Schriftsteller und Dichter

Abschnitt. 4 - Schriftsteller und Dichter


Wie kriegsbereit sich auch die Juden an anderen Orten zeigten, geht aus folgendem merkwürdigen Vorfalle hervor. Die Darmstädtische Regierung hatte den jüdischen Untertanen den Vorschlag gemacht, sich durch eine Geldablösung von dem Heeresdienste zu befreien; ein jüdischer Bezirksvorsteher gab sich zum Handlanger dieser erbärmlichen Maßregel her. Dagegen richteten die Juden des Städtchens Geseke am 12. Mai 1814 einen flammenden Protest, aus dem hier einzelne Stellen mitgeteilt werden mögen:


,,Infolge der höchsten Verordnung vom 23. Januar ds. Jrs. haben wir uns gestellet und uns den Verrichtungen und sonstigen militärischen Dienstleistungen wie jeder brave Untertan ohne Murren gefügt. Wir müssen uns schämen, wenn wir als biedere Deutsche nunmehr zurücktreten und statt der Lanze, des Gewehres oder des Säbels das Hasenpanier wählen wollen. Wir sind nicht jene feigen Menschen, welche vielleicht der Vorsteher und andere sein mögen. Wir bleiben unserer Sache getreu und werden, wo es nötig wird, unser Vaterland mit Vergnügen mit unserem Blute verteidigen helfen. Wir müssen uns also diese höchste Gnade verbitten und sind überzeugt, daß Seine Königliche Hoheit, unser Großherzog, diesen Brudersinn nicht verkennen, sondern mit höchstem Wohlgefallen aufnehmen werde. Wir lassen uns daher auf den einseitig von dem Vorsteher gewagten Befreiungsvorschlag nicht ein, protestieren dagegen ausdrücklich mit der bestimmten Erklärung, daß wir nicht zahlen, sondern in Gemäßheit der vorergangenen Verordnung den einmal gewählten Militärstand nicht verlassen werden.“

Auch diejenigen unter den Juden, die nicht mittun konnten, sondern zuhause bleiben mußten, erhoben ihre Stimme für die heilige Sache. Freilich, es ist kein so vollständiger Chorus, wie in den späteren Kriegsperioden, aber die Juden waren ja, wie man immer bedenken muß erst seit wenigen Jahrzehnten der deutschen Bildung gewonnen; wenige Jahre vorher gestand der spätere Altmeister der Wissenschaft des Judentums, Leopold Zunz, daß er, der in Deutschland Geborene, erst in seinem 12. oder 13. Jahre das erste deutsche Buch gelesen habe.

Gewiß wurden während der glorreichen Siegeszeiten manche begeisterten Reden auch von Juden gehalten. Eine des Oberrabbiners Weyl wird später noch erwähnt. Ganz neuerdings ist auf eine Rede hingewiesen worden, die der interemistische Rabbiner L. J. Saalschütz am 19. April 1815 bei der Einweihung der Gemeindesynagoge und der damit verbundenen Weihe der jüdischen Kriegsfreiwilligen in Königsberg in Preußen gehalten hat. Es ist eine sehr patriotische Rede, in der es unter anderm heißt: ,,Wir, des Vaterlandes jüngste Kinder blieben im vorigen heiligen Kriege nicht zurück und aufs Neue zeigt sich unser kindlicher Sinn, unsere Anhänglichkeit, unsere Liebe zu unserem Vater durch die Bereitwilligkeit, Gut und Blut für das Vaterland, für unser Vaterland herzugeben“.

Bedeutender ist die Rede des Glogauer Oberrabbiners A. G. Tiktin, bei der Feier des Einzuges der Alliierten in Paris gehalten. Die Rede, hebräisch gesprochen, von der uns aber eine zeitgenössische deutsche Uebersetzung bekannt ist, wendet sich mit großer Entschiedenheit gegen den Thronräuber und preist den angestammten rechtmäßigen Throninhaber, zeichnet das Schreckbild des einen und das Lichtbild des andern und jubelt darüber, daß das letzte Auftreten des Schreckens und der Geißel Europas zu Schanden geworden ist.

Die großen Dichter der Befreiungskriege sind freilich Christen, aber eine Erwähnung verdient es doch, daß Körner, als er anfing, patriotisch zu dichten, zu Wien in einem wesentlich jüdischen Kreise lebte und verkehrte, zu dem die schöne Marianne Saaling und die jüdischen Frauen Eskeles und Arnstein gehören. Demselben Kreise, in dem auch einige Jahre später während des Wiener Kongresses der gleichfalls patriotische Dichter F. A. Stägemann seine besten Stunden verdankte, und auch für seine vaterländischen Gedichte feurige und begeisterte Zuhörerinnen fand.

