Im Kampf für die Befreiung Deutschlands

Auch eines anderen Umstandes muß man gedenken, der das Herandrängen jüdischer Jünglinge zu den Fahnen besonders bemerkenswert machte. Gewiß war der große Krieg zunächst ein Kampf für die Befreiung Deutschlands, oder sagen wir lieber Preußens, da ja die mittel- und süddeutschen Staaten im Jahre 1813 noch völlig zur Gefolgschaft der Franzosen gehörten, aber er war auch ein Kampf gegen Napoleon. Dieser jedoch war derjenige, der als erster in Europa den Juden die Freiheit gewährt hatte. Sie waren daher überall gewohnt, ihn als ihren Beschützer anzusehen und die Wendung gegen ihn bedeutet einen großen Akt des Heroismus.
Die Beteiligung wird aber geradezu staunenswert, wenn man bedenkt, daß bis 1812 eine Verwendung der Juden zum Heeresdienst gänzlich ausgeschlossen gewesen war; daß ferner bei den ungebildeten Juden sich das Ungeheure des neuen Pflichtenkreises erst allmählich Bahn brach und auch die Behörden zunächst gar nicht wussten, was sie mit den Juden anfangen sollten. Noch am 1. April 1813 frug der Staatsrat Lecoq bei der kurmärkischen Regierung an: „ob nicht die Jünglinge des jüdischen Glaubens von 17-24 Jahren mit zur Rekrutierung gezogen werden können.“ Ferner ist es bedeutsam, daß wirklich ausgehoben, also einem Befehle folgend, nur 80 Juden wurden, alle übrigen sich also freiwillig zum Dienste stellten.

Unter den von Philippson zusammengestellten Freiwilligen befanden sich Gymnasiasten, Studenten, Handwerker, Kaufleute, Apotheker, Lehrer, Aerzte. Sehr viele davon wurden verwundet, andere gefangen, gar mancher erlitt den Tod. Von den Teilnehmern wurden mit dem eisernen Kreuz 72 ausgezeichnet, einzelne auch mit dem russischen St. Georg-Orden. Befördert wurden zum Bataillonstambour 1, zum Sergant 1, zu Unteroffizieren 19, zu Oberjäger 4, zu Feldwebeln und Wachtmeistern je 2, zum Fähnrich 1, zu Sekondeleutnants 20, zu Premierleutnants 3, und zum Regimentsarzt 1 Jude. Auch diese Zahl dürfte noch mannigfacher Ergänzung bedürfen. So zählte Philippson unter den Freiwilligen nur 2 Ärzte auf, er selbst aber nennt an anderer Stelle eine ziemliche Anzahl anderer Ärzte und bringt ein Zeugnis des christlichen Schriftstellers Buchholz bei, das so lautet: „Tatsache ist, daß jüdische Ärzte und Wundärzte ihr Leben den Gefahren der Hospitäler aussetzten und als heilige Opfer fielen.“


Eine von diesen abweichende Notiz ist die, daß in der Schlacht von Bellealliance 55 jüdische Offiziere der Landwehr gefallen seien. Sie stützt sich auf eine Angabe von M. Fränkel aus dem Jahre 1815, der seinerseits eine offizielle Mitteilung einer Berliner Zeitung als Quelle angibt, - eine solche hat sich aber bisher nicht finden lassen. Die Angabe ist vielfach wiederholt worden unter anderem in einem Gedichte M. M. Haarbleichers 1865 bei der Feier der fünfzigsten Wiederkehr der Schlacht bei Bellealliance.

Das allgemeine Urteil der kompetenten Behörden lautet durchaus übereinstimmend mit den Worten Hardenbergs, die schon früher angeführt worden sind. So heißt es in einer Denkschrift, die von der preußischen Regierung auf Grund von Ermittlungen des Kriegsministeriums 1847 ausgearbeitet und dem vereinigten Landtag vorgelegt wurde, folgendermaßen:

,,Über das Verhalten der Juden im Kriege haben die Ermittelungen des Kriegsministeriums zu keinem Resultat von der wünschenswerten Vollständigkeit geführt, indem beim 1., 7. und 8. Armeekorps und bei der Artillerie wegen Mangels der Listen die Zahl der jüdischen Soldaten in den Kriegsjahren nicht auszumitteln gewesen ist, bei den Pionieren aber kein Jude den Feldzug mitgemacht hat; auch beim 4., 6. und 8. Armeekorps und bei der Artillerie in Ermangelung der erforderlichen Notizen keine Auskunft über ihre Führung hat erteilt werden können.

,,Indessen hat sich doch ergeben, daß beim 2., 3. und 5. Armeekorps etwa je 40 Mann, beim 6. 60 Mann, beim 4. 80 Mann jüdischen Glaubens gedient haben, und es ist besonders angeführt, daß sie beim 2. und 3. Armeekorps fast sämtlich resp. größtenteils, beim 5. Armeekorps wenigstens die Hälfte, beim 4. Armeekorps, unter den überhaupt 80 Mann 2 Mann als freiwillige Jäger eingetreten sind, während beim 1. Armeekorps, obschon die Listen fehlen, doch als feststehend bezeichnet wird, daß sich im Kriege mehr Freiwillige als im Frieden gemeldet haben. Ihre Führung im Kriege wird beim 2. und 3. Armeekorps als gut bezeichnet, und beim letzteren wie beim 2. Armeekorps wird anerkannt, daß sie zum Teil mit besonderer Auszeichnung gedient haben, wie denn auch beim 7. Armeekorps ihnen das Zeugnis gegeben wird, sich dem Feinde gegenüber sehr brav benommen zu haben; und vom Generalkommando des 1. Armeekorps angeführt ist, daß ihre im Kriege geleisteten Dienste gelobt würden.“

Die amtliche Denkschrift kommt infolgedessen zu dem Resultat, das in den Worten formuliert wird. ,,Faßt man den Inhalt dieser Ermittelungen zusammen, so darf man als erfahrungsmäßiges Resultat annehmen, daß die Juden des preußischen Heeres von den Soldaten der christlichen Bevölkerung im allgemeinen nicht erkennbar unterschieden sind, daß sie im Kriege gleich den übrigen Preußen sich bewährt, im Frieden den übrigen Truppen nicht nachgestanden haben, insbesondere die jüdischen Religionsverhältnisse nirgends als ein Hindernis beim Kriegsdienste hervorgetreten sind.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die deutschen Juden und der Krieg