Jüdische Einwanderung aus Russland und Rumänien

Die jüdische Einwanderung aus Russland, die bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts im Durchschnitt die Hälfte der gesamten jüdischen Einwanderung nach Amerika ausmachte, ist im 20. Jahrhundert noch stärker geworden. Ihre Regelmäßigkeit fällt vor allem auf (Tabelle V). Denn wenn wir von den Jahren 1897—1899 absehen, in denen auch die allgemeine Einwanderung bedeutend sank, und die gewaltig anschwellende Auswanderung in den Jahren 1905 — 1907 aufs Konto der Revolution und Pogrome setzen, so sehen wir, dass die jüdische Auswanderung aus Russland eine Erscheinung ist, die trotz aller Schwankungen die Tendenz hat, langsam zu steigen. Mögen einzelne Jahre eine niedrigere Zahl der Auswanderer aufweisen, im großen und ganzen ist die jüdische Auswanderung aus Russland keine sporadische, durch vorübergehende Umstände herbeigeführte, sondern eine systematische, tief im Wesen des jüdischen Lebens in Russland liegende Erscheinung. Die Tendenz zum Steigen tritt uns noch klarer entgegen, wenn wir nicht einzelne Jahre betrachten, deren Auswandererzahl mancherlei Zufälligkeiten unterworfen ist, sondern größere Zeiträume von fünf Jahren miteinander vergleichen. So ersehen wir aus der Tabelle VI, dass im Lustrum 1881—1885 die jährliche durchschnitliche Einwandererzahl 12.865 beträgt; im Lustrum 1886 — 1890 schon mehr als das Doppelte: 28.509; im Lustrum 1891—1895: 44.829; im Lustrum 1896—1900: 31.278; im Lustrum 1901—1905: 58.625 und im Lustrum 1906—1910: 82.223. Die einzige Ausnahme bildet das Lustrum 1896 bis 1900. In den letzten vier Jahren betrug die durchschnittliche Einwandererzahl aus Russland 75.144 Personen.

Tabelle IV Die Einwanderung in die Vereinigten Staaten in den Jahren 1899—1914 (nach Nationalitäten)


01. Süditaliener (2.690.626), 02. Juden (1.485.641), 03. Polen (1.402.695), 04. Deutsche (1.046.925), 05. Skandinavier (Norweger, Dänen und Schweden) (738.556), 06. Engländer (622.829), 07. Irländer , 08. Norditaliener, 09. Slowaken, 10. Kroaten und Slowenen, 11. Ungarn, 12. Griechen, 13. Ruthenen, 14. Litauer, 15. Schotten, 16. Russen, 17. Finnländer, 18. Franzosen, 19. Japaner, 20. Bulgaren, Serben und Montenegriner, 21. Holländer und Flamen, 22. Böhmen und Mähren (Tschechen), 23. Rumänen, 24. Portugiesen, 25. Mexikaner, 26. Spanier, 27. Syrier, 28. Afrikaner (Schwarze), 29. Cuba, 30. Armenier, 31. Dalmatien, Bosnien und Herzegowina, 32. Wales, 33. Chinesen, 34. Türken, 35. Westindien (außer Cuba), 36. Spanisch–Amerika, 37. Koreaner, 38. Ostindier, 39. Ozeanien

Tabelle V Jüdische Einwanderung aus Russland in die Vereinigten Staaten



Tabelle VI Jüdische Einwanderung aus Russland in die Vereinigten Staaten



Das im zweiten Kapitel über das Besondere der Ursachen der jüdischen Auswanderung aus Russland und Rumänien Ausgeführte wird durch eine Gegenüberstellung der Entwicklung der Auswanderung aus diesen zwei Ländern nur bekräftigt. Wie die Tabelle VII zeigt, ist die jüdische Auswanderung aus Rumänien nicht in einem stetigen Anwachsen begriffen, sondern trotz der vielen Schwankungen in einem ununterbrochenen Sinken; von 11,6 Proz. im Jahre 1900—01 (6.827 Auswanderer) ist sie auf 1,2 Proz. im Jahre 1913—1914 gesunken (2.646 Auswanderer). Aber auch die Schwankungen, denen die Auswanderung unterworfen war, sind hier stärker und unregelmäßiger, als in der Auswanderung aus Russland. Nicht die Entwicklung des wirtschaftlichen Lebens ist in Rumänien der Grund der Auswanderung, sondern das zufällige, sporadische und unberechenbare Spiel der politischen Kräfte.

Tabelle VII Jüdische Einwanderung aus Rumänien in die Vereinigten Staaten