Jüdische Ärzte in Deutschland

Karl der Große hatte mit genialer Kraft die deutschen Stämme unter seiner Kaiserkrone vereinigt und den festen Grund zur Entwicklung der deutschen Kultur und Wissenschaft gelegt. Dieser große, weitblickende Herrscher schützte und begünstigte auch die Juden seines Reiches, die damals „die Hauptvertreter des Welthandels“ waren 63). Sicherlich gab es schon in jener Zeit in den deutschen Landen jüdische Ärzte, die ihr medizinisches Wissen wohl weniger aus Büchern, als auf ihren Reisen sich angeeignet haben 64). Die oft wiederkehrende Behauptung aber, dass Karl der Große einen jüdischen Arzt in seinem Dienste hatte, ist historisch nicht nachweisbar. Der erste jüdische Arzt, dessen in Deutschland gedacht wird, ist der Leibarzt des Kaisers Karl des Kahlen, mit Namen Zedekias (st. um 880), der bei diesem Fürsten sich einer ganz besondern Gunst zu erfreuen hatte und ein so bedeutendes medizinisches Wissen besaß, dass er bei der abergläubischen Menge in dem Rufe eines Zauberers und Magiers stand. Unter anderen wunderlichen Dingen wusste der Volksmund zu erzählen, dass Zedekias eines Tages in Gegenwart des Hofes eine Wagenladung von Heu mitsamt Kutscher und Gespann verschlungen habe. Aber die dichtende Sage blieb nicht bei diesem unschuldigen Märchen stehen; sie erfand auch die böswillige Verleumdung, dass Zedekias seinen hohen Gönner Karl den Kahlen vergiftet habe und gab dadurch den späteren Feinden der jüdischen Ärzte eine gefährliche Angriffswaffe in die Hand 65). Von Kaiser Konrad II. (1024—1039) wird berichtet, dass er einem jüdischen Arzte seine Gunst zuwandte 66) ; wahrscheinlich nahm der Kaiser selber dessen Hilfe für sich in Anspruch. Kaiser Friedrich III. (1440 — 1493) hatte einen berühmten jüdischen Leibarzt, Jakob Loans, an seinem Hofe, den er sehr schätzte und sogar in den Ritterstand erhob. Loans begleitete den Kaiser mit seinem Hofstaate nach Linz, pflegte mit hingebender Treue den greisen Monarchen, der länger als fünfzig Jahre regierte, und wich bis zu dessen Sterbestunde nicht von seinem Krankenlager. In dankbarer Anerkennung gegen seinen jüdischen Leibarzt soll Friedrich, als er sein Ende herannahen fühlte, seinen Sohn Maximilian ermahnt haben, die Juden seines Reiches wohlwollend und milde zu behandeln und von den Feinden derselben sich nicht beeinflussen zu lassen. Nach dem Tode seines Gönners stand Loans auch, wie es scheint, in hohem Ansehen bei dessen Nachfolger Maximilian, und wahrscheinlich ist es seinem Einflüsse zuzuschreiben, dass sein berühmter Verwandter Josef Loans (Jossel Roßheim) von diesem Kaiser zum offiziellen Vertreter und „Befehlshaber“ der gesamten deutschen Juden ernannt wurde 67). Interessant ist es zu hören, dass auch die Töchter des Kaisers Ferdinand I. (1558 bis 1564), die in Innsbruck wohnten, einen Juden, namens Lazarus, zu ihrem Leibarzte hatten, den die hohen Damen und ihr kaiserlicher Vater sehr schätzten 68).

Wie mehrere deutsche Kaiser sich der jüdischen Ärzte bedienten, so wurde auch ihre Hilfe von den andern weltlichen und geistlichen Fürsten in Anspruch genommen. Der Erzbischof Bruno L von Trier hatte am Anfang des 12. Jahrhunderts einen jüdischen Leibarzt mit Namen Josua, der sehr geschickt in der Zubereitung von Arzneimitteln war 69), und Meister Simon stand im Dienste des Erzbischofs Boemund II. in derselben Stadt (1354) 70). Der Herzog Stephan der Ältere in Bayern ernannte (1381) einen Juden, namens Jakob, zu seinem Leibarzte 71), und der Herzog von Berg berief (1447) den Juden Vivus in gleicher Eigenschaft an seinen Hof 72). Ebenso bediente sich der Kurfürst Albrecht Achilles, der Hohenzollernspross, eines jüdischen Arztes, Hirs aus Hof, der ihm mit den Worten empfohlen wurde „der kon die Kunst fertiglich“ (1478) 73). Einen jüdischen Leibarzt, Doktor Abraham, hatte auch später (1568) der Herzog Georg von Liegnitz in seinem Dienste. Abraham durfte auch mit Erlaubnis seines Gebieters seine Kunst dem Herzog Wenzel von Teschen widmen und war in jener Gegend, „von Brieg bis Krakau und Ungarn“, ein sehr gesuchter Arzt“ 74).


