Der Arbeitszwang in Ostafrika. Freiherr v. Rechenberg (1861-1935)

Beim Durchlesen des 2. Kapitels: „Die moderne Sklaverei Arbeitszwang“ habe ich den Eindruck gewonnen, dass der Verfasser die ganze Entwicklung von Deutsch-Ostafrika seit 1906 entweder nicht gekannt oder absichtlich verschwiegen hat. Jedem, der ein Interesse für die Kolonie Deutsch-Ostafrika hatte, müssen die Kämpfe in Erinnerung geblieben sein, welche die Kolonialverwaltung mit den Anhängern des Arbeitszwanges sowohl innerhalb als außerhalb des Parlaments durchfechten musste und welche mit dem vollen Sieg des freien Arbeitsprinzips Ihr Ende erreichten. Dass solche Kämpfe überhaupt stattgefunden haben, ist keine spezielle Erscheinung der deutschen Kolonie. Sie haben sich bei allen Kolonien aller europäischen Staaten in tropischen Ländern wiederholt, aber wohl in keiner ist die Entscheidung so schnell und so vollständig zugunsten der freien Arbeit durchgeführt worden wie gerade in Deutsch-Ostafrika. In dieser Kolonie, wie in jeder anderen, behaupteten die europäischen Unternehmer, dass sie für den nutzbringenden Betrieb Ihrer Pflanzungen eines Arbeitszwanges nicht entbehren könnten und dass dieser sowohl durch direkte Regierungsmaßregeln als auch durch Erhöhung der Hüttensteuer bzw. Kopfsteuer und durch Verhinderung mit ihren Betrieben konkurrierender Pflanzungen der Eingeborenen herbeigeführt werden müsste. Es ist nicht zu leugnen, dass die seit 1906 im schärfsten Gegensatz zu dieser Auffassung stehenden Maßnahmen der Kolonialverwaltung heftigen Angriffen seitens der Interessenten ausgesetzt waren, aber ebenso wenig ist zu leugnen, dass die Kolonialverwaltung sich dadurch nicht irremachen ließ und schließlich durch das Aufblühen der Kolonie und die dauernde friedliche Entwicklung derselben ihre volle Rechtfertigung gefunden hat. Um die Angriffe in dem Kap. 2 zu entkräften, möge es mir gestattet sein, zwei Erlasse wörtlich anzugeben, aus denen“ sich die Auffassung der Kolonialverwaltung ergibt und welche wohl mehr als lange Ausführungen geeignet sind, den Standpunkt der Regierung in der Frage eines direkten oder eines indirekten Arbeitszwanges klarzustellen. Der erste Erlass datiert vom 22. II. 1907 und lautet folgendermaßen:

„Dem Kaiserlichen Bezirksamt ist es bekannt, dass die verschiedenen Vorschläge auf Erhöhung der Hüttensteuer in den Nordbezirken seitens der Kolonialabteilung abgelehnt wurden.
