Auszüge aus Schriften und Kommentare

Wir haben schon in früheren Jahrgängen Auszüge aus Disraelis Schriften gebracht, und seine Ansichten skizziert (Jahrg. 1849 No. 22. 23. 26). In seiner neuesten Schrift „Lord Georg Bentinck, eine politische Biographie“ (deutsch von Dr. Susemihl, Kassel, 1853) – so geistreich, wie einseitig – nimmt er von dem Umstand, dass Lord Georg, der Führer der Protektionisten, gerade in der „Judenfrage“ von seiner Partei abwich, und für den Eintritt Rothschilds in das englische Parlament stimmte, Veranlassung, abermals und weitläufig seine Meinung auszusprechen, und ihr ein besonderes Kapitel zu widmen (S. 318–335). Er beginnt mit den Worten: „Die Beziehungen zwischen dem Beduinenstamme *), der unter dem Namen der Juden in jedem Lande Europas gefunden wird, und den germanischen, slawischen und keltischen Stämmen **), die sich jenen Teil des Erdballs angeeignet haben, werden später ***) eins der bedeutendsten Kapitel in der Philosophie der Geschichte der Menschheit bilden. Die Angelsachsen, die Slawen und Kelten haben die meisten Gesetze und viele von den Sitten dieses arabischen Geschlechts, eine ganze Literatur und Religion ****) angenommen. Sie verdanken ihnen daher Vieles, was das Dasein ordnet, bezaubert und tröstet. Die arbeitende Menge ruht vermöge des jüdischen Gesetzes jeden siebenten Tag; man liest beständig, um ein Beispiel daran zu nehmen, die Jahrbücher der jüdischen Geschichte und singt die Oden und Elegieen der jüdischen Dichter, und man erkennt täglich auf den Knien mit ehrfurchtsvoller Dankbarkeit an, dass das jüdische Geschlecht die einzige Vermittlung zwischen dem Schöpfer und dem Menschengeschlechte ist. Dennoch behandelt man jenes Geschlecht als das verworfenste von allen (?), und anstatt es auf logische Weise als die menschliche Familie anzusehen, die am Meisten zum menschlichen Glücke beigetragen, wendet man jeden schmachvollen Ausdruck und jede Form der Verfolgung gegen dasselbe an.“

*) Der forcierte Esprit liebt Ausdrücke, die auffallen und witzig sein sollen. Wir möchten wissen, wie so das Volk Israel zu dem Beinamen „Beduinenstamm“ kommen soll? Dieses Volk, das 15 Jahrhunderte seinen festen Wohnsitz, große Städte, starke Festen usw. gehabt hat, einen Tempel, der, selbst nach Tacitus, ganz Asien an Glanz überstrahlte, war kein Beduinenstamm. Selbst nicht alle arabische Stämme sind Beduinen, und das israelitische Volk ist kein arabischer Stamm. Wie? hat Israel nicht gerade mit den arabischen Stämmen in beständiger Feindschaft gelebt? Wer waren seine ewigen Feinde, von der Grenze Ägyptens an, wenn nicht Amalek, Moab, Edom, Ammon, Emori usw.? hat nicht Israel als Eindringling gerade den arabischen Stämmen das Land Kanaan entrissen? zeigt nicht sein Name, dass es den Arabern stets fremd war? Red.
**) Der Verf. vergisst die romanischen, denen die katholische Kirche ihren Ursprung verdankt. Red.
***) Warum später? Finden diese Beziehungen nicht bereits seit anderthalb Jahrtausenden statt? Die Juden standen an der Wiege aller jetzigen europäischen Völker, und influierten auf ihre Erziehung ganz direkt. Red.
****) Wir müssen dem Verf. nun einmal eine Neigung, alles Jüdische „arabisch“ zu nennen, lassen. Weiß der Verf. nicht, dass die eigentlich arabische Religion, der Islam, erst aus dem Judentum geflossen? Wenn Disraeli sagt „seine ganze Literatur und Religion angenommen“, so können wir dies nicht unterschreiben, so wenig die europäischen Völker die große nachbiblische jüdische Literatur angenommen, so wenig haben sie die ganze Religion unserer heiligen Schrift (des A. T.) angenommen – doch hierüber weiter unten. Red,


