Brief an Staatssekretär Dr. Solf. Dr. A.W. Schreiber (1867-1945)
An den
Staatssekretär des Reichs-Kolonialamts,
Herrn Wirkl. Geh.-Rat Dr. Solf, Exzellenz. Berlin.
Euer Exzellenz!
Zu dem offenen Brief, den Frank Weston, der Bischof der Britischen Universitäten-Mission in Zanzibar, unter dem 7. November 1917 an General Smuts gerichtet hat, um als angeblich berufener Vertreter der Eingeborenen gegen die Rückgabe Deutsch-Ostafrikas an Deutschland Einspruch zu erheben, kann auch die deutsche evangelische Mission nicht schweigen. Nicht nur deutsche, auch christliche, missionarische Interessen werden durch sein skrupelloses Vorgehen gefährdet. Die deutsche evangelische Mission hat sich von jeher so bewusst und streng auf ihre in der Heiligen Schrift ihr gewiesene religiös-sittliche Aufgabe beschränkt, dass es in unseren Kreisen schier unverständlich ist und sehr schmerzlich berührt, dass gerade ein Missionsbischof diese unwürdige, ja geradezu unwahrhaftige Rolle spielt, im Gewande edler Fürsorge für die Eingeborenen die Dienste politischer Eroberungssucht zu besorgen.
In England wird man sich freilich nicht gewundert haben, gerade von Bischof Weston einen solchen Brief zu lesen. Man ist es drüben von ihm gewohnt, dass er, weder durch Bescheidenheit noch durch Weisheit gezügelt, sich mit Anklagen und Herausforderungen in den Vordergrund der öffentlichen Meinung drängt. Aber mit Erstaunen wird man auch dort gelesen haben, dass er als Diener Christi ein Diener des Friedens sein will, Er war es nie. Wohin er kam, dahin kam der Unfriede, auch in seinem engsten Kreis. Es sei hier nur an die Anmaßung und Engherzigkeit erinnert, mit der er 1913 die englische Staatskirche dadurch in Aufregung versetzte, dass er in einem offenen Brief an den Erzbischof von Canterbury die Absetzung seiner bischöflichen Kollegen von Mombasa und Uganda wegen „Haeresie und Schisma” verlangte, weil sie sich auf einer Konferenz in Kikuyu nach seiner Meinung in eine zu enge Gemeinschaft mit anderen Missionen eingelassen hatten.
In Deutsch-Ostafrika ist Bischof Westen oft genug und keineswegs unter der Zustimmung seiner eigenen Mitarbeiter mit geflissentlicher Unfreundlichkeit von den anderen Missionen abgerückt, auch von denjenigen seiner eigenen englischen Kirche. Der deutschen Verwaltung hat er starke Geduldsproben zugemutet und reichlich Anlass zu Misstrauen gegeben, obschon gerade die Universitäten-Mission eine in der Kolonial- und Missionsgeschichte außerordentliche Rücksicht erfuhr. Seit Jahrzehnten nämlich wurde es geduldet, dass sie ihre Lehrer und Prediger für Deutsch-Ostafrika in ihren Anstalten in Kiungani auf Zanzibar, also auf britischen Boden, durch britische Lehrer mit britischen Lehrmitteln ausbildete, ohne dass die deutsche Regierung irgendwelche Kontrolle über den Geist dieser Erziehung ausüben konnte. So fest baute man auf deutscher Seite auf die Unverbrüchlichkeit der Kongoakte und auf das ungeschriebene Gesetz der Solidarität der weißen Rasse, so wenig rechnete man mit der Möglichkeit eines kriegerischen Zusammenstoßes mit England in Afrika, so rückhalllos vertraute man auch auf die Lauterkeit und Gewissenhaftigkeit christlicher Missionen, dass man einen solchen Kanal britischen Einflusses auf die eingeborene Bevölkerung Deutsch-Ostafrikas mehr als ein Menschenalter hindurch ungestört ließ.
