Familienstand der jüdischen Einwanderung

Die überaus fein angelegte amerikanische Statistik ermöglicht uns seit der Neuerung vom Jahre 1909—1910, in dem eine besondere Aufnahme über die Familienverhältnisse der Einwanderer zum ersten Male vorgenommen wurde, auch über den Familienstand der jüdischen Einwanderer ein klares und eindringliches Bild zu gewinnen. Die Tabellen XIV und XV, welche die einzelnen Jahreszahlen und das Gesamtergebnis der letzten 5 Jahre (1910—1914) enthalten, geben über die uns interessierende Frage ausreichende Auskunft, Den Kinderreichtum der jüdischen Einwanderung kennen wir schon. So machen bei den Juden die Knaben unter 14 Jahren, die ledig sind, im Lustrum 1910—1914 11,9 Proz. Die ledigen Mädchen unter 14 Jahren *) sind etwas schwächer vertreten: 11,5 Proz, Die Struktur der jüdischen Einwanderung, die ein getreues Bild der Bevölkerungsverhältnisse in den Auswanderungsländern darstellt, ist auch in diesem Punkte überaus bezeichnend; das bekannte Überwiegen der Knaben in der jüdischen Bevölkerung Russlands spiegelt sich in den oben angegebenen Zahlen der Einwanderung wieder.

*) Als Kuriosum sei erwähnt, dass auch in diesem Alter einige Mädchen schon verheiratet waren.


Tabelle XIII Prozentsatz der Einwanderer, die in den Vereinigten Staaten schon wenigstens einmal gewesen sind


Bei der gesamten und italienischen Einwanderung sind die Knaben und Mädchen bedeutend schwächer vertreten: es gibt ihrer dort nur halb so wenig wie bei den Juden.

Viel interessanter ist die zweite Altersklasse: zwischen 14 und 44 Jahren. Was die Ledigen unter ihnen anbetrifft, so gab es bei den Juden weniger ledige männliche Personen als bei der Gesamteinwanderung, auch weniger als bei den Italienern; es kamen im Lustrum 1910—14 auf je 100 jüdische Einwanderer 25,3 männliche ledige Personen zwischen 14 und 44 Jahren, bei der Gesamteinwanderung 33,2, bei den Italienern 33,4. Dafür gab es bei den Juden mehr ledige weibliche Personen; so kamen in demselben Jahre auf 100 Juden 18,8 ledige Mädchen im Alter von 14 — 44 Jahren, bei der Gesamteinwanderung jedoch nur 14,8, bei den Italienern sogar nur 7,7. Schon daraus allein sieht man klar den Familiencharakter der jüdischen Einwanderung. Während es in der Gesamteinwanderung mehr jüngere freie Männer gibt, die leichter und ungehinderter ihre Arbeitskraft in der neuen Heimat verkaufen können, und die Mädchen schwächer vertreten sind, ist die Anzahl der ledigen Frauen bei den Juden sehr bedeutend; es sind meistens Töchter, die zu den jüdischen Familien gehören. Dass dem wirklich so ist, ersehen wir aus der Tabelle XV, die uns über den Altersaufbau der ledigen Frauen in der jüdischen, gesamten und italienischen Einwanderung Auskunft gibt. Demnach gab es unter den ledigen jüdischen Frauen im Alter von 14—21 Jahren im Lustrum 1910—1914 14,2 Proz., bei der Gesamteinwanderung nur 9,1, bei den Italienern sogar nur 4,5. Im Alter von 20—29 Jahren gab es unter den Jüdinnen fast ebensoviel ledige Personen wie bei der Gesamteinwanderung (ungefähr 4 Proz,), bedeutend mehr jedoch als bei den Italienern (3,5 Proz, gegen 2,2). Im Gegenteil aber gab es unter den Jüdinnen weniger ledige Personen im Alter von 30 bis 37 Jahren: 0,4 Proz. gegen 1,1 Proz, bei der Gesamteinwanderung. Alle diese Zahlen entrollen dasselbe Bild, Auch unter den ledigen jüdischen weiblichen Personen haben wir mehr junge Mädchen als bei der Gesamteinwanderung und bei den Italienern, weniger dagegen alleinstehende Frauen in dem Alter, in dem sie meistens schon verheiratet sind: zwischen 30 und 37 Jahren. Dies ist auch das Alter, in dem sie als Wirtschaftssubjekte für den Daseinskampf vorwiegend in Frage kommen.


