüdischen Rechtlosigkeit — daran wagte damals niemand zu denken — sondern lediglich auf die Milderung der größten Härten hinzielten . . . Allein die Sommerereignisse des großen Jahres, die eine neue politische Ära in Frankreich eröffneten, gaben auch der jüdischen Frage eine neue Wendung.

Die Julitage des Jahres 1789 brachten den Juden zugleich Freude und Kummer. Die Juden der Stadt Paris sahen die niedergerissene Bastille, die Demütigung des Despotismus und den Triumph des Volkes. Die Ghettobewohner, die gestern noch vor jedem Polizeileutnant, der jeden Beliebigen dieser „Rechtlosen“ aus der Hauptstadt ausweisen konnte, zitterten, waren mit einem Male in andere Wesen verwandelt: der belebende elektrische Strom, der den Organismus Frankreichs durchrieselte, berührte auch sie. In Paris begannen Gruppen von Juden in die Armee der Freiheit, in die Nationalgarde einzutreten; das gleiche geschah in Bordeaux . . . Aber zur selben Zeit (Ende Juli) kamen aus dem Elsaß schlimme Nachrichten: im Zusammenhange mit den Bauernaufständen in den ländlichen Provinzen wurden jüdische Wohnungen geplündert. Die durch den jahrhundertelangen Druck aufs äußerste gereizten Bauern begannen die Schlösser und Herrengüter des Adels, mitunter aber auch die Wohnungen der Juden in den Dörfern zu plündern, wobei sie es besonders auf die Vernichtung der Schuldverschreibungen und der Handelsbücher ihrer Gläubiger absahen. Die durch den Adel gedemütigten Juden wurden nach dem Ausspruche eines Geschichtsschreibers zu Leidensgefährten ihrer Unterdrücker. Mehr als tausend Juden flüchteten, ihr Hab und Gut der Willkür der Plünderer preisgebend. In der schweizerischen Stadt Basel fanden sie zeitweilige Unterkunft.


Der Schmerzensschrei der elsässischen Juden drang bis zur Nationalversammlung. Ein freiheitsliebender Geistlicher, der sich die Befreiung der Juden zur Lebensaufgabe machte, erhob seine Stimme zugunsten der Verfolgten. Der Abgeordnete der Nationalversammlung Abbé Grégoire aus Nancy (Verfasser einer noch vor der Revolution geschriebenen leidenschaftlichen Apologie des Judentums) war im Begriffe, mit einer Rede zugunsten der Gleichberechtigung der Juden hervorzutreten, als die Kunde von den elsässischen Judenplünderungen ihn veranlasste, die Rednertribüne zu besteigen, um für die Entrechteten Sicherheit des Lebens und Schutz des Eigentums zu fordern. Mit sichtlicher Teilnahme hörte die Versammlung die Rede des aufgeregten Abbés (in der Sitzung vom 3. August) an und ging zur Tagesordnung über. In dem Moment, als sie sich anschickte, das uralte Problem, die Abschaffung der Leibeigenschaft in radikaler Weise zu lösen, konnte sie nicht länger bei einem Ereignis verweilen, das sie für eine Episode der Agrarbewegung hielt. Unter der Wirkung des wuchtigen Protestes der Volksmassen gegen die feudale Herrschaft fasste die Nationalversammlung in der berühmten Nacht auf den 4. August den Beschluss, die feudale auf Leibeigenschaft beruhende Ordnung abzuschaffen.