An allen Orten Deutschlands praktizierten jüdische Ärzte und erfreuten sich trotz aller Beschränkungen und Verbote von selten der Kirche, von denen weiterhin die Rede sein soll, einer viel größeren Beliebtheit als ihre christlichen Kollegen, die meist im Aberglauben ihrer Zeit befangen waren und im allgemeinen von der Heilkunde wenig verstanden 75).

Der Augenarzt Abraham von Schweidnitz praktizierte im Jahre 1354 in Breslau 76); Meister Lembelin stand in Speier in großem Ansehen (1348) 77) und der Wundarzt Samuel übte seine Kunst in Dresden aus (1469) 78). In Regensburg beklagten sich die Bader, dass sich alle Leute von jüdischen Ärzten behandeln ließen 79). Um das Jahr 1345 war in Frankfurt a. M. der Judenarzt Isaak tätig. Etwas später (1363) treffen wir dort den jüdischen Arzt Jakob von Straßburg an, dem in Anbetracht seiner Verdienste und seiner ausgebreiteten Praxis bei der christlichen Bevölkerung der Stadt die Erlaubnis erteilt wurde, auch außerhalb der Judenstraße wohnen zu dürfen. Im Jahre 1514 gab es sogar in Frankfurt mit Ausnahme eines einzigen christlichen Arztes nur jüdische Ärzte, denen aber untersagt war, die Heilmittel selber zu präparieren 80). Am Ausgange des 15. Jahrhunderts wirkte der Judenarzt Moses von Aschaffenburg, dessen bewährte Hilfe unter andern fürstlichen Personen auch die Gräfin Wehrdenberg in Anspruch nahm und der auch dem Frankfurter Rat empfohlen wurde 81). In Wiesenau, in der Nähe von Mainz, wohnte der Rabbiner und Arzt namens Beifuß, den der Mainzer Erzbischof Uriel auch zum Hofmeister der dortigen Juden ernannte (1513) 82). In Rothenburg o. d. Tauber praktizierte der jüdische Arzt Joseph Dringer. Als im Jahre 1519 die Juden aus Rothenburg vertrieben wurden, wurde ihm vom Rate gestattet, länger als seine Glaubensgenossen in der Stadt zu bleiben — ein Recht, von dem er keinen Gebrauch machen wollte. Er forderte noch später vom Rate das rückständige Honorar für ärztliche Behandlung und fand hierbei einen Fürsprecher in dem Ritter Kunz von Rosenberg 83). Ein sehr beliebter und angesehener Arzt in der deutschen Schweiz war der Jude David, der von den neun Kantonen einen Schutzbrief besaß, dass er seine Kunst im ganzen Lande betreiben dürfe und der sich 1535 mit seiner Familie in Schaff hausen niederließ. Sein Ruf als Heilkünstler verbreitete sich so schnell, dass bald darauf der Bürgermeister von Ulm (Bernhard Besserer) diesen „berühmten Medicus“ als seinen Leibarzt anstellte. In dem Bestellungsbrief (28. Januar 1536) heißt es: „David Jud, ein sipphafter berühmter Arzt, tritt auf zwei Jahre als sein Leibarzt in seine Dienste. Er macht sich verbindlich, bei ihm, dem Bürgermeister, zu erscheinen, so oft er ihn rufe, wofür er jährlich fünfzig Gulden erhält“ 84). Nach Ablauf dieses Kontraktes gestatteten ihm die Markgrafen von Brandenburg, die ärztliche Praxis in ihrem Lande auszuüben. Später begegnen wir diesem Arzte wieder in der Schweiz, wo er eine lange Reihe von Jahren eine sehr rege Tätigkeit entwickelte und bei der Bevölkerung in hohem Ansehen stand 85).