Auch einzelne jüdische Schriftsteller und Dichter können aufgezählt werden, die mit Worten wirkten, da es ihnen mit dem Schwerte dreinzuschlagen versagt war. Wenn man die Bogen durchmustert, auf denen in Gödekes Grundriß Bd. 8 die Literatur der Jahre 1813-15 verzeichnet ist, so begegnet man freilich nur einem, dessen Namen die Zugehörigkeit zum Judentum zu bekunden scheint, nämlich S. H. Friedländer, Volks- und Jägerlieder im Frühling 1813, Berlin, auf Kosten des Verfassers 1813.

Aber Börne, Heine, Robert, Beer dürfen als Zeugen angeführt werden.

Ludwig Börne, damals noch Louis Baruch geheißen, den man mit Unrecht einen Französling genannt hat, war im Herzen stets ein guter Deutscher, einer der wenigen, die in jener Zeit Preußens Führerrolle für Deutschland ahnten und wünschten. Damals war er seit 1812 Beamter des Großherzogtums Frankfurt und hatte nicht viel Zeit zu schriftstellern; eine Zeitlang aber arbeitete er an der Zeitung der Stadt Frankfurt mit. Sein einziger Artikel, der sich bestimmt nachweisen läßt, ,,Was wir wollen“ (Neue kritische Ausgabe Bd. I S. 140 ff.) ist ein Zeugnis hochgesteigerter nationaler Empfindung. Der Verfasser gibt darin ein schönes Programm für Männer, Frauen und Kinder, weist ihnen ihre Tätigkeit an in den Kriegszeiten und für die kommenden Jahre des Friedens, und spricht als sein Programm und als das seiner gleichdenkenden Glaubensgenossen aus:

,,Wir wollen freie Deutsche sein, frei in unserm Hasse, frei in unsrer Liebe. Mit dem Leibe nicht, nicht mit dem Herzen einem fremden Volke ergeben. Tyrannei verwundet und kann nur töten; aber die Lust, die schmeichelnde, vergiftet und versiecht, jene lähmt die Kraft, diese auch den Willen. Wir wollen frei sein, nicht jenen Inselbewohnern untertan, die uns bereichern und entnerven. ...

Wir wollen freie Deutsche sein und damit wir es bleiben, über sklavische willenlose Völker auch nicht herrschen. Mögen jene Knaben sich mit den Scherben ihres zerbrochenen Ruhms ergötzen, wir wollen ihr Spiel nicht teilen und nicht stören, wir wollen es belächeln und verachten. ...

Wir wollen Deutsche sein, ernsten ruhigen Sinns, nicht in dumpfer Gefühllosigkeit auf dem Bauche kriechen, nicht mit wächsernen Flügeln in das Reich der Sonne steigen. Wir wollen stark sein, der Gebieter in seiner Macht, im Gehorchen der Bürger. ...

Abschnitt. 4 - Schriftsteller und Dichter


Auch Heinrich Heine hat trotz seiner damaligen und späteren glühenden Begeisterung für Napoleon den Freiheitskämpfen nicht teilnahmslos ferngestanden, vielmehr ergriff der sechzehnjährige bald nach der Schlacht bei Bellealliance das Wort. Die Echtheit dieses Gedichtes ist freilich von manchem angezweifelt worden, da es nicht in Heines Handschrift, sondern nur in einem Abdruck des berüchtigten Fälschers Steinmann vorliegt. Das Gedicht ist erfüllt von wahrem Patriotismus.

,,Und des Trugs Altäre wanken,
Stürzen ein im grausen Schlund.
Alle Deutschen Herzen danken;
Frei ist deutscher heilger Grund.

Siehst du’s lodern hoch vom Berge?
Sag, was deut die Flamme wild?
’S deut dies Feuer auf dem Berge
Deutschlands reines starkes Bild.

Aus der Sünde Nacht enttauchet,
Stehet Deutschland unversehrt;
Noch die dumpfe Stelle rauchet,
Wo die schönre Form entgährt . . .
Alte Sitte, alte Tugend,
Und der alte Heldenmut.
Schwerter schwinget Deutschlands Jugend;
Hermanns Enkel scheut kein Blut ....

