Jüdische Ärzte im Orient

Mit der Entstehung des Islam war ein neues wissenschaftliches Leben im Orient erwacht. Kultur und Wissenschaft gelangten unter den bildungsfreundlichen Kalifen zu hoher Blüte; besonders waren es aber die medizinischen und naturwissenschaftlichen Studien, die von den Arabern mit Eifer gepflegt wurden. An diesen wissenschaftlichen Bestrebungen nahmen auch die Juden regen Anteil und wetteiferten mit der mohammedanischen Bevölkerung, in deren Mitte sie wohnten, um die Palme des Wissens. Hier im Morgenlande treten zuerst auf dem Schauplatze der jüdischen Geschichte viele ausgezeichnete jüdische Arzte auf, die einerseits durch die erfolgreiche Ausübung ihrer Kunst und anderseits durch ihre fruchtbare schriftstellerische Tätigkeit auf dem Gebiete der Heilkunde zu hohem Ansehen emporstiegen und zu einflussreichen Würden gelangten 2).

Gegen Ende des siebenten Jahrhunderts (683) 3) war ein jüdischer Gelehrter, Masardjis aus Basra, als Arzt berühmt; er verfasste zwei Schriften über Nahrungs- und Arzneimittel und fertigte von einer wichtigen medizinischen Schrift, den Pandekten des Presbyters Ahron, eine arabische Übersetzung an.


Bemerkenswert ist eine Anekdote, die von diesem gelehrten Arzt erzählt wird. Ein Araber klagte ihm über ein Übel, welches stets nach einer Mahlzeit aufhörte. Da erwiderte er ihm: „Dieses Übel wünschte ich mir und den Meinigen. Du bist dessen nicht wert“ 4). — Später, um das Jahr 820, lebte der jüdische Arzt Sahl aus Tabaristan, der nicht nur medizinische Kenntnisse besaß, sondern mehrere astronomische und mathematische Schriften verfasste. Er übersetzte auch den Almagest des Ptolomäus, des größten Astronomen des Mittelalters, ins Arabische und erwarb sich dadurch unter den Arabern einen klangvollen Namen. Dieser gelehrte Arzt, soll, wie erzählt wird, seine Vorlesungen auf einem freien Platze gehalten haben, weil auch der größte Hörsaal die Zahl seiner Schüler nicht fassen konnte, und dieser Platz soll nach ihm der Sahlplatz genannt worden sein 5). Zu den ältesten Ärzten im Orient gehört auch Asaf Judäus, von dem sich noch ein umfangreiches medizinisches Werk in hebräischer Sprache erhalten hat 6). Asaf beherrschte das medizinische Wissen seiner Zeit und behandelt in seinem Werke mit fachmännischer Gründlichkeit die verschiedenen Krankheiten und die Wahl und Anwendung der Heilmittel. Die Namen der Heilpflanzen — 123 an Zahl — gibt er in verschiedenen Sprachen, hebräisch, syrisch, griechisch, lateinisch, bei manchen sogar auch arabisch und persisch an. In einem besonderen Abschnitte verzeichnet er die Medikamente, die überall zu finden und auch den Armen leicht zugänglich sind 7).