Die gesamten Verhandlungen hatten ergeben, dass weder das Gouvernement noch die Interessenten von derartigen, an sich schon bedenklichen Maßnahmen eine durchgreifende und anhaltende Wirkung bezüglich des Arbeiterangebots erwarteten. Auch musste eine Maßregel bedenklich erscheinen, welche die im allgemeinen und öffentlichen Interesse erlassenen steuerpolitischen Anordnungen in den Dienst von Privatinteressen stellt. Mit demselben Recht hätten Eisenbahnunternehmer für die von der Bahnlinie durchschnittenen Gebiete sowie alle Plantagen, Bergwerke und industrielle Unternehmer in andern Bezirken für dasjenige Gebiet, in welchem sich ihre Anlage befindet, den Anlass analoger Anordnungen verlangen können. Bei der Besprechung, welche in Berlin stattfand, wurde Übereinstimmung darüber erzielt, dass die in den Plantagenbezirken ansässigen Eingeborenen grundsätzlich zu Arbeiten auf den Plantagen nur in Ausnahmefällen herangezogen werden sollen, damit diese Eingeborenen zum Anbau der Lebensmittel, welche zur Ernährung der aus dem Innern kommenden Arbeiter erforderlich werden, allenfalls zur Aushilfe bei plötzlich auftretenden Notständen frei und verfügbar bleiben. Das Bezirksamt wolle dies in Zukunft beachten, wobei es jedoch keinem Bedenken unterliegt, dem Jumben und Akiden in allgemeiner Form und ohne einen Zwang auszuüben, den Wunsch der Regierung auszudrücken, dass sich ihre Leute an der Arbeit beteiligen. Be? staatlichen Unternehmungen hat dieselbe Behandlung einzutreten. Eine Ausnahme findet nur bei solchen Anlässen statt, welche, wie z. B. die Beförderung von Truppen bei Aufständen, die Anwendung eines Zwangs auch in Europa rechtfertigen würden.“


Noch schärfer kommt die wirtschaftliche Freiheit der Eingeborenen in einem Erlass vom 24. X. 1907 zum Ausdruck, welcher sich auf die von dem wirtschaftlichen Verband der Pflanzer geforderte Unterdrückung der Kaffee- und Kautschukkulturen der Eingeborenen bezieht. Er lautet folgendermaßen: „Was die Kaffee- und Kautschukkultur seitens der Eingeborenen anlangt, so ist es erfreulich, auch in diesem Falle festzustellen, dass die von den Pflanzern als träge geschilderten [Schwarzen] einen erheblichen Erwerbssinn entwickeln und jede neue Kultur ergreifen, wenn dieselbe ihren Lebensbedingungen entspricht und Gewinn verheißt. Selbstverständlich kann von einer Berücksichtigung des Gesuchs des wirtschaftlichen Verbandes keine Rede sein. Pflicht des Gouvernements sowie der ihm unterstellten Beamten ist es, durch Hebung aller wirtschaftlichen Kräfte dieses Land nach Möglichkeit zu einem blühenden zu gestalten, nicht aber jeden Erwerbszweig, der einen guten Ertrag verspricht, zugunsten einiger weniger Interessenten zu monopolisieren. Das entspricht den Erwartungen der Kaiserlichen Regierung sowie des deutschen Volks; es entspricht auch den Verpflichtungen, welche wir den [Schwarzen] gegenüber haben, denn auch diese haben kraft kaiserlichen Schutzbriefs Anspruch auf unseren Schutz.

Nicht verständlich ist es, wie die von den Pflanzern gegebene Anregung mit der gerade in diesen Kreisen stets hervorgehobenen Erziehung des [Schwarzen] zur Arbeit im Einklang zu bringen ist; denn selbstverständlich kann niemand zur Arbeit erzogen werden, wenn ihm jeder Betriebszweig, der sich als lohnend erweist, untersagt wird. Eine „Erziehung zur Arbeit“ im Sinne der Gesuchsteller würde eine zwangsweise, möglichst billige Arbeitsleistung bei den Pflanzern, somit eine neue Art von Sklaverei oder Zwangsarbeit bedeuten. Euer Hochwohlgeboren ersuche ich demgemäß, die Verfasser des Gesuchs vom 25.v. Mts. in nicht zu verkennender Weise abschlägig zu bescheiden.