Die Judenfrage kam in der Nationalversammlung bei der Erörterung der Punkte „der Deklaration der Rechte des Menschen und Bürgers“ zum erstenmal zur Sprache. Am 22. August wurde der Punkt „von der Toleranz“ in der folgenden Formulierung des Abgeordneten de Castellaux behandelt: „Niemand darf wegen seiner religiösen Überzeugungen verfolgt werden.“ Die konservativen Abgeordneten wollten die katholische Religion als die herrschende anerkannt wissen, indem sie den Andersgläubigen gegenüber „Duldsamkeit“ einräumten. Da erschien auf der Rednertribüne der aufs tiefste entrüstete Mirabeau. „Eine herrschende Religion!“ — rief er aus. „Möge dieses tyrannische Wort aus unserer Gesetzgebung ausgemerzt werden! Denn wenn ihr eine derartige Bezeichnung auf religiösem Gebiet einmal zulasset, werdet ihr sie auch auf allen anderen Gebieten zulassen müssen: Ihr werdet einen herrschenden Kultus, eine herrschende Philosophie und herrschende Systeme haben. Nein, nur die Gerechtigkeit allein soll herrschen; das höchste Prinzip ist das Recht der Persönlichkeit; ihm soll sich alles unterordnen“ . . . Der Donnerschleuderer der ,,Konstituante“ fand Unterstützung bei dem protestantischen Pastor Rabeau Saint-Etienne. Seine Rede über die Rechte der Protestanten schloss mit den Worten: „Für die französischen Protestanten, für alle Nichtkatholiken in unserem Königreich fordere ich alles, was ihr für euch fordert: Freiheit und gleiche Rechte! Ich fordere es auch für jenes, vom Boden Asiens losgerissene, seit achtzehn Jahrhunderten unterdrückte und verfolgte Volk, das sich unsere Sitten und Gebräuche angeeignet haben würde, wenn unsere Gesetzgebung es in unsere Mitte eingeführt hätte; wir haben auch nicht das Recht, diesem Volke seine sittlichen Mängel vorzuwerfen, weil sie nur die Frucht unserer eigenen Barbarei sind, die Frucht jenes erniedrigenden Zustandes, zu dem wir dieses Volk ungerechterweise verdammt haben.“ Nach langen Debatten wurde der 10. Punkt der Deklaration — der über die Gewissensfreiheit — in folgender Formulierung angenommen (23. August): „Niemand darf wegen seiner Überzeugungen verfolgt werden, selbst wegen der religiösen, insofern deren Äußerungen der durch das Gesetz festgelegten gesellschaftlichen Ordnung nicht widersprechen.“ Wenn gleich nach der Annahme dieses Punktes alle die sich daraus ergebenden praktischen Folgen festgelegt worden wären, so hätte die Frage der Gleichberechtigung der Juden auf Grund der Deklaration der Rechte eine sofortige Entscheidung gefunden. Aber die Versammlung tat es nicht. Es ist leichter, dem Menschen die Anerkennung einer theoretischen Wahrheit abzuringen, als die Zustimmung zu deren praktischer Anwendung. Die Nationalversammlung ging zu der Behandlung der anderen Punkte der Deklaration der Rechte und dann zu der Ausarbeitung der Grundlagen für die Verfassung über. Das Toben der Revolutionsstürme, das fortwährend in den Sitzungssaal der Volksvertreter eindrang, lenkte ihre Aufmerksamkeit auch von anderen speziellen Fragen ab, die sogar bedeutender als die jüdische waren. Der letzteren stand noch ein langer Leidensweg bevor.

Die Proklamierung der Deklaration der Rechte und das erste wohlwollende Wort über die Juden in der Nationalversammlung lösten unter den jüdischen Führern eine freudige Erregung aus. Nun konnten sie mit mehr Mut und Zuversicht jene Politik der außerparlamentarischen Beeinflussung — durch Petitionen und Deputationen — verfolgen, für die sie sich schon früher entschieden hatten.