Von hier ab widerlegt der Autor die Ansicht, „dass die Zerstreuung des jüdischen Geschlechts eine Strafe für ein großes Verbrechen sei“; da aber diese Ansicht mehr in dem orthodoxen England als in Deutschland gewöhnlich ist, so brauchen wir uns nicht dabei aufzuhalten. Er erweist diese Ansicht als „historisch unwahr“, weil die Juden in zahllosen Kolonien lange vor der Zerstörung Jerusalems durch alle Länder verbreitet ), und weil ja die ersten Anhänger der christlichen Religion Juden waren; und als „dogmatisch unrichtig“, was uns hier gar Nichts angeht. Für Deutsche, namentlich deutsche Theologen und Lehrer ist nur zu erwähnen, dass er es gerade vom christlichen Standpunkte als ein „entsetzliches Dogma“, als „die nicht zu vergebende Sünde gegen den heiligen Geist“ erweist, wenn man die christliche Moral für eine andere ausgebe, als die jüdische *). Hierauf fragt Disraeli, ob aber etwa die Juden so verworfen geworden seien in Folge ihrer Verfolgung, dass sie jetzt die Misshandlung und üble Nachrede der Gesellschaft verdienen? Er gibt zu, dass die Juden ihren Anteil zu den „Schlechten“ beitragen, und vielleicht einen verhältnismäßig großen. Aber, fährt er fort, „die Juden sind so herabgewürdigt gewesen, wie die Griechen in Kleinasien vor ihrer Emanzipation, und die Herabwürdigung der Griechen wurde von einer Periode der Verfolgung herbeigeführt, die an Schwere und Dauer nicht verglichen werden kann mit der, welche die Kinder Israel erduldet haben. Diese Eigentümlichkeit aber begleitete die Juden unter den ungünstigsten Umständen; die anderen erniedrigten Geschlechter reiben sich auf und verschwinden; der Jude bleibt so entschlossen, so gewandt, so ausdauernd, so voll von Hilfsmitteln und Festigkeit, wie immer. Aus diesem Gesichtspunkte angesehen, ist die Erniedrigung des jüdischen Stammes allein ein auffallendes Zeugnis von einer Vortrefflichkeit.“ Richtig gibt Disraeli den Grund hierfür an, wenn er sagt: „Er wird von einer erhabenen Religion aufrecht erhalten. Verhärtet, boshaft, verhasst und empörend wie uns der niedrigste Jude erscheint, ist er doch selten demoralisiert und unter seinem eigenen Dache öffnet sich sein Herz dem Einflusse seiner schönen, arabischen Tradition**). Alle seine Zeremonien, eine Sitten und Festlichkeiten sind noch dazu da, die Güte der Nation und die Gunst Jehovas zu verherrlichen. Das patriarchalische Gefühl weilt an seinem Herde. Die Posaune des Sinai tönt noch in des Hebräers Ohr, und ein Jude wird nie auf einem Schafott gesehen, wenn nicht bei einem Auto da Fe!

*) Es ist sehr richtig, dass die Juden, und wohl eine größere Zahl, als im heil. Lande selbst, durch ganz Innerasien und Vorderasien, durch Ägypten und Äthiopien, durch Cyrenaika und über ganz Nordafrika, über die Inseln des ägäischen Meeres, durch Griechenland, Italien und Spanien, bis in Gallien und Germanien hinein, lange vor der Zerstörung Jerusalems zerstreut, und selbst in großen Gemeinden allda (z. B. Alexandrien, Antiochien, Rom) wohnten – aber wer erkennt, wenn er vorurteilslos ist, nicht gerade hierin den sichtbarsten Beweis, dass die göttliche Vorsehung auf diese Weise für die Erhaltung Judas gesorgt hatte, dass die Flüchtlinge später überall Gemeinsamkeiten und Brüder fanden, an die sie sich schließen konnten? Red.
**) Allerdings sagen auch wir, dass die Moral unserer heil. Schrift eine andre als die christliche ist; nicht in dem Sinne, in welchem es oft fälschlich behauptet wird, als ob die Moral des Judentums die Nächstenliebe nicht zu ihrem Fundament habe, sondern weil die jüdische Moral Idee und Leben noch identifizierte, während die christliche den Bruch zwischen Idee und Leben vollbrachte, und weil die jüdische Moral die ganze menschliche Gesellschaftlichkeit umfasste, während die christliche von der Gesellschaft ganz abstrahierte. S. hierüber unsere Vorlesungen über die religiöse Idee im Judentum, Christentum und Islam, Leipzig, Baumgärtners Buchhandlung, 1847, S. 42 ff. und S. 103 ff.
***) Man sehe die erste Anmerk. Von dem Augenblicke an, wo Israel das heilige Land betrat, hatte es mit Arabien am wenigsten Zusammenhang und Verbindung. Assyrien, Chaldäa, Medien, Persien, Griechenland, Rom – aber Arabien trat erst mit dem Islam in diese Welt ein. Red.

