Die deutsche überseeische Auswanderung seit 1871 ... - Geschichtlicher Überblick 15)

Ein volkswirtschaftlicher Beitrag zur Geschichte der deutschen Auswanderung.
Autor: Josephy, Fritz Dr. (?-?), Erscheinungsjahr: 1912
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Auswanderung, Auswanderer, Deutschland, Amerika, USA, Vereinigte Staaten, Auswanderungsschiffe, Auswanderungshäfen, Auswanderungsländer, Auswanderungsgründe, Auswanderungsagenten
„Deutschland, die große Kinderstube der Welt."
(L'Allemagne c'est une pépinière d'hommes.)

Wem wäre dieses in der internationalen Literatur viel gebrauchte Wort, wem zum wenigsten nicht die Tatsache als solche bekannt?

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Schon der alte Chronist Sebastian Franck aus dem 16. Jahrhundert suchte dieser hohen Fruchtbarkeit des deutschen Volkes scherzhaften Ausdruck zu verleihen, wenn er sagte: „Es ist nichts denn Kind über Kind in Deutschland, sonderlich in Schwaben. Schwäbinnen kommen zweimal im Jahre nieder." Manches hat sich seitdem ja in Deutschland geändert. Doch auch noch heutzutage zeichnet sich das deutsche Volk durch eine relativ hohe Geburtenzahl aus, während es gleichzeitig der mächtig aufstrebenden Hygiene und sozialen Fürsorge in jüngster Zeit gelungen ist, die Sterbeziffer mehr und mehr herabzusetzen. So hat die Bevölkerung seit 1871 um über 24 Millionen zugenommen. 1871 betrug die deutsche Bevölkerung 40.818.000, 1910 64.903.000. Diese hohe Fruchtbarkeit der Deutschen in Verbindung mit den oft harten Existenzbedingungen, die teils durch die natürlichen, teils durch die besonderen religiösen, politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse herbeigeführt waren, hat in alter Zeit unzweifelhaft zu jenem starken Expansionstrieb derselben geführt. Sie ist vielleicht eine der Hauptwurzeln jenes urgermanischen Wandertriebes, von dem schon Tacitus zu berichten weiß, und der dahin führte, dass die Deutschen sich fast über alle Länder verbreiteten, und so gewissermaßen zum „Kulturdünger" der Erde wurden 16 ).

15) Aus der umfangreichen Literatur vgl. insbesondere Helmolt, Weltgeschichte, 9. Bd. — Kapp, Geschichte der deutschen Einwanderung in Amerika, 1. Bd., 1869. — Häberle, Die Auswanderung und Koloniegründungen der Pfälzer im 18. Jahrhundert, Kaiserslautern 1909 und die dort zitierte reichhaltige Literatur. — Handbuch des Deutschtums im Auslande, mit Einleitung von Paulsen. Herausgegeben vom Allgemeinen Deutschen Schulverein zur Erhaltung des Deutschtums im Auslande. Berlin 1904.
16) Kaiser Wilhelm II. hat das deutsche Volk einmal „Das Salz der Erde" genannt. Helmolt a. a. O. S. 213.


Später allerdings trat bei diesen Wanderungen der eigene Wandertrieb oft mehr und mehr in den Hintergrund, und man entschloss sich nicht selten schweren Herzens, oft erst einem Machtspruch des Territorialfürsten entsprechend, den heimatlichen Boden zu verlassen.

Bei dem Versuche, die Geschichte aller dieser bald freiwilligen, bald unfreiwilligen Wanderungen bis zu ihrem historischen Ausgangspunkte zurück zu verfolgen, dürfen wir nicht weiter als bis ins 4.-6. Jahrhundert n. Chr. zurückgreifen, bis auf jene Zeit der großen Völkerwanderungen in Europa, die erst unter Karl dem Großen zum völligen Abschluss gelangten 17).

Um das Jahr 450 nahmen die Sachsen und Friesen als Eroberer Besitz von einem großen Teil der britannischen Insel, und schon um das Jahr 1000, also längst vor der eigentlichen Entdeckung Amerikas durch Kolumbus, soll Leif, ein Sohn des Normannenkönigs Eriks des Roten, der schon auf Grönland eine Ansiedlung gegründet hatte, zusammen mit seinem Jugendgespielen, dem deutschen Tyrker, als erster Europäer auf Heluland, d. i. Steinland (dem heutigen Baffinsland), den Boden der neuen Welt betreten haben. Doch zu einer eigentlichen Ansiedlung kam es vorerst noch nicht, so dass diese erste normannische Auffindung Amerikas für Europa keine nachhaltige Bedeutung erlangte.

Eine starke Anregung fand dann die Auswanderung im Anschluss an die Kreuzzüge. Mehr noch als nüchterne wirtschaftliche Erwägungen war hier ein gewisser in der engen Heimat nicht zu stillender Drang nach Abenteuern, die ureigentliche Triebkraft. Aber auch er hatte das Gute, dass manche verloren gegangene Verbindung mit dem Orient wiederhergestellt wurde und die alte und die neue Kultur befruchtend aufeinander wirken konnten. Die ungeahnte Pracht des Orients wirkte wunderbar anregend auf die Phantasie, die sich zu jener Zeit natürlich weit mehr im Reiche der Taten als im Reiche der Ideen auszuleben strebte.

17) Wir lassen hier die vorchristlichen Wanderungen deutscher Stämme, so der Ost- und Westgermanen, Kimbern, Teutonen usw. aus ihren ältesten geschichtlich beglaubigten Wohnsitzen zwischen Ostsee und Sudeten, Weichsel und Elbe, unberücksichtigt, da diese Wanderungen als rein kontinentale nicht in das Gebiet dieses Themas fallen. Vgl. hierüber Helmolt a. a. O. S. 213 ff.

