In Frankreich.

Die erste Besorgnis, die Karl I., König von England, bei der Todesnachricht des Herzogs fühlte, war, daß die Rocheller auf diese schreckenvolle Kunde den Mut verlieren könnten. Wie nun Richelieu in seinen Memoiren bezeigt, suchte ihnen der König diesen Tod so lange wie möglich zu verheimlichen, ließ die Häfen im ganzen Königreich sperren und alle Sorge tragen, daß kein Schiff auslaufen könnte, bis das von Buckingham ausgerüstete Heer abgesegelt wäre, wobei er es auf sich nahm, die Abfahrt an Buckinghams Stelle zu leiten. Übrigens hatte sich im Lager von La Rochelle in der Zwischenzeit nichts Neues ergeben. Der König, der sich im Lager vielleicht noch mehr langweilte als anderswo, beschloß, das Fest des heiligen Ludwig inkognito in Saint-Germain mitzufeiern, und ging den Kardinal an, daß er für ihn eine Eskorte von zwanzig Musketieren bereit halte. Der Kardinal besorgte mit Vergnügen, was sein königlicher Gebieter verlangte, der ihm versprach, bis zum 15. September wieder zurückzukehren. Herr von Tréville traf, von Sr. Eminenz benachrichtigt, sogleich Anstalten zur Reise, und da er, ohne die Ursache zu erfahren, den lebhaften Wunsch und sogar das dringende Bedürfnis seiner Freunde, nach Paris zurückzukehren, kannte, so nahm er sie in die Eskorte auf. Die vier jungen Männer erfuhren die Neuigkeit eine Viertelstunde nach Herrn von Tréville, da er sie ihnen zuerst bekanntmachte. Jetzt wußte d'Artagnan die Gunst zu schätzen, die ihm der Kardinal durch die Aufnahme unter die Musketiere erwiesen hatte. Widrigenfalls hätte er, während seine drei Freunde abreisten, im Lager zurückbleiben müssen.

Man wird es weiter unten sehen, daß dieser Wunsch, wieder nach Paris zu kommen, seinen Grund in der Furcht vor der Gefahr hatte, der Madame Bonacieux ausgesetzt sein mußte, träfe sie im Kloster zu Bethune mit Mylady, ihrer Todfeindin, zusammen. Auch Aramis hatte, wie schon gesagt, unmittelbar an Marie Michon, die Näherin in Tours, geschrieben, die sich so schöner Bekanntschaften erfreute, auf daß sie von der Königin für Madame Bonacieux die Erlaubnis erbitten möge, das Kloster verlassen und sich nach Lothringen oder Belgien zurückziehen zu dürfen. Die Antwort blieb nicht lange aus, nach acht bis zehn Tagen erhielt Aramis schon dieses Schreiben: „Mein lieber Vetter! Hiermit bekommt Ihr die Erlaubnis, unsere kleine Dienerin aus dem Kloster in Bethune wegnehmen zu dürfen, da ihr, Eurer Vermutung nach, die Luft daselbst nicht behagt. Meine Schwester sendet Euch diese Erlaubnis mit großen Freuden, denn sie ist dem kleinen Wesen recht liebreich zugetan und behält sich vor, ihm künftig nützlich zu sein. Ich umarme Euch, Maria Michon.“ Diesem Schreiben war eine Vollmacht beigefügt, folgenden Inhalts: „Die Vorsteherin des Klosters in Bethune wird den Händen der Person, die ihr dieses Briefchen überbringt, die Novize übergeben, die auf meine Empfehlung und unter meinem Schutz in ihr Kloster getreten ist. Im Louvre, am 10. August 1628. Anna.“ Es läßt sich erachten, daß diese Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Aramis und einer Näherin, welche die Königin ihre Schwester nannte, unsere Freunde belustigte, da aber Aramis bei den derben Späßen von Porthos bis ins Weiß der Augen errötete, so bat er seine Freunde, sie möchten diesen Gegenstand nicht wieder berühren, und erklärte auch, sollte man ihm hierüber nur noch ein Wort sagen, so würde er seine Base niemals wieder benutzen, in solchen Angelegenheiten Vermittlerin zu sein.