Disraeli glaubt aber auch, dass der ganz direkte Einfluss der modernen Juden auf die moderne Gesellschaft ein sehr bedeutender gewesen sei. Auf diesem Felde übertreibt er sehr viel. Er hält die Musik für die einzig wahrhafte Kunst der modernen Welt, und alle ausgezeichneten Musiker, Sänger und Sängerinnen, so wie Tänzer und Tänzerinnen, für – Juden. Gibt er doch selbst Mozart für einen Solchen aus! – Nicht übel ist dabei folgender Vergleich: „Vor vierzig Jahren waren die beiden verachtetsten Stämme in Europa der attische und hebräische, und sie waren die beiden Stämme, die am Meisten für die Menschheit getan. Ihre Schicksale hatten einige Ähnlichkeit: ihre Länder waren die beiden kleinsten in der Welt, gleich unfruchtbar und berühmt ), Beide teilten sich in Stämme; Beide bauten einen sehr berühmten Tempel auf der Hochburg und Beide brachten eine Literatur hervor, welche alle europäischen Nationen mit Ehrerbietung und Bewunderung angenommen haben. Athen ist öfter ausgeplündert worden, als Jerusalem *) und öfter bis auf den Grund zerstört worden **). Die Leiden der Juden währten aber viel länger und waren abwechselnder, als die der Athener, dennoch scheint der Grieche erschöpft, während der schöpferische Genius Israels nie so hell glänzte, wie jetzt.“ Er kommt daher zu dem Schluss: „dass kein vorhandenes Geschlecht so viel Anspruch an die Achtung und Dankbarkeit der Gesellschaft hat, als das hebräische.“ Von hier aus geht er auf die nachteiligen Folgen über, welche „die gegen dieses Geschlecht befolgte Handlungsweise auf die europäische Gesellschaft hervorbringt.“ Er sagt: „Die Welt hat jetzt erkannt, dass es unmöglich ist, die Juden auszurotten“). Der Versuch dazu ist unter den günstigsten Auspizien und im größten Maßstab gemacht worden; die beträchtlichsten Mittel, über welche die Menschheit nur gebieten konnte, sind bis in das höchste Altertum hinauf angewendet worden. Ägyptische Pharaonen, assyrische Könige, römische Kaiser, skandinavische Kreuzfahrer, gotische Fürsten und heilige Inquisitoren haben in gleicher Weise ihre Kräfte der Erfüllung dieses allgemeinen Zweckes gewidmet. Wegführung aus dem Vaterland, Verbannung, Gefangenschaft, Konfiskation, Tortur in erfindungsreichstem und Niedermetzelung in größtem Maßstabe, ein seltsames System erniedrigender Behandlung und entehrender Gesetze, die jedem andern Volke das Herz gebrochen haben würden, sind vergebens angewendet worden. Nach all dieser Verheerung sind die Juden gegenwärtig wahrscheinlich zahlreicher, als während der Regierung des weisen Salomo, sie finden sich in allen Ländern und leben in den meisten in glücklichen Verhältnissen. Dies Alles beweist, dass es ein vergebliches Unternehmen ist, dem unerbittlichen Gesetze der Natur trotzen zu wollen, welches bestimmt hat, dass ein höheres Geschlecht nie von einem untergeordneten vernichtet oder absorbiert werden soll.“

*) Es wundert mich, dass Disraeli nicht anführt, beide Länder hatten trefflichen Honig! Red.
**) Wieder nicht wahr, denn keine Stadt der Welt ist seit David und Sliak (unter Rehabram) so oft erobert und geplündert worden! Red.
***) Und warum bemerkt der Verf. nicht, dass sie dennoch – Athen und Jerusalem – noch heute stehen. Red.
***) Die Welt wohl, nur nicht die Judenbekehrungsgesellschaften! Red.

Es ist etwas sehr natürliches, dass die Radikalen seit der Bewegung von 48 Alles in ein leeres Nichts versunken glauben, und was irgendwie über die Oberfläche sich erhebt, für ein Mittel und Werkzeug mehr ansehen, eine völlige Auflösung oder Zersetzung des Bestehenden herbeizuführen.

Statt sich zu vergegenwärtigen, dass ein Strom, der in furchtbare Wirbel, in einen großen Fall hineingeschleudert worden, gleich darauf völlig stille zu stehen scheint – eben des Kontrastes wegen – in der Tat aber nur seinen ruhigen, sichern Fortlauf wieder beginnt: tun sie, als ob er von der Erde verschluckt werde.