Die Universitäten-Mission aber und zumal ?hr Leiter Bischof Weston haben sich dieses Vertrauens leider nicht würdig gezeigt. Ihre eingeborenen Zöglinge haben sich während des Krieges nicht so verhalten, wie man es von Christen erwarten darf, die nach der Regel der Heiligen Schrift erzogen sind, ihrer Obrigkeit untertan zu sein. Die Missionare dieser Gesellschaft haben zu einer Zeit, in der andere fremdländische Missionare, auch Franzosen und Belgier, noch in Freiheit belassen werden konnten, interniert werden müssen, weil ihr Verhalten politisch nicht einwandfrei war. Die heimatliche Leitung der Universitäten-Mission hat sich schon in ihrem 1917 veröffentlichten Jahresbericht (Church Times, 25. Mai 1917) nicht gescheut, eine dreiste deutschfeindliche Propaganda mit schweren Beleidigungen gegen Deutschland zu treiben. Bischof Weston hat sich, obschon Leiter einer überwiegend in Deutsch-Afrika tätigen Mission, am Kriege gegen Deutsch-Ostafrika hervorragend beteiligt und den Einfluss, den er durch die Missionstätigkeit seiner Gesellschaft und besonders durch ihre eingeborenen Lehrer besaß, dazu benutzt, um deutsche eingeborene Untertanen zur Kriegshilfe gegen ihre rechtmäßige Obrigkeit zu verleiten und zu organisieren. Er weiß daher nur zu gut, dass, wenn Deutsch-Ostafrika wieder in deutsche Hände zurückfällt, für ihn und seine Mission dort kein Raum mehr sein dürfte. Er kann sein Lebenswerk nur behalten, wenn dasselbe der deutschen Herrschaft dauernd entzogen bleibt. Muss ihm unter solchen Umständen nicht daran liegen, mit allen Kräften dahin zu wirken, dass es nicht wieder deutsch werde? Aber statt dies ehrlich auszusprechen, besteigt er lieber mit dem offenen Brief an General Smuts aus selbstloser Sorge um das Geschick der Eingeborenen „den Scheiterhaufen“, auf dem das Teuerste, was er besitze, sein Missionswerk, verbrennen müsse, wenn die schwarz-weiß-rote Flagge über Deutsch-Ostafrika wieder hochsteigen dürfe. So sei zur Steuer der Wahrheit zunächst dies eine hier ausgesprochen: Nicht um der Eingeborenen, die seines Schutzes bedürfen, um seiner eigenen Stellung und Mission willen hat der Bischof diesen Brief geschrieben.
Ob der Brief nicht auch bestellte Arbeit der britischen Regierung gewesen ist? „Aus maritimen wie militärischen Gründen“, sagt der Bischof selbst, aber wie nebensächlich am Schlusse, „werde kein vernünftiger Mann für die Rückerstattung Deutsch-Ostafrikas, dieses strategischen Angriffspunktes, an den Kaiser stimmen.“ In der Tat, die Aufrichtung einer unumstrittenen Herrschaft über den Indischen Ozean, die Abwehr jeder Bedrohung des Verkehrs durch den Suezkanal durch eine fremde Macht und die Herstellung der Verbindung Kapstadt-Kairo ist eines der vornehmsten Kriegsziele Englands. Aber dem Egoismus britischer Politik hat von jeher der Mut der Wahrhaftigkeit gefehlt. Um die kolonialen Eroberungspläne vor dem Auslande und der eigenen öffentlichen Meinung zu rechtfertigen, um den Schein selbstloser Kriegsführung zur Befreiung und zum Schutz schwacher und bedrückter Nationen aufrechtzuerhalten, musste hier das Interesse der Eingeborenen vorgeschützt werden. Es war nicht leicht. Zu deutlich hatte im letzten Jahrzehnt die Berichterstattung der Afrikareisenden ohne Unterschied der Nationalität und die koloniale Literatur, auch die britische, die großen kulturellen Fortschritte der deutschen Schutzgebiete und die mehr und mehr eingeborenen-freundliche Haltung ihrer Verwaltung anerkannt. In Britisch-Ostafrika und Britisch-Njassaland mussten während des Krieges nicht unbedenkliche Eingeborenenaufstände gewaltsam unterdrückt werden. Die bewundernswerte Treue aber der Eingeborenen Deutsch-Ostafrikas während des Krieges lieferte vor aller Welt den denkbar stärksten Beweis dafür, dass hier eine allgemeine Unzufriedenheit mit einer ungerechten, grausamen Regierung nicht verbreitet sein konnte. Wie hätte sonst das kleine, so völlig unzureichend bewaffnete Häuflein der weißen Verteidiger in dem großen Lande sich auch nur etliche Monate gegen eine so ungeheure Übermacht und so gewaltige Überlegenheit an Kampfmitteln aller Art behaupten können!
Der Vorschlag Lloyd Georges, die Eingeborenen selbst über ihre künftige Obrigkeit abstimmen zu lassen, war überall, auch in England selbst, dem Fluch der Lächerlichkeit verfallen. Die wiederholten Aufstände deutsch-ostafrikanischer Eingeborenen gegen die britischen Eroberer zeigten obendrein, dass trotz alles Druckes, mit dem das Joch der neuen Herrschaft auf der Bevölkerung lastete und ihr eine ehrliche Äußerung unmöglich machte, ihre Befragung vom Standpunkt der englischen Regierung aus nicht ungefährlich erschien. Da war es freilich ein willkommener Dienst, wenn in Gestalt dieses Bischofs die christliche Mission, die selbstloseste Vertreterin der Eingeborenen, aus Menschlichkeitsgründen die Beseitigung der deutschen Herrschaft verlangte. Das war es ja gerade, was man brauchte!