Nach jener ersten Landung der Normannen im 10. Jahrhundert war die Auswanderung nach dem neuentdeckten Kontinent wieder ins Stocken geraten und erst seit der eigentlichen Entdeckung Amerikas durch den Genuesen Christoph Kolumbus (12. Oktober 1492) gingen gegen Ende des 15. Jahrhunderts, angelockt von den fabelhaften Reiseberichten und Gefahren, Abenteuern und ungeheuren Schätzen auch viele wanderlustige unternehmende deutsche Männer als Artilleristen, Büchsenschützen, Landsknechte, als Matrosen und Steuerleute, zum Teil auch schon als Angestellte großer Handelshäuser (Martin Beheim) auf spanischen und portugiesischen Schiffen übers Meer, um sich in fremden Diensten Ehre und Ruhm zu erwerben, d. h., um einen landläufigen Ausdruck zu gebrauchen, um Ihr Glück zu machen. Doch können diese Elemente noch nicht als Auswanderer im heutigen Sinne angesehen werden, wohl aber als Vorläufer derselben, zumal sie nach ihrer Rückkehr in die alte Heimat, durch den äußeren Glanz ihres Auftretens und durch die Erzählung fabelhafter Erlebnisse in vielen ihrer Landsleute das Verlangen erweckten, gleich ihnen in der Fremde ihr Glück zu suchen.

Die ersten Ansiedler in Nordamerika waren nachweislich 1562 hessische und elsässische Protestanten in Port Royal (Süd-Karolina). Bei der Kolonisation von Virginien (1607 — 1609) wirkten gleichfalls Deutsche mit. Im 17. Jahrhundert treffen wir unter Holländern, Schweden und Engländern auch einzelne kühne deutsche Abenteurer an. Bereits im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts werden deutsche Einwanderer in Britisch-Nordamerika nachgewiesen. Es finden sich deutsche Bauern und Handwerker dort ein, von denen die meisten aus den Rheingegenden und aus Niederdeutschland stammten. Sie waren einerseits durch religiöse Bedrückung, andererseits durch die Wirtschaftskrise von 1603 vertrieben worden. Einige Jähre darauf trafen Weitere Deutsche in der Kolonie Neu-Niederland ein, die 1614 von den Holländern an der Mündung des Hudson gegründet worden war. Der Bedeutendste unter ihnen war Peter Minnewit aus Wesel, ein Geschäftsmann von weitem Blick und seltener Tatkraft. 1626 kaufte er von den Indianern um 60 holländische Gulden die Insel Manhattan und errichtete darauf eine kleine Festung, Neu-Amsterdam, aus der sich später die heutige Weltstadt New York entwickelte.

Die erste große geschlossene überseeische Auswanderung nach Amerika, die gleichzeitig zu einer dauernden Niederlassung Deutscher in der neuen Welt führte und die Grundlage zu einem selbständigen amerikanischen Deutschtum legte, erfolgte ebenfalls erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts. Um diese Zeit hatte sich in Pennsylvanien der Quäker William Penn niedergelassen. Es war ihm nämlich vom englischen König 1681 das weite und fruchtbare Gebiet als Entschädigung für bezahlte Kriegsvorschüsse überlassen worden. Um nun das Land zu besiedeln, wandte er sich hauptsächlich nach Deutschland, das er schon früher bereist hatte. In Frankfurt am Main lernte er Anhänger des bekannten Predigers Jakob Spener kennen, die um ihres Glaubens willen lebhafte Anfeindungen zu erdulden hatten. Diese nahmen seine Einladung, hinüberzukommen, bereitwillig an, weil sie dort ungestört ihren Religionskultus ausüben konnten. 1682 gründeten sie die Frankfurter Gesellschaft, welche alsdann 25 000 Acker für die Besiedlung geeigneten Landes in Pennsylvanien ankaufte; sodann schickte die Gesellschaft den Rechtsgelehrten Dr. Franz Daniel Pastorius, einen Mann von seltener Redlichkeit und Uneigennützigkeit (aus Sondershausen, Thüringen), mit dem Auftrage nach Philadelphia, von dem gekauften Lande Besitz zu ergreifen. Pastorius landete am 20. August 1683 mit dem Schiffe „Concord" und in Begleitung von 4 Knechten und 2 Mägden in Philadelphia. Dort fand er bei dem Quäker William Penn gastfreundliche Aufnahme. Am 6. Oktober folgten ihm dann 13 meist der Quäkersekte angehörige Leineweber-Familien aus Krefeld. Die Neuankömmlinge gründeten 2 Stunden von Philadelphia entfernt Kriesheim (Germanopolis), das spätere Germantown (ein Stadtteil der heutigen Stadt Philadelphia) 18). Dies war die erste deutsche Kolonie in der Neuen Welt, die nun rasch emporblühte und sich erweiterte.

Dem ersten Ansiedler folgten zahlreiche Landsleute nach, besonders Quäker, Mennoniten und andere in ihrer Heimat um ihres Glaubens willen verfolgte Sekten. Auch einzelne abenteuerdurstige Elemente, die auf eigene Faust ihr Glück versuchten, wandten sich dorthin.

Diese Einwanderung ist gerade insofern auch von besonderem Interesse für uns, als sie im Gegensatze zu jener ersten Normannenlandung, im Gegensatz auch zu mancher späteren Einwanderung, die mehr von abenteuerlicher, kühner Unternehmungslust und vom Erwerbstrieb veranlasst war, vorzugsweise aus religiösen Gründen erfolgte.

Die bald nach der Landung sich vollziehende Gründung der später auch geschichtlich berühmt gewordenen Stadt Germantown erfolgte mit dem ausgesprochenen Zwecke, den um ihres Glaubens wegen in Deutschland verfolgten Sekten ein Asyl zu eröffnen. Die unmittelbare Folge dieser Gründung war, dass in den nächsten vier Jahrzehnten sich mehr als 50.000 Deutsche, vor allem Pfälzer, Württemberger, auch Schweizer, zumeist gleichfalls um ihres Glaubens willen verfolgte Sekten, nach Amerika wandten. Dazu; trug besonders eine ausführliche Beschreibung Pennsylvaniens durch Pastorius aus dem Jahre 1700 bei, der in glänzenden Farben seine Reiseerlebnisse, die kommerziellen Verhältnisse des Landes, seine Fruchtbarkeit, das Recht der Selbstverwaltung, die weitgehende religiöse Duldung schilderte. Durch sie wurde in Deutschland das lebhafteste Interesse für die überseeische Auswanderung erweckt. Das gleiche erreichte eine Schrift von Gabriel Thomas und eine Auskunftserteilung von Daniel Falkner. Diese Auswanderer riefen in Pennsylvanien, Maryland und Virginien ein amerikanisches „Klein-Deutschland" ins Leben, das heute noch diesen Namen führt. Viele unter ihnen, so die 13.000—15.000 Pfälzer 19) in den Jahren 1709—1711, gingen, noch besonders angeregt durch Flugschriften und Bücher englischer Spekulanten, die ihnen, wie z. B. „das goldene Buch" 20), die Vorteile der Auswanderung in den blühendsten Farben schilderten, über das Meer, um sich so dem Elende ihrer durch andauernde Kriege und Missernten verwüsteten Heimat zu entziehen 21).

18) Es wurde 1854 als 22. Bezirk der Stadt Philadelphia eingemeindet.
19) Über diese Auswanderung aus der Pfalz vgl. besonders Häberle a. a. O. S. 39 ff.
20) Es war ein mit dem Bilde der Königin Anna geschmücktes und mit einem mit Gold gedruckten Titelblatt versehenes Heft, das blendende Schilderungen von den natürlichen Reichtumsquellen und der Schönheit Nord-Karolinas enthielt. Es verfolgte den Zweck, das mit den heimatlichen Verhältnissen unzufriedene Landvolk nach England zu locken, um es von hier aus nach Amerika hinüberzubefördern.
21) Friedrich Kapp charakterisiert in seiner „Geschichte der deutschen Einwanderung in Amerika" (Leipzig 1868) diese Einwanderung der Pfälzer folgendermaßen: „Der Charakter dieser Einwanderung ist Wehmut. Verzagtheit und duldende Ergebung. Sie retteten kaum das nackte Leben über den Ozean und sind sogar dafür dem Himmel noch dankbar, Psalmen und geistliche Lieder singend, ziehen sie (die Auswanderer) aus der Heimat, . . . Zum Abschied zünden ihnen die Franzosen die Felder und Dörfer an. . . ; aber sie haben kaum mehr die Kraft zu einem Fluche gegen ihre Dränger, zum Hasse gegen ihre heimischen Peiniger. Vertrieben aus ihrer Heimat, schutzlos den Misshandlungen des Auslandes preisgegeben, eine Beute der Seelenverkäufer in Holland und England, eilen diese Unglücklichen von dannen, um nur den rohesten Bedrückungen daheim zu entgehen. In Amerika angekommen, treten sie meist in eine neue Knechtschaft, die sogar nahe an Sklaverei grenzt. Sie wollen nur nicht bis aufs Blut ausgesogen sein. Ein Paar Hufen Landes sind das höchste Ziel ihres Ehrgeizes. Dementsprechend kann sich die deutsche Einwanderung auch nur in die bereits bestehenden Verhältnisse einschieben und keine selbständige Stellung einnehmen . . . Deutschland — so hart es heutzutage dem Nationalstolz klingen mag, nimmt im vorigen (sc. 18.) Jahrhundert Amerika gegenüber eine Stellung ein, in welcher China gegenwärtig zu Kuba steht; es lieferte den englischen Kolonien bloß Hände zur Arbeit. Die deutschen Auswanderer sind die Kulis des 18. Jahrhunderts, sie spiegeln das Elend, den Jammer und den Verfall der einst so mächtigen Heimat wieder."