In dem gefl. Berichte sind die Kulturen der Eingeborenen als wenig rationell bezeichnet. Ich vermag dieser Ansicht nicht zuzustimmen. Erfahrungen mit der Kaffeekultur in Bukoba und an vielen Orten haben vielmehr gezeigt, dass diese Kulturen prosperieren und auf einer gesünderen wirtschaftlichen Grundlage beruhen als viele europäische Unternehmungen. Bezüglich des Verfahrens den Häuptlingen gegenüber stimme ich damit überein, dass Arbeitsleistungen der Eingeborenen, welche das hergebrachte Maß übersteigen, unbedingt bezahlt werden, Sache des Bezirksamts wird es somit sein, dafür zu sorgen, dass Übergriffe der Häuptlinge vermieden werden, dass den Arbeitern ihr Lohn wirklich ausgezahlt wird und dass dieser Lohn ein angemessener ist. Wie hoch ein angemessener Lohn ist, lässt sich schwerlich im Allgemeinen, sondern nur unter Berücksichtigung der einzelnen Umstände feststellen. Die Lohnverhältnisse regeln sich nach Angebot, Nachfrage, Lebensunterhalt und Arbeitsbedingungen ohne Rücksicht darauf, ob die Arbeitgeber Europäer oder Farbige sind. Denn in Deutsch-Ostafrika gibt es, was ich zu beachten bitte, für die Europäer wohl soziale und politische, aber keine wirtschaftlichen Privilegien.“

Nach diesen Grundsätzen, die von der Kolonialverwaltung wiederholt zum Ausdruck gebracht sind, ist in Deutsch-Ostafrika streng verfahren worden. Die Folge war ein alle Erwartungen übersteigendes Angebot freiwilliger Arbeiter. Jeder Arbeiteranwerber, welcher s?ch einen Verstoß zuschulden kommen ließ, wurde unnachsichtlich von einer weiteren Tätigkeit ausgeschlossen. Die Kulturen der Eingeborenen gewannen nicht allein erheblich an Umfang, sondern dehnten sich auch auf Pflanzen aus, welche wie z. B. Baumwolle anfangs lediglich von Europäern angebaut worden waren. Stellt sich somit die in dem Kap. 2 erhobene Behauptung des Arbeitszwanges in Deutsch-Ostafrika als eine durch nichts zu beweisende und durchaus unwahre Behauptung dar, so ist der Verfasser auch jeden Beweis schuldig geblieben. Es findet sich in dem ganzen Kapitel nur eine Stelle, in welcher derjenige namentlich aufgeführt wird, der über Missstände Klage führt. Es ist dies der Pater van der Burgt, der sich darüber beklagt, dass die aus der Gegend seiner Mission abgewanderten Arbeiter nur zu einem geringen Teil dahin zurückkehren. Diese Klage ist zutreffend. Sie beruht aber auf der Entwicklung der Verkehrswege, auf der Schaffung der großen Eisenbahnlinien und der damit verbundenen Verlegung der Wohnsitze der Eingeborenen von den bisherigen Stellen in die Nähe der neugeschaffenen Verkehrswege. Es ist ganz selbstverständlich, dass der Eingeborene, je intelligenter und je rüstiger er ist, umso eher einsieht, dass er für seinen, naturgemäß auf Landwirtschaft gerichteten, eigenen Betrieb einen besseren Absatz in der Nähe der großen Eisenbahnlinien findet, als an seiner früheren Wohnstelle. Da es ihm ein leichtes ist, sich irgendwo in dem weiten Gebiete niederzulassen, wählt er natürlich mit Vorliebe denjenigen Punkt, wo er den besten Erwerb findet, wenn er auch von seinem früheren Wohnsitz entfernt sein mag. So sind längs der Zentralbahn eine Reihe von neuen Eingeborenenniederlassungen entstanden, die zum großen Teil von früheren Arbeitern europäischer Betriebe aus freien Stücken und ohne jeden Zwang seitens der Regierung angelegt worden sind. Nach dem alten Wohnsitz kehrt der Kranke oder derjenige, der einen Unfall erlitten hat, wenn er dies überhaupt ermöglichen kann, sicher, der Rüstige und Intelligente nur dann zurück, wenn dieser Wohnsitz dieselben wirtschaftlichen Aussichten bietet wie ein neuer. Für eine Missionsstation kann dies unter Umständen unangenehm sein. Sie ist zu einer Zeit angelegt worden, wo sich der Hauptverkehr in ihrer Nähe abspielte. Nun kehrt der Verkehr andere Wege, die Bewohner der Umgebung der Missionsstation folgen dem neuen Verkehrsweg und die Mission sieht ihr Tätigkeitsfeld beschränkt, weil die Menschen, auf die gerechnet wurde, wegziehen. Diese Erscheinung finden wir nicht allein bei manchen Missionsstationen im Innern, sondern auch an der Küste. So war die Mission „Der Väter vom Heiligen Geiste“ in Baganoyo sicherlich jahrzehntelang die bedeutendste Missionsstation in Ostafrika, die existierte. Seit dem Vordringen der Zentralbahn und mit dem Augenblicke, wo Daressalam dadurch an Stelle von Baganoyo der Haupthafen der Kolonie wurde, ist sie immer mehr zurückgegangen und von vielen Missionsstationen überflügelt worden. Solche Erscheinungen sind gewiss für Missionare nicht angenehm, aber sie sind unvermeidlich, wenn eine Kolonie dem Verkehr erschlossen werden soll.