Tabelle XV Altersaufbau der ledigen Frauen in der jüdischen, gesamten und italienischen Einwanderung in den Jahren 1910 — 1914

Viel klarer stellt die Verhältnisse die Rubrik der Verheirateten dar. Hier ist es beachtenswert, dass die Differenz zwischen dem Prozentsatz der verheirateten männlichen Personen im Alter von 14 — 44 Jahren und dem Prozentsatz der verheirateten weiblichen Personen desselben Alters bei den Juden ganz unbedeutend ist, während bei der Gesamteinwanderung und den Italienern, die ja nur vorübergehend nach Amerika übersiedeln, der Prozentsatz der verheirateten Männer bedeutend den der verheirateten Frauen übersteigt. So gab es im Lustrum 1910—1914 bei den Juden 13,9 Proz. der verheirateten männlichen Personen und 10,8 Proz. der verheirateten weiblichen Personen in demselben Alter (14 bis 44 Jahre). Die Differenz 3,1 Proz. Bei der Gesamteinwanderung dagegen gab es 23,3 Proz. der verheirateten Männer und 9,6 Proz. der verheirateten Frauen. Die Differenz 13,7 Proz. Noch größer ist der Unterschied bei den Italienern: 30,7—9,8 = 20,7 Proz. Das heißt: bei den Juden kommen viel mehr verheiratete Männer mit ihren Frauen an, als bei der Gesamteinwanderung und den Italienern. Die Juden-Wanderung ist eine Familienwanderung,

Die Zahl der Witwer im Alter von 14 — 44 Jahren ist bei den Juden, der Gesamteinwanderung und den Italienern fast dieselbe, jedoch übersteigt die Zahl der jüdischen Witwer im Alter über 45 Jahre (in Prozent; 0,4) die Zahl der Witwer in der Gesamteinwanderung (in Prozent: 0,3) und bei den Italienern (in Prozent: 0,2), Die jüdischen Witwen sind jedoch in beiden Altersklassen stärker vertreten als unter den übrigen Einwanderern. Auch die Älteren, die verwitweten Väter und Mütter, ziehen mit den jüngeren in die neue Heimat herüber.

Auf den starken Familienzusammenhang zwischen den schon früher Ausgewanderten und den Nachziehenden, oder überhaupt zwischen der alten und neuen Heimat können wir aus der Zahl derjenigen Auswanderer schließen, die ihre Fahrt nicht selbst bezahlt haben, sondern die Reisekosten von ihren Verwandten bekommen haben. Die Zahl solcher Auswanderer ist bei den Juden recht groß: in den letzten 3 Jahren (1912—1914) betrug sie 211.765, d. h. 66,1 Proz. (Tabelle XVI.) Selbst haben die Fahrt unter den Juden nur 106.942 Auswanderer, d. h. 33,4 Proz., bezahlt; weder selbst noch von Verwandten wurde die Reise von 1.269 Personen, d. h. 0,3 Proz., bezahlt. Dementsprechend gingen zu Verwandten 94 Proz, aller Auswanderer dieser drei Jahre! Zu Freunden gingen 4,0 Proz., und weder zu Freunden noch zu Verwandten nur 1,9 Proz. Diese Zahlen sprechen recht deutlich von dem bewunderungswürdigen jüdischen Gemeinschaftsgefühl.

Unter allen Nationalitäten, die in den Jahren 1912 bis 1914 nach Amerika einwanderten, wurde bei den Juden die Reise von den Verwandten am häufigsten bezahlt: sie stehen in dieser Beziehung mit ihren 66,1 Proz, an der Spitze; es folgen dann Litauer mit 49,5 Proz. Deutsche mit 39,9 Proz., Franzosen mit 37,8 Proz., Engländer mit 36,9 Proz. usw. (Tabelle XVII)

Tabelle XVI Auswanderer auf eigene und fremde Rechnung

Auch was die Zahl derjenigen Einwanderer, die zu den Verwandten gingen, anbetrifft, stehen die Juden an der Spitze aller anderen Nationalitäten; im übrigen ist es bezeichnend, dass auch bei den anderen Nationalitäten die Zahl der Einwanderer, die zu den Verwandten gingen, recht groß ist, am kleinsten bei den Engländern: 94.505 Einwanderer, d. h. 60,1 Proz.