Schlussbemerkungen.

In unseren Ausführungen sind wir zu dem Schluss gekommen, dass die Bildung eines ukrainischen Staates nicht nur im Interesse Deutschlands und Mitteleuropas im allgemeinen liegt, sondern direkt mit den großen Bestrebungen der deutschen Nation in diesem Kriege im einem engen und pragmatischen Zusammenhang steht, indem die Sicherstellung der Meeresengen und des deutschen Weges nach Bagdad wie auch des europäischen Friedens ohne Zurückdrängung Russlands vom Schwarzen Meere durch einen ukrainischen Staat nicht denkbar erscheint.

Diese großen Bestrebungen dagegen können — unserer Ansicht nach keineswegs durch das Abtrennen nur eines relativ schmalen Streifens der bisher an Ostgalizien angrenzenden Gebiete Rußlands, d. i. des Cholmer Landes, Wolhyniens, Podoliens und eventuell noch eines schmalen Aermels von Podolien bis zum Schwarzen Meere und Odessa zwischen Dnjstr und Boh, wie es sich manche Kreise die territorialen Erwerbnisse im Osten darstellen — genügend gesichert werden. So ein Gebiet mit zirka 200.000 km2 Oberfläche und 10—12 Millionen Einwohner, darunter 9—10 Millionen Ukrainer, 500.000 Polen, 300.000 Deutsche, über eine Million Juden und zirka 300.000 Russen wäre zu schwach, um den russischen Andrange ernst die Stirn bieten zu können und die Verbindung Berlins mit Odessa ganz sicher zu machen. In diesem Falle würde Russland das Schwarze Meer weiter beherrschen und von Sebastopol aus Konstantinopel bedrohen.


Es entsteht die Frage, was man mit so einem Gebiete tun soll. Es existieren ja in Europa — im Norden und auf dem Balkan — viel kleinere Staaten als das genannte Gebiet; die Organisierung eines ukrainischen selbständigen oder in einer Real- oder Personal-Union mit einem anderen Staate verbleibenden Staatswesens auf diesem Gebiet, erscheint schon möglich. Es ist aber auch nicht ausgeschlossen, dass es an Österreich angegliedert werden könnte, damit dadurch das ukrainische Piemont in dem Rahmen Österreichs gestärkt werde. Im letzten Falle müsste es mit Ostgalizien bis über den Ssan im Westen in ein autonomes Kronland — ein Nachbild des gewesenen ukrainischen Königreiches Galizien und Lodomerien, das eben auf demselben Territorium existierte — zusammengeschmolzen werden, umso mehr, als eine Teilung Galiziens nach dem ethnographischen Prinzip eine politische Notwendigkeit seit Dezennien ist.

Ein Zusammenleben der Polen und Ukrainer in einem Kronlande, ebenso wie in einem polnischen Staate, wo die Polen Herrscher sein sollten, ist undenkbar, da dies schon bisher die traurigsten Folgen für die Ukrainer und für Österreich brachte. Insbesondere ist es undenkbar, und ausgeschlossen nach den traurigen Erfahrungen vom Herbst 1914, wo es einerseits die bis zum Kriegsausbrüche von der polnischen Landesverwaltung als Antidotum gegen das Ukrainertum begünstigte Russophilie in manchen Kreisen zum Vorschein kam, anderseits aber dieselbe polnische Landesverwaltung, das Vertrauen der Militärbehörden zu den Polen ausnützend, tausende von den besten österreichischen Patrioten ukrainischer Nationalität als angebliche „Russophilen“ denunzierte, und ihre Verfolgung, ja sogar ihre Maßregelung verursachte, wonach die unschuldigen Leute nach durchstandenen Leiden und Schmach zu tausenden als verlässliche Personen freigelassen wurden. Zwischen den Polen und Ukrainern gähnt jetzt eine Kluft, deren Überbrückung auf unabsehbare Zeit ausgeschlossen ist. Der Pole ist für den Ukrainer ein ebensolcher Todfeind wie der Russe, beide verbünden sich auch gewöhnlich gegen die Ukrainer. Bei solchen Umständen ist ein Zusammenleben der Ukrainer mit den Polen unmöglich. Sogar in dem Falle, wenn Galizien durch Anschluss mancher Gebiete im Nordosten und Osten nicht vergrößert wird, muss es geteilt werden, um unerwünschtesten Erscheinungen in diesem gegen Russland vorgeschobenen Lande vorzubeugen. Die bisherige Politik des Preisgebens der Ukrainer der polnischen Herrschaft hat Bankrott gemacht und kann nicht wiederholt werden. Es müssen, wenn man wirklich Russland in seiner Achillesferse, in der ukrainischen Frage, angreifen will, die Kräfte des ukrainischen Volkes in Galizien entfesselt werden, damit hier wirklich ein politischer und kultureller Gravitationspunkt für die ganze russische Ukraine entsteht.

Wie gesagt, sind diese kleinen Maßnahmen aber nicht geeignet, die großen politischen Aufgaben Deutschlands in der südöstlichen Richtung zu sichern. Demgemäß bleibt nichts Anderes übrig, als zum Hauptgedanken dieser Publikation, nämlich zum Gedanken eines ukrainischen Staates zwischen Deutschland im Nordwesten und dem Schwarzen Meere im Südosten, zwischen Österreich im Westen und Russland im Nordosten zurückzukehren. Die Konstituierung so eines Staates bei dem Reichtum der Ukraine, bei der ausgeprägten nationalen Individualität, der relativ hohen Kultur der ukrainischen Volksmassen, und bei dem Vorhandensein genügender Intelligenzkreise ist mit Hilfe Deutschlands eine viel leichtere Sache, als es die Konstituierung Bulgariens, Rumäniens oder Griechenlands war. Diese Länder machten einen rapiden Sprung aus der Barbarei ins rechtliche Staatsleben, wobei auswärtige Mächte ihnen behilflich waren. Die Ukraine braucht keinen so rapiden Sprung zu machen, da sie jedenfalls ein altes Kulturland ist, einen alten Staatsgedanken besitzt und schon jetzt entsprechende materielle und intellektuelle Kräfte besitzt. Es wird in der Ukraine nur eine Verschiebung der Staatsgewalt aus den russischen in die ukrainischen Hände vor sich gehen, während der Verwaltungsapparat nach manchen persönlichen Änderungen (hauptsächlich in den leitenden Stellen) und nach mancher Säuberung im beträchtlichen Teile derselbe bleiben kann. Der russische Staat verdankt ja einen relativ sehr großen Teil seiner Machtstellung den materiellen und intellektuellen Kräften aus der Ukraine. Nur ein Teil dieser Kräfte genügt, um einen ukrainischen Staat zu etablieren, ohne dass er solche Kinderkrankheiten durchmachen müsste, wie es bei den Balkanstaaten der Fall gewesen. Es sind auch die halbasiatischen und kleinlichen Balkanverhältnisse mit den jedenfalls zivilisierten und großzügigen Verhältnissen in der Ukraine gar nicht zu vergleichen.

Die einzige Schwierigkeit bei der Bildung eines ukrainischen Staates wäre militärischen Charakters, nämlich: ob die Zerschmetterung Russlands eine so weitgehende sein wird, dass Russland, wenn nicht ganz Ukraine, dann wenigstens dieselbe bis zum Dniepr und bis zum Asowschen Meere verliere. Das müssen wir mit Vertrauen den weiteren Kriegsereignissen und der Kraft der verbündeten Armeen überlassen.