Die eigenen Interessen des Bischofs und die Eroberungssucht Englands, aber nicht irgendwelche ehrlichen Regungen der Liebe zu den Eingeborenen sind die Wurzeln, aus denen dieser Brief erwachsen Ist.
Für die Eingeborenen droht, davon bin ich fest überzeugt, von der Rückkehr der deutschen Regierung nicht die geringste Gefahr. Die Behauptung des Bischofs, die deutschen Behörden hätten vor ihrem Rückzug allen Eingeborenen bei Todesstrafe verboten, den Engländern irgendwelche Hilfe zu leisten, ist unrichtig. Sie haben vielmehr, wie mir ein deutsch-ostafrikanischer Missionar aus eigenem Miterleben versichert, den Eingeborenen als „selbstverständliche Notwendigkeit nicht nur erlaubt, sondern sogar empfohlen, Forderungen der Feinde auf Trägerdienste und Lieferung von Verpflegung willig Folge zu leisten“. Es lag der deutschen Verwaltung daran, dass die brave, durch den Krieg bereits so schwer in Mitleidenschaft gezogene Bevölkerung nicht noch durch Strafexpeditionen der Feinde weiter zu leiden hätte. Vor Verrat, z. B. Mitteilung von deutschen Truppenbewegungen, wurden die Eingeborenen allerdings ernstlich gewarnt, und notorische Verräter sind bestraft worden. Soweit aber Eingeborene auch über jene Dienste hinaus unter feindlichem Zwang sich schließlich haben missbrauchen lassen, werden sie nach Rückkehr der deutschen Herrschaft eine milde Prüfung der Vorgänge erwarten dürfen. Ich bin gewiss, dass Euer Exzellenz zwischen den feindlichen Machthabern mit ihren Helfershelfern, den Verführern im geistlichen Gewand, und zwischen den hilflosen, in die schwerste Bedrängnis geratenen Eingeborenen hochherzig zu unterscheiden wissen. Sollte es im einzelnen Fall dessen bedürfen, so werden die deutschen Missionen seinerzeit sich nicht scheuen, mit der Bitte um äußerste Milde auch für solche Eingeborene einzutreten, die unter den Versuchungen und Nöten der Zeit sich etwa zu Pflichtwidrigkeiten haben fortreißen lassen, und ich bin gewiss, dass die deutsche Kolonialregierung, zu deren obersten Zielen die Förderung des Wohles der Eingeborenen gehört, solcher Fürsprache sich nicht verschließen wird.
Bischof Weston freilich behauptet, er befürchte das Gegenteil, und meint, aus seiner Erfahrung mit der deutschen Herrschaft seine Besorgnis begründen zu können. Es ist mir schmerzlich, von einem Missionsbischof öffentlich aussprechen zu müssen: „Diese Besorgnis ist unaufrichtig!“ Gerade weil er die deutsche Verwaltung kennt, weiß er, dass das Bild, das er von ihr gezeichnet hat, ein für den politischen Bedarf berechnetes Zerrbild ist. Noch nie ist eine Kolonie erworben und entwickelt worden, ohne dass seitens der weißen Eroberer und Herren Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten unterliefen. Weiß Bischof Weston nichts von derartigen Vorfällen aus der Kolonialgeschichte seines eigenen Volkes? Dann würde es uns deutschen Missionaren nicht schwerfallen, aus unserer Erfahrung in britischen Kolonien seiner Unwissenheit abzuhelfen. Zu seinen Beweisen für die angebliche deutsche Grausamkeit, Ungerechtigkeit und Unsittlichkeit könnten wir ihm reichliche Seitenstücke von seinen eigenen Landsleuten, Beamten wie Privatleuten, hier öffentlich aufführen und könnten auch Namen nennen. Aber aus solchen Einzelvorkommnissen leichthin ein Verdammungsurteil über ein ganzes Volk abzuleiten, halten wir für unwahrhaftig, unsittlich und unchristlich. Mit dieser Methode ist es ein Leichtes, jede der kolonisierenden Nationen dieses ihres Berufes für unwürdig zu erklären. Man mag uns deutsche evangelische Missionare um unseres Dienstes willen loben oder tadeln — dessen hat uns noch niemand zu beschuldigen gewagt, dass wir, wo wir Ausschreitungen unserer Landsleute und Missgriffe unserer Behörden zu bemerken glaubten, darüber geschwiegen und uns dadurch mitschuldig gemacht hätten, zumal wo es sich um die Eingeborenen handelte. Die deutschen Missionen haben gegenüber der deutschen Kolonisation eine freimütigere, schärfere Sprache geführt, als es britische Missionen gegenüber ihrem Volke zu tun pflegten. Es war uns recht auffällig und befremdlich, wie plötzlich, und doch