Einer der vorzüglichsten medizinischen Schriftsteller nicht bloß seiner Zeit, sondern des ganzen Mittelalters war Isaak ben Suleiman Israeli (gest. um 940). Namentlich stand er als Augenarzt in hohem Ansehen. Der Kalif Ziadet Allah schickte ihm ein Geschenk von 500 Goldstücken und ließ ihn von Ägypten zu sich nach Kairuwan kommen (um 904). Der griechische Possenreißer Ibn Hubaisch, den der Fürst an seinem Hofe hatte, suchte den jüdischen Leibarzt durch seine sophistischen Redekünste in Verlegenheit zu bringen. Als aber Isaak einst in Gegenwart des Kalifen seinem Gegenpart Schlag auf Schlag begegnete und ihm durch die treffendsten Antworten seine Überlegenheit zeigte, stieg er ganz besonders in der Gunst seines Herrn. Später (909) trat er in den Dienst des mächtigen Kalifen Obaid Allah, der die fatimidische Dynastie in Afrika gründete, und entfaltete hier unter der Gunst der Verhältnisse eine sehr rege literarische Tätigkeit, die für die spätere Zeit von epochemachender Bedeutung war 8). Er blieb unverheiratet und starb in einem Alter von 110 Jahren. Als er einst gefragt wurde, warum er sich nicht verheiratet habe, gab er die selbstbewusste Antwort: „Ich habe vier Bücher geschrieben, die mein Andenken besser als Kinder erhalten werden.“ Und er hatte sich nicht getäuscht. Seine medizinischen Werke wurden später zum Teil ins Hebräische und Lateinische übersetzt und machten seinen Namen (Isaacus) im christlichen Mittelalter weithin berühmt 9) Unter den bedeutenden jüdischen Männern, die unter ihm ihre medizinische Ausbildung erhalfen haben, ragt besonders Dunasch benTamim hervor, der seinem großen Lehrer als Leibarzt bei dem dritten fatimidischen Kalifen (Ismael Almansur) folgte und außer einer sehr wertvollen hebräischen Grammatik auch Werke über Medizin und Astronomie verfasst hat. Bei all seiner Gelehrsamkeit trug sich Dunasch mit dem merkwürdigen Irrtum herum, dass der berühmte Arzt Galenus (131 — 201 n. Chr.) kein anderer als der letzte Naßi in Palästina, Rabbi Gamliel, gewesen sei. Dass zwischen dem Leben dieser beiden Männer ein Zeitraum von fast zwei Jahrhunderten liegt, davon scheint Dunasch keine Ahnung gehabt zu haben, wie denn überhaupt viele große Gelehrte des Mittelalters keine besonderen historischen Kenntnisse besaßen. Dunasch stand in so hohem Ansehen bei den Arabern, dass dieselben ihn durchaus zu ihrem Glaubensgenossen machen wollten und die Behauptung aussprengten, er sei zum Islam übergetreten. Allein Dunasch blieb bis an sein Lebensende der Religion seiner Väter treu ergeben und stand mit dem berühmten jüdischen Staatsmann Chasdai ibn Schaprut in Briefwechsel, für welchen er auch eine astronomische Schrift über den jüdischen Festkalender verfasst hat 10).

Eine Berühmtheit erlangte der Arzt und medizinische Schriftsteller Efraim (Afratsim) durch seine reichen Manuskriptensammlungen, von denen er einmal 10.000 Handschriften nach Irak verkaufte. Aber der ägyptische Wesir verhinderte die Ausfuhr der Bücher, indem er den Kaufpreis bezahlte und seinen Namen in dieselben einschreiben ließ. Efraim hinterließ bei seinem Tode noch mehr als 20.000 Bände. Er selber schrieb unter anderem eine Denkschrift (Memorial) über Gesundheitslehre. Sehr bedeutend als Arzt und gynäkologischer Schriftsteller war Moses ben Elasar, der am Ende des zehnten Jahrhunderts wirkte und im Dienste des ägyptischen Kalifen Moez stand. Besonders bekannt war ein von ihm erfundenes Arzneimittel, das eröffnende und Blähungen vertreibende Eigenschaften besaß und auf die Schmerzen der Menstruation lindernd einwirkte. Eine Schrift über Arzneibereitung (Pharmakopoe) widmete er dem Kalifen, für den er auch besondere Heilmittel zusammensetzte.

Der geistvolle Dichter Juda Charisi fand auf seiner Reise im Orient in der Stadt Damaskus unter anderen hochgestellten Männern einen ausgezeichneten Arzt, den er mit enthusiastischen Worten besingt. „Der Vorzüglichste ihrer Großen, das Haupt ihrer Edlen — ruft der Dichter begeistert aus — die Krone der Gemeinden ist der große Arzt Moseben Zadaka, die Säule der Frommen, eine feste Burg der Juden, der sich in den Riss stellte für sein Volk, seines Gleichen ist nicht im Lande, und schweige ich von seinem Lobe, so würden seine Taten ihn rühmen, seine Werke für ihn zeugen. Wie vielen Unglücklichen hat er Hilfe verliehen, wie viele Notleidende gesättigt und wie viele Kranke, die dem Tode sonst anheimgefallen wären, gerettet.“ Nach der Ansicht einer der hervorragendsten Autoritäten auf dem Gebiete der mittelalterlichen Medizin haben wir in diesem Arzte, den Charisi so schön besingt, keinen geringeren zu erblicken, als den berühmten Imramben Zadaka, welcher der Lehrer des großen arabischen Geschichtsschreibers Ibn Abu Oseibia war und zu seiner Zeit eines weitverbreiteten Rufes als Heilkünstler sich zu erfreuen hatte. Wie uns sein großer Schüler in seiner Geschichte der arabischen Ärzte mitteilt, bedienten sich viele Könige und Fürsten der Heilmittel dieses bewährten Meisters und erwiesen ihm die größten Ehrenbezeugungen. Er erhielt von selten der Sultane, die er kurierte, viele großartige Geschenke, und einer derselben wollte ihn mit einem sehr hohen Jahresgehalte zu seinem Leibarzte ernennen; aber Imram, der seine Unabhängigkeit sich bewahren und seine medizinische Praxis auf viele Kranke ausdehnen wollte, wies dieses ehrenvolle und glänzende Anerbieten zurück 11). R. Nathanel, „der Fürst“, mit dem arabischen Namen Hibat Allah ibn Djami, gehörte zu den vorzüglichsten Ärzten in Ägypten und stand auch im Dienste des edlen Saladin, der ihn hochschätzte. Er beherrschte mit besonderer Meisterschaft die arabische Sprache und schrieb mehrere medizinische Schriften. Eine dieser Schriften handelt über die Natur Alexandriens, über die Beschaffenheit der Luft und der Gewässer, wie über die Verhältnisse der Bewohner dieser Stadt. Eine andere medizinische Abhandlung enthält Angaben über den Rhabarber und seinen Nutzen, die noch heute von Wert sind. In einer dritten Abhandlung gibt er eine „Anleitung zum Heile der Seele und des Körpers“. Es wird diesem geschickten Arzt nachgerühmt, dass er den Scheintod eines Mannes, den man eben begraben wollte, an der Lage der Füße erkannte und ihn ins Leben zurückbrachte 12). In hohem Ansehen stand um dieselbe Zeit der Arzt Sadid-al-Din (Karäer) in Ägypten. In seinem hohen Alter bezog er eine monatliche Rente von 24 Dinaren von dem Sultan Saladin, dem er diente; er hörte aber nicht auf zu praktizieren und zu lehren, besuchte jedoch Kranke nur dann, wenn er dazu gedrängt wurde. Als ein arabischer Emir (Ibn Munkids), der aus Jemen nach Ägypten gekommen war, an der Wassersucht litt und ärztliche Hilfe wünschte, bedurfte es der Aufforderung des ägyptischen Wesirs Alfadhil, um ihn zu einem Besuche des hohen Patienten zu veranlassen 13). Ein hervorragender Vertreter des ärztlichen Berufes war auch Afif ibn Sukra, dessen medizinische Kunst sich auf seine Nachkommen vererbte. Er verfasste, wie berichtet wird, für Saladin eine Abhandlung über die Kolik. Als er aber dem Fürsten gegen dieses Übel Wein empfahl, soll sich dieser geweigert haben, das verbotene Getränk zu genießen. Am Ausgange des 12. Jahrhunderts wirkte in Kairo der ausgezeichnete jüdische Arzt Jakob ben Isaak (Asad), der auch eine tiefe philosophische Bildung besaß. Er reiste nach Damaskus, wo er mit den vornehmsten Ärzten wissenschaftliche Diskussionen führte und verfasste als Ergebnis seiner reichen Erfahrungen mehrere medizinische Schriften. Eine dieser Schriften handelt in sechs Kapiteln über die Grundlehren der Medizin. Berühmt als Arzt und noch mehr als gründlicher Kenner der Heilmittel war auch Abul-Muna in Kairo. Sein Buch über „Gebrauch der Apotheke“ erfreute sich einer großen Popularität und wurde noch in neuerer Zeit (1870 und 1883) im Drucke veröffentlicht. Er teilt auch Medikamente mit, die er von den ihm bekannten Botanikern erfahren oder die er in eigenen Krankheitsfällen angewendet hat. Leclerc bezeichnet dieses Werk als „eines der kostbarsten Monumente, welches die arabische Pharmazie uns hinterlassen hat“ 14). Ein schöner Zug der Wohltätigkeit wird von dem vielbeschäftigten Augenarzt Abul Fadhaïl (ihn al-Nakid) in Ägypten erzählt. Eines Tages bat ihn ein armer Mann um eine Unterstützung und er versprach ihm die Einnahmen eines Tages, die er ohne Kontrolle in eine leere Salbenbüchse warf. Des Abends zählte man nach, und es fanden sich darin gegen 300 Dirhem.

