Der teure Name ,,Vaterland“ .

Es dauerte nicht lange, so hatten die Juden die Pflicht zu üben, als Soldaten tätig zu sein. Schon vorher hatten manche deutsche Juden unter den Fahnen Napoleons an den Feldzügen teilgenommen und sich, wenn auch nicht hervorragend ausgezeichnet, doch pflichtmäßig bewährt; sie haben interessante Schilderungen ihrer Tätigkeit hinterlassen, die neuerdings zu allgemeiner Kenntnis gelangt sind. Im Jahre 1813 begann die Erhebung gegen Frankreich, die nach zuerst wechselnden, dann nach glänzenden Erfolgen zur Befreiung des Vaterlandes führte. Die Juden kamen ihrer Pflicht in hervorragender Weise nach.

Von dem gewaltigen Umschwung in den Gemütern kann sich der Nachgeborene kaum eine Vorstellung machen. Mit einem Schlage waren Tausende von Jünglingen und Männern, die den Begriff des Vaterlandes bisher nicht gekannt hatten und nicht kennen konnten, gleichberechtigte Bürger geworden. Sie, die man bisher Fremde gescholten, mit allerlei Unnamen belegt, aus allen Gesellschaften ausgeschlossen, die Schwere helotenartigen Joches hatte fühlen lassen, und in denen man damit die Sehnsucht nach ihrer früheren Heimat erweckt hatte, durften sich nun ebenbürtig mit anderen fühlen und den teuren Namen ,,Vaterland“ aussprechen. Bisher hatten sie nur entehrende Pflichten gekannt: sie hatten schmeicheln, sich bücken, kriechen, und vor allen Dingen - zahlen müssen. Jetzt lernten sie zum ersten Male Rechte kennen, mit denen freiwillig übernommene Pflichten verbunden waren. Und diese Pflicht, dem Vaterlande zu helfen, und ihm zu dienen, beanspruchten sie nun als ein köstliches Recht.


Die zu Hause Gebliebenen spendeten in reichem Maße. Rahel Levin schrieb schon 20. April 1813: ,,Die Juden geben, was sie nur besitzen; an die wandte ich mein Geschrei zuerst.“ In den Gabenlisten stehen die Juden obenan. Jeder gab wirklich nach seinem Vermögen. Um von solchen Gaben einen kleinen Begriff zu erhalten, seien die nachstehenden Zahlen angeführt, zu deren Beurteilung zu bedenken ist, wie ausgesogen das Land nach den furchtbaren Zeiten war, die es durchgemacht hatte. Die Ressource der jüdischen Kaufmannschaft in Berlin gab überhaupt die erste patriotische Spende: 700 Thaler. Die Gesellschaft der Freunde in Berlin sammelte 863 Thaler, zur Bewaffnung freiwilliger Krieger. In Breslau brachte ein besonders zu diesem Zwecke errichteter Verein jüdischer Bürger die höchst beträchtliche Summe von 5079 Thalern ein. Als die Franzosen noch in Berlin waren, am 11. Februar 1813, spendete R. S. Gumpertz 300 Thaler zur Equipierung unvermögender Freiwilliger und erhielt für diesen ,,tätigen Beweis patriotischer Gesinnung“ ein offizielles Dankschreiben. Aus der Vossischen Leitung jener Tage läßt sich eine große Anzahl Gaben zusammenstellen, wie J. Levy dies getan hat. Besonders rührend ist es, daß Frauen und Männer silberne Gabeln, Messer und Löffel, daß ein Schlächter seinen goldenen Trauring beisteuerte, daß Kinder ihre Sparbüchsen leerten, daß nach einer religiösen Andacht in der Synagoge eine ziemliche Kollekte zustande kam.

Als Helferinnen in Hospitälern, durch mildtätige Werke zeichneten sich jüdische Frauen aus. Auch Männer beteiligten sich an derartigen Liebeswerken: der jüdische Hospitalverpfleger Sandheim in Mannheim wird in der Schrift eines Christen besonders wegen seiner Tätigkeit gerühmt.

