Ein Duell und ein ungalantes Abenteuer.

Man begab sich zur festgesetzten Stunde mit den vier Lakaien hinter den Luxembourg, in eine Umfriedung, die den Zeugen überlassen war. Nach dem Austausch der Formalitäten ging man sofort zum Kampf über, der nach ungefähr zwanzig Minuten für die Engländer ausnahmslos mit Niederlagen beendet war. Athos' Gegner war durch einen Herzstoß getötet, der von Porthos kam mit einem Schenkelstich davon, wie der Copugnator Aramis' nach einem schweren Armhieb, den Kampf aufgebend. Lord Winter, d'Artagnans Gegner, mußte es sich gefallen lassen, daß ihm der Degen aus der Hand geschlagen wurde, wonach der Sieger die Spitze des seinen ihm auf die Brust setzte und sagte: „Ich töte Sie nicht, Ihrer Schwester zuliebe.“ Die fünf Kavaliere reichten sich nunmehr kameradschaftlich die Hände und fanden gutes Einvernehmen. Besonders zwischen d'Artagnan und Lord Winter entspann sich ein herzliches Gespräch, in dessen Verlauf Lord Winter sich die Ehre ausbat, seinen tapferen Gegner seiner Schwester vorstellen zu dürfen. Man verabredete für den Abend eine Zusammenkunft, die von beiden Teilen pünktlich eingehalten wurde. Lord Winter führte seinen neuen Freund in die Wohnung der Mylady, die entzückt war, den Kavalier, von dem sie schon gehört hatte, kennenzulernen. Sie war eine auffallend schöne, üppige Blondine, die mit ihren Reizen nicht geizig umging. Als Lord Winter von dem Duell und dessen Ausgang erzählte, ging eine Wolke des Unmuts über das Gesicht der schönen Frau, die sie gern verborgen hätte, die aber d'Artagnan doch nicht entging. D'Artagnan war von der großen Schönheit dieser Frau tief berührt und erging sich in gut angebrachten Komplimenten und Schmeicheleien, die gnädig angenommen und einigemal sogar erwiedert wurden. Während die Unterhaltung gerade im besten Gange war, brachte ein Diener dem Lord einen Brief, der ihn sofort abberief, so daß er sich bedauernd verabschieden mußte. Nach des Lords Weggang nahm das Gespräch noch an Lebhaftigkeit zu. Mylady erzählte, daß Lord Winter nicht ihr Bruder, sondern ihr Schwager sei; sie selbst habe einen jüngeren Bruder des Lord geheiratet, von dem sie ein Kind habe, und der vor Jahresfrist gestorben sei. Das Kind sei, falls der Lord nicht heirate, dessen einziger Erbe.