Bis 48 war die zivilisierte Welt in einem, genug lebhaften Fortschritt begriffen. Es war der Fortschritt der Entwicklung, der allein naturgemäße. Die Bewegung von 48 war ein vulkanischer Ausbruch. Als er besiegt war, konnte augenblicklich nur ein heftiger Rückschlag geschehen – aber allmählich beginnt die Menschheit ihre Entwicklung wieder fortzuspinnen, aus dem Geschehenen den möglichsten Vorteil zu ziehen, ohne zu zerstören und zu vernichten, so durch den sicheren Fortschritt sowohl die, welche die Zustände der Vorzeit mumifiziert erhalten möchten, beschämend, als auch die, welche, durch Leidenschaft verblendet, nur im Umsturz das Heil erblicken. Wenn man vom „Wiederanknüpfen an die vormärzlichen Zustände“ spricht, so vergesse man nicht, dass hiermit auch die fortschreitend entwickelnde Bewegung, wie sie bis 48 stattfand, wieder angeknüpft wird. Aber nicht bloß die Reaktionäre, auch die Radikalen lernen aus der Geschichte Nichts.

Was ist jetzt – namentlich in Norddeutschland – gewöhnlicher, als von „der neuen Weltanschauung“ sprechen zu hören? Auf politischem, religiösem, philosophischem, naturwissenschaftlichem Gebiete, überall gibt es eine „neue Weltanschauung“ – nur schade, dass, wenn man nach ihr fragt, Niemand eine wesenhafte Antwort zu geben vermag, nur schade, dass diejenigen, welche immerfort den Ideologen den Mangel an Greifbarem vorwerfen, welche nicht materiell genug in ihren Beweisforderungen, den Gegnern gegenüber, sein können, dennoch verlangen, dass man ihnen nachsehe, wenn sie auf die Frage: nun, was ist denn die neue Weltanschauung" höchstens mit Phrasengeklingel antworten, dass man ihnen auf guten Glauben glauben soll, darin liege eine „neue Weltanschauung“ verborgen. ... Liebe Leutchen, eine „neue Weltanschauung“ ist kein Ding, das über Nacht ausgebrütet wird, das dieser und jener ausheckt; was eine Generation bringt, das geht auch mit einer wieder dahin; als durch Christentum und Islam die „neue Weltanschauung“ der jüdisch-religiösen Idee über die Menschheit kommen sollte, da währte es viele Jahrhunderte, ehe die „neue Weltanschauung“ irgend eine konkrete Gestaltung annahm, und noch viel länger, bevor man zum Bewusstsein kam, dass eine „neue Weltanschauung“ vorhanden sei. Worte, Worte, Nichts als Worte – aber wenn nur hinter den Worten nicht oft genug ein böser Wille verborgen läge! …

