Das Gasthaus „Zum roten Taubenschlag“.

Der König war kaum im Lager angekommen, so wollte er schon, da er große Eile hatte, sich dem Feinde gegenüberstellen, und da er den Haß des Kardinals wider Buckingham teilte, alle Anstalten treffen, einmal, um die Engländer von der Insel Ré zu vertreiben, und dann, um die Belagerung von La Rochelle tatkräftig zu beleben. Der Wohnsitz des Monsieur war in Dompierre, jener des Königs bald in Estré, bald in la Jarrie. Der Wohnsitz des Kardinals war auf den Dünen bei der Brücke la Pierre, in einem einfachen Haus ohne Verschanzung. Auf diese Art überwachte Monsieur Herrn Bassompierre, der König den Herzog von Angoulême und der Kardinal Herrn von Schomberg. Als Herr von Toiras melden ließ, daß sich im feindlichen Lager alles zu einem neuen Sturm anschicke, so dachte der König, man müsse der ganzen Sache ein Ende machen, und erteilte die nötigen Befehle zu einem entscheidenden Schlag. Wir nahmen uns nicht vor, ein Tagebuch der Belagerung zu verfassen, und so bemerken wir nur mit zwei Worten, daß das Unternehmen zur großen Zufriedenheit des Königs und zum großen Ruhm für den Kardinal ausgefallen ist. Die Engländer wurden Fuß für Fuß zurückgeworfen, bei jedem Handgemenge überwältigt und gezwungen, sich nach dem Verlust von zweitausend Toten wieder einzuschiffen; unter diesen Toten befanden sich fünf Oberste, drei Oberstleutnants, zweihundertfünfzig Kapitäne und zwanzig Edelleute von hohem Rang; außerdem verloren die Engländer viele Geschütze und sechzig Fahnen; diese letzteren brachte Claude von Saint-Simon nach Paris, wo sie unter großem Gepränge in den Hallen von Notre-Dame aufgehängt wurden. Es blieb nun dem Kardinal anheimgestellt, die Belagerung fortzusetzen, ohne daß er wenigstens für die Gegenwart etwas von den Engländern zu fürchten hatte. Doch war die Ruhe, wie gesagt, nur eine augenblickliche. Man hatte einen Abgeordneten des Herzogs von Buckingham, namens Montaigu, eingefangen, und damit einen Beweis von einem Bündnis zwischen dem Reiche, Spanien, England und Lothringen bekommen. Dieses Bündnis war gegen Frankreich gerichtet. Überdies hatte man im Quartier des Herzogs von Buckingham, das er mit großer Eilfertigkeit verlassen mußte, Papiere vorgefunden, die dieses Bündnis bekräftigten, wie der Herr Kardinal in seinen Memoiren versichert, und die Frau von Chevreuse in ein übles Licht stellten.

Die Musketiere hatten bei der Belagerung nur wenig zu tun, waren auch nicht streng gehalten und führten ein fröhliches Leben. Dies war vorzüglich unsern drei Freunden um so leichter, als sie von Herrn von Tréville, mit dem sie befreundet waren, ohne Schwierigkeit die Erlaubnis bekamen, länger ausbleiben und nach dem Schluß des Lagers außen verweilen zu dürfen. Als sie eines Abends d'Artagnan nicht begleiten konnten, da er den Dienst in den Laufgräben hatte, so kehrten Athos, Porthos und Aramis auf ihren Schlachtpferden, in ihre Kriegsmäntel gehüllt, eine Hand auf dem Kolben ihrer Pistole, zurück aus einer Schenke, „Zum roten Taubenschlag“ genannt, die Athos zwei Tage vorher auf dem Wege nach Jarrie bemerkt hatte. Sie ritten auf der Straße, die zum Lager führte, und waren da aus Furcht vor einem Hinterhalt wohl auf ihrer Hut, als sie etwa eine Viertelstunde vom Dorfe Boisnau das Getrappel von Pferden zu hören glaubten, die ihnen entgegenkamen. Sie hielten sogleich an und schlossen sich mitten auf der Straße eng aneinander. Nach einem Weilchen, als eben der Mond aus einer Wolke hervortrat, bemerkten sie wirklich an der Biegung des Weges zwei Reiter, die, als sie unsere Freunde gewahrten, gleichfalls anhielten und Rat zu halten schienen, ob sie ihren Weg fortsetzen oder umkehren sollten. Diese Zögerung erweckte Verdacht von seiten der Musketiere, Athos ritt eine kleine Strecke vorwärts und rief mit fester Stimme: „Wer da?“


„Wer da, Ihr?“ entgegnete einer von den Reitern. „Das ist keine Antwort!“ sagte Athos. „Wer da? oder wir schießen.“

„Bedenkt Euch, ehe Ihr das tut, meine Herren!“ entgegnete eine tönende Stimme, die zu befehlen gewohnt zu sein schien. „Das ist ein Oberoffizier, der nachts seine Runde macht,“ sagte Athos, zu seinen Freunden gewendet.–“Was ist da zu tun, meine Herren?“

