Das Kommunistische Manifest und die deutsche Revolution.

Das geschah 1847 durch das Kommunistische Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels.

Die geschichtliche Erfahrung, die sozialen Kampfe, auf die sich das Kommunistische Manifest stützt, beziehen sich durchweg auf Frankreich und England. Deutschland hat bloß die philosophische Methode abgegeben, mittels der das innere Getriebe der auf dem Industrialismus sich aufbauenden bürgerlichen Gesellschaft, des sogenannten Kapitalismus und dessen sozialen Folgen aufgedeckt wurden.


So hat die deutsche Philosophie den Kapitalismus ideell überwunden zu einer Zeit, wo er materiell in Deutschland noch gar nicht verwirklicht worden war.

Aus diesem Widerspruch musste sich ein Gegenstand entwickeln zwischen den geistigen Führern der deutschen Revolution und der deutschen Bourgeoise, dem politischen Träger der Bewegung.

Wahrend der deutsche revolutionäre Gedanke weit über die Ideen der großen französischen Revolution hinausging, blieb die deutsche Bourgeoisie in ihrem revolutionären Auftreten weit hinter der französischen Bourgeoisie zurück.

Es spielten da verschiedene Momente hinein.

Erstens fühlte sich die deutsche Bourgeoisie weniger stark und dazu war sie noch geschwächt durch die politische Zersplitterung. Denn wahrend in Frankreich die bürgerliche Revolution sich innerhalb des zentralisierten Staates abspielte, musste in Deutschland erst dieser Staat durch die Revolution geschaffen werden. Zweitens hatte die deutsche Bourgeoisie Regierungsgewalten vor sich, die bereits aus den Erfahrungen der französischen Revolution sich Nutzen zu ziehen wussten. Außerdem hatte sie ein Proletariat hinter sich, das sich offen anschickte, ihr in den Rücken zu fallen.

Die deutsche Revolution ging in die Brüche, und von da an lost sich das deutsche Proletariat politisch immer mehr von der Bourgeoisie ab. Die radikalen Geister der Revolution denunzieren vor den Arbeitern den politischen Verrat der Bourgeoisie.*)

Dennoch gab es einen Gedanken, der sowohl die. deutsche Philosophie wie die deutsche Bourgeoisie und die deutschen Arbeiter einigte. Es war der Gedanke der Einigung Deutschlands. Es kann nicht nachdrücklich genug betont werden, dass der Reichsgedanke ein Staatsgedanke war — die Idee der Bildung eines nationalen Großstaates. Frankreich ging bereits über die Idee des nationalen Staates hinaus, denn es besaß ihn ja schon längst, in Deutschland war er der Gegenstand der Sehnsucht.**)

*) Wie weit diese Missstimmung ging, sieht man vielleicht am besten aus dem bekannten Brief des späteren preußischen Finanzministers Miquel an Karl Marx.

**) Man geht kaum fehl, wenn man die scharfe Betonung des Staatsgedankens im Kommunistischen Manifest ebenfalls auf den Einfluss der deutschen Verhältnisse zurück führt. Denn Frankreich hat ja um jene Zeit bereits den Proudhonismus durchgemacht. Die Überwindung Proudhons durch Karl Marx beruhte auf dem zentralistischen Staatsgedanken, dem durch die Klassenabsonderung und Klassensolidarität des Proletariats ein revolutionärer Charakter gegeben wurde. Nach der Pariser Kommune hat Marx seine Ideen über den Staat etwas modifiziert. Er fand, dass das Proletariat nicht „die fertige Staatsmaschinerie“ übernehmen könne. Die Änderungen, die er voraussah, bestanden aber nur in der Demokratisierung des Staates und der größeren Selbständigkeit der Gemeinden. Später hat der große Vulgarisator der Marxschen Ideen, Friedrich Engels, im Anschluss an die Morganschen Forschungen, den Staat als einfache Unterdrückungsmaschinerie hin gestellt. K. Kautsky, der sein Leben lang einen verdünnten Abguss der Engelsschen Vulgaruationen als Marxismus verbreitete, hat dann diesen Engelsschen Gedanken noch weiter versimpelt und unter die Menge gebracht.


Die geringe Entwicklung des Anarchismus in Deutschland ist ebenfalls zum Teil auf die Popularität des Staatsgedankens im deutschen Volke zurückzuführen. Auch ist gewiss kein Zufall, dass die deutsche Sozialdemokratie stets die Wortführerin im Kampf gegen die anarchistischen Tendenzen war und dass in erster Linie unter ihrem Einfluss die Anarchisten Ton den internationalen sozialistischen Kongressen verbannt wurden. Darum wird denn auch von den Anarchisten, neben dem Deutschen Kaiser, niemand so sehr gehasst als die deutsche Sozialdemokratie.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die deutsche Sozialdemokratie.