All das zog vor d'Artagnan einen Schleier, der etwas verhüllte, wovon sich nichts vermuten oder voraussehen ließ. Nach einer halben Stunde, die noch in harmlosem Geplauder verbracht wurde, wollte sich d'Artagnan verabschieden. Da richtete Mylady etwas unvermittelt an ihn die Frage, ob er nicht daran gedacht habe, in die Dienste des Kardinals zu treten. D'Artagnan ward stutzig; er wich einer direkten Antwort aus und erging sich in Lobeserhebungen über Richelieu. Sodann fragte Mylady, wie beiläufig, ob d'Artagnan schon in England gewesen sei, worauf dieser kurz erwiderte, daß er in Herrn von Trévilles Auftrag dort Pferde gekauft, und vier Stück als Muster mitgebracht habe. Einige ausgetauschte Höflichkeiten beendeten den Besuch. Auf der Treppe begegnete d'Artagnan der hübschen Zofe der Mylady, die auf den Namen Ketty hörte, und an dem schmucken Kavalier offensichtlich sehr viel Gefallen fand. In den folgenden Tagen besuchte d'Artagnan Lady Winter noch einigemal und fand sie jedesmal schöner und liebenswürdiger, als er sie beim jeweils letzten Besuch gefunden hatte. Nach einer dieser Visiten ging Ketty, die Zofe, d'Artagnan auf der Treppe entgegen und lispelte ihm zu, daß sie ihm etwas Wichtiges unter vier Augen mitzuteilen habe; sie führte den erstaunten Kavalier in ihr Zimmer, das an das ihrer Herrin stieß und schloß sorgfältig die Tür hinter sich. Dann verriet sie d'Artagnan mit naiver und zugleich leidenschaftlicher Manier, daß Mylady in Liebe zu einem andern Manne, nämlich zum Grafen von Wardes, entbrannt sei, und reichte dem empörten und überraschten Chevalier zur Bekräftigung ihrer Aussage einen von Mylady geschriebenen Brief ohne Adresse, der folgenden Inhalt hatte: „Sie haben auf mein erstes Briefchen nicht geantwortet. Sind Sie etwa unwohl, oder haben Sie darauf vergessen, welche Blicke Sie auf dem Balle der Frau von Guise auf mich geworfen haben? Die Gelegenheit ist da, Graf, lassen Sie sie nicht entweichen!“ D'Artagnan wurde rot und blaß vor Zorn und Scham. In diesem Augenblick hörte man, wie Mylady das Zimmer nebenan betrat und nach Ketty rief. D'Artagnan schlüpfte eiligst in einen Schrank und hörte folgendes Gespräch, das Lady Winter mit ihrer Zofe führte: „Nun,“ sagte Mylady, „ich habe unsern Gascogner diesen Abend nicht gesehen.“


„Wie, Madame,“ versetzte Ketty, „er ist gar nicht gekommen? Wird er flatterhaft, ehe er noch beglückt ist?“

„Ach, nein, Herr von Tréville oder Herr des Essarts werden ihn abgehalten haben. Ich verstehe mich darauf, Ketty, ich habe ihn geangelt.“

„Und was wird die Madame mit ihm tun?“

„Was ich tun werde? sei ruhig, Ketty! zwischen mir und diesem Manne liegt etwas, das er nicht weiß. Er war Ursache, daß ich bei Seiner Eminenz fast den Kredit verloren habe. O, ich will mich rächen.“

„Ich dachte, daß ihn Madame liebe?“

„Ich ihn lieben? o, ich verabscheue ihn. Ein Schwachkopf, der das Leben des Lord Winter in den Händen hat, ihn nicht töte und mich dadurch die Rente von dreitausend Livres verlieren macht!“

„Es ist wahr,“ versetzte Ketty, „Ihr Sohn wäre der einzige Erbe seines Oheims, und bis zu seiner Großjährigkeit hätten Sie den Fruchtgenuß seines Vermögens gehabt.“ D'Artagnan schauderte bis ins Mark seiner Beine, als er vernahm, wie es ihm dieses süße Wesen mit jener scharfen Stimme, die sie nur mit Mühe im Gespräch dämpfen konnte, zum Vorwurf machte, daß er nicht einen Menschen tötete, den sie, wie er selbst gesehen, mit Beweisen von Freundschaft überhäufte. „Ich hätte mich auch schon an ihm gerächt, fuhr Mylady fort, „wenn mir nicht der Kardinal, ich weiß nicht warum, aufgetragen hätte, seiner zu schonen.“

„Ach, ja! aber Madame schonte nicht der kleinen Frau, die er geliebt hat.“

„Ah, die Krämerin aus der Gasse Fossoyeurs? Hat er nicht bereits auf sie vergessen? Meiner Treu! eine hübsche Rache.“ Ein kalter Schweiß rann d'Artagnan über die Stirn; dieses Weib war offenbar ein Ungetüm. Er horchte abermals, doch zum Unglück war die Toilette beendet. „Es ist gut,“ sagte Mylady, „kehre in dein Zimmer zurück, und suche morgen eine Antwort auf den Brief zu erhalten, den ich dir übergeben habe.“