Doch alle überragt der gefeierte Maimonides (Moses ben Maimon), der überhaupt in der Geschichte der mittelalterlichen Ärzte einen hervorragenden Platz einnimmt 15). Fast alle arabischen Philosophen, mit deren Geisteswerken sich Maimonides so eingehend beschäftigte, waren gleichzeitig berühmte Ärzte und wirkten auch in dieser Beziehung anregend und belehrend auf ihn. So ging bei Maimonides das medizinische und philosophische Wissen Hand in Hand, und er hatte sich auch auf dem Gebiete der Heilkunde eines so ausgezeichneten Rufes zu erfreuen, dass er in der Familie des Sultan Saladin als Arzt tätig war und bei dessen Sohn und Nachfolger die Stelle eines Leibarztes bekleidete. Der englische König Richard Löwenherz, Saladins Gegner im dritten Kreuzzug, berief Maimonides, wie erzählt wird, zu seinem Leibarzt, dieser lehnte aber die ihn ehrende Berufung ab und übte in Ägypten als vielbeschäftigter Arzt seine Kunst aus. Maimuni berichtet uns selbst, dass sein Ruhm als Arzt, ohne dass er es wollte, sich immer mehr verbreitet habe, und dass zu ihm die leidende Menschheit, Juden und Araber, Freunde und Feinde, Vornehme und Geringe, aus nah und fern herbeiströmen, so dass er, wie er klagend hinzufügt, außer Sabbat bis spät des Abends beschäftigt sei und ihm kaum Zeit zum Studium der Thora zurückbleibe 16).

Maimonides war aber auch in seiner Therapie ein sehr rationeller und vorsichtiger Arzt. Die magischen Heilungen und Wunderkuren, wie sie damals im Schwange waren, lehnte er ab; er ließ nur die Vernunft, das wissenschaftlich Erwiesene gelten. „Die Augen sind vorwärts und nicht rückwärts“, war sein Grundsatz. Er verschrieb nie ein Rezept, dessen Wirkung ihm nicht auf Grund eigener Erfahrung oder durch Aussprüche medizinischer Autoritäten bekannt war. Ein Feind von den komplizierten, zusammengesetzten Medikamenten, schlug er in seiner Heilmethode, wenn möglich, einen einfachen und natürlichen Weg ein. Bei geringen Unpässlichkeiten, sagt er einmal, langt die Natur schon ohne Beihilfe von Medikamenten aus, wenn man sich nur diätetisch zweckmäßig verhält. Wo aber der Arzt eingreifen muss, da besteht seine eigentliche Aufgabe darin, die Kraft des Kranken zu stärken und die Natur in ihrer Wirksamkeit zu unterstützen 17). Ferner müsse der Arzt jeden Kranken individuell beurteilen und behandeln; die Person des Patienten, sein Alter, sein Kräftezustand, seine ganze Natur müsse berücksichtigt und jede Behandlung nach allgemeiner Schablone vermieden werden 18).

Neben der angestrengten Tätigkeit als praktischer Arzt entwickelte Maimonides eine sehr fruchtbare Wirksamkeit als medizinischer Schriftsteller. Er verfasste elf medizinische Schriften, die zum Teil sehr hervorragende Leistungen auf dem Gebiete der Medizin darstellen. Besonders bekannt ist die Abhandlung über „Gifte und ihre Heilung“, die Maimonides im Auftrage der ägyptischen Regierung im Interesse der großen Gesamtheit schrieb. Wie noch heute in manchen Gegenden des heißen Orients, herrschte damals in Ägypten die Landplage, dass Menschen sehr oft von giftigen Tieren gebissen wurden und den Wunden erlagen. Der Wesir Alfadhil, der mit väterlicher Liebe für das Wohl des Landes besorgt war, gab nun Maimonides den Auftrag, zum Nutzen des Volkes eine kurze Abhandlung über die sanitären Vorschriften zu schreiben, welche die Gebissenen zu beobachten hätten. So entstand diese wichtige Schrift, die später ins Hebräische und Lateinische übersetzt wurde. Sogar eine deutsche und französische Übersetzung dieser Schrift ist erschienen 19).

Lehrreich und interessant ist auch das diätetische Sendschreiben, welches Maimonides für den Sultan Alafdhal, den Sohn und Nachfolger Saladins, verfasst hat und „in dem der unparteiische Leser noch heutzutage Wahrheiten finden wird, welche ein Zeitraum von sieben Jahrhunderten nicht zu entkräften vermochte, die vielmehr für die Gegenwart noch immer höchst anwendbar, ja der Beherzigung würdig befunden werden dürfen“ 20). Mit besonderem Nachdruck hebt Maimonides in diesem Sendschreiben den Gedanken hervor, dass die Wechselwirkung zwischen Geist und Körper eine gar zu mächtige sei, als dass die Zerrüttung der Geisteskräfte ohne Einwirkung auf die körperliche Gesundheit bleiben sollte. Zur Erhaltung der Gesundheit und zur Erreichung eines hohen Alters sei daher vor allem Sittenreinheit und geistige Tätigkeit die erste Bedingung, dahingegen ein leichtsinniger Lebenswandel den Menschen frühzeitig in das Grab stürze. Der Mensch müsse mit allen seinen Kräften danach streben, Herr seiner Leidenschaften und Triebe zu werden und die volle Freiheit und Herrschaft über sich selbst zu erlangen. Maimuni warnt den an Geist und Körper geschwächten Fürsten vor Üppigkeit bei festlichen Gelagen, ebenso wie vor allzu großer Anstrengung und Abspannung der Kräfte und führt den Ausspruch des Hippokrates an: „Wir erhalten unsere Gesundheit, indem wir uns vor Übersättigung hüten und jede übermäßige Anstrengung vermeiden.“ — Mit souveräner Selbständigkeit wagt es unser Arzt, einen Fürsten, in dessen Nähe jedermann zitterte, von dessen Laune seine Existenz abhängig war, auf seine Fehler aufmerksam zu machen und ihm sein Sündenregister vor Augen zu halten, um ihn eines Bessern zu belehren. Maimonides wollte nicht nur den Leib, sondern auch den Geist heilen, nicht nur Arzneimittel für den Körper, sondern auch Balsam für das Gemüt bereiten. So schließt er auch sein Sendschreiben mit den Worten: „Gott verlängere in seiner Gnade die Tage meines Herrn, befestige dessen Gesundheit und gewähre ihm die Glückseligkeit hier und dort, nach dem Wunsche seines Dieners Moses ben Maimon.“