Am 26. August wurde der Nationalversammlung eine vorwiegend von Vertretern der sephardischen Gemeinde unterzeichnete Adresse der Pariser Juden unterbreitet. Entzückt von den „großen Akten der Gerechtigkeit“, die von der Nationalversammlung ausgehen, und der Hoffnung Ausdruck gebend, dass diese Taten eine Rückwirkung auf das Schicksal der jüdischen Bevölkerung nicht verfehlen werden, ersuchen die Verfasser der Bittschrift die Versammlung, in ihren Beschlüssen des jüdischen Volkes besondere Erwähnung zu tim (faire une mention particulière) und „seine staatsbürgerlichen Rechte“ zu sanktionieren, „damit in diesem Punkte keine Zweifel bestehen, und der lange Druck nicht als Rechtfertigung für weitere Unterdrückung diene“. Einige Tage darauf lief eine ebensolche Adresse von den „Vereinigten jüdischen Deputationen“ aus Elsaß-Lothringen ein, die sich bei der Einberufung der Generalstaaten mit bescheidenen Wünschen begnügen wollten und um Milderung des Schicksals der Juden baten. Nun begannen die Abgeordneten eine kühnere Sprache zu führen. ,,Die Revolution“, schrieben sie in ihrer Adresse, „verkündete die Rechte des Menschen und des Bürgers: sollen denn wir Juden einzig und allein von diesem Akte ausgeschlossen sein? Wir werden noch bis auf den heutigen Tag unterdrückt, und selbst in der letzten Zeit, als die Volkswut nach Opfern fahndete, wandte sie sich gegen uns, denn solange nicht die Gleichberechtigung der Juden durch einen feierlichen Erlass verkündet ist, wird das Volk in dem Glauben leben, dass der Jude außerhalb des Gesetzes steht“. — In diesen beiden Adressen, von denen die eine von den privilegierten Juden der Hauptstadt, und die andere von den jüdischen Massen der „Ansiedelungszone“ ausging, fällt eine charakteristische Meinungsverschiedenheit auf. Bei ihrer Forderung nach Gleichberechtigung erklären die Pariser ihre Bereitschaft, „in unserem eigenen Interesse und dem des Gemeinwohls auf das uns gewährte Vorrecht, unsere eigenen, aus unserer Mitte gewählten und von der Regierung ernannten Vorgesetzten (d. h. auf die Gemeindeselbstverwaltung) zu verzichten.“ Hingegen bitten die Elsässer dringend, uns „unsere Synagoge (Gemeinde), unsere Rabbiner, unsere Syndiker“ zu belassen und die Gemeindeselbstverwaltung nicht anzutasten, ohne welche die inneren Angelegenheiten der Juden in die Brüche gehen würden. So verzichteten bereits die vom Volke losgerissenen oberen Schichten der Hauptstadt auf ihre kulturelle Autonomie im bloßen Vorgefühle der Gleichberechtigung, während die kompakten Massen der Judenheit keine demütigenden Konzessionen als Dank für die Verleihung staatsbürgerlicher Rechte anboten . . . In der Sitzung vom 3. September wurden diese und manche anderen jüdischen Petitionen der Nationalversammlung vorgelegt. Der Abbé Grégoire, der als Verfechter der jüdischen Sache auftreten wollte, verlangte das Wort, aber andere unaufschiebbare Fragen veranlassten die Versammlung, die Untersuchung der jüdischen Petitionen einer besonderen Kommission zu übergeben.

Unterdessen wollten die Klagen der während der Agrarbewegung zugrunde gerichteten jüdischen Familien in den Dörfern und Städten Elsaß-Lothringens noch immer nicht verstummen. Die Pogromepidemie hatte sich noch nicht gelegt; an manchen Orten rissen die Aufständischen die Dächer von jüdischen Häusern herunter, schossen in die Synagoge hinein und drohten mit einem Gemetzel. Die königlichen Truppen zeigten sich in der Verteidigung der Juden sehr lässig. Am 28. September forderten die Abgeordneten Grégoire und Graf Clermont-Tonnerre die Nationalversammlung auf, die laufenden Arbeiten zu unterbrechen, um unverzüglich die gegen die Judenpogrome zu ergreifenden Maßnahmen zu beschließen. „Es naht der jüdische Versöhnungstag heran“, sagte Clermont, „und die in den Synagogen versammelten Menschen bleiben gegenüber der Volkswut wehrlos; der Ort, an dem die Juden ihre Gebete verrichten, kann zu dem ihres Todes werden.“ Beide Abgeordnete forderten sofortige Einwirkung auf die elsässischen Behörden. Die Versammlung, die ihrer Entrüstung über die im Elsaß verübten Gräuel Ausdruck gab, erteilte ihrem Vorsitzenden Demennier den Auftrag, an die elsässischen Behörden sofort ein Rundschreiben wegen Ergreifung außerordentlicher Maßnahmen zum Schutze der Person und des Eigentums der Juden zu erlassen und gleichzeitig den König um Unterstützung dieser Forderung „durch die ganze Macht seiner Autorität“ zu bitten.