Deutschlands Töchter wie Luise
Deutschlands Söhne Friedrich gleich.
Hör im Grabe mich Luise,
Herrlich blüh das deutsche Reich.

Ein dritter, Ludwig Robert, allerdings früh zum Christentum übergegangen, veröffentlichte 1817 einen Gedichtzyklus ,,Kämpfe der Zeit“. Über dies sehr selten gewordene Gedicht drückt sich Karl Gödeke folgendermaßen aus: ,,Es sind lang ausgesponnene lyrische Gedichte, meist in freien Rühmen, voll ehrenhafter patriotischer Gesinnung, voll entschiedner Feindseligkeit gegen Napoleon, gedankenreich, nur ohne irgend einen ergreifenden lyrischen Ton. Er will in diesem Gedicht auf der einen Seite die Masse der Nationen von dem Vernunftsinstinkt geleitet darstellen, auf der andern nur einen einzigen Vertreter thronend auf sich selbst zerstörender selbstischer Klugheit, Willenskraft und Genialität.“

Als vierter und letzter darf Michael Beer hier angeführt werden, obgleich er, 1800 geboren, für die Zeit der Befreiungskriege nicht völlig in Betracht kommt. Doch wird man ihn nicht unerwähnt lassen können, weil er eben zu jenen Juden gehörte, die groß geworden in den Zeiten der politischen Erregung, sich bei aller Anhänglichkeit an den väterlichen Glauben als Deutsche zu fühlen gelernt hatten. Freilich seine Lieder - der schwächste Teil seiner poetischen Leistungen - sind fast ausschließlich der Kunst und der Liebe gewidmet. Und doch findet sich in ihnen Einzelnes, das die Stimmung jener Zeit wiederspiegelt. Da ist zunächst eine große, nicht leicht verständliche Vision zu erwähnen, ,,Des Kaisers Traum“, in dem ebensowenig von dem Napoleonkultus wie von jenem grimmen Haß gegen den Tyrannen zu spüren ist, der die Freiheitskämpfer erfüllt hatte, sondern ein gewisses Mitgefühl mit dem Einsamen, der in Trauer seine späten Tage verleben mußte. In einem andern Gedichte ,,Kaiser Karls Wanderung“ findet sich die bei den Zeitgenossen so übliche Erinnerung an Kaiser Karl und das Verlangen nach einem neuen Kaiser, der machtvoll über das neue Deutschland herrschen solle mit dem wehmütigen Schluß:

Und ruft: Ich suchte mein Deutschland,
Und find’ es nirgends mehr.
Drauf legt er wieder ins Grab sich
Und träumt von Sorgen schwer.

Und endlich ein anderes Gefühl, das gerade unter den deutschen Juden in der Zeit nach dem Befreiungskriege allgemein verbreitet war, das der Fremdheit im eigenen Lande, die Empfindung, daß die Juden trotz aller Hingabe an das Vaterland, trotz des Verlangens Deutsche mit Deutschen zu sein, zurückgestoßen wurden. Wie Michael Beer in seinem ,,Paria“ dies herzzerreißende Weh, das die besten Kräfte zerstörte, zu so hochpoetischem Ausdruck gebracht hat, so kehrt dieser bohrende Schmerz auch in seinen Gedichten wieder. Man könnte vielleicht das folgende dreistrophige Gedicht auf eine Geliebte deuten und ihm die Erklärung geben, der in der Fremde lebende Dichter - Beer hat lange Zeit in Paris zugebracht - denke an seine Heimat, aber man geht wohl nicht fehl, wenn man den Versen, namentlich wegen der Überschrift „Barbarus. Hic ego sum“ eine vaterländische Erklärung gibt.

Keiner weiß hier, was mir fehlet,
Keiner, was mich hoch entzückt.
Wenn mich’s still im Busen quälet,
Wenn mein Auge fröhlich blickt.
Keiner ahnt’s mit Freundes Sinn,
Weil ich hier ein Fremder bin.

Wenn die Augen spät sich schließen
Uu des Schlummers karger Ruh,
Wenn die bittern Tränen fließen,
Keiner fragte Was weinest du?
Gramvoll flieht mein Leben hin,
Weil ich hier ein Fremder bin.

Und die Holde, der dies Sehnen,
All mein Leben zugehört,
Spottet meiner stillen Tränen
Und der Qual, die mich verzehrt.
Kehrt sich ab mit fremden Sinn,
Weil ich hier ein Fremder bin.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die deutschen Juden und der Krieg