„Wer seid Ihr?“ rief dieselbe Stimme mit demselben gebietenden Tone; „gebt Antwort, oder es ergeht Euch schlecht bei Eurem Ungehorsam.“

„Musketiere des Königs!“ entgegnete Athos. mehr und mehr überzeugt, daß derjenige, her sie fragte, hierzu auch das Recht besaß. „Welche Kompagnie?“

„Kompagnie Tréville.“

„Reitet vor und gebt Rechenschaft, was Ihr um diese Stunde hier zu tun habt.“ Die drei Musketiere ritten vor, etwas beängstigt bei der Überzeugung, sie hätten es mit einem Mächtigeren zu tun. Übrigens überließ man Athos die Sorge, das Wort zu führen. Einer der zwei Reiter war etwa zehn Schritte von seinem Gefährten entfernt; Athos gab Porthos und Aramis gleichfalls einen Wink, zurückzubleiben und rückte allein vor. „Um Vergebung, mein Offizier,“ sagte Athos, „allein wir wußten nicht, mit wem wir es zu tun hatten, und Ihr könnt sehen, daß wir die Wache wohl versehen.“

„Euer Name?“ fragte der Offizier, indem er sein Antlitz zum Teil mit dem Mantel bedeckte. „Ihr selbst, mein Herr,“ erwiderte Athos. den dieses Verhör zu erzürnen begann, „gebt mir, ich bitte Euch, den Beweis, daß Ihr das Recht habt, mich zu fragen.“

„Euer Name?“ wiederholte der Reiter, und ließ seinen Mantel derart fallen, daß sich sein Antlitz enthüllte. „Der Kardinal!“ rief der Musketier verwundert. „Euer Name?“ rief Seine Eminenz zum drittenmal. „Athos.“ sagte der Musketier. Der Kardinal gab dem Stallmeister einen Wink, und dieser ritt näher. „Diese drei Musketiere sollen uns folgen,“ sprach er mit leiser Stimme; „man erfahre nicht, daß ich das Lager verließ, und wenn sie uns folgen, sind wir versichert, daß sie es niemandem sagen.“

„Wir sind Edelleute, Monseigneur,“ versetzte Athos, „verlangen Sie unser Ehrenwort und besorgen Sie nichts. Gott sei Dank, wir können ein Geheimnis bewahren.“ Der Kardinal richtete seine durchdringenden Augen auf den kühnen Sprecher und sagte: „Herr Athos, Ihr habt ein feines Gehör; doch bitte ich Euch, mir zu folgen, nicht etwa aus Mißtrauen, doch zu meiner Deckung. Zweifelsohne sind Eure Gefährten die Herren Porthos und Aramis.“

„Ja, Eure Eminenz,“ erwiderte Athos, indes die zwei andern Musketiere, den Hut in der Hand, herbeiritten. „Ich kenne Euch, meine Herren,“ sprach der Kardinal, „ich kenne Euch; ich weiß es, Ihr seid mir nicht sehr freundlich gesinnt, und das tut mir leid. Doch weiß ich auch, daß Ihr brave, wackere Edelleute seid, denen man vertrauen darf. Erweiset mir also die Ehre, Herr Athos, und begleitet mich, Ihr mit Euren zwei Freunden, und so werde ich eine Deckung haben, um die mich Seine Majestät beneiden müßte, wenn sie uns begegnete.“ Die Musketiere verneigten sich bis auf den Hals ihrer Pferde. „Nun, auf meine Ehre,“ sprach Athos; „Eure Eminenz hat recht, uns mitzunehmen; wir begegneten auf dem Wege häßlichen Gesichtern, und haben mit vier von solchen Gesichtern im ›Roten Taubenschlag‹ sogar einen Streit gehabt.“

„Einen Streit – warum das, meine Herren?“ fragte der Kardinal. „Wie Ihr wißt, mag ich die Streitigkeiten nicht.“

„Eben deshalb habe ich die Ehre, Euer Eminenz mitzuteilen, was da vorgegangen ist, denn Sie könnten es von einer andern Seite erfahren, und einem falschen Gerücht noch glauben, daß wir schuldig seien.“

„Was ist das Resultat dieses Streites gewesen?“ fragte der Kardinal mit gerunzelter Stirn. „Nun, mein Freund Aramis hat einen Degenstich in den Arm erhalten, was ihm jedoch nicht hinderlich sein wird, morgen an dein Sturme teilzunehmen, wenn Eure Eminenz hierzu Befehl geben sollte.“

„Ihr seid doch nicht Männer, die sich auf solche Weise Degenstiche versetzen lassen,“ sagte der Kardinal. „Redet offen, meine Herren, Ihr habt gewiß wieder welche zurückgegeben? Bekennt mir, denn Ihr wißt, ich habe das Recht der Lossprechung.“

„Monseigneur,“ versetzte Athos, „ich zog nicht einmal den Degen, doch faßte ich den Mann, mit dem ich etwas zu tun hatte, um den Leib und schleuderte ihn zum Fenster hinaus. Wie es scheint,“ fuhr Athos zögernd fort, „hat er im Fallen den Schenkel gebrochen.“