Am Abend des 14. Oktobers, einige Tage nach der Übersiedelung des Königs und der Versammlung aus Versailles nach Paris, spielte sich in der Nationalversammlung eine feierliche Szene ab. Der Abbé Grégoire meldete, dass eine aus elsaß-lothringischen Juden bestehende Deputation schon lange darauf warte, der Versammlung vorgestellt zu werden, imd ersuchte, diese sofort zu empfangen. Es wurde der Befehl gegeben, die jüdische Deputation in den Sitzungssal eintreten zu lassen. Sie trat ein und blieb am Gitter stehen. An der Spitze der Deputation befand sich der bekannte jüdische Vertreter Beer-Isaak Herr aus Nancy, Freund und Landsmann von Grégoire. Mit einer vor innerer Erregung zitternden Stimme wandte sich Berr an die Versammlung mit folgenden Worten: ,,Meine Herren! Im Namen des ewigen Schöpfers jedes Rechtes und jeder Gerechtigkeit; im Namen Gottes, der den Menschen gleiche Rechte verlieh und ihnen damit auch gleiche Pflichten auferlegte; im Namen der im Verlaufe vieler Jahrhunderte beleidigten Menschheit, beleidigt durch die schmähliche Behandlung, die den Nachkommen des ältesten der Völker fast in allen Ländern der Erde widerfuhr — im Namen alles dieses beschwören wir euch: wendet eure Aufmerksamkeit unserem kläglichen Los zu! Allerorten unterdrückt, allerorten gedemütigt und dabei immer gefügig, nimmer einen Widerstand entgegensetzend; ein Gegenstand des Hasses und der Verachtung bei allen Völkern, während sie doch eher auf Duldsamkeit und Mitleid Anspruch erheben können, gestatten sich die Juden, in deren Namen wir nun vor euch treten, sich der Hoffnung hinzugeben, dass ihr an deren Klagen, trotz der euch beschäftigenden Arbeit nicht achtlos vorübergehen werdet; dass ihr ihre schüchternen Erklärungen, die sie aus der Tiefe ihrer Erniedrigung hier vorzubringen wagen, mit einigem Interesse anhören werdet. Wir werden, meine Herren, eure Zeit nicht missbrauchen, um den Charakter und die Gerechtigkeit unserer Forderungen eingehend zu behandeln; dies alles ist bereits in den Denkschriften, die wir die Ehre haben, euch zu unterbreiten, dargelegt. Von euch hängt es ab, uns in eine minder traurige Lage zu versetzen, als die, zu der wir bisher verurteilt waren. Möge jene schändliche Scheidewand, die uns so lange von der Welt trennte, in sich zusammenfallen! Mögen die Menschen in uns Brüder erblicken! Möge jene göttliche Liebe zum Nächsten, die euch so teuer ist, sich auch auf uns erstrecken! Möge sich eine gründliche Umwälzung in allen Institutionen vollziehen, die uns zu Sklaven machen; und möge diese Umwälzung, nach der wir bisher vergeblich rangen und um die wir euch nun mit Tränen in den Augen anflehen, eure Wohltat, das Werk eurer Hände sein!“

Mit tiefer Aufmerksamkeit hörte die Versammlung die Rede des Vertreters der Juden an. Viele waren gerührt. Vor der christlichen Gesellschaft standen die Sendboten einer jahrhundertelang unterdrückten Nation, die das Versprechen gaben, alle historischen Kränkungen zu vergessen, und flehentlich um Gerechtigkeit, um ein brüderliches Bündnis, um die Abschaffung jahrtausendelanger Feindschaft baten. . . Als Berr mit seiner Rede zu Ende war, erhob sich der Vorsitzende der Versammlung, Preteau. von seinem Sitz und wandte sich an die jüdische Deputation mit folgenden Worten: „Die zur Unterstützung eurer Forderungen angeführten wuchtigen Gründe gestatten es der Versammlung nicht, euch teilnahmslos zuzuhören. Die Versammlung wird euer Gesuch zur Kenntnis nehmen und sich für glücklich halten, wenn sie in der Lage sein wird, euren Brüdern Ruhe und Glück zu verschaffen. Vorerst könnt ihr euren Wählern von unseren Erklärungen Mitteilung machen.“ Die Antwort des Vorsitzenden löste lauten Beifall bei der Versammlung aus. Auf Antrag Grégoires wurde es den jüdischen Delegierten gestattet, als Zeichen besonderer Aufmerksamkeit und Ehrung, in der Kammer bis zum Schlüsse der Sitzung zu bleiben.

Zur selben Zeit veröffentlichte der unermüdliche Abbé Grégoire in Form einer besonderen Broschüre jene Rede, die er infolge der Vertagung der Behandlung der jüdischen Petitionen zu halten nicht in der Lage war („Motion en faveur des juifs“). Seine Apologie schließt mit folgenden an die Vertreter des Volkes gerichteten Worten: „50.000 Franzosen sind heute als Sklaven erwacht; von euch hängt es ab, dass sie als freie Männer zu Bette gehen!“