Wenn der Verfasser des Buches über die deutsche Kolonisation in Deutsch-Ostafrika die englischen Methoden als die mustergültigen dahinstellt, so möge es mir auch gestattet sein, die benachbarten unter englischer Herrschaft stehenden Gebiete mit Deutsch-Ostafrika zu vergleichen. In Deutsch-Ostafrika hat seit 1905/06 keine Erhebung irgendwelcher Art gegen die deutsche Herrschaft, auch nicht lokaler Natur, stattgefunden. In Britisch-Ostafrika war 1906 die Erhebung der Nandi, 1913/14 der Aufstand der Kismaji, vorher hatte ein Aufstand der Massai, welche die Eisenbahnstation Ashi überfielen, stattgefunden. Etwas früher empörte sich das Hinterland von Malindi wegen übermäßigem Steuerdruck, da die Hüttensteuer in Britisch-Ostafrika fast das Doppelte der in Deutsch-Ostafrika erhobenen, der übliche Arbeitslohn aber sehr viel weniger beträgt. Der Gouverneur von Britisch-Nyassaland, welches an Deutsch-Ostafrika anstößt, meldet noch im Februar 1915, also während des Weltkrieges, wo in Deutsch-Ostafrika alle Eingeborenen, die ausgerüstet werden konnten, auf deutscher Seite kämpften, dass auf dem Hochplateau von Shire ein Aufstand ausgebrochen sei, drei Weiße wären gefallen, 1 verwundet, 3 Frauen, 5 Kinder wären mitgeschleppt, aber später wieder freigelassen worden, auch hätte ein Angriff auf das Magazin in Blantyre stattgefunden, wobei die Schwarzen Waffen und Munition erbeuteten. Die von dem Verfasser behauptete Zufriedenheit mit der englischen Herrschaft scheint somit nicht sehr tiefgehend zu sein. Die Gesinnung der Eingeborenen ist auch begreiflich, wenn man die dem englischen Parlament vorgelegten Drucksachen durchsieht. Es ist bedauerlich, aber begreiflich, wenn in einem unzivilisierten Lande Übergriffe von Europäern gegenüber den Farbigen stattfinden. Solche Fälle haben sich leider auch in Deutsch-Ostafrika ereignet. Nur ist da das Verfahren stets ein ganz anderes gewesen als in den englischen Kolonien. Dankenswerterweise wurde jeder Übergriff, jede Gewalttat, die zur Kenntnis eines Reichstagmitglieds kam, rücksichtslos zur Sprache gebracht, und stets hat eine Bestrafung der Schuldigen stattgefunden und immer nahmen Parlament und Regierung seit 1906 auf das schärfste Stellung gegen alle Misshandlungen von Eingeborenen und gegen alle Maßnahmen, welche auf die Unterdrückung der [Schwarzen] abzielen konnten. Wie ist es in Britisch-Ostafrika? Ich kenne Britisch-Ostafrika aus eigener Anschauung durch viele Besuche und eingehende Reisen recht gut. Ich habe sowohl in Mombassa als auch in Nairobbi als auch in Kisumu (am Viktoria-See) die Strafbücher mir angesehen und ich habe aus denselben entnommen, dass in Britisch-Ostafrika erheblich mehr Prügelstrafen an Eingeborenen vollzogen wurden als in deutschen Bezirken, aber die Prügelstrafe gilt nicht als eine gerichtliche Strafe wie in Deutsch-Ostafrika, sondern lediglich als eine Polizeimaßregel, welche in der Strafverordnung zwar nicht vorgesehen ist, welche aber der betreffende englische Beamte kraft seiner polizeilichen Gewalt unkontrolliert nach Gutdünken anwenden kann. In Deutsch-Ostafrika muss er bei der Vollziehung der Prügelstrafe selbst zugegen sein, um Missbräuche zu verhindern. Er muss auch