Der Kardinal begleitete Se. Majestät von Surgères bis Maubes, und hier trennten sich der König und sein Minister unter großen Freundschaftsbezeigungen; in der Nacht vom Dreiundzwanzigsten zog die Eskorte in Paris ein. Der König dankte Herrn von Tréville, und erteilte ihm die Vollmacht, auf vier Tage unter der Bedingung Urlaub auszugeben, daß sich keiner voll den Begünstigten, bei Strafe der Bastille, an einem öffentlichen Platz sehen lasse. Wie es sich erachten läßt, so hatten die vier ersten Urlaube, die erteilt wurden, unsere vier Freunde erhalten. Athos erhielt sogar sechs Tage statt vier, und fügte diesen sechs Tagen noch zwei Nächte bei, da sie am Vierundzwanzigsten abends um fünf Uhr abreisten, und der Urlaub durch Herrn von Tréville vom Fünfundzwanzigsten morgens ausgestellt wurde. „Ach, mein Gott!“ sagte d'Artagnan, der, wie wir wissen, nie an einer Sache verzweifelte, „wir zerbrechen uns die Köpfe über etwas ganz Einfaches, wir reiten ein paar Pferde zu Tode, was ist daran gelegen, ich habe Geld; in zwei Tagen bin ich in Bethune, übergebe der Vorsteherin den Brief der Königin, und führe den kostbaren, heißersehnten Schatz nicht nach Lothringen oder Belgien, sondern nach Paris, wo er in besserer Sicherheit ist, zumal so lange, als der Herr Kardinal vor La Rochelle gelagert ist. Wenn wir einmal aus dem Felde zurückgekehrt sind, bekommen wir von der Königin, teils durch die Protektion ihrer Base, teils für unsere geleisteten Dienste, alles, was wir nur wollen. Bleibt also hier und müht Euch nicht ab unter fruchtlosen Anstrengungen. Ich und Planchet sind für eine so einfache Expedition hinreichend genug.“

Am Fünfundzwanzigsten abends, wo sie in Arras eintrafen, und d'Artagnan, um ein Glas Wein zu trinken, vor dem Gasthaus „Zur goldenen Egge“ abstieg, kam ein Reiter vom Hofe des Posthauses hervor, wo er die Pferde gewechselt hatte, und sprengte in aller Eile auf der Straße nach Paris fort. In diesem Moment, wo er durch das Haustor auf die Straße ritt, schlug der Wind seinen Mantel auseinander, in den er sich gewickelt hatte, obschon es August war, und hob auch schon seinen Hut, den jedoch der Reisende noch schnell genug anfaßte und wieder in die Stirn drückte. D'Artagnan faßte diesen Mann ins Auge, wurde blaß und ließ sein Glas fallen. „Was ist Ihnen, gnädiger Herr?“ fragte Planchet; „holla, meine Herren, herbei! mein Gebieter ist unwohl.“ Die drei Freunde stürzten herbei, sahen aber, daß d'Artagnan, statt sich unwohl zu befinden, nach seinem Pferd eilte. Sie hielten ihn an der Türschwelle auf. „Zum Teufel!“ rief Athos, „wohin willst du denn?“

„Er ist's!“ rief d'Artagnan blaß vor Ingrimm und die Stirn mit Schweiß bedeckt; „er ist's, laßt mich ihn einholen. Zu Pferde, meine Herren, zu Pferde, wir wollen ihn verfolgen und werden ihn wohl erreichen.“

„Mein Lieber,“ versetze Aramis, „bedenkt aber, er ritt auf der entgegengesetzten Straße, die wir einschlagen müssen; er reitet ein frisches Pferd, während die unsrigen ermattet sind, so daß wir sie ohne Hoffnung, ihn einzuholen, zu Tode reiten müßten.“

„He, mein Herr!“ rief ein Stalljunge, der dem Unbekannten nacheilte; „He, mein Herr, da ist ein Papier, das aus Ihrem Hut fiel. He, mein Herr!“

„Mein Freund!“ rief ihm d'Artagnan zu, „da hast du für dein Papier eine halbe Pistole.“

„Meiner Treu! mit der größter Freude; hier ist's.“ Der Stalljunge war über den guten Taglohn entzückt und kehrte in den Hofraum zurück; d'Artagnan entfaltete das Papier. „Nun?“ fragten seine Freunde voll Neugier. „Nichts als ein einziges Wort,“ versetzte d'Artagnan. „Ja,“ sagte Aramis, „doch dieses Wort ist der Name einer Stadt. „Armentières,“ las Porthos. „Armentières, das kenne ich nicht.“

„Und dieser Name der Stadt ist von ihrer Hand geschrieben,“ sagte Athos. „Nun, lasset uns das Papier sorgsam aufbewahren,“ versetzte d'Artagnan, „vielleicht ist meine halbe Pistole nicht hinausgeworfen. Zu Pferde, meine Freunde! zu Pferde!“ Die vier Freunde sprengten im Galopp von hinnen auf der Straße nach Bethune.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die drei Musketiere