offenbar aus politischen Rücksichten, die Sprache der britischen Missionen gegenüber den Kongogräueln sich milderte! In unserem Lande aber wurde in Parlament, Presse und Literatur, was irgend an Schäden und Ausschreitungen in den Kolonien vorkam, rückhaltlos erörtert, Die Missionskreise befanden sich demgegenüber oft in einer peinlichen schmerzlichen Lage. Sie teilten den entschiedenen Wunsch, dass die Behandlung der Eingeborenen in den deutschen Schutzgebieten in jeder Hinsicht wohlwollend, gerecht und fürsorglich sei und darin von keiner fremden Kolonie übertroffen werde, dass das Leben der Weißen den Anforderungen christlicher Sittlichkeit entspreche. Sie wirkten daher lebhaft in Vereinigungen wie die Deutsche Liga zum Schutz der Eingeborenen mit. Aber sie konnten es als bewusste Mitarbeiter und freudige Gehilfen der kolonialen Betätigung unseres Volkes nicht billigen, wenn Einzelvorkommnisse durch ungerechte Verallgemeinerung dazu benutzt wurden, über die ganze deutsche Kolonialpolitik den Stab zu brechen. Dass indessen die deutsche Kolonialkritik so unerbittlich scharf war und es durch ihre öffentlichen Äußerungen der gegenwärtigen britischen Propaganda so leichtgemacht hat, deutsche Gewährsmänner aufzuführen, beweist doch im Grunde nur, wie wach und empfindlich auch auf kolonialem Gebiete das deutsche Gewissen war. Darauf kommt es aber an! Bischof Weston konstruiert aus vorgekommenen und angeblichen Ausschreilungen ein vermeintliches deutsches „System“ und behauptet, er wisse wohl, dass manche Deutsche dieses System missbilligen; es bleibe aber nichts desto weniger eine Wahrheit, dass die Deutschen als Volk es billigen. Diese vermeintliche Wahrheit ist in Wirklichkeit eine grobe Unwahrheit.
Es hat Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten einzelner Deutschen in den Kolonien gegeben, wie es ebensolche Vorkommnisse in britischen Kolonien und nun gar in belgischen, französischen und portugiesischen gab. Aber das deutsche Volk als solches hat sie nie gebilligt, und die deutsche Kolonialverwaltung hat sie, unterstützt von der öffentlichen Meinung, dem Parlament, der Presse und nicht zuletzt der Mission, ehrlich zu bekämpfen sich bemüht. Ob ein Volk innerlich berechtigt ist, Kolon?albesitz zu verwalten, hängt nicht von einzelnen Ausschreitungen ab, die je und dann vorgekommen sind, noch auch von zeitweiligen Missständen in seiner Verwaltung oder gar von den physischen, wirtschaftlichen und sittlichen Gefahren, die mit der fortschreitenden Zivilisation für das Leben und die Wohlfahrt der Eingeborenen entstehen, sondern davon, ob die Regierung bestrebt ist, dem allem tatkräftig entgegenzuwirken, und ob die öffentliche Meinung sie hierin wirksam unterstützt. Wer die Verhältnisse kennt und ein ehrlicher Mann sein will, kann der deutschen Kolonialverwaltung und dem deutschen Volk solchen guten Willen nicht bestreiten, noch die wachsenden wohltätigen Wirkungen dieses Bemühens ableugnen. Die deutschen Missionen haben auch darum mit wachsender Freude in den deutschen Kolonien gearbeitet, weil sie eine sehr erhebliche Besserung der Verhältnisse, zumal im letzten Jahrzehnt, in erfreulicher Weise wahrnehmen konnten. Das Verständnis für eine richtige Behandlung der Eingeborenen nahm zu. Es wuchs ein Stamm vortrefflicher deutscher Beamter heran, die bei gründlicher Kenntnis der Sprache und des Lebens der Eingeborenen und warmem Wohlwollen für sie eine für Land und Volk gesegnete Wirksamkeit ausübten. Die Rechtspflege in den Schutzgebieten, eine überaus schwierige Aufgabe in großen Kolonien mit buntgemischter Bevölkerung, machte bemerkenswerte Fortschritte. Die Gesundheitsfürsorge für d?e Eingeborenen, wie sie von der Verwaltung und von den Missionen in vielseitiger Arbeitsgemeinschaft betrieben wurde; übertraf weit, was in benachbarten britischen Kolonien in dieser Hinsicht geschah. Wenn wir Missionare auf die Gefahren hinwiesen, die dem Leben der Eingeborenen in der neuen Zeit aus dem schnellen Eindringen fremder Einflüsse und der unvermeidlichen Umgestaltung ihrer Lebensordnungen drohten, z. B. auf die gesundheitlichen, sