Die deutsche Tafeltraubenkultur unter Glas.

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1921
Autor: Beckel, Adolf (?-?) Oberzwehren, Erscheinungsjahr: 1921

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Landwirtschaft, Bauern, Winzer, Weinbau, Wein, Trauben, Weintrauben, Tafeltrauben, Früchte, Glashaus, Obstbau, Mark Brandenburg, Gewächshäuser
Wenn bis in den Winter hinein unter den Schaufensterauslagen großfruchtige blaue und gelbe Tafeltrauben bewundert werden, so ist den wenigsten die Herkunft dieser herrlichen Früchte bekannt. In früheren Jahren waren die Hauptlieferanten Belgien und Holland, und deshalb segeln die Trauben auch heute noch unter jener Flagge, während doch große Mengen von ihnen der deutsche Gärtner züchtet und auf den Markt bringt. Obschon die deutschen Tafeltrauben den ausländischen an Güte und Schönheit nicht nachstehen, konnten sie sich doch anfangs nicht behaupten und mussten von den Geschäften als ausländische Ware angeboten werden, um als solche dann Absatz zu finden. Erst die völlige Absperrung vom Ausland brachte es mit sich, dass man hinter den Geschmack der deutschen Trauben kam und die in der nächsten Umgebung von Berlin gezogenen Trauben als märkische Tafeltrauben verkauft werden konnten und leichten Absatz fanden.

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Man war erstaunt, dass in der Mark Brandenburg, der „Streusandbüchse“ des Reiches, so schöne Trauben gezüchtet werden konnten, die den belgischen und holländischen auch an Güte nichts nachgaben. Bedauerlich ist es, dass erst dieser äußere Druck eintreten musste, der deutschen Tafeltraubenzucht den Platz einzuräumen, der ihr gebührt. Die Kultur hätte sich bei uns schneller und leichter verbreitet, wenn, nachdem die ersten Versuche bewiesen hatten, dass man auch bei uns mit einfachen Hilfsmitteln herrliche Trauben züchten kann, diese deutschen Tafeltrauben auch als solche gekauft worden wären. Viel Geld wäre dann im eigenen Lande geblieben und dem deutschen Gärtner zugeführt worden. Nun ist zu hoffen, dass in Zukunft diese Kultur sich behauptet und nicht wieder durch die Sucht, alles Ausländische zu bevorzugen, verdrängt wird. Es wird davon nicht allein der deutsche Gärtner Nutzen haben, auch der Gewächshausindustrie bietet sich durch die Förderung dieser Kultur ein Arbeitsgebiet.

Die Anfänge der Tafeltraubenkultur unter Glas liegen weit zurück, sie beschränkten sich allerdings nur auf die Anzucht für den Privatbedarf des Besitzers derartiger Anlagen. In den Handel kam von diesen Trauben nichts, nur auf größeren Obstausstellungen konnte man sie bewundern.

In den Jahren 1905—1909 wurden in der Provinz Brandenburg die Traubenzuchtgenossenschaften Luckau, Gransee und Belitz gegründet, und auch Privatgärtnereien in Steglitz und der weiteren Umgebung von Berlin nahmen diese Kultur auf. Es zeigte sich bald, dass diese Kultur auch bei uns erwerbsmäßig betrieben werden konnte, und heute wird der Berliner Markt zum großen Teil mit märkischen Tafeltrauben versorgt, wozu in der Provinz gegen sechzig Traubenhäuser zur Verfügung stehen. Aber auch in anderen Provinzen, in Sachsen, Schlesien, Rheinland, hat man vor dem Kriege, durch den Erfolg in Brandenburg ermutigt, mit der Anzucht von Tafeltrauben unter Glas begonnen. Ein Zeichen für die Ausdehnung dieser Kultur ist die jährlich zunehmende Nachfrage nach jungen Weinhausreben.

Bei der Anzucht handelt es sich nicht um Treiberei, sondern es werden großfruchtige Sorten, welche im Freien nicht reifen würden, durch Ausnutzung der Sonnenwärme in Glashäusern zur Reife gebracht. Sobald im Herbst die letzten Trauben geerntet sind, werden die Häuser stark gelüftet, damit das Rebenholz gut ausreift. Ist das Laub durch Frost zerstört oder sonst gelb geworden, so werden die Neben im November bis Januar geschnitten. Fast allgemein zieht man heute in den Rebhäusern den senkrechten Schnurbaum mit einem Abstand von einem Meter. Von der freien Fächerform, wie man sie bei der Rebzucht an Häuserwänden findet, ist man abgekommen. Der senkrechte Schnurbaum ist leicht zu behandeln, kahle Stellen lassen sich durch Verjüngung rasch ausgleichen. Der Schnitt erfolgt auf Zapfen, seltener auf Bugrebe. Bei diesem Schnitt wird der Leittrieb, etwa fünfundzwanzig Zentimeter vom Glasdach entfernt, hochgezogen und der einjährige Trieb jedes Jahr auf sechs bis acht Augen zurückgeschnitten, damit alle Augen kräftig austreiben können. Die Seitentriebe werden je nach der Sorte auf ein bis drei Augen (Zapfen) geschnitten. Danach wird die Rebe gründlich mit einer Schwefelkalklösung gereinigt und dann gedüngt. Nur bei reichlicher Düngung können jährlich Vollernten und erstklassige Trauben erzielt werden. Jede so gezogene Rebe muss bei drei Meter Höhe fünfundzwanzig bis dreißig Pfund Trauben liefern.

Man lässt die Reben nur wenig früher austreiben, als sie dies im Freien tun würden, und kann dann von Ende August an mit der Ernte beginnen. Während der Blüte muss durch reichliche Lüftung und kräftiges Schütteln der Stöcke für gute Befruchtung gesorgt werden. Durch die Erschütterung fallen die Kappen der Blüten ab, und die Staubgefäße können sich frei entwickeln. Der Blütenansatz ist bei guter Pflege sehr reichlich, so dass eine große Anzahl Blütenstände fortgeschnitten werden müssen, um die stehenbleibenden zu kräftigen.

Wenn die Früchte die Größe kleiner Erbsen erreicht haben, beginnt eine der wichtigsten Arbeiten, das Entbeeren. Bleiben alle Beeren stehen, so könnten sie sich nicht zur vollen Größe entwickeln und würden durch den engen Stand platzen und in Fäulnis übergehen. Fast zwei Drittel der Beeren jeder Traube werden vorsichtig mit einer spitzen Traubenschere entfernt, damit die übrigen nach allen Seiten genügend Platz haben.

Durch peinliche Beobachtung der Temperatur und Anwendung von Bekämpfungsmitteln, wie gemahlenem Schwefel, Kupferkalkbrühe und dergleichen, schützt man die Reben gegen Krankheiten. Im Weinhause auftretende Pilzkrankheiten verbreiten sich in der feuchtwarmen Luft sehr schnell und können in kurzer Zeit die Ernte vernichten.

Bei richtiger Sortenauswahl lassen sich gut behandelte Trauben bis Weihnachten halten, vor Eintritt des Frostes müssen diese jedoch voll ausgereift sein, denn ein Nachreifen gibt es bei den Trauben nicht. Es sind nur wenige Sorten, die für die Anzucht unter Glas ohne Heizung in Frage kommen und lohnende Erträge bei einfacher Kultur liefern, dabei aber den verwöhntesten Käufer in Beziehung auf Schönheit und Geschmack zufriedenstellen. Diese sind: Fosters Seedling, eine sehr frühe, in der Vollreife goldgelbe Traube, von äußerst angenehmem, süßem Geschmack. Frankenthaler, eine mittelfrühe, blaue Sorte mit besonders dünner Schale und feinem Geschmack. Alicante, eine späte, blaue Sorte. Die Haut ist Zwar dick und ledern, hat aber, voll ausgereift, einen frischen, angenehmen Geschmack. Die Sorte wirkt besonders durch ihre großen Beeren und zwei bis sechs Pfund schweren Trauben und durch den herrlichen, hauchartigen Duft.

Die weitere Ausdehnung dieser Kultur ist durch die zu hoch gewordenen Kosten der Gewächshausbauten ins Stocken geraten, sie wird aber künftig für viele Gärtner eine lohnende Einnahmequelle bleiben, denn der Bedarf an guten Tafeltrauben ist noch lange nicht gedeckt. Schon jetzt könnte die Anzucht dadurch weitert werden, dass sie von Herrschaftsgärtnereien aufgenommen würde. Derartige Betriebe müssen der hohen Kosten wegen oft für den Erwerb umgestellt werden, und mit wenigen baulichen Veränderungen lassen sich da Treibhäuser und Mistbeetfenster nutzbringend verwerten.

Es wäre zu wünschen, dass die deutsche Tafeltrauben Zucht in fortschreitender Entwicklung bleibt und die gärtnerischen Bestrebungen unterstützt werden, und dass fortan den deutschen Trauben vor den ausländischen der Vorzug gegeben wird.



Gesamtansicht der Weinhausanlagen bei Berlin. Phot. A. Grohs, Berlin.
Weinhausanlagen der Brandenburgischen Obstbau- und Trauben-Zuchtgenossenschaft in Gransee.
Phot. A. Grohs, Berlin.
Das Verpacken der Trauben. Phot. A. Grohs, Berlin.
Traubenernte im Glashaus. Phot. A. Grohs, Berlin.
Riesentrauben. Phot. A. Grohs, Berlin.

Bauern, Winzer, Das Verpacken der Trauben

Bauern, Winzer, Das Verpacken der Trauben

Bauern, Winzer, Gesamtansicht der Weinhausanlagen bei Berlin

Bauern, Winzer, Gesamtansicht der Weinhausanlagen bei Berlin

Bauern, Winzer, Riesentrauben

Bauern, Winzer, Riesentrauben

Bauern, Winzer, Weinhausanlagen der Brandenburgischen Obstbau- und Traubenzuchtgenossenschaft in Gransee

Bauern, Winzer, Weinhausanlagen der Brandenburgischen Obstbau- und Traubenzuchtgenossenschaft in Gransee