Wie sehr dieser große Gesetzeslehrer und Philosoph die praktische Ausübung der medizinischen Kunst schätzte und liebte, beweist auch der Umstand, dass sein einziger Sohn Abraham und sein Lieblingsschüler Josef ihn Aknin denselben Beruf erwählten und bedeutende Ärzte wurden 21). Der erstere folgte seinem Vater in seinem Amte als Leibarzt des ägyptischen Sultans Alkamel und verwaltete in Gemeinschaft mit dem berühmten Arzte und Darsteller der arabischen Literatur Ibn Abu Oseibia das Hospital von Kairo. Der andere stand in gleicher Eigenschaft im Dienste bei einem der Söhne Saladins, dem Sultan Aldhahir Ghazi, und empfiehlt gleich seinem großen Lehrer in seinen ethischen Schriften ganz besonders das Studium der Medizin. Beide, Sohn wie auch Schüler, erhielten von Maimuni den ersten Unterricht in der Medizin und haben dem Einflüsse ihres großen Meisters ihre spätere Bedeutung auf dem Gebiete der Heilkunde zu verdanken 22).

Viele arabische Fürsten und die meisten ägyptischen Kalifen hatten jüdische Ärzte in ihrem Dienste und setzten in sie weit größeres Vertrauen, als in die mohammedanischen Ärzte, die gewöhnlich von der Magie und Astrologie weit mehr verstanden, als von der edlen Kunst der Medizin und überdies ihre Stellung nicht selten zu den niedrigsten Intrigen missbrauchten. So wird berichtet, dass einer der letzten fatimidischen Kalifen von Ägypten seines ungeratenen Sohnes Hassan sich entledigen wollte und seinen beiden Ärzten, dem jüdischen und dem arabischen, den Auftrag erteilte, ihn durch Gift aus der Welt zu schaffen. Der Jude Abu-Manßur Samuel, derselbe, in dessen Hause der Dichter Juda Halevi bei seiner Reise nach dem heiligen Lande drei Monate sich aufhielt, wollte sich keineswegs zu einer solchen Handlung missbrauchen lassen und erklärte mit Standhaftigkeit: „Ich verstehe mich nur auf unschädliche Mittel, Kornwasser und ähnliche Dinge“. Der mohammedanische Arzt hingegen reichte dem Sohne des Kalifen das tötende Gift. Kaum aber war die Gräueltat geschehen, bereute der Vater den Verrat an seinem eigenen Sohne. Der Kalif ließ den arabischen Arzt, der ihm diesen üblen Dienst geleistet hatte, von seinem Hofe jagen; den jüdischen Arzt hingegen überhäufte er mit Ehrenbezeugungen. Er ließ ihn in seinem Palast wohnen und ernannte ihn zu seinem vertrautesten Leibarzt (um 1134) 23).

Derartige Geschichten mögen wohl in jener Zeit der Barbarei öfters vorgekommen sein und das Vertrauen zu den gewissenhaften jüdischen Ärzten im Orient gesteigert haben. Als Zeichen der Ehrerbietung und der Dankbarkeit widmeten die jüdischen Ärzte sehr oft den Fürsten, in deren Dienst sie standen und unter deren Schutz sie ihre segensreiche Wirksamkeit entfalteten, ihre medizinischen Bücher und Abhandlungen.

Doch die äußere günstige Stellung gereichte wie zu allen Zeiten auch in dieser arabischen Zeitperiode vielen jüdischen Gelehrten und Ärzten zum Unheile. Sie wurden vom Glänze des Glückes und des Reichtums geblendet und waren schwachherzig genug, die Religion ihrer Väter zu verleugnen und zum Islam überzutreten. Ein interessantes Beispiel möge anstatt vieler hier angeführt werden.