So ist es denn eine beliebte Phrase unter den Radikalen jetzt geworden: von der „Herrschaft der Juden“ zu sprechen, und diese als ein Mittel mehr anzusehen, die bestehende Welt abzunutzen und die Zersetzung zu befördern. Es kitzelt sie, der christlichen Welt eine solche „Herrschaft der Juden“ vorzuwerfen; sie wünschen sich Glück, das alte Vorurteil der Welt benutzen zu können, um diese zu ärgern. Welch' stärkerer Beweis für die Verdorbenheit aller Zustände. als wenn die Juden, die - Juden herrschen! Da muss die Welt dem längst prophezienen Untergang mit den stärksten Schritten zueilen! ... Das Stärkste hierin hat vorkurzem die „Magdeburgische Zeitung“ in einigen Leitartikeln geleistet. Zwar hätte eigentlich sie selbst uns der Mühe überhoben, auf ihre Phrasen einzugehen, denn hinter dem Leitartikel vom 15. Dezember v. J. „Disraeli, Fould und die gegenwärtige Stellung der Juden“ – kam gleich ein Leitartikel über „die Stellung der Weiber“, der zu lächerlich war, um nicht auch jenen mit dem Rosenlichte der Ironie zu überziehen – allein sprechet dem Volke von der „Herrschaft der Juden“, und es wird sich gleich etwas Derartiges einbilden; von der Herrschaft der Weiber, von Beruf des Weibes, „die Gesellschaft zu retten“, könnt Ihr lange schwatzen, es weiß, was es davon zu halten, es hat die Geschichte in seinem Hause; und dann, ähnliche Phrasen von der „Herrschaft der Juden“ tauchen auch da auf, wo sie sich nicht sogleich glücklicher Weise lächerlich machen – man muss sie also beleuchten. Allerdings müssen diese Herren ihre Phrasen gleich wieder beschneiden. Herrschen etwa die Juden in Persien und der Türkei, in Ägypten und Marokko? Sicher nicht. Überall sind sie da sehr arm, sehr gedrückt – mit Ausnahme der Türkei – sehr verachtet, und haben Ehrenämter, Staatsstellen u. dgl. auch nicht im Entferntesten inne. Siehe da! auch in Russland herrschen sie nicht, ihre Verhältnisse kennt man ja da; in Italien gewiss nicht, denn in Neapel sind sie gar nicht, im Kirchenstaat wie!, in Toskana wenig geduldet. Schweden, Norwegen, Dänemark – man hat Nichts davon gehört. Nun, und von Deutschland behaupten es jene Männer selbst nicht: die Verhandlungen über die Stellung der Juden in den deutschen Staaten, ihr immer noch, mit geringzahligen Ausnahmen, festgehaltener Ausschluss von allen Staatsämtern, ihr nirgends stattfindendes Hineinreichen in die höheren Regionen der Staatswelt spricht laut genug dagegen. Wir brauchen hierüber aber auch gar keine Beweise zu führen, denn jene Artikelschreiber sprechen nur von der „Herrschaft, die sich die Juden in den bedeutendsten Ländern des westlichen Europas erworben haben.“ Gut. Suchen wir diese auf. Ist dies Spanien? Nein. Denn seit fast vier Jahrhunderten hat kein jüdischer Fuß dieses Land betreten – das dem ungeachtet kein Paradies, am Wenigsten für die Radikalen, geworden. Ist es Belgien? Bekanntlich klagen die Herren außerordentlich darüber, dass in Belgien die ultramontane Partei allmächtig sei, und täglich mehr Platz gewänne. Von den 1.000 Juden ungefähr, die in Belgien wohnen, so ehrenhaft sie sind, so sehr sich viele als gute Bürger auszeichnen, hat noch Keiner, so viel wir wissen, die Schwelle der gesetzgebenden Häuser oder des königlichen Kabinetts überschritten. Holland – wollen wir noch unerwähnt lassen, denn Holland wäre ja vor einem halben Jahre beinahe so unglücklich gewesen, einen Juden zum Justizminister zu erhalten – danken wir Juden Gott, dass es nicht geschehen, dass Godefroh es vorgezogen, schlichter Abgeordneter zu bleiben, das hätte das Maß vollgemacht! ... Und so bleiben nur England und Frankreich übrig. Ja, jubelt die Magdeburgische Zeitung – England und Frankreich sind von den Juden beherrscht, sie sind jüdische Länder, sie sind die Beute der Juden geworden . . . es ist zu lächerlich, aber sehen wir doch genauer zu.

Warum? . . . weil Disraeli englischer Minister, Fould französischer Minister geworden. Schade, schade, dass seitdem England auch schon wieder nicht mehr jüdisch ist, denn Disraeli ist längst beseitigt. Aber der Fould hat eine zähere Natur, und so muss Frankreich schon zusehen, wenn es noch einige Tage oder Wochen oder Monate länger mit Palästina verwechselt wird, das freilich! jetzt den Türken gehört.

Wie? fragen wir – England mit seinem Welthandel, England mit feiner zahllosen Flotte, mit seinen erprobten Heeren, mit seinen unabhängigen City's, mit seinen unermesslichen Fabriken, mit seiner ungeheuren Bank, mit seinen unzähligen Reichen, mit seinem stolzen, außerordentlich begüterten Adel, mit seiner grandiosen Kirche, mit seinen enorm bezahlten Staatsbeamten, vor Allem mit seiner mannhaften, tätigen, energischen Bevölkerung, alles. Dies würde „von den Juden beherrscht“ – weil der Sohn eines getauften Juden, ein sehr talentvoller Mann, der sich als ein Verteidiger der Aristokratie, als ein Führer der Protektionisten geriert, Minister geworden? Aber was will ein Minister in England sagen? Eine Mehrzahl von 10 Stimmen auf der Gegenseite – und seine Macht ist wie ein Hauch dahin, er war, aber ist Nichts mehr, er ist nicht einmal ein „Geheimrat außer Diensten“, nicht einmal ein „Pensionierter“, denn in England gibt es für dergleichen Minister von einigen Monaten keine Pension. . . . Und so geschah es in der Tat. Der Artikel der „Magdeburger Zeitung“ war noch nicht trocken, so war schon Disraeli kein Minister mehr – vielleicht haben die Engländer sich durch die „Magdeburger Zeitung“ zur rechten Zeit warnen lassen... . Man höre die „Magdeburgerin“ selbst: „Keine der englischen Parteien kann für sich allein regieren: – als Theoretiker und Dogmatiker können es die Freihändler nicht, sie sind vielmehr nur dazu bestimmt, auf dem Umwege des Kampfes, durch ihren Einfluss auf die Gesetzgebung die Aristokratie ihrer bisherigen Diktatur zu berauben und sie zu einem industriellen Konkurrenten des Bürgertums umzuwandeln; – die Whigs können es nicht, denn das Land hält ihre winzigen Modifikationen der Verfassung nicht der Aufregung für wert, die ihre Einführung für einen Augenblick zur Folge haben würde; – die Torys können es nicht, denn sie sind durch Wort, Prinzip und Antezendentien dazu verpflichtet, das Unmögliche zu versuchen und die Aristokratie aus der Niederlage wieder aufzurichten, die ihr die bisherigen Siege der freihändlerischen Partei beigebracht haben.