Die Auswanderer waren Männer, Frauen und Kinder aller möglichen Berufsarten, die ausnahmslos der öffentlichen und staatlichen Mildtätigkeit anheimgefallen wären. Kapp 22) führt die Liste der verschiedenen Berufe auf. Es waren Bauern, Weingärtner, Zimmerleute, Bäcker, Maurer, Schreiner, Schuster, Schneider, Metzger, Müller, Gerber, Strumpfwirker, Barbiere, Schlosser, Schmiede, Leinen- und Wollweber, Fassbinder, Radmacher, Jäger, Sattler, Glaser, Hutmacher, Kalk- und Ziegelbrenner, Schulmeister, Köche, Studenten und Kupferstecher. Es waren zum Teil Leute, die mit dem besten Rüstzeug in Bezug auf Können und Wissen für ihre neue Heimat ausgestattet waren. „Die Kinder des Unglücks", wie Bancrofft mit Recht alle diese ersten deutschen Einwanderer nennt, welche vor allem religiöser und erst in zweiter Linie auch ein wirtschaftlicher und politischer Druck aus der Heimat vertrieben hatte, trugen nun in hervorragender Weise zur Besiedelung der jungen Kolonie bei. Not und (Verfolgung hatten in diesen ersten Pionieren gerade; jene schöpferischen Kräfte zur Auslösung gebracht, die im Wohlleben der Völker wie dem des Individuums ja nur allzu leicht verkümmern: den wahren Idealismus. Ist es doch ein Zeichen von idealer Begeisterungsfähigkeit, wenn (es diesen einfachen deutschen Kolonisten oft von größerer Bedeutung, von höherer Wichtigkeit erschien, erst ihrem Gott in Kirchen, ihrem Bildungsdrang in Schulen eine Heimstätte zu errichten, bevor sie sich selbst noch alle Blockhäuser zur Wohnung verschafft hatten. Besonders die Sorge um einen regelmäßigen Schulunterricht, in dem die Kinder wenigstens die elementaren Kenntnisse, wie Lesen, Schreiben, Rechnen und Religion erlernten, war zu jener Zeit, da selbst die englische Kolonialregierung noch in keiner Weise sich um das Unterrichtswesen kümmerte, besonders hoch zu veranschlagen. So traten die Deutschen schon in so früher Zeit gewissermaßen als Vorkampfer der allgemeinen Schulpflicht auf, die erst viel später allgemein durchdringen sollte. Bald wurden auch die Amerikaner oder doch die damaligen Spitzen amerikanischer Intelligenz auf deutsche Sprache und Literatur aufmerksam, ja man fasste in Pennsylvanien sogar den Plan, die deutsche Sprache zur Landessprache zu erheben. Wenn nun auch diese Absicht durch die entscheidende Stimme eines — Deutschen 23) (!) scheiterte, so ist doch die deutsche Sprache oder vielmehr der eigentümliche deutsch-englische Misch-Dialekt das Pennsylvania-Dutch 24) in diesem als „little Germany" bezeichneten Land von jener Zeit an bis auf den heutigen Tag die herrschende geblieben. Damals entstanden auch mehrere deutsche Druckereien, und schon im Jahre 1732 wurde von keinem Geringeren als dem berühmten Benjamin Franklin die erste deutsche Zeitung herausgegeben. Einen nicht minder großen Einfluss wie auf das amerikanische Bildungswesen übten die Deutschen auch auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes aus. Als Ackerbauer <und Viehzüchter produzierten sie nicht nur für den eigenen Bedarf, sondern auch für die umliegenden Märkte. Als geschickte städtische „gelernte" Handwerker legten sie ganz besonders in Pennsylvanien den Grund zu der später dort aufblühenden Industrie. Alles in allem: die deutschen Pioniere der damaligen Zeit waren ein rühriges Kolonistenvölklein und stellten entschieden auf wirtschaftlichem Gebiete das fortschrittliche Moment ihrer Umgebung dar. Politisch waren sie dagegen noch ganz unmündig und blieben es großenteils auch noch bis zur Gegenwart. Auch fehlte ihnen trotz aller Regsamkeit auf ihrem beruflichen Interessengebiete jedwedes höhere kulturelle Bestreben. Sie waren bis auf wenige Ausnahmen, so dem „amerikanischen Pestalozzi" Christopher Dock, in gutem wie in schlechtem Sinne eben doch deutsche Bauern, mit deren ganzer ungebrochener Lebenskraft, Zähigkeit, aber — last not least — auch ihrer Beschränktheit. Wir würden entschieden ein unvollständiges Bild von diesen ersten Pionieren deutsch-amerikanischer Kultur erhalten, wenn wir diese letztere Eigenschaft übersehen wollten, eine Eigenschaft, die doch zuweilen in hohem Grade in die Erscheinung treten musste, da selbst ein Geistlicher einmal zu folgenden Abschiedsworten an seine Gemlein.de aus dem Bruschstale sich veranlaßt sah: „Gott regiert die Welt, und Dummheit die Brushvalley und die meischte kenn mee's im Agesicht lese: als Calver haw i sie agenomme, als Ochse muss ich sie verlasse! In Gottes Namen. Amen."

22) A. a. O. vgl. auch Häberle a. a. O. S. 44.
23) Des Vorsitzenden der Volksvertretung: Mühlenberg.
24 ) Es hat sich im Laufe der Zeit herausgebildet. Vgl. Haldemann, Pennsylvania-Dutch, a Dialekt of South German with an infusion of english. Philadelphia 1872. — Goebel, das Deutschtum in den Vereinigten Staaten in Nordamerika. München 1904, S. 30.


Im Laufe des 18. Jahrhunderts hielt dann die deutsche Auswanderung nach den Vereinigten Staaten beständig an und ist seitdem niemals mehr versiegt. Bereits im Jahre 1750 wurde in Pennsylvanien, dem von den Deutschen bevorzugten Einwanderungsstaate der Union, die Bevölkerungszahl deutschen Ursprungs auf 100.000 Seelen, der Hälfte der Gesamtbevölkerung, geschätzt. Ganz Süddeutschland wurde immer mehr und mehr entvölkert. Die Duodezfürsten, welche eine Verminderung ihrer Einkünfte befürchteten, gingen mit scharfen Verordnungen gegen „das leichtsinnige Auswandern" vor; als Erster, der Kurfürst Karl Theodor von Bayern, welcher am: 21. Juni 1752 ein Edikt gegen das „bei Unvernünftigen und Leichtsinnigen so tief eingewurzelte Unwesen der Auswanderungssucht“ 25) erließ. Am stärksten war auch in jener Zeit die Pfälzer Auswanderung und lange Zeit wurde überhaupt der Name „Pfälzer" für alle deutschen Auswanderer gebraucht. Es spielten auch in jener Zeit zahlreiche Spekulanten und gewissenlose Ausbeuter als Auswanderungsagenten, die sogenannten „Neuländer", eine unheilvolle Rolle in Deutschland. Unter betrügerischen Vorspiegelungen überschwemmten sie ganz Deutschwand mit Lockzetteln, in denen sie auch Vermögenslose nach Amerika hinüber zu befördern versprachen, wenn sie sich verpflichten, nach ihrer Überfahrt, welche „zehen Guinees oder deren wehrt, für jeden Persohn" kostete, dieselbe drüben abzuverdienen. Wir besitzen auch Dokumente, wie solche „Ware" drüben zum: Kauf angeboten Wurde 26).

