Die moderne Demokratie

Eine politische Beschreibung
Autor: Hasbach, Wilhelm Dr. (1849-1920) Nationalökonom, Prof. für Staatswissenschaften an der Universität in Kiel, Erscheinungsjahr: 1921
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Demokratie, Gesellschaft, Revolution, Rechte, Staatsformen, Monarchie, Menschenrechte, Kolonien, Verfassung, Restauration, Parteien, Kaiserreich, Union, Schweiz, Frankreich, USA, Jakobiner, Spanien, Beamtentum, Selbstverwaltung, Freiheit, Freiheitsrechte, Religion, Volk, Pflicht, Recht, Wahlrecht, Sozialismus, Sozialdemokratie, Hansestädte, Andora, Sa Marino, Liberalismus, Berufspolitiker, Wahlkreise, Wahlkampf, Wahlverfahren
Weltmännische Skeptiker, wie Pope; historische Köpfe, welche den Zusammenhang der Verfassungen mit der äußeren Natur, der Geschichte und dem Charakter der Völker erkennen; erfahrene Politiker, vorsichtig Vorzüge und Nachteile der Regierungsformen feststellend und gegen einander aufrechnend: zu ihnen gehören nicht die Männer, welche in Deutschland seit Jahrzehnten die Demokratie verherrlichen.

In den folgenden drei Sätzen dürfte die Quintessenz ihrer Behauptungen enthalten sein:

„Die Demokratie ist die einzige, mit der Würde des Menschen verträgliche Staatsform. Nur in der Demokratie lassen sich alle Menschheitszwecke erreichen. Daher muss die konstitutionelle Monarchie entweder durch eine Revolution gestürzt, oder schrittweise, durch die Verminderung der Rechte des Fürsten und der ersten Kammer, in eine tatsächliche Demokratie verwandelt werden." Eine auf die Kritik dieser drei Sätze beschränkte Schrift würde ihr Ziel verfehlen; wir haben keinen Mangel an Werken, welche treffende Urteile über die Demokratie enthalten. Der deutsche politische Schriftsteller darf nicht allgemein die Kenntnis der Vordersätze seiner Schlussfolgerungen voraussetzen; er muss in die Prüfung fremder Meinungen die seine Überzeugung tragenden Ideen und Tatsachen verweben, und nur eine ausführliche, breite Darstellung kann den schimmernden Nebel zerstreuen, der in Deutschland die Gestalt der Demokratie umwallt So verfahrend darf er zu überzeugen hoffen; aber er gerät in andere Schwierigkeiten, die der Verfasser dieses Werkes durch eine historische Übersicht und eine ideengeschichtliche Einleitung zu beseitigen gesucht hat. Sie bedingt zwar einige Wiederholungen, gestattet ihm aber auch, das wichtig Scheinende mehrmals zu sagen und das Licht passend zu verteilen; nur so wurde es möglich, im ersten Kapitel des zweiten Buches der unmittelbaren und der pseudo-repräsentativen Demokratie einen bevorzugten Platz einzuräumen.

Seine Schrift hofft er mit den Worten „Eine politische Beschreibung" richtig charakterisiert zu haben. Sie sollen aber auch den Leser davor warnen, staatsrechtliche Erörterungen in ihr zu vermuten.

Trotz der Fülle beigebrachter Tatsachen gerät der Schilderer der modernen Demokratie bei ihren Verehrern leicht in den Verdacht mangelnder Objektivität. Um ihn zu vermeiden, hat der Verfasser seine Untersuchung , nicht über die Schweiz, die Vereinigten Staaten und Frankreich ausgedehnt, was im neunten Kapitel des zweiten Buches ausführlich begründet wird; und es wurde berufenen Männern, von Aristoteles angefangen, über Rousseau und Tocqueville, bis auf Dubs und Schollenberger, Bryce und Woodrow Wilson, Goodnow und Ostrogorski so oft wie nur möglich das Wort gegeben. Am liebsten hätte er die eigene Meinung ganz zurücktreten lassen und nur die Tatsachen und die Urteile anerkannter Schriftsteller, besonders solche von Bürgern der beschriebenen Demokratien, dem Leser vorgeführt. Ihm scheint es, dass das deutsche Volk in eine Periode eingetreten ist, die der Zeit des zweiten Kaiserreiches in politischer Hinsicht sehr ähnlich ist. Damals lockte erhebliche Bruchteile der Franzosen das Ideal einer Demokratie, die sich immer mehr als Phantasiebild erwiesen hat.