einen Arzneikundigen (Arzt oder Sanitätsbeamten) zuziehen. In Britisch-Ostafrika wird sozusagen unter der Hand geprügelt. Diese Straflisten brauchen gar nicht eingereicht zu werden, es wird auch gar keine Kontrolle darüber seitens des Gouvernements geführt. Im Gegenteil scheint dort die Anschauung zu herrschen, dass die sofortige Prügelei ohne jede Aufsicht das einzig Richtige ist. So findet sich in der dem englischen Parlament vorgelegten Denkschrift über Britisch-Ostafrika vom Juli 1908 (Cd 4122) S. 12 Abs. 2 und 3 die Äußerung eines Pflanzers in einer Versammlung ?n Nairobbi, welcher ausdrücklich erklärt, es wäre das Beste, die eingeborenen Arbeiter, wenn sie ungenügend arbeiten, mit der Nilpferdpeitsche durchzuprügeln, denn dann wüssten sie, was sie erwarte. Solange der Unternehmer in dieser Weise handle, wäre es das Beste. Er habe jüngst 200 Arbeiter gehabt, welche ihn sehr wenig befriedigten. Sein Partner hätte sie durchgepeitscht und seitdem zeigten sie eine erhebliche Besserung. Dieses Geständnis ist in einer öffentlichen Versammlung in Nairobbi gemacht worden. Nach dem Protokoll dieser Versammlung hat sich nicht eine Stimme der Missbilligung erhoben. Seitens der britischen Behörden wurde nicht eingeschritten, auch das englische Parlament hat keinen Anlass gefunden, der Regierung ein Einschreiten gegen diesen Pflanzer, Herrn Swift, nahezulegen. Nach dem Protokoll derselben Sitzung wird, um die Arbeitsbedingungen zugunsten der Pflanzer zu verbessern, unter allgemeiner Zustimmung verlangt: Einführung der Kopfsteuer und Erhöhung der Hüttensteuer, also diejenigen Forderungen. welche der Verfasser des von uns besprochenen Werkes bei den deutsch-ostafrikanischen Pflanzern tadelt. Dabei ist nach demselben Protokoll die Steuer ?n Britisch-Ostafrika erheblich höher als in Deutsch-Ostafrika. Ferner wird verlangt, dass der Arbeitslohn herabgesetzt werden müsse und zwar auf 3 Rupie monatlich (etwa 4 1/2 Mark). Es lautet wörtlich: „Der Arbeitslohn muss herabgesetzt werden und je niedriger er gehalten wird, umso weniger können die Eingeborenen mit diesem Gelde kaufen und umso länger haben sie zu arbeiten, um das zu erhalten, was sie wünschen (Ausführungen des Lords Delamere auf S. 16 derselben amtlichen Denkschrift).“ Da der Gouverneur Bedenken gegen die weitgehende Resolution der Pflanzer äußerte, fand eine Demonstration mit Katzenmusik seitens der Pflanzer vor seinem Hause statt. (Vergl. dieselbe Denkschrift.) Wie wenig in Britisch-Ostafrika bis in die letzte Zeit die Rechte der Eingeborenen gegenüber den Engländern geachtet wurden, können noch im Jahre 1912 zwei Fälle beweisen. Bei dem Farmer Russel Bowker hatten einige Viehdiebstähle stattgefunden. Die Viehdiebe waren aber nicht ermittelt worden. Da rief Bowker im Jahre 1912, im vollen Frieden, seine Nachbarn zusammen, überfiel mit ihnen das Eingeborenendorf, brannte es nieder, band den Häuptling an seine Steigbügelriemen und versuchte vergeblich von ihm durch Schläge und Misshandlungen ein Geständnis zu erpressen. Er wurde nicht verhaftet, wohl aber angeklagt und vom Gericht nicht etwa zu einer Freiheitsstrafe, sondern zu einer Geldstrafe von 500 Rupien verurteilt. In Deutsch-Ostafrika