Eine Statistik der deutschen Auswanderung bzw. Einwanderung in die Union existierte zu jener Zeit noch nicht, und wir sind deshalb ausschließlich auf Schätzungen angewiesen, die allerdings in ihren Resultaten wesentlich voneinander abweichen 27). Die Emigranten dieser Zeit gehörten meist den untersten Schichten der bürgerlichen Gesellschaft an. Viele retteten kaum das nackte Leben über den Ozean und kamen meist gebrochen an Leib und Seele an. Das Hauptkontingent stellten Taglöhner, verarmte Landleute, Handwerker und Kleinbürger.

25) Dasselbe ist abgedruckt bei Häberle a. a. O. S. 5.
26) Die am meisten gelesene deutsche Tageszeitung des 18. Jahrhunderts, der in Philadelphia erscheinende „Staatsbote", enthielt verschiedene Anzeigen, von denen einige folgendermaßen lauten: „Das Schiff Polly ist von Rotterdam angelangt mit 250 deutschen Leuten. Selbige sind alle überaus frisch und gesund. Man melde sich usw." (1764). „Deutsche Leute. Es sind noch 50—60 deutsche Leute, welche neulich von Deutschland angekommen sind, vorhanden, so bei der Witwe Kreiderin im gildenen Schwan logieren. Darunter sind 2 Schulmeister, Handwerksleute und Bauern, auch artige Kinder, sowohl Knaben als Mädchen. Sie möchten für ihre Fracht dienen." (1774.) „Es ist zu verkaufen die Dienstzeit einer verbundenen Magd. Sie ist groß und stark, einige Arbeit zu tun und kann sowohl die Stadt- als Landarbeit verrichten. Sie wird keines Fehlers wegen verkauft, nur darum, weil ihr Meister so viel von dem weiblichen Geschlecht beisammen hat; sie hat noch 4 1/2 Jahre zu stehen. Wer sie hat, kann man bey dem Herausgeber dieser Zeitung erfahren." (Staatsbote vom 25. März 1775.)
27 ) Der englische Gouverneur Keith befürchtete bereits 1717 von der starken Einwanderung ein Überhandnehmen des deutschen Elementes in Pennsylvanien und eine etwaige Losreißung und Gründung einer selbständigen Kolonie. Um dieses zu verhindern, wurde 1727 ein Gesetz erlassen, welches vorschrieb, dass alle Neuankommenden den Untertaneneid zu leisten hätten. Um sie zu kontrollieren, mussten die Kapitäne auf den Auswanderungsschiffen genaue Listen über Heimat, Name, Alter und Beschäftigung der Auswanderer führen und den Hafenbehörden vorlegen. Diesem Umstände verdanken wir es, dass wir einige Kenntnis über die Größe der damaligen Einwanderung besitzen. Es sind uns nämlich auf diese Weise die Namen von über 30.000 Einwanderern aus Deutschland, der Schweiz, Holland usw. aus der Zeit von 1727 bis 1776 in Pennsylvanien erhalten geblieben.


Damals traten bereits nativistische Bestrebungen hervor, welche darauf gerichtet waren, durch ein Gesetz eine Einwanderungssteuer (20 bis 40 Shilling für einen Weißen) einzuführen, um die Einwanderung zu beschränken. Der damalige Gouverneur Thomas von Pennsylvanien bekämpfte diese Ziele einer einwanderungsfeindlichen Politik. In den übrigen Gebietsteilen, die in viel geringerem Maße als Pennsylvanien von den Deutschen besiedelt wurden, so in Maryland, Virginia, Carolina und Georgia, machten sich derartige Tendenzen noch nicht bemerkbar. Jedenfalls versagte auch das englische Mutterland diesen ersten Bestrebungen seine Einwilligung, und so wurde ein die Einwanderung beschränkendes Gesetz nach kurzer Geltungszeit bereits 1730 widerrufen.

Dazu, dass man späterhin sobald nicht wieder darauf zurückkam, mag der Umstand beigetragen haben, dass im letzten Viertel des 18. und im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts, einmal infolge der französischen Revolution und der mannigfachen Kriege in Europa, sodann infolge der Unabhängigkeitskämpfe in den Vereinigten Staaten ein starker Rückgang der gesamten europäischen Auswanderung erfolgte. Insbesondere nahm die deutsche Auswanderung mehr und mehr ab, so dass das Deutschtum in Amerika allmählich den Zusammenhang, den es mit der alten Heimat bisher eifrigst gepflegt hatte, gänzlich verlor. Und dieses um so mehr, als es sich in dem Unabhängigkeitskriege mit Gut und Blut an der Gründung der neuen amerikanischen Nation rühmlichst beteiligt hatte. „Blut aber ist ein ganz besonderer Saft." Die Deutschen wurden zu einem integrierenden Bestandteil der amerikanischen Nation, und traten von jetzt ab ihrem alten Vaterlande sogar als wirtschaftliche Gegner gegenüber.

Nach der Missernte von 1816/17 setzt die lange Zeit fast ganz unterbrochene Auswanderung wieder ein, und eine neue Periode beginnt. Von jetzt ab wird die Auswanderung aus Europa zu einer regelmäßigen Erscheinung, die um so besser zu verfolgen ist, als eine im Jahre 1819 beginnende Einwanderungsstatistik der Unionsstaaten und eine in den nächsten Jahrzehnten eingeführte Auswanderungsstatistik seitens der europäischen Staaten festere Anhaltspunkte und dementsprechend eine einigermaßen vollständige Übersicht gewähren. Denn noch bis ca. 1850 war man in Deutschland auf gelegentliche Berichte und zerstreute Notizen angewiesen. Erst von da ab führen zunächst die Hansestädte regelmäßige Aufzeichnungen über die Auswanderung ein. Wir müssen uns freilich auch bei der amerikanischen Statistik mit den bloßen Zahlen der Aus- und Einwanderung begnügen. Eine eingehende Statistik über Geschlecht, Alter, Beruf, Wohnort und Zeit der Auswanderer usw. gab es zu jener Zeit noch nicht, und wir bleiben in dieser Beziehung größtenteils auf summarische Schätzungen und Vermutungen angewiesen. Wir können es aber als sehr wahrscheinlich betrachten, dass angesichts der großen Gefahren und Strapazen einer überseeischen Reise, insbesondere in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die Auswanderung von jugendlichen männlichen Personen, die des weiblichen Geschlechtes ganz erheblich übertraf. Diese Annahme findet auch darin ihre Bestätigung, dass in den jungen Kolonien Amerikas das männliche Geschlecht das weibliche stets bedeutend überwog. In der beruflichen Gliederung zeigte sich entschieden ein Überwiegen bäuerlicher Elemente und kleiner Handwerker, und zwar besonders in jenen Gegenden, die unter politischem, wirtschaftlichem und sozialem Drucke zu leiden hatten. Die genaue zahlenmäßige Feststellung, wie sich die deutschen Auswanderer auf die einzelnen überseeischen Länder verteilen, ist gleichfalls unmöglich, und wir müssen uns mit der Vermutung begnügen, dass auch zu jener Zeit, wie noch heutigentags, die Vereinigten Staaten entschieden mehr als 90% der gesamten deutschen Auswanderer aufgenommen haben. Die restlichen 10% verteilen sich auf die übrigen überseeischen Länder, besonders auf Südamerika. Wir begehen daher keinen allzu großen Fehler, wenn wir zunächst die gesamte deutsche Auswanderung an der Hand vorzugsweise der amerikanischen Einwanderungsstatistik näher verfolgen.

Bis ins erste Drittel des 19. Jahrhunderts blieben die nordamerikanischen Freistaaten das ausschließliche Ziel deutscher Auswanderer. Australien ist als Wanderungsziel noch gänzlich unbekannt, in Südafrika ging die holländisch-ostindische Gesellschaft darauf aus, größere Niederlassungen zu verhindern; auch in Asien wehrten sich die Handelsgesellschaften, welche dort ein Monopol besaßen, gegen eine Besiedelung in größerem Umfange. Erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts fand nach der kulturellen Urbarmachung des Landes die deutsche Auswanderung in einem nennenswerten Umfange auch ihren Weg nach Australien.

Die gesamte Einwanderung nach den Vereinigten Staaten aus Europa wird in den Jahren 1820 bis 1870 auf etwa 7.554.000 Personen angegeben. Davon entfallen auf Deutschland allein etwa 2.369.000 28).

28) Vgl. für die Auswanderung von 1821—1870 Tab. I.

Am stärksten ist die amerikanische Einwanderung aus Deutschland innerhalb dieses Zeitraums in den Jahren 1850—1854 und 1866—1870. Wenn wir einen Blick auf die Zahlen der Einwanderungsstatistik werfen, so bemerken wir, dass die deutsche Auswanderung zu Anfang der 20er Jahre noch sehr gering ist und erst gegen Ende dieses Jahrzehntes, ganz besonders aber im Laufe der 30er Jahre infolge der politischen Wirren dieser Zeit ansteigt. Forschen wir nach den Ursachen dieser Erscheinung, so finden wir, dass, abgesehen von rein wirtschaftlichen Motiven, es in viel höherem Maße als die religiösen Momente die politischen Wirren dieser Jahre waren, welche eine tiefe Unzufriedenheit weiter Bevölkerungsschichten, insbesondere des kleinen Mittel- und Arbeiterstandes, veranlassten, und so den Hauptanstoß zu der starken Auswanderungsbewegung gegeben haben.

Um diese Zeit nahm auch der Handel und Verkehr Europas einen bedeutenden Aufschwung. Dadurch schwinden die früheren Schwierigkeiten der Reise. Mit den regelmäßigen Schifffahrtsverbindungen zunächst mittels Segelschiffen, dann mittels Dampfschiffen, verbilligen sich auch die Kosten der Überfahrt, und je mehr die Auswanderung ansteigt, um so reger werden auch die persönlichen Beziehungen zwischen der Heimat und dem Ausland. Die bereits einsetzenden Landschenkungen der gesuchten Einwanderungsländer ziehen immer mehr Auswanderungslustige an; zugleich betätigen verschiedene Ansiedlungsgesellschaften eine lebhafte Agitation. Ja, in einzelnen Gemeinden ist sogar die Kommunalpolitik dahin gerichtet, durch Förderung der Auswanderung mit gemeindlichen Mitteln das Armenbudget zu vermindern.

Wenn nun das Jahr 1838 einen starken, wenn auch nur kurzen und vorübergehenden Rückgang aufweist, so ist dieser dem Fortfall besonderer auswanderungsfördernder Momente, vor allem aber auch der im Jahre 1837 in den Vereinigten Staaten eingetretenen Krise zu verdanken. Und so erkennen wir schön hier die zwei Hauptmomente, die heute mehr denn je die Auswanderungsbewegung beeinflussen: Die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse des Mutterlandes auf der einen, die des Auswanderungslandes auf der anderen Seite.