„Für Herrn von Wardes?“ fragte Ketty. „Nun ja. für Herrn von Wardes.“

„Dieser Herr“, versetzte Ketty, „kommt mir vor, als wäre er gerade das Gegenteil von dem armen Herrn d'Artagnan.“

„Geh, Mademoiselle,“ sagte Mylady, „ich mag keine Kommentare.“ D'Artagnan hörte die Tür zuschließen, dann vernahm er auch, wie Mylady zwei Riegel vorschob, um sich einzusperren. Ketty drehte ihrerseits den Schlüssel einmal um, so sanft wie es vermochte. Sonach stieß d'Artagnan die Tür des Schrankes auf. „O, mein Gott!“ sagte Ketty ganz leise, „was haben Sie? Ach, Sie sind ganz blaß.“

„Die Abscheuliche!“ murmelte d'Artagnan. „Stille! stille! Gehen Sie hinaus,“ sagte Ketty, „es ist zwischen meinem Zimmer und dem der Mylady nur eine dünne Wand; man hört in dem einen, was in dem andern gesprochen wird.“

„Ganz wohl, aber ich will nicht eher gehen, als bis du mir sagst, was aus Madame Bonacieux geworden ist.“ Das arme Mädchen schwor es d'Artagnan auf das Kruzifix, daß sie es nicht bestimmt wisse, denn ihre Herrin lasse ihre Geheimnisse nur bis zur Hälfte durchblicken. Sie glaube bloß bürgen zu können, daß sie nicht tot sei. Auch in bezug auf die Ursache davon, daß Mylady beim Kardinal an Kredit verloren habe, wußte Ketty nicht mehr anzugeben. Doch hier hatte d'Artagnan einen tieferen Blick als sie. Da er Mylady in dem Augenblick, wo er England verließ, auf einem konsignierten Schiffe gesehen hatte, so vermutete er, daß hier die diamantenen Nestelstifte im Spiele seien. Hierin zeigte sich nun am klarsten, daß der wahre Haß, der tiefe Haß, der eingewurzelte Haß der Mylady gegen d'Artagnan seinen Grund darin habe, daß er ihren Schwager nicht tötete.

D'Artagnan kehrte am folgenden Tage zu Mylady zurück; sie war übelgestimmt; d'Artagnan erriet, dies rühre von dem Mangel einer Antwort des Herrn von Wardes her. Ketty trat ein, aber Mylady empfing sie sehr hart. Ein Blick auf d'Artagnan wollte sagen: „Sie sehen, was ich Ihretwegen leide!“ Aber gegen Ende des Abends sänftigte sich die schöne Löwin, sie hörte lächelnd die süßen Worte d'Artagnans und reichte ihm sogar die Hand zum Kuß. Als d'Artagnan fortging, wußte er nicht mehr, was er denken sollte; da er aber als ein Gascogner nicht so leicht aus der Fassung zu bringen war, so entwarf er in seinem Geist ein Plänchen. Er traf Ketty an der Tür und ging mit ihr, wie am Vortag, hinauf, um Neuigkeiten zu vernehmen. Ketty wurde heftig ausgezankt, man beschuldigte sie der Fahrlässigkeit. Mylady konnte sich das Stillschweigen des Grafen von Wardes nicht erklären und befahl ihr, daß sie um neun Uhr früh in ihr Schlafzimmer komme und ihre Aufträge einhole. D'Artagnan ließ sich von Ketty versprechen, daß sie am folgenden Tage zu ihm komme, damit sie ihm sage, worin diese Aufträge bestanden haben. Das arme Kind versprach, was d'Artagnan verlangte, sie war töricht. Um elf Uhr sah er Ketty kommen. Sie trug ein neues Briefchen von Mylady in der Hand. Diesmal suchte es ihm das arme Mädchen gar nicht streitig zu machen, sondern überließ es ihm; sie gehörte ja dem schönen Krieger mit Leib und Seele. D'Artagnan öffnete das zweite Briefchen, das gleichfalls weder Adresse noch Unterschrift hatte, und las wie folgt: „Das ist das dritte Briefchen, worin ich Ihnen schreibe, daß ich Sie liebe; hüten Sie sich, daß ich Ihnen nicht zum viertenmal schreibe, um Ihnen zu sagen, daß ich Sie hasse!“ D'Artagnan wurde während des Lesens abwechselnd blaß und rot. „O, Sie lieben sie noch immer!“ seufzte Ketty, die ihre Augen von dem Antlitz des jungen Mannes nicht einen Augenblick lang weggewendet hatte. „Nein, Ketty! du irrst, ich liebe sie nicht mehr, doch will ich mich für ihre Verachtung rächen.“ Ketty seufzte. D'Artagnan ergriff eine Feder und schrieb: „Madame, ich habe bisher daran gezweifelt, ob Ihre zwei ersten Briefchen an mich gerichtet waren, so sehr habe ich mich einer solchen Ehre für unwürdig gehalten. Aber heute muß ich wohl an das Übermaß Ihrer Güte glauben, weil es mir nicht bloß Ihr Schreiben, sondern auch Ihre Zofe bekräftigt, daß ich so glücklich bin, von Ihnen geliebt zu werden. Ich will Sie diesen Abend um elf Uhr bitten, mir zu vergeben. Jetzt noch einen Tag zu zögern, hieße eine neue Beleidigung zufügen. Derjenige, den Sie zum Glücklichsten auf Erden machen.“ Dieses Briefchen war eben keine Fälschung, denn d'Artagnan unterfertigte es nicht, doch war es eine Unzartheit, ja sogar von dem Gesichtspunkt unserer gegenwärtigen Sitten eine Art Schimpf; man enthielt sich damals aber weniger, als es heutzutage geschieht. D'Artagnans Plan war sehr einfach, er gelangte durch Kettys Zimmer in das ihrer Gebieterin; er beschämte die Ungetreue, er drohte, sie durch einen öffentlichen Lärm bloßstellen zu wollen, und erfuhr von ihr mittels des Schreckens alles das, was er über Konstanzes Schicksal zu wissen wünschte. Vielleicht hatte das sogar die Freiheit der hübschen Krämerin zur Folge. „Da,“ versetzte der junge Mann und reichte Ketty das Briefchen zugesiegelt, „bringe diesen Brief Mylady; es ist die Antwort des Herrn von Wardes.“ Die arme Ketty wurde blaß wie der Tod; sie ahnte den Inhalt des Briefes. „Höre, liebes Kind,“ sprach d'Artagnan zu ihr, „du begreifst wohl, daß dies auf die eine oder die andere Weise endigen muß; Mylady kann erfahren, daß du das erste Briefchen meinem Bedienten zugestellt hast, statt es dem Bedienten des Grafen zu übergeben, und daß ich die andern erbrach, die Herr von Wardes erbrechen sollte. Sodann wird dich Mylady fortjagen, und du weißt, sie ist nicht die Frau, die es bei dieser Rache bewenden läßt.“

„Ach,“ seufzte Ketty, „warum habe ich mich alledem ausgesetzt?“

„Meinetwillen, das weiß ich wohl, Allerschönste!“ versetzte der junge Mann, „und ich bin dir im hohen Grade dafür dankbar, das schwöre ich.“

„Was enthält aber Ihr Brief?“ „Mylady wird es dir sagen.“

„Ach! Sie lieben mich nicht,“ stammelte Ketty, „und ich bin höchst unglücklich.“ Ketty vergoß viele Tränen, ehe sie sich entschloß, diesen Brief der Mylady zuzustellen; endlich entschloß sie sich aber doch, aus Hingebung für den jungen Musketier, und das war alles, was jetzt d'Artagnan verlangte.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die drei Musketiere