Gegen Ende des 16. Jahrhunderts besaß Hamburg einen sehr geschickten und weithin berühmten jüdischen Arzt: Rodrigo de Castro. Dieser ausgezeichnete Mann hatte an der spanischen Universität Salamanca die Doktorwürde erlangt, musste aber später, um den Verfolgungen der Inquisition zu entgehen, seinen Heimatort Lissabon verlassen und ließ sich endlich in der freien Elbestadt Hamburg nieder, wo er seine medizinische Kunst praktisch ausübte (1594). Rodrigo gewann sich schnell das Vertrauen der Bevölkerung und galt besonders als sehr geschickter Frauenarzt. Aus allen Gegenden strömten die Kranken zu ihm herbei, und unter andern fürstlichen Personen nahmen der König von Dänemark und der Landgraf von Hessen seinen medizinischen Rat in Anspruch. Während einer Seuche, die im Lande wütete, eilte Rodrigo mit hingebender Aufopferung an das Siechbett der Kranken und schrieb überdies zur Belehrung des Volkes eine leichtverständliche Abhandlung über die Natur und Entstehung der Epidemie. Späterhin gab er ein größeres medizinisches Werk heraus, welches mit großem Beifall aufgenommen wurde und noch heute einen gewissen Wert für die medizinische Wissenschaft beanspruchen kann. „Nah an fünfzig Jahre war Rodrigo der leidenden Menschheit Retter und Helfer; er galt als der Meister der medizinischen Kunst, als der berühmte Arzt, als der Fürst der Medizin seiner Zeit 86).“

Unter denjenigen Personen, die wegen eines besonderen Verdienstes von den drückenden Steuerlasten befreit wurden oder sonstige Privilegien erhielten, befanden sich in erster Reihe jüdische Ärzte. Der Judenarzt Wahlen zu Weinheim hatte nur 6 Pfd. Schutzgeld zu zahlen, während die anderen Juden 20 bis 42 Pfd. zu entrichten hatten (1355) 87). Manus, der Arzt, hatte bei seiner Ansiedelung in Köln kein Aufnahmegeld zu zahlen (1384) 88). Ebenso hatte Meister Isaak für das ihm gewährte Wohnrecht in Bingen keinen Jahreszins zu entrichten und als er sich in Mainz niederließ, durfte er unentgeltlich in einem der kurfürstlichen Schlösser wohnen (1369) 89). Der Pfalzgraf Ruprecht I. befreite seinen jüdischen Leibarzt Gottlieb um der Dienste willen, die derselbe ihm und seinem Hofgesinde schon geleistet hat und noch leisten werde, von den Steuern und erlaubte ihm nebenbei geschäftlich tätig zu sein, wofür er ebenfalls keine Abgaben zu zahlen hatte (1362) 90). In ähnlicher Weise bezeugte der Kaiser Friedrich III. dem Wundarzt Waruch die nützlichen Dienste, die er dem kaiserlichen Hause geleistet, und befreite ihn, sein Weib und seine Kinder von allen Steuern (1467) 91) Einige Jahre später erteilte derselbe Kaiser dem Wundarzt Michel das Privilegium, „dass er, wo immer er sich auch niederlasse, von jeglicher Steuerlast dispensiert und ganz frei und unbeschwert sitzen solle“ 92). Der Pfalzgraf Ludwig V. gab gleichfalls dem jüdischen Arzt Salomon von Wimpfen wegen der Dienste, die dessen Vater Sondermann dem Pfalzgrafen und den Seinen als Arzt geleistet hat, die Erlaubnis, in Heideisheim sich niederzulassen und der Arzneikunst zu leben (1526). Dem jüdischen Arzt Mosse gestattete er, „in den nächsten vier Jahren mit seinem Knechte, ungehindert und ohne Zoll zu zahlen, in der Pfalz umherzuziehen und den Kranken Hilfe zu bringen“ 93). Ein Arzt in Tirol mit Namen Reüben betrieb die Heilkunde mit solchem Geschicke, dass ihm der Herzog Friedrich von Österreich gänzliche Steuer- und Zollfreiheit zuerkannte 94). Ebenso dispensierte König Wenzel IV. von Böhmen den Wundarzt Teifel, der aus Jerusalem gekommen war, von allen Zinsen und Abgaben, die die andern Juden zu leisten hatten (1417) 95). König Ferdinand von Böhmen erteilte wiederum dem jüdischen Arzte Moses einen Geleitbrief, damit dieser den Burggrafen des Königgrätzer Kreises kurieren könnte (1544) 96). Der Bischof Johann I. von Würzburg befreite seinen jüdischen Arzt Seligmann und dessen Hausgenossen von sämtlichen Zollabgaben und stellte ihm den Schutzbrief aus, „dass er nicht vor weltliche oder geistliche Gerichte geladen werden, sondern vor dem Bischof seinen persönlichen Gerichtsstand haben solle“ 97). Der Bischof Johann III. von Würzburg nahm gleichfalls den jüdischen Arzt Heylmann in seinen Schutz und schärfte den Beamten ein, jede Beleidigung und jeden Angriff auf dessen Person strengstens zu bestrafen (1456) 98.