Was Alle nicht können, leistet ein Jude. Er hat sich, um zur Herrschaft zu kommen, gegen die Aristokratie verpflichtet, und er führt die Konsequenz des freihändlerischen Prinzips aus. Er will, er soll die andrängende Demokratie zurückhalten, er will die Aristokratie für ihre Verluste durch das freihändlerische Prinzip entschädigen und seine Finanzvorschläge gehen nur darauf hinaus, Beide, Aristokratie und Demokratie, einer gleichmäßigen Gesetzgebung zu unterwerfen. Er soll die Aristokratie schützen und durch seine demokratischen und freihändlerischen Gegner, die nicht aufhören, ihm Verrat und Charakterlosigkeit vorzuwerfen, gedrängt, flüchtet er sich unter den Schutz der königlichen Unverantwortlichkeit und gewöhnt er die Aristokratie an den Gedanken, dass sie unter dem Königtum stehe.
Kurz, er verrät die Gönner, die ihn benutzen wollten, er führt das Gegenteil von dem aus, was die Anhänger des Ministeriums erwarteten, und bei alledem bahnt er die große Umwendung an, die das Verhältnis des englischen Königtums zur Aristokratie und zu den Gemeinden den kontinentalen Formen annähert.“

Ach, liebe „Magdeburgerin“, was wir Deutsche doch klug sind – für Alles haben wir tiefsinnige Erklärungen, und wenn wir mit unserer Antithese fertig sind, ist die Sache abgemacht. Wo bleibt nun all dies welthistorische Resultat, welches „Alle nicht können, nur ein Jude?“ Das Unterhaus erklärt sich mit einer Majorität von – nur 9 Stimmen gegen das Budget des Ministers, und, was dem tiefsinnigen Deutschen das notwendige Resultat jahrhundertelanger Entwickelung scheint, ist über den Haufen gestürzt: er flüchtet sich nicht unter den Schutz der königlichen Unverantwortlichkeit, er bringt die Aristokratie nicht unter das Königtum, er führt kein gleichmäßiges Gesetz für Aristokratie und Demokratie aus usw. usw., kurz, die große „Umwendung“ findet nicht statt, als ein echter Brite tritt vor den 9 Stimmen der Jude geräuschlos in die Reihen der schlichten Bürger zurück. So ist denn England, sein Handel, seine Bank, seine Flotte, sein Heer, seine City's, sein Adel, seine Fabrik usw., usw. wieder frei von der „Herrschaft der Juden“. O ihr Niedrigen an Geist und Herz, die ihr euch die „Freien“ nennt, die ihr der Welt ewig den Vorwurf macht, dass sie sich von euch „Freien“ nicht tyrannisieren lässt, und die – Sklaven des Vorurteils, vor Allem aber Sklaven des brennendsten Neides sind.