Sowohl der Deutschlands unwürdige Mangel an einer großen, der Bibliothek des Britischen Museums oder auch nur der Bibliotheque Nationale gleichwertigen, öffentlichen Bücherei, wie das Fehlen von Schriften über einzelne Seiten seines Gegenstandes zwangen den Verfasser, da briefliche Mitteilungen nicht immer zu erlangen waren, zu einem längeren Aufenthalte in der Schweiz (deren die vaterländischen politischen Verhältnisse der Gegenwart beschreibende Literatur dürftig ist) und in Frankreich (dessen reichhaltigere, oft in Zeitungen, Flugschriften, Zeitschriften versteckte Literatur uns großenteils unbekannt bleibt); sie veranlassten ihn auch, einmal nach Frankreich und dreimal nach der Schweiz zu einem kürzeren zurückzukehren. Hätte ihn patriotische Sentimentalität nicht verhindert, sein Werk ganz im Auslande zu vollenden, dann würde er sich viel Zeit, Mühe, Ärger und Geld erspart haben. Mit den Fortschritten von etwa 80 demokratischen Republiken ist es leichter, in Genf oder Grenoble, in Washington und Albany bekannt zu bleiben, als in Dresden, wenn sich hier auch die Bibliothek der Gehestiftung befindet; und die Gefahr, ein Werk bald im Originale, bald in Übersetzung, bald in dieser, bald in jener Auflage anführen zu müssen, wäre dort leicht zu vermeiden gewesen.

Nicht wenige Männer haben seine Fragen mündlich oder schriftlich, oder mündlich und schriftlich, zum Teil wiederholt in liebenswürdiger Weise beantwortet, so dass es ihn drängt, ihnen auch hier seinen wärmsten Dank auszusprechen; den Herren: Geheimrat G. Cohn in Göttingen und Theodor Curti, Direktor der Frankfurter Zeitung; den Herren Advokat Dr. Janggen und Ständerat Scherer in St. Gallen, dem früheren Ständeratspräsidenten Winiger in Luzern, Gerichtsschreiber Ernst in Aarau, Fürsprech Keßler in Biel; den Herren: Arnaude und Berthélemy, Professoren an der Universität Paris, Charles Benoist, Professor an der Ecole Libre des Sciences Politiques und Mitglied der Deputiertenkammer, Frédéric Clement, avocat à la cour d'appel, Dr. Kroger, Korrespondenten der Kölnischen Zeitung, F. Laya, Generalsekretär der Action Liberale, Pallu de la Barriere, Generalsekretär des Parti Republicain Democratique, alle in Paris; Herrn Professor H. Hauser in Dijon. Leider kann er zwei verehrten Männern: Karl Hilty und Anatole Leroy-Beaulieu, der sein Unternehmen in so gütiger Weise zu fördern suchte, seinen aufrichtigen Dank nicht mehr abstatten. Auch Anderen ist er verpflichtet, die ihm zum Teil nicht namentlich bekannt sind.

Die an die genannten Herrn gestellten Fragen bezogen sich zum nicht geringen Teile auf das dritte Buch. Von den mehreren Gründen so zahlreicher Befragungen nur einer: die verwickelten, eigenartigen Parteiverhältnisse der Schweiz und Frankreichs, deren Schwierigkeiten so ausgezeichnete Kenner wie Th. Curti und Charles Benoist hervorhoben. Dass der Verfasser allein für die ausgesprochenen Urteile verantwortlich ist, braucht kaum gesagt zu werden.

Auch den Herren Maximilian Harden, Herausgeber der Zukunft, und F. W. Theden, Verleger der Zeitschrift Hamburg, die ihm erlaubt haben, Teile veröffentlichter Aufsätze in dem 7. Kapitel des 2. Buches und in dem Anhang wieder abzudrucken, ist er zu lebhaftem Dank verpflichtet.

Aus den Beilagen (Auszügen aus wichtigen Staatsschriften), einigen Anmerkungen und gelegentlich aus der Darstellung ist die ehrgeizige Hoffnung des Verfassers auf einen weiteren Leserkreis zu erkennen.

              Dresden, im August 1912.
                            W. Hasbach.



                            Inhaltsverzeichnis.