Aber besonders stark war der Andrang jüdischer Freiwilliger und die Beteiligung solcher, die dem Rufe des Königs folgten. Die Frankfurter Juden erinnerten den Freiherrn v. Stein später an die Beteiligung ihrer Söhne; in der Marienkirche zu Lübeck werden Namen jüdischer Krieger neben denen christlicher verzeichnet; der Todesmut des jüdischen Freiwilligen Hilsbach aus Breslau, der sich unter den Augen des Königs mit Wunden bedeckt dem Feinde entgegenwarf, wird sogar von einem Judenfeinde gerühmt. Julius v. Voß, dem man gewiß keine philosemitische Tendenz zuschreiben darf, bekannte später. ,,Wenn jener Zeit die reichsten jüdischen Wechsler zu Berlin ihre Söhne unter die Waffen stellten, - nicht etwa suchten sie mit Geld sich dessen zu entheben, wie ihre Frauen zu den Vereinen traten, den verwundeten Schwestern Hilfe brachten, die Spitäler täglich besuchten, worin der ansteckende Typhus herrschte.“ Der Staatskanzler Hardenberg schrieb am 4. Januar 1815: ,,Die jungen Männer jüdischen Glaubens sind die Waffengefährten ihrer Mitbürger gewesen und wir haben unter ihnen Beispiele des wahren Heldenmutes und der rühmlichen Verachtung der Todesgefahr aufzuweisen, sowie die Einwohner Berlins namentlich auch die Frauen, in Opfern jeder Art sich den Christen angeschlossen haben.“ Ein deutliches Bild des wirklichen Enthusiasmus’ jüdischer Jünglinge gibt der Major Meno Burg, von dem noch später die Rede sein muß:

,,Es ist weltbekannt, mit welchem außerordentlichen Enthusiasmus der Aufruf des Königs vom 9. Februar 1813 von der preußischen Jugend aufgenommen wurde, wie er die ganze Nation ohne Unterschied des Glaubens und des Standes mit sich fortriß zu einer in der Geschichte beispiellosen Hingebung und Tatkraft erhob und mit welcher seltenen Begeisterung die entflammten Jünglinge den angewiesenen Sammelplätzen zueilten, um mit dem Heere vereint Preußens Freiheit und Wiedergeburt zu erkämpfen. Ich blieb natürlich nicht zurück . . . Wir waren über 200 Jünglinge, die an diesem Tage nach Breslau abreisten. Es war rührend und erhebend, den Abschied dieser begeisterten jungen Männer vor der Post von ihren Vätern, Müttern, Geschwistern und Verwandten mit anzusehen. Es war großartig und herzergreifend, mit welcher Zuversicht, mit welchem Mut und mit welchem Enthusiasmus sich die Jünglinge den Armen ihrer weinenden Angehörigen entrissen und die offenen Wagen bestiegen, wie sie alsdann beim Abfahren dieses langen Zuges die Mützen hoch in die Luft schwingend Preußen, ihrem teuren Vaterlande ein Lebehoch und den Zurückgelassenen ein vielbedeutendes Lebewohl zuriefen und wie wir von diesen segnend entlassen wurden. Es war eine große mächtige Zeit, noch heute nach 34 Jahren steht dieser Abschied lebhaft und ergreifend vor meiner Seele, noch ist der tiefe Eindruck nicht erloschen, den die damals alles beherrschende Vaterlandsliebe, voller Poesie und Hingebung in mir erzeugten.“

Nach Philippsons Zusammenstellung von Namen haben im Jahre 1813-14 392, im Jahre 1815 101 Juden als Freiwillige am Kriege teilgenommen, zusammen 493. Nach den Ermittlungen des Kriegsministeriums sogar 561, nach anderen Angaben sogar 731 Juden. Diese Zahlen erlangen erst ihre rechte Bedeutung, wenn man die Bevölkerungsziffern erwägt. In der Bevölkerung nämlich machen die Juden 0,6% aus, im Heere dagegen 0,35 also eine gewiß stattliche Zahl. Aber sie ist wohl noch größer anzunehmen, weil gar manche - aus welchen Gründen, mag dahingestellt bleiben - ihre Glaubens-Zugehörigkeit verschwiegen, andere wahrscheinlich ungefragt, in den übrigen sehr unvollständigen Listen, als evangelisch bezeichnet wurden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die deutschen Juden und der Krieg