Bei allem Dem haben die Radikalen entschiedenes Pech. Wäre noch Fould gefallen, und Disraeli geblieben – so hätten sie den Sturz Foulds erklärt, weil es persönlicher Wille des französischen Kaisers gewesen, eine Laune, ein Missfallen – aber in Disraeli sei das Prinzip vertreten; Disraeli, der Verfechter des „semitischen Prinzips“, Disraeli, der schon drei oder vier – Romane und eine romanhafte Biographie im Dienste dieses „semitischen Prinzips“ geschrieben. Nun, dieser Disraeli ist längst von der Bühne getreten, während Fould, der sich in seinem Leben noch nicht um Juden und Judentum gekümmert hat, noch immer Minister ist. Hören wir, was die „Magdeburgerin“ über Fould zu sagen weiß: „Der erklärte Kaiser von Frankreich ist ein Jude. Dem Ausspruch Ludwigs XIV.: „Der Staat bin ich“ hat Louis Napoleon eine moderne zeitgemäße Wendung gegeben, als er einer Gesellschaft, die er früher als sonst verließ, mit den Worten: „der Staatsminister bin ich“, Herrn Fould als ein alter ego vorstellte. Wenn die kaiserliche Konzentration der Gewalt der Ausdruck für die Tatsache ist, dass die bürgerliche Gesellschaft, von der Politik befreit, auf ihre Spekulation und Unternehmungskraft angewiesen ist, so hat die Familie Fould mit ihrem riesenhaften Bankunternehmen diese Tatsache bis jetzt am Erfolgreichsten zu benutzen gewusst. Wenn das Kaisertum die Aufhebung aller bisherigen geistigen Werte ist, so ist die Fould'sche Bank die große Maschine dazu, um auch die materiellen Werte zu verflüssigen und in den Wirbel der Börsenspekulation hineinzuziehen.“ Welche Widersprüche! Erst ist Fould „der erklärte Kaiser“, dann gibt Fould „die Maschine“ her. Weil Napoleon den Fould in einer Gesellschaft, der er überdrüssig ist, als seinen Vertreter hinstellt, ist Fould der Kaiser selbst. Napoleon kann sich trösten. Man weiß, wie die deutschen Zeitungsschreiber vier Jahre lang Napoleon beschrieben, welche Eigenschaften sie ihm beilegten; seine Schwäche, keine Borniertheit, keine Trostlosigkeit, die sie ihm nicht zugeschrieben. Insonders die „Magdeburgerin“ schnitt jeden Tag ihre Grimassen über ihn. Die Zeit hat anders über Napoleon urteilen gelehrt, und die deutschen Zeitungsschreiber haben nur abermals erwiesen – wie wenig sie wissen oder wie wenig sie zu beurteilen verstehen. Dieser Napoleon, dieser stille, scharfe, verschlossene Beobachter, der vor Allem die große Kunst selbst urteilen und zu schweigen versteht, der die einmal gefasste Idee mit unwiderstehlicher Energie durchführt – der wird von keinem Fould beherrscht, der ist Selbstherrscher, der braucht Fould in Finanzsachen, wie die anderen Minister in ihren Branchen – beherrschen, nein! Faselt nur, weitet nur der Gesellschaft eine Sphäre an, wie ihr sie auch ausspintisiert – und von dem selbstgeschaffenen Reiserhaufen herab schleudert eure papiernen Blitze: sie zünden nicht. Der Gang, den Frankreich seit 64 Jahren geht, rührt nicht von Fould, selbst nicht von Napoleon, nicht vom III., nicht vom I., her – er ist wahrlich! keine Herrschaft der Juden: die „Magdeburgische“ mag's glauben....

Aber wie? selbst wenn Disraeli und Fould eine so gewaltige Herrschaft ausübten – was geht das uns Juden an? Wir haben keine spezielle Solidarität mit ihnen. Wir haben sie nicht zu Ministern gemacht, und wir ziehen keinen Nutzen aus ihrem Ministerium. Sind doch die Hoffnungen völliger Gleichstellung in den englischen Juden erst mit dem Abtreten Disraelis wieder erwacht! Und Fould, er würde die Juden schwerlich emanzipieren. Die Welt musste freilich! einen weiten Weg gehen, bevor ein Jude Staatsminister werden konnte – und so weit ist es kein Zufall – aber ob wirklich ein Jude Minister wird, das ist dann Zufälligkeit. Napoleon hätte ein andres geschicktes Werkzeug finden können, und die „Magdeburgerin“ hätte zu ihrem Leitartikel, zu ihrem „Shylock-Disraeli“, zu ihren Droh- und Schreckensworten, keine Gelegenheit gehabt:

So ist alles faul, was diese Art Behauptungen zu ihrem Fundament haben ... doch nein! es gilt die Wahrheit, die von diesen Gegnern verkannte Wahrheit – um diese ist es uns zu tun, und diese wollen wir zu beleuchten suchen.

In der Natur finden wir den Prozess der Rückbildung in den Organismen häufig. Wie in den Gebilden der Natur überall nach Symmetrie gestrebt wird, wie die rechte und die linke, die vordere und die hintere Seite einander respondieren: so auch die ersteren und letzteren Stadien der Organismen, der Aufgang und Hinabgang, mit einem Wort: es treten im späteren Alter oft Gebilde und Zustände ein, die denen in der Kindheit und Jugend sehr ähnlich sind.