Einer der berühmtesten Ärzte in Bagdad war der Apostat Nathanel oder mit dem langen arabischen Namen Abul-Barkat Hibat-Allah ben Malka. In seinen Jünglingsjahren war Nathanel nach Bagdad gekommen, um dort die Heilkunde zu studieren. Zu den Vorlesungen des berühmten medizinischen Lehrers hatten nur Mohammedaner, aber keine Juden und Christen Zutritt. Von Wissensdurst beseelt, bestach er den Pförtner und hörte von einem Versteck aus die Vorträge an. Eines Tages legte der Lehrer seinen Schülern eine schwierige Frage vor, da traf Nathanel hervor und löste mit großem Geschick die aufgeworfene Frage. Seit der Zeit durfte er die Vorlesungen öffentlich besuchen. Wegen seiner ausgezeichneten Leistungen wurde ihm später der Ehrentitel „der Einzige seiner Zeit“ (Au ’had al Zaman) beigelegt. Als Jude verfasste er einen Kommentar zu dem Buche Kohelet, der von seinen bedeutenden Kenntnissen der hebräischen Sprache und seiner philosophischen Bildung Zeugnis ablegt. Einst gelang es ihm, einen der seldschukischen Sultane von einer schweren Krankheit zu heilen. Von dem dankbaren Herrscher mit kostbaren Gegenständen reichlich beschenkt, kehrte er wie ein Triumphator nach seinem Wohnorte Bagdad zurück und glaubte nun von aller Welt bewundert zu werden. Aber alle Auszeichnungen schützten ihn nicht vor dem Spotte der judenfeindlichen Menge. Hibat-Allah war nun überzeugt, dass er als Jude seinen Ehrgeiz nicht werde befriedigen können und fasste noch im hohen Alter den Entschluss, den Islam anzunehmen. Da aber seine drei Töchter dem Judentume treu blieben und der Vater befürchten musste, dass sein großes Vermögen nach seinem Tode ihnen nicht zufallen würde, erhielt er von dem Kalifen, vor dem er sein muhammedanisches Glaubensbekenntnis ablegte, die Zusicherung, dass seine Kinder als seine rechtmäßigen Erben anerkannt werden sollen. Doch der Abfall von seinem Glauben war nicht imstande, ihm mehr Achtung und Ansehen zu verschaffen; er wurde vielmehr wegen seines Religionswechsels oft verspottet und starb in einem sehr elenden Zustande, blind und taub, in einem Älter von 80 Jahren 24).

Wenn aber auch viele jüdische Arzte unter den Arabern der Religion ihrer Väter den Rücken zukehrten und zum Islam übergingen 25), so blieben doch die allermeisten, trotz ihres freundschaftlichen Umganges mit den andersgläubigen Gelehrten, ihrem angestammten Glauben treu und traten selbst als Beschützer und Verteidiger ihrer Glaubensbrüder auf. So sehen wir, wie am Ausgange des 13. Jahrhunderts der Leibarzt Saad-Eldaulah zu den höchsten Würden des Staates emporsteigt und den Glanz seines Namens über alle Juden des Morgenlandes hell erstrahlen lässt. Die Lebensgeschichte dieses Mannes ist interessant genug, um hier nicht mit Stillschweigen übergangen zu werden.