Eine besondere Vergünstigung der jüdischen Ärzte bestand auch öfters darin, dass sie selbst in solchen Städten, in denen den Juden der Aufenthalt verboten war, wohnen und praktizieren durften.

So stellte (1517) der Kardinalbischof Albrecht von Halberstadt dem Juden Jakob, der ihm als sehr geschickter Arzt empfohlen war, den Schutzbrief aus, dass er in seinem Kirchenbezirke sich aufhalten und die gläubigen Christen, die „mit leyplicher Krankheit beladen“, kurieren dürfe, ohne darauf zu achten, dass erst wenige Jahre früher die Juden aus dieser Gegend vertrieben worden waren 99). Ebenso erteilte der Herzog Albrecht von Preußen im Jahre 1538 dem jüdischen Arzte Isaak May die Erlaubnis, in der Hauptstadt Königsberg sich ansässig zu machen, obgleich Juden in dieser Stadt sich nicht ansiedeln durften. Isaak war dem Herzog zur Behandlung der Frau seines Hofdieners, die von einer gefährlichen Gesichtskrankheit befallen war, empfohlen worden und hat das in ihn gesetzte Vertrauen so sehr gerechtfertigt, dass der Herzog einige Jahre später auch einem andern jüdischen Arzte, Michel Abraham, die Niederlassung in Königsberg gestattete und sogar die städtischen Behörden anwies, ihm, falls er sich in seinem Berufe ehrlich und redlich erweisen würde, das Bürgerrecht zu verleihen 100). In Wien konnten die jüdischen Ärzte aus dem merkwürdigen Grunde ihre Kunst nicht ausüben, weil sie den üblichen Eid „de immaculata conceptione“ nicht ablegen konnten. Kaiser Maximilian hob diese Maßregel auf und verordnete, dass auch jüdische Ärzte in dieser Stadt praktizieren dürfen (9. Oktober 1517). In den Privilegien, welche die Juden in Wien zu verschiedenen Zeiten erhielten, war gewöhnlich der Passus ausdrücklich enthalten, dass es ihnen gestattet sei, mit ihren Ärzten in der Hauptstadt zu wohnen 101).