Die Geschichte lehrt uns, dass dies nicht minder in den welthistorischen Organismen der Menschheit der Fall ist. Diejenigen, welche das Fortschreiten des Menschengeschlechts behaupten, und mit Recht – müssen doch zugeben, dass dies kein so konsequentes, regelmäßiges, in einer schnurgeraden Linie fortschreitendes ist, dass nicht sehr oft in ganzen Gliedern dieser Menschheit eine Rückbildung stattfinde. Nach einer gewissen Akme stellen sich Erscheinungen ein, die denen früherer Zeit sehr gleichen.

Wir müssen gestehen, solche Gedanken überkommen uns, wenn wir die gegenwärtige Stellung der Judenbedenken. Nicht dass wir befürchteten, jemals würde die Zeit mittelalterlicher Zusammenschnürung, mittelalterlicher Beschränkung, mittelalterlicher Verfolgung wiederkommen. Aber die Akme, welche das Humanitätsprinzip in Europa erreichte, ist vorüber, und eine Phase ist eingetreten, in welcher die „Ausschließung von allgemeinen Rechten“ die Juden wieder – nicht bloß zu einer besonderen Religionsgemeinde, sondern auch zu einem besonderen Stande stempelt. . . .

Es wäre lächerlich, die Juden in Europa ihrer Stellung nach als Parias, Heloten, oder mit dergleichen aufregenden Epithetis bezeichnen zu wollen. Das sind wir Gott sei Dank! nicht. Aber da wir unter den Bewohnern Europas in vielen Staaten von vielen öffentlichen Ämtern und Chargen ausgeschlossen sind, da, während alle öffentlichen Branchen für Alle, ohne Bedingung eines Ranges und Standes, offen stehen, nur nicht für uns: so können wir uns nicht anders als in einer Ausnahmestellung betrachten.

Auch das wäre nicht richtig, wenn wir dies lediglich den Regierungen zuschrieben. Blicken wir auf England. Die wirklich anwidernde Weise, in welcher dort Lord John Russel wie wider seinen eigenen Willen nun schon an die 15 Jahre den Eintritt von Juden in das Parlament dahinschleppt, und die soeben es wieder nicht weiter als zu 29 Stimmen Majorität im Unterhaus gebracht hat, lässt einen wünschen, dass man es dort niemals angefangen, denn es stellt sich nur um so missliebiger heraus. Es sind in allen Ländern gewisse „Stände“, welche die Gleichstellung der Juden als einen gegen sie (diese Stände) geführten Streich ansehen, – diese sind es, welche die Gleichstellung hintertreiben oder abrogieren. Diese sind es im Oberhaus. Englands wie in der ersten Kammer Preußens, und anderswo. Hierin liegt Prinzip, während das Volk, das launenhafte, wechselvolle Volk sich bald mit den Juden identifiziert und viel gleichgestellt, bald sich von ihnen geschieden fühlt und sie beschränkt wissen will. Schwerlich würden jetzt viele Magistrate und Gemeinderäte in Preußen um die Gleichstellung petitionieren, nachdem sie es 1846 und 1847 in solcher Einstimmigkeit getan. Und warum nicht? Ist irgendetwas anders geworden, als damals? O ja, der Wind hat sich gedreht.

Und weil in den Bestrebungen jener Stände Prinzip liegt – darum gelangen sie zu einem gewissen Ziele – nicht zu dem ganzen Ziele, welches sie erwünschen – denn auch die konsequenteste Prinzipienreiterei gelangt nur bis zu einem gewissen Punkte – aber doch zu nicht unbedeutenden Erfolgen. Und so sehen wir Juden in einem großen und schönen Teile Europas uns wieder auf den Standpunkt eines Standes gestellt, wie sich in gewissen anderen Regionen des Staates nicht minder wieder „Stände“ reorganisiert haben. Dies ist der große Unterschied zwischen jetzt und 1847. Damals Streben nach Gleichstellung – jetzt nach möglich geringen Beschränkungen als gewisser Stand. Es ist natürlich hier nicht die Rede, was wir wünschen und wollen, sondern wie es sich faktisch macht und herausstellt. Man erinnere sich an die Stelle, welche man den Juden in Frankfurt a. M. in der gesetzgebenden Versammlung geben will – eine Vertretung als eines Standes!
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die gegenwärtige Stellung der Juden. 1853