Saad-Eldaulah war zuerst Leibarzt am Hofe des persisch-mongolischen Großchans Argun und zog bald durch seine äußeren und inneren Vorzüge, durch seine imposante Gestalt, wie durch seine seltene Geschicklichkeit in der Ausübung seiner medizinischen Kunst, die Aufmerksamkeit aller auf sich. Seine neidischen Berufsgenossen konnten es nicht verschmerzen, dass Saad-Eldaulah in Bagdad, wo der Großchan öfter residierte, ruhig wohnte, während sie ihrem Herrscher bald nach diesem, bald nach jenem Orte folgen mussten und beklagten sich darüber bei dem Regenten. Seit dieser Zeit blieb der jüdische Leibarzt stets in der Nähe des Großchans und stieg dadurch auf der Stufenleiter des Glückes zu immer höheren Würden empor. Es gelang ihm einst, den Großchan von einer schweren Krankheit zu heilen und sich so das vollste Vertrauen des Herrschers zu erwerben. Saad-Eldaulah machte überdies seinem Herrn, der ihm seine Gesundheit zu verdanken hatte, wichtige Mitteilungen über den Gang der Staatsgeschäfte und entlarvte die Finanzbeamten, die gewissenlos ihren Posten verwalteten und einen Teil der Einnahmen für sich verwendeten. Der Großchan ernannte seinen jüdischen Günstling, nachdem dieser als Kommissar um die Ordnung der staatlichen Verhältnisse bedeutende Verdienste sich erworben hatte, zum Finanzminister für das ganze persische Reich und schmückte ihn mit dem Ehrentitel „Saad-Eldaulah, Stütze des Reiches“.

Der jüdische Minister und Leibarzt machte sich auch dieser seltenen Auszeichnung würdig. Unter seiner klugen und gewissenhaften Leitung der Staatsgeschäfte nahm bald das Reich einen nie geahnten Aufschwung. Da die besiegte mohammedanische Bevölkerung, die stets von der fremden Herrschaft sich zu befreien strebte, dem Großchan verhasst war, so besetzte Saad-Eldaulah die meisten Ämter mit Juden und Christen und brachte in das durch Willkür und Gewalt zerrüttete Reich wiederum Gesetz und Ordnung. Saad-Eldaulah war aber auch ein Freund und Gönner der Wissenschaft und sorgte, wie für die Neubelebung der staatlichen Verhältnisse, ebensosehr für die Verbreitung nützlicher Kenntnisse; er unterstützte die Gelehrten und Dichter und begünstigte sie in ihren literarischen Bestrebungen. Der jüdische Minister wurde daher wegen seiner großen Verdienste von dem ruhigen Teile der Bevölkerung hoch geehrt und von den Männern der Wissenschaft besungen und verherrlicht.

Die Juden des Morgenlandes erfreuten sich, wie nur selten, der glücklichsten Verhältnisse unter dem Einflüsse ihres großen Stammesgenossen. Selbst aus weiter Ferne strömten Juden zu dem einflussreichen jüdischen Minister herbei, um den Glanz seines Namens mit eigenen Augen zu schauen und priesen den Mann glücklich, den Gott zum Ruhme seines Volkes in dieser Zeit habe erstehen lassen.

Doch Saad-Eldaulahs Glück war nur von kurzer Dauer. Seine unbeugsame Gerechtigkeit und seine strengen politischen Maßnahmen hatten ihm und seinem Systeme viele Feinde und Neider zugezogen. Als der Großchan schwer erkrankte, steigerte sich die Unzufriedenheit im Volke immer mehr. Der Minister bot seine ganze medizinische Kunst auf, den Herrscher von seiner Krankheit zu heilen; als er aber sah, dass menschliche Hilfe hier nicht mehr möglich sei, ließ er den Sohn Arguns schnell an den Hof berufen, damit er sofort nach dem Tode seines Vaters die Zügel der Regierung ergreife. Die Gegner beschleunigten jedoch die Verschwörung im Lande und ließen den jüdischen Minister und seinen Anhang in den Kerker werfen und hinrichten. Sieben Tage später, nach dem Tode Arguns, brach im gesamten Reiche die Revolution aus, die eingesessene Bevölkerung erhob sich gegen die Juden, und viele fielen der blutigen Umwälzung zum Opfer 26). — So folgte auf den kurzen Sonnenstrahl des Glückes, der den Juden des Morgenlandes durch den jüdischen Leibarzt und Staatsmann aufgegangen war, eine lange Nacht der Leiden.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die jüdischen Ärzte im Mittelalter