wäre ein derartiger Missetäter nach seiner Verurteilung aus der Kolonie ausgewiesen worden. In Britisch-Ostafrika wurde die Geldsumme durch freiwillige Sammlungen unter den Engländern aufgebracht, sodass Bowker gar keinen Schaden erlitt. Ein anderer Engländer, Namens Cole, wurde allerdings des Landes verwiesen; dieser hatte mehrere Eingeborene, denen er unterwegs begegnete und die vor ihm Reißaus nahmen, einfach von hinten erschossen, weil ihm dies Ausreißen verdächtig vorkam. Aber auch in diesem Falle traten die gesamten englischen Pflanzer von Britisch-Ostafrika geschlossen auf und verlangten vom Gouverneur die bedingungslose Begnadigung des Schuldigen, weil seine Interessen geschädigt würden und die Interessen eines Weißen demjenigen des Schwarzen stets vorangehen müssten. So geschehen im Jahre 1912. Ähnliche Fälle werden sich aus früherer Zeit noch viele nachweisen lassen. Ich verzichte darauf. Der Leser wird aus dem bisherigen sich bereits ein Bild daraus haben machen können, wo die Interessen der Schwarzen besser gewahrt werden, bei den Deutschen oder bei den Engländern. In der deutschen Kolonie werden Übergriffe stets rücksichtlos bestraft. Ein Vertuschen ist den Behörden schon deshalb nicht möglich, weil derartige Fälle, wenn sie einem Reichstagsmitglied bekannt werden, unbedingt im Reichstage zur Sprache gebracht werden. In den angrenzenden britischen Kolonien tritt eine Bestrafung, wenn überhaupt, nur in der mildesten Form auf; in allen Fällen erklären sich alle britischen Ansiedler mit dem Schuldigen solidarisch und das britische Parlament kümmert sich um diese Sachen gar nicht.

Zum Schluss will ich des Briefes des Bischofs Weston vom 7. November 1917 erwähnen, der in dem geschilderten Pamphlet abgedruckt ist. Es ist für mich schmerzlich, als überzeugter Christ einen Priester der offenkundigen und bewussten Unwahrheit zeihen zu müssen; aber ich bin dazu wie wenige in der Lage, da ich insgesamt über 12. Jahre in Ostafrika tätig war (darunter über sechs Jahre als Gouverneur) und während dieser Zeit auch den Bezirk Tanga, in dem sich die Missionsstation Magila befindet, verwaltet habe. Über die Art, wie die Prügelstrafe in Deutsch-Ostafrika ausgeführt wird, habe ich bereits gesprochen. Es ist unwahr, dass seit 1906 jemals mehr als 25 Hiebe erteilt werden, und ebenso unwahr ist es, dass jemals ein Eingeborener verpflichtet gewesen sei, nach Strafvollzug den Beamten zu grüßen. Unwahr ist es, dass es eine Tortur wie den Eisernen Hut oder das Binden um den Mittelfinger gegeben hätte. Die Kette für den Strafvollzug ist sowohl in Deutsch-Ostafrika für manche Verbrecher üblich als auch in Britisch-Ostafrika und in Sansibar. Bei Nachtzeit wird die Kette abgemacht. Arbeitszwang hat es seit 1906 in Deutsch-Ostafrika nicht gegeben, wohl aber in Britisch-Ostafrika, wie die vorerwähnte Parlamentsdrucksache beweist. Dafür aber, dass gerade von der Universitätsmission die Prügelstrafe so, wie sie in Deutsch-Ostafrika ausgeübt wurde, nicht als eine unmenschliche Behandlung angesehen worden ist, möge der Umstand zum Beweise dienen, dass die Missionsstation Magila die einzige Missionsstation ist, welche sich — freilich vergeblich — an mich mit dem Ersuchen gewandt hat, ihr zu gestatten, die Prügelstrafe gegen widerspenstige Missionsangehörige und Arbeiter selbst anwenden zu dürfen. Die Art, wie in den deutschen und in den englischen Gebieten verfahren wird, mögen die Leser auch daraus beurteilen, dass für das deutsche Gebiet niemals ein Protest fremder Vertreter gegen die Art der Anwerbung von Arbeitern oder Trägern erhoben worden ist. Anders auf englischer Seite. Das markanteste Beispiel dafür bietet das Jahr 1900. In diesem Jahre sollten Träger für die Westküste in Sans?bar angeworben werden. Die britische Protektoratsregierung verfügte, dass alle [Schwarzen], welche nicht nachweisen könnten, dass sie bei einem Europäer dauernd beschäftigt sind, auf der Straße aufgegriffen und an Bord der Schiffe gebracht werden sollten, bis die erforderliche Anzahl von Trägern beisammen wäre. Hunderte von unwissenden [Schwarten] wurden gewaltsam von den Straßen in die Boote geschleppt und auf die Schiffe gebracht. Die Stadt Sansibar verödete sofort, weil die Eingeborenen aus derselben flohen oder sich in ihren Hütten versteckten. Viele Neger sprangen über Bord und versuchten schwimmend die Küste zu erreichen, nur wenigen gelang dies. Viele ertranken, andere wurden von den sie verfolgenden Booten wieder aufgegriffen. Gegen dieses Verfahren protestierten schriftlich sämtliche in Sansibar vertretenen Konsulate, da sich unter den Weggeschleppten auch ihre Schutzbefohlenen befinden konnten. Die Geschäfte des portugiesischen Generalkonsulats wurden damals von dem britischen Generalkonsul wahrgenommen; von diesem ging selbstverständlich kein Protest ein, wohl aber vom deutschen, vom österreich-ungarischen, vom italienischen und vom französischen Konsulat. Dieser Vorgang muss auch in den Akten des britischen Ausw. Amts niedergelegt sein, und gibt einen deutlichen Beweis für die Art, wie englische Kolonisationsmethoden in Ostafrika von Unparteiischen beurteilt werden.

Über die weiteren Ausführungen des Bischofs Weston möge mir eine Äußerung erspart bleiben. Ich achte die christliche Religion in jeder ihrer Konfessionen und in jedem ihrer Diener. Umso peinlicher muss es mir sein, einem Priester gegenüber kein anderes Wort finden zu können, als seine Ausführungen als einen Ausfluss der Lüge, des Hasses und der Heuchelei zu bezeichnen. Ich habe selbst den Bezirk Tanga lange Zeit verwaltet, ich bin vielleicht zwanzigmal in der Nähe der Missionsstation Magila gewesen und es möge mir doch der Bischof Weston einen Fall bezeichnen, wo zu irgendeiner Zeit irgend ein farbiges Weib oder Mädchen mir oder einem der mich begleitenden Europäer freiwillig oder gezwungen für das Nachtlager oder für den Tag bestellt worden sei. Auf S. 57 der Drucksache behauptet aber der Bischof, dass jeder deutsche Beamte für jedes Nachtlager die Stellung eines Mädchens fordere. Es ist widerlich, sich mit solchen Leuten auseinandersetzen zu müssen. Noch widerlicher ist es aber, wenn sie unter dem Deckmantel der Heuchelei sich anmaßen, an den von erhabenster Menschenliebe getragenen Ausführungen des Heiligen Vaters Kritik üben zu wollen.

Wirkl. Geheimrat Dr. Freiherr von Rechenberg,
Mitglied des Reichstags, früher in Ostafrika.