Es kam sogar nicht selten vor, dass Juden in einzelnen Städten mit einem jährlichen Gehalte als Kommunalärzte angestellt wurden. Meister Jossel übte um das Jahr 1373 die Arzneikunde gegen eine jährliche Besoldung von 25 Gulden in Basel aus. Zu seinem Nachfolger wurde der Wundarzt Gutleben ernannt. Dreimal wurde sein Dienstkontrakt vom Rate erneuert und sein Gehalt, das anfangs 24 Gulden betrug, erreichte später (1380) die Höhe von 61 Gulden — ein Beweis, wie sehr die Verwaltung mit seinen Leistungen zufrieden war. Überdies wurde er in allen Rechten und Freiheiten den übrigen Bürgern gleichgestellt 102). Gegen Ende des 14. Jahrhunderts (1394) wurde in Frankfurt am Main Salomon Pletsch aus Regensburg zum städtischen Wundarzt gewählt und erhielt außer einem Jahresgehalte von 36 Gulden vom Rate sechs Ellen Tuch von „derselben Gattung und derselben Farbe“, wie die christlichen Beamten sie trugen. Dafür war er auch verpflichtet, die siechen Leute in dem Spital unentgeltlich zu behandeln und von den Bürgern „mäßigen und bescheidenen Lohn“ zu fordern. Bei Streitigkeiten über die Höhe des Honorars hatten die beiden Bürgermeister die Entscheidung zu treffen. Meister Isaak Friedrich wirkte nach ihm als städtischer Arzt in Frankfurt, bezog aber nur ein Gehalt von 20 Gulden jährlich 103.) Der kurfürstliche Wundarzt Baruch in Dresden erhielt (1468) eine jährliche Besoldung von 30 Scheffel Korn, 1 Fass Wein, 6 Viertel Bier, 20 Schafe, 1 Rind und vom Rate ein Haus zur Wohnung angewiesen. Er hatte seinerseits die Pflicht, „den Fürsten und anderen Leuten, welche sie ihm zuweisen werden, mit Wundarznei getreulich aufzuwarten“ 104). In Thorn wurde vom Magistrate (1567) ein Jude zum besoldeten Stadtarzt angestellt. Dem dortigen Priester (Morgenstern), der die Anstellung eines „Gotteslästerers“ als Medicus nicht dulden wollte, erwiderte der Rat, er habe einen Arzt und keinen Theologen angenommen 105).

Jüdische Ärzte im Dienste der Stadt finden wir zu verschiedenen Zeiten noch in vielen anderen Orten Deutschlands.

Ganz besonders verdient noch hervorgehoben zu werden, dass Johann Reuchlin zwei jüdische Ärzte zu seinen Lehrern hatte, die ihn in das tiefere Verständnis der hebräischen Literatur einführten. Der eine, Obadja Sforno, war einer der angesehensten Ärzte in Rom und Bologna und besaß eine vorzügliche klassische Bildung 106). Reuchlin machte seine Bekanntschaft, als er sich als Gesandter am Hofe des Papstes Alexander VI. aufhielt und gedenkt seiner in dankbarer Liebe 107). Der andere, der bereits genannte Jakob Loans, der als geschickter Leibarzt im Dienste des Kaisers Friedrich III. stand, übte auf Reuchlin, der ihn im Jahre 1492 kennen gelernt hatte, einen mächtigen Einfluss aus. Der berühmte Gelehrte und Vorkämpfer der Reformation, der Magister Germaniae, spricht von diesem jüdischen Arzte, zu dessen Füßen er als Schüler gesessen, mit dem Gefühle größter Dankbarkeit und drückte ihm noch einige Jahre später in einem hebräischen Schreiben seine Verehrung aus. Der gelehrte Biograph Reuchlins, Professor Ludwig Geiger, nennt dessen „erstes Begegnis“ mit dem jüdischen Arzte „einen Moment von welthistorischer Bedeutung“ 108).

Es ist besonders interessant und erfreulich, hier im Kreise der jüdischen Ärzte in Deutschland auch jüdische Frauen zu erblicken, die, gewissermaßen als Vorläufer ihrer heutigen Kolleginnen, die Heilkunde mit großem Geschicke ausübten. Aus dem Anfange des fünfzehnten Jahrhunderts ist uns die „Judenärztin“ Sara bekannt, die gegen eine jährliche Steuer von 10 Gulden von dem Erzbischof Johann II. (den 2. Mai 1419) die Erlaubnis erhielt, in dem Bistum Würzburg von ihrer Arzneikunde praktischen Gebrauch zu machen. Sie hatte sich einer so ausgebreiteten Praxis zu erfreuen und ließ sich ihre Kunst so gut bezahlen, dass sie sich bald ein bedeutendes Vermögen erwarb und ein größeres Rittergut ankaufte. Vor Gericht ließ sich die vornehme jüdische Ärztin durch den edlen Ritter von Wissentaun vertreten. Ungefähr in derselben Zeit, um das Jahr 1430, lebte auch in Frankfurt am Main eine jüdische Frau, mit Namen Zerlin, welche die Heilkunde betrieb und als Augenärztin sich besonders auszeichnete. Sie durfte außerhalb der Judengasse unter den christlichen Bürgern der Stadt wohnen und fasste sogar den Mut, an die städtische Verwaltung die Bitte zu richten, sie auf Grund ihrer Tüchtigkeit und Beliebtheit von den Steuerlasten zu befreien. Ihr Gesuch wurde von dem Rate ablehnend beschieden; hingegen wurde einer andern jüdischen Ärztin im Jahre 1494 ein Teil der Abgaben, nämlich das Schlafgeld, welches die fremden Juden für jeden Tag ihres Aufenthaltes in der Stadt zu zahlen hatten, erlassen, damit „sie hier bleibe“ 109). Um das Jahr 1542 praktizierte die „ehrbare und züchtige Frau Morada, Doktorin der freien Kunst der Arznei, wohnhaft in Günzburg“, der auch ein jüdisches Sittenbuch gewidmet wurde 110). Wie in diesen Städten, so gehörten auch in vielen anderen Gemeinden jüdische Ärztinnen nicht zu den Seltenheiten 111).

Diese emsige und erfolgreiche Tätigkeit der jüdischen Ärzte in den deutschen Landen vollzog sich — das muss man sich gegenwärtig halten — unter den schweren Leiden und Bedrückungen, die die deutschen Juden und natürlich auch die Ärzte unter ihnen in jenen Zeiten in so reichem Maße zu erdulden hatten. Nur einige Beispiele seien hier angeführt 112). Judas Guntzehauser in Wien musste unter Eid und Bann beteuern, keine Medizin mehr zu betreiben (1403) 113). Dem Wundarzte Samuel in Dresden stürmten die Bürger das Haus, und dem andern Arzte Baruch in derselben Stadt wollten die Apotheker keine Arznei liefern (1468) 114). Ein Hofbeamter in Altenburg erhielt von dem Geistlichen keine Absolution, weil er „von einem Juden Arznei genommen habe und sich dieser auch fürder nicht entschlagen wolle“ (1469) 115). Im Jahre 1505 erließ der Bischof von Würzburg, Lorenz von Bibra, eine scharfe Verordnung gegen die jüdischen Ärzte, die seit langer Zeit in der dortigen Gegend tätig waren. Als sich später (1561) der Arzt Efraim in Wertheim an den Bischof Friedrich von Würzburg mit dem Ersuchen wandte, ihn dort ungehindert praktizieren zu lassen, wurde seine Bitte mit dem Hinweis auf jene Verordnung abgelehnt 116). Salomon Jud — wie er in den Urkunden genannt wird — stand als Arzt in ganz Württemberg in hohem Ansehen und war mit Zeugnissen und Privilegien von Fürsten und Kurfürsten ausgestattet. Dennoch musste er sich bei seiner Niederlassung in Eßlingen zur Unterzeichnung eines für ihn demütigenden Reverses bequemen (1576). Unter anderem musste er sich verpflichten, außer dem Leibzoll jährlich noch 12 Gulden Steuern zu zahlen und „die Kunst der Artzney, die er erlernet und erfahren, in aller Bescheidenheit zu gebrauchen“ 117). Der Arzt Gottfried in Hof, der eine bedeutende Praxis besaß, wurde von seinen andersgläubigen Kollegen als Zauberer und Kurpfuscher denunziert und von der Regierung von Ansbach aus dem Fürstentume ausgewiesen (1583) 118). Seit dem Jahre 1579 mussten in Frankfurt a. M. alle jüdischen Ärzte, die dort praktizieren wollten, vor einer besonderen zu diesem Zwecke eingesetzten Kommission eine Prüfung ablegen, auch wenn sie Diplome von einer andern Universität besaßen 119). Nach einer spätem Verordnung (1612) war es sogar den jüdischen Ärzten in dieser Stadt bei einer Strafe von 20 Gulden verboten, irgend ein Heilmittel selbst zu präparieren oder an fremde Personen zu verkaufen 120).

So wechselte auch in andern Städten die Stimmung gegen die jüdischen Ärzte, und oft wurde ihnen die Praxis erschwert oder unmöglich gemacht. Wie tüchtig und gewissenhaft müssen diese Ärzte gewesen sein, wenn dennoch ihre Hilfe mit Vorliebe von der Bevölkerung und von weltlichen und geistlichen Behörden in Anspruch genommen wurde.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die jüdischen Ärzte im Mittelalter