Erste Fortsetzung

Betrachten wir die Gegend Kleinasiens, durch welche diese Eisenbahnrichtung vorgeschlagen wird, so stellt sie eine Reihe von 2 bis 5000' über das Meer erhabenen Terrassen und Plateaus dar, die hier und da mit Bergketten von 6000' und höher abwechseln. Wenngleich ein so coupirtes Terrain keine absolut unüberwindlichen Schwierigkeiten dem Eisenbahnbau entgegensetzt, so sind solche doch Bedenken erregend. Sie häufen sich im Gebirgslande zwischen Erserum und Bajasid, wo es die hohe Kessa-dagh-Kette, die Wasserscheide zwischen dem Araxes und Euphrat, zu überschreiten gilt—auf einem Gebirgspässe, der wenig dem von der Grusinischen Militärstraße zwischen Tiflis und Wladikawkas durchfurchten Passe an Höhe nachsteht. Ferner geht dieser Berg gegen Bajasid zu am Fuß der Aghri-dagh-Kette und des Ararats durch die Schlucht eines Quellflusses des Euphrat, des Murad-ssu, die gegenwärtig einen kaum erträglichen Saumpfad bietet. Endlich wären noch zwischen Tawris uud Kaswin im Kaflan-Kuh-Gebirge sehr bedeutende Terrainschwierigkeiten .zu überwinden. Dazu käme noch, dass diese Straße auf ihrer ganzen Erstreckung von Konstantinopel bis Tawris durch eine völlig waldlose Gegend ginge. Überhaupt lässt sich von diesem Projekte sagen, dass, wenngleich seiner Herstellung keine Schwierigkeiten entgegenstehen, die beim gegenwärtigen Stande der Technik für absolut unüberwindlich anzusehen sind, die Masse derselben gegen seine Ausführbarkeit sehr gerechte Zweifel erregen muss. Jedenfalls sind die hier aufstoßenden Schwierigkeiten grösser, als sie irgendwo in Transkaukasien zu finden sind, selbst wenn Jemand vorschlüge, Tiflis mit Eriwan durch eine Eisenbahn in der Richtung der gegenwärtigen Poststraße zu verbinden, die bekanntlich am Goktscha-See vorbei den Kleinen oder Anti-Kaukasus passiert.

Die zweite der von Scutari durch Kleinasien über Teheran nach Indien vorgeschlagenen Linien hat den berühmten Orientalisten und Präsidenten der Geographischen Gesellschaft in London, General Rawlinson, zum Urheber. Von ihrem Ausgangspunkte auf der asiatischen Seite des Bosporus geht sie über Angora, Josgad, Ssiwas, Malatia, Diarbekir, Nisibin nach Mossul — stets durch ein gebirgiges Terrain, das dem Bau einer Eisenbahn nicht zu unterschätzende Hindernisse in den Weg stellt. Von Mossul aus führt sie nach Kifri am Diyalah einem. Nebenflusse des Tigris, hinab, um von dort gen Kirmanschah das aus mehreren Parallelketten bestehende Zagros-Gebirge auf Pässen von wenigstens 6 bis 7.000' Höhe zu überschreiten — und dies in einer Gegend, die von wilden Nomaden, Luren, Bachtiaren u a. bewohnt ist. Auch von Kirmanschah über Hamadan (das alte Ecbatana) nach Teheran bleiben dieser Route sehr bedeutende Gebirgsübergänge zu überwinden.


Der erste dieser englischen Überlandwege nach Indien, der in gerader Linie von Scutari nach Teheran streicht, beträgt auf dieser Strecke, nach Detailkarten Kleinasiens und Persiens berechnet, 2.130 Werst; während dieselbe Strecke in der von Rawlinson vorgeschlagenen Richtung an 2,600 Werst ergibt. Die ganze Entfernung aber zwischen dem Bosporus und dem Indus bei Schikarpur betrüge über Erserum 4.300, über Mossul und Kirmanschah jedoch 4.750 Werst. In diesen beiden Direktionen müssen zwischen Konstantinopel und Teheran über 2,000 Werst mit Schienen durch Gebirgslandschaften und coupirtes, sehr bedeutende Schwierigkeiten darstellendes Terrain gelegt werden.. Von Teheran aber über Schah-rud, Meschhed, Herat, Kandahar und den Bolanpass in das Industhal hinab gestalten sich die Verhältnisse bedeutend günstiger.

Jedenfalls verdienen die beiden letztgenannten Linien — die gerade, kleinasiatisch-persische, und die kleinasiatisch-mesopotamisch-persische Rawlinsons wenigstens- in einer Beziehung Beachtung: dass sie allein unter allen englischen Projekten direkt zum Ziele einer ununterbrochenen Eisenbahnverbindung zwischen Europa und Indien führen. Wird einmal, woran im gegenwärtigen Augenblicke wenig fehlt, das europäische Bahnnetz bis Konstantinopel ausgedehnt, so Hesse man es zur Verbindung der beiden Kontinente nötigenfalls nicht an einer Überbrückung des Bosporus fehlen. Die Möglichkeit einer solchen zeigt uns Herr Sesemann, ein speziell für den Bau von eisernen Brücken bei der Oberverwaltung Kaukasiens angestellter Ingenieur, unter anderen am Beispiele der von Röbling zwischen New-York und Brooklyn ausgeführten Brücke von 1700' Länge. Seiner Ansicht nach müsste über den Bosporus, wegen seiner bedeutenden Tiefe sowohl, als auch um die Schifffahrt desselben nicht zu behindern, ein einziger Brückenbogen von 1.740' Spannweite, bei einer Höhe von 140', geworfen werden, was 7 Mill. Rubel kosten würde.

Wenn solcher Weise die Möglichkeit eines Überlandweges nach Indien direkt durch Kleinasien nicht in Abrede zu stellen ist, so können wir von seiner Rentabilität nicht dasselbe anführen. Das Binnenland Kleinasiens bietet sehr wenig Produkte zur Ausfuhr, hat wenig kulturfähiges Land und eine so dünne Bevölkerung, dass dieselbe nur acht Einwohner auf die Quadratwerst (etwa 402 auf die Quadratmeile) des ganzen Areals beträgt, wobei noch zu berücksichtigen ist, dass die Hauptmasse derselben sich an den Küsten angehäuft findet.

Überhaupt scheint es uns, dass die geringen Aussichten auf Rentabilität der einzige Grund sind, weshalb die Engländer, deren Capital stets bereit ist, denjenigen Unternehmungen zuzufließen, die eine vorteilhafte Anlage desselben verheißen, bisher noch nicht an die Verwirklichung eines der von ihnen besprochenen Eisenbahnprojekte nach Indien gegangen sind, während doch die Notwendigkeit eines festeren Anschlusses dieser Kolonie an ihr Mutterland seit dem letzten Aufstande daselbst keinem Zweifel unterliegen kann. Dieses merkwürdige Zögern findet seine Erklärung auch darin, dass die einzige rentable Straße nach Indien den britischen Kennern Vorderasiens, wenngleich wohlbekannt, so doch aus politischen Gründen unangenehm ist, da diese, ohne ihr Zutun in Angriff genommene, ja sogar vom Meridian von Konstantinopel gerechnet, schon zu einem ganzen Drittel in Kurzem vollendete Route nicht England ausschließlich dienstbar sein wird, sondern dem Verkehr aller Nationen in gleicher Weise offen steht.