In den 40er Jahren sehen wir dann die Auswanderung infolge der durch unzeitige Fröste und langanhaltende Dürre eingetretenen Baumwollmissernte erst langsam und schwach, dann immer schneller und stärker anschwellen, ganz besonders in den sogenannten Krisenjahren, 1846 bis 1848, die einmal durch die von England ausgehende Wirtschaftskrise und die aus Irland eingeschleppte Kartoffelkrankheit, sodann durch die Getreidemissernte und die dadurch entstandene Teuerung, des weiteren aber durch die Zuspitzung der politischen Unzufriedenheit bis zur Revolution charakterisiert sind. Darum sind auch die Gebiete mit politisch reger und fortschrittlicher Bevölkerung in besonders hohem Maße an der Auswanderung beteiligt, viel mehr als diejenigen, welche unter einem starken reaktionären Druck stehen, wie z. B. Preußen. Zudem hatte sich die Bevölkerung in den Friedensjahren stark vermehrt, die weitgehende Aufteilung des Grundeigentums hatte, wie dies unter anderem die badische Denkschrift vom 16. Juni 1847 zum Ausdruck bringt, besonders im Süden und Südwesten Deutschlands die Wirtschaftslage der einzelnen Familien verschlechtert. Mit jedem Jahre wuchs die Zahl derjenigen Landleute, die kaum das ernteten, was sie mit ihren Familien zur Fristung ihrer Existenz benötigten. Immer mehr schwoll auch die Zahl jener kleinbäuerlichen Besitzer an die, wenn sie auch selbst noch ihren Unterhalt fanden, doch durch die Zersplitterung ihres Grundeigentums ein Herabsinken ihrer Kinder und Enkel in die Klasse der Lohnarbeiter befürchten mussten und die daher ihren Blick nach Ländern jüngerer Kultur richteten, wo diese sich mit einem kleinen Kapital ein eigenes Heim erwerben könnten. Wir sehen also, dass die Sorge für die Zukunft, die erste Vorbedingung des sich wirtschaftlich betätigenden Menschen, schon in dieser Zeit für weitere Kreise von bestimmendem Einfluss gewesen ist. Denn „bei einem wirtschaftlich denkenden Volke wird nicht die bereits eingetretene Übervölkerung, sondern schon die zu erwartende, nicht die eingerissene Verarmung, sondern die drohende, den Anstoß zur Massenauswanderung geben" 29).

29) v. Eheberg, Auswanderung S. 19.

Immerhin gab es auch weite Kreise der Bevölkerung, bei denen nicht erst die Zukunft, sondern die allernächste Gegenwart zur Auswanderung drängte. Im Verhältnisse zu der starken Vermehrung des deutschen Volkes waren die Fortschritte, welche der landwirtschaftliche Betrieb machte, nicht hinreichend, um den Bevölkerungszuwachs zu ernähren, so dass im Süden Deutschlands viele Bauernknechte und Tagelöhner buchstäblich auf der Straße lagen und das Vagabundieren und Betteln zu einer richtigen Landplage wurde.

Nicht anders erging es den Handwerkern, bei denen das Aufkommen der Fabrikindustrie und der hiermit gleichzeitig einsetzende Niedergang des Handwerks zu Anfang der 40er Jahre noch besonderen Anlass zur Arbeitslosigkeit gab.

Alle diese Momente, nicht zum geringsten auch das hohe Anwachsen der staatlichen Kosten für Armenunterstützung, Strafgerichtspflege, Arbeitshäuser, kurz Anstalten aller Art, veranlassten dann gegen Ausgang der 40er und zu Beginn der 50er Jahre nicht nur zahlreiche Private, wie z. B. die mecklenburgischen Gutsherren, sondern auch verschiedene deutsche Regierungen, so vor allem die badische, für den Zweck der Unterstützung von Auswanderern erhebliche Summen zur Verfügung zu stellen, da sie in der Auswanderung das Universalmittel gegen alle politischen und wirtschaftlichen Schäden zu erblicken glaubten. Man ließ sich also Weniger von sentimentalen Gesichtspunkten leiten, betrachtete vielmehr die Unterstützung der Auswanderung als eine Anlage, die sich durch Ersparung obengenannter Ausgaben und vieler politischer Ärgernisse, wenn auch nur indirekt, bezahlt mache.

Das wären genug der Gründe gewesen, die die verarmten oder von bevorstehender Armut bedrohten Bevölkerungsschichten über das Meer zu gehen veranlassten. Und in demselben Maße, wie man sich in der Heimat aller überflüssigen oder gar schädlichen Volkselemente zu entledigen suchte, bemühten sich die Vereinigten Staaten ihrerseits schon seit ihrer Gründung, die kontinentalen Auswanderer, besonders durch kostenlose Hergabe von Heimstätten 30), an sich zu ziehen. Vor allem aber lockten die glänzenden Schilderungen der schon früher nach Amerika Ausgewanderten, die sich in dem unlängst erschlossenen Westen, zwischen Mississippi und Stillen Ozean, angesiedelt und nicht selten in eine gute wirtschaftliche Position hinaufgearbeitet hatten und nun ihre Verwandten und Freunde in der Heimat einluden, ihnen nachzukommen.

Ein letztes taten dann wohl, wenigstens zu Anfang dieser Periode, um das Jahr 1849 herum, die großen Goldfunde in Kalifornien, wie in Australien, die naturgemäß auch viele deutsche Auswanderer, in der Hoffnung, schnell und mühelos reich zu werden, über den großen Teich hinüberlockten.

Mit den Jähren 1848/49 begann eine neue Periode der deutschen Auswanderung. Das wirtschaftliche Moment, wiewohl es auch in dieser Zeit mitbestimmend war, trat jetzt als Auswanderungsgrund mehr in den Hintergrund und das politische, die politische Unzufriedenheit, wurde für viele und nicht selten den besten Gesellschaftskreisen angehörige Deutsche ausschlaggebend. „Die geringste Verdrießlichkeit oder Sorge veranlasste die Menschen zum Wegzug aus dem Vaterlande, dessen Zukunft man sich grau in grau auszumalen liebte 31)."

Wie bereits angedeutet, mussten sich naturgemäß die Berufskreise, aus denen sich die deutsche Abwanderung zusammensetzte, nicht unwesentlich ändern. Waren es bisher vorzugsweise dem Proletariat nahestehende Elemente, wie landwirtschaftliche und gewerbliche Arbeiter und Teile des Bürgertums, die als recht zweifelhafte, zum wenigsten als einseitige Vertreter der deutschen Nation anzusehen waren, so überwog nunmehr der gebildete Teil des Volkes unter den Auswanderern, die sich nach Amerika, dem „sweet land of liberty", wenden. Man braucht nur der alten Achtundvierziger zu gedenken, sich bloß für einen Augenblick Namen und Bedeutung eines Carl Schurz ins Gedächtnis zurückrufen, um sich dieses großen Unterschiedes voll und ganz bewusst zu werden.

30 ) Nach dem amerikanischen Heimstättengesetz vom Jahre 1862. Nähere Angaben siehe S. 163.
31) Helmolt, Weltgeschichte S. 256.


Es war das eben die Zeit, in der Deutschland viele seiner besten Männer verlor, weil das Vaterland ihnen die Möglichkeit verschloss, in seinen Dienst zu treten. Immerhin finden die Auswanderungsziffern der folgenden Jahre in politischen Motiven allein keine hinreichende Erklärung. Wirtschaftliche Momente der verschiedensten Art, vor allem auch das Aufkommen der kapitalistischen Produktionsweise, der Übergang von der Hauswirtschaft zur Massenproduktion für den Weltmarkt mit seinen industriellen Krisen im späteren Gefolge, ferner die durch die feuchte Witterung veranlassten Missernten der Jahre 1850/53, sind mitbestimmend für die hohen Auswanderungsziffern dieser Zeit. Auffallend auf den ersten Blick erscheint der Rückgang des Jahres 1855 um 143.091 Auswanderer gegen das Vorjahr. Er findet jedoch in dem einwanderungs-, insbesondere deutschfeindlichen Verhalten der an Einfluss gewinnenden Knownothings-Partei, sodann in den Kämpfen der Abolitionisten des Nordens mit den Sklavenhaltern des Südens seine natürliche Erklärung 32).

In den nächsten Jahren weist dann nur das Jahr 1857 eine größere Zunahme auf, die jedenfalls auf die weitere Ausdehnung der überseeischen Dampfschifffahrt (1855 Gründung des Norddeutschen Lloyd) zurückzuführen ist, welch letztere wie jede neue Verkehrserleichterung und Verbilligung der Reise, noch verstärkt durch das jeder Reklame und Propaganda innewohnende suggestive Moment, einen ganz bedeutenden Ansporn auf die Reise- und Wanderlust breiter Kreise ausübte.

Die nächsten fünf Jahre (1854 — 63) brachten dann infolge der fortschreitenden Besserung der deutschen politischen Lage einerseits, der Verschlechterung der amerikanischen politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Krach v. 1856 und Bürgerkrieg seit 1861) ein starkes Sinken der Auswanderung, bis im Jahre 1864, als Folge des Dänischen Krieges, dieselbe wieder anschwillt. Auch das nächste Jahr, besonders aber das Kriegsjahr 1866 und das darauffolgende Jahr, weisen nun ebenfalls als Folge des Krieges ein starkes Steigen der Auswanderungsziffer auf, zumal zahlreiche Bewohner der neuen Provinzen, mit dem Wechsel der Regierung unzufrieden, vor allem auch, um sich der als lästig empfundenen allgemeinen Wehrpflicht 33) und einem drohenden Kriege zu entziehen, ihre Heimat verließen.

In den weiteren 4 Jahren 1867/70 sind nach Young, dem Chef des Statistischen Bureaus der Vereinigten Staaten von Nordamerika, 473.063 Personen aus Preußen und dem übrigen Deutschland in die Union eingewandert. Von der Auswanderung der zuletzt besprochenen Jahre entfallen überhaupt etwa 11/12 aller deutschen Auswanderer auf die Vereinigten Staaten und nur etwa 1/12 auf die übrigen Teile der Erde 34).

32) Immerhin zählte man auch im preußischen Staate jetzt mehr Auswanderungen als Einwanderungen. Früher war es umgekehrt. In der Zeit vom 1. Oktober 1844 bis Ende 1855 sind nach Diterici (Mitteilungen 1856, S. 171) für 161.429 Personen Entlassungsurkunden, aber nur für 31.428 Personen Naturalisationsurkunden ausgefertigt worden. Danach hat Preußen im Durchschnitt jährlich 11.556 Untertanen verloren. (Vgl. Venanz Müller, die Hohenzollernkönige in der Kulturgeschichte, Frankfurt a. M. 1866, S. 222.)
33) Dieselbe wurde 1866 auf die übrigen deutschen Staaten und 1868 noch auf Bayern ausgedehnt.
34) Annalen des Deutschen Reiches 1873, S. 1459 ff.
35) v. Eheberg, Auswanderung S. 6.


Nach Dezennien betrug die deutsche Auswanderung seit 1821 35)

1821—30 (8.000), 1831—40 (177.000), 1841—50 (485.000), 1851—60 (1.130.000), 1861—70 (970.000) Summa: 2.770.000

New York - Coney Island

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New York - East River

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New York - Hafen 1

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New York - Hafen

New York - Hafen

New York - Hafen-Kai

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New York - Hudson-River-Kanal

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New York - Kreuzung Fünfte Straße

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New York - Umland, Bauern beim Pflügen

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New York - Umland, Farmhaus

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New York - Jamaica-Bay

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New York - The Old Coney Island

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