Vorwort
Einleitung. Demokratische und liberale Ideen vom 16. bis zum 18. Jahrhundert
I. Die geschichtliche Entwicklung der modernen Demokratie
    1. Der Abfall der englischen Kolonien
    2. Die Erklärung der Menschenrechte
    3. Die Verfassungen der Einzelstaaten
    4. Die Schöpfer der amerikanischen Bundesverfassung
    5. Die Entwicklung der Bundesverfassung
    6. Die französische Verfassung von 1791
    7. Girondisten, Jakobiner und die Verfassung von 1793
    8. Die Entwicklung der Schweizer Demokratie
        I. Die Schweiz vor 1798 80
        II. Die Schweiz nach 1798 86
    9. Die französische Demokratie im 19. Jahrhundert
        I. Die Restauration, Tocqueville und die Verfassung von 1848
        II. Das zweite Kaiserreich und die dritte Republik
            1. Die Entwicklung der republikanischen Partei unter dem Kaiserreiche
            2. Prevost-Paradol und der Duc de Broglie
            3. Die Verfassung von 1875
    10. Die Entwicklung der Ideen der sozialen Demokratie in Frankreich
    11. Der Abfall der spanischen Kolonien
    12. Neue Aufgaben
II. Formen, Arten, Begriff und Wesen der modernen Demokratie
    1. Die Formen der modernen Demokratie
        I. Die unmittelbare Demokratie
    I    I. Die repräsentative Demokratie
        III. Die pseudo-repräsentative Demokratie in der Schweiz
        IV. Die pseudo-repräsentative Demokratie in der Union
        V. Die parlamentarische Demokratie
        VI. Rückblick
    2. Das Beamtentum der modernen Demokratie
        I. Die Territorialeinteilung
        II. Wahl und Ernennung der Beamten
        III. Amtsdauer
        IV. Befähigungsvorschriften
        V. Pension
        VI. Entlassung
        VII. Hierarchie und Disziplin
    3. Die Selbstverwaltung in der modernen Demokratie
        I. Frankreich
        II. Schweiz
        III. Union
        IV. Schluss
    4. Demokratie und Freiheit
        I. Der Schutz der Freiheitsrechte
        II. Die Freiheitsrechte
            1. Schutz gegen willkürliche Verhaftung und Durchsuchung
            2. Freiheit der persönlichen und wirtschaftlichen Bewegung
            3. Religiöse Freiheit
            4. Pressefreiheit
            5. Vereins- und Versammlungsfreiheit
            6. Rückblick auf die Freiheitsrechte
        III. Die Herrscherrechte
            1. Die Gleichheit vor dem Gesetz
            2. Die Gleichheit vor der Steuer
            3. Die gleiche Zulassung zu den Staatsämtern
            4. Das gleiche Wahlrecht
    5. Die politische Demokratie
        I. Volkssouveränität und Aktivbürgerschaft
        II. Mehrheitsherrschaft
        III. Die verfassunggebende Gewalt des Volkes
        IV. Die vom Volke geschaffenen Gewalten
        V. Pflicht und Recht
        VI. Das Volk
    6. Die soziale Demokratie
        I. Die Tendenzen der sozialen Demokratie 333
        II. Die Psychologie der sozialen Demokratie 349
    7. Sozialismus und Sozialdemokratie 358
        I. Ist die Demokratie das Mittel zur Erkämpfung des Sozialismus?
        II. Kann der Sozialismus nur in der staatsrechtlichen Form der Demokratie verwirklicht werden?
        III. Die Sozialdemokratie bildet den Sozialismus zur sozialen Demokratie zurück
    8. Die griechische Demokratie
        I. Die politische Demokratie
        II. Vergleichung der griechischen mit der modernen Demokratie
        III. Die soziale Demokratie
    9. Die Hansestädte, Andorra und San Marino
    10. Katholische Kirche und Demokratie
        I. Katholische Politiker und Demokratie
        II. Der katholische Liberalismus
        III. Die Päpste, die Demokratie und die Freiheit
        IV. Die Bedeutung der päpstlichen Entscheidungen
III. Der Mechanismus der modernen Demokratie
Einleitung
1. Das Wahl- und Stimmrecht in der Demokratie
I. Die fundamentalen Forderungen
II. Das Problem der Gleichwertigkeit und die Listenwahl
III. Die Verhältniswahl
IV. Beurteilung der Verhältniswahl
V. Neuere Forderungen und Schlussbetrachtung
2. Die Partei
I. Die entfernteren Vorbereitungen auf den Wahlkampf
1. In den Vereinigten Staaten
2. In der Schweiz
3. In Frankreich
II. Die näheren Vorbereitungen auf den Wahlkampf und der Wahlkampf selbst
1. In den Vereinigten Staaten
2. In der Schweiz
3. In Frankreich
3. Die Berufspolitiker
I. Die Vereinigten Staaten
II. Frankreich
III. Die Schweiz
Schluss
Beilagen. A.
I. Magna Charta 1215
II. Petition of Right 1628
III. Habeas Corpus Act 1679
IV. Bill of Rights 1689
B. Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776
C. Constitution of Massachusetts 1780
Anhang. Plan der Verhältniswahl ohne Neueinteilung der Wahlkreise und Änderung des Wahlverfahrens