„Ha!“ rief der Kardinal, „und Ihr, Herr Porthos?“

„Ich, Monseigneur, da ich wußte, daß der Zweikampf untersagt ist, so ergriff ich eine Bank und versetzte einem dieser Schufte einen Schlag, der ihm die Schulter zerschmetterte, wie ich glaube.“

„Wohl,“ sprach der Kardinal, „und Ihr, Herr Aramis?“

„Ich, Monseigneur, da ich von sehr sanfter Gemütsart bin, und außerdem, was vielleicht Monseigneur weiß, in den geistlichen Stand zu treten gedenke, wollte meine Freunde trennen, als mir einer dieser Schurken verräterischerweise einen Degenstich in den linken Arm versetzte. Da riß mir die Geduld, ich zog gleichfalls meinen Degen, und als er wieder angriff, glaubte ich bemerkt zu haben, daß er sich im Anfall gegen mich meine Klinge durch den Leib stieß; ich weiß bloß, daß er niederfiel, und mir kam vor, als hätte man ihn mit seinen zwei Gefährten fortgetragen.“

„He doch, meine Herren,“ sprach der Kardinal, „drei Männer kampfunfähig machen wegen eines Wirtshausgezänkes! Ihr legt derb die Hände an, und weshalb entstand der Streit?“

„Die Schufte waren betrunken, und da sie wußten, es sei diesen Abend eine Frau in der Schenke angekommen, so wollten sie die Tür erbrechen.“

„War wohl diese Frau noch jung und hübsch?“

„Wir sahen sie nicht, Monseigneur,“ antwortete Athos. „Ihr habt sie nicht gesehen? Ach, sehr wohl,“ versetzte der Kardinal lebhaft. „Ihr habt recht getan, daß Ihr die Ehre einer Frau beschütztet, und da ich eben selbst nach der Herberge ›Zum roten Taubenschlag‹ reite, so werde ich sehen, ob Ihr wahr gesprochen habt.“

„Monseigneur,“ sprach Athos stolz, „wir sind Edelleute, und würden uns keine Lüge erlauben, könnten wir damit auch unser Leben retten.“

„Ich zweifle auch nicht an dem, was Ihr da sagt, Herr Athos, ich zweifle ganz und gar nicht daran. Allein,“ fügte er hinzu, um der Unterredung eine andere Wendung zu geben, „diese Dame ist wohl allein gewesen?“

„Es war bei ihr ein Kavalier,“ antwortete Athos; „da sich aber dieser Kavalier ungeachtet des Tumults nicht gezeigt hat, so läßt sich wohl vermuten, daß er feige ist.“

„›Urteilt nicht blindlings‹, sagt die Heilige Schrift,“ mahnte der Kardinal. Aramis verneigte sich. „Nun ist es gut, meine Herren,“ fuhr der Kardinal fort; „ich weiß, was ich erfahren wollte; folgt mir jetzt.“ Die drei Musketiere ritten hinter dem Kardinal, der seinen Mantel wieder vor das Gesicht hielt, sein Pferd in Trab setzte, und seinem Gefährten acht bis zehn Schritte weit voraus ritt. Man kam alsobald zu der stillen, einsamen Herberge. Der Wirt wußte sicher, welch ein erhabener Besuch kommen würde und schickte deshalb die Lästigen fort. Zehn Schritte vor dem Tore gab der Kardinal dem Stallmeister und den drei Musketieren ein Zeichen, anzuhalten; ein gesatteltes Pferd war da an dem Balken angebunden, der Kardinal klopfte dreimal auf eigentümliche Art. Es trat sogleich ein Mann, in einen Mantel gehüllt, hervor und wechselte schnell einige Worte mit dem Kardinal, wonach er sich auf das Pferd schwang und in der Richtung von Surgère, die auch die Richtung von Paris war, fortritt. „Vorwärts, meine Herren!“ rief der Kardinal. „Ihr habt wahr gesprochen, edle Männer,“ fuhr er fort, zu den Musketieren gewendet, „und es ist nicht meine Schuld, wenn unser Zusammentreffen an diesem Abend nicht vorteilhaft für Euch ist. Indes folgt mir.“ Der Kardinal stieg vom Pferde, die Musketiere taten desgleichen; der Kardinal warf den Zügel in die Hände seines Stallmeisters, die drei Musketiere banden ihre Pferde an den Balken. Der Wirt blieb an seiner Türschwelle; für ihn galt der Kardinal nur als Offizier. „Habt Ihr ein Zimmer im Erdgeschoß, wo mich diese Herren bei einem guten Feuer erwarten können?“ fragte der Kardinal. Der Wirt schloß eine Tür auf zu einer großen Stube, wo man eben einen guten Kamin an die Stelle eines schlechten Ofens setzte. „Da ist das Zimmer,“ sagte er. „Gut,“ entgegnete der Kardinal; „tretet ein, meine Herren, da harrt gefälligst meiner; ich bleibe nicht länger aus als eine halbe Stunde.“ Während die drei Musketiere in die Stube im Erdgeschoß eintraten, stieg der Kardinal, ohne weitere Auskunft zu begehren, über die Treppe, wie ein Mann, der es nicht nötig hat, daß ihm der Weg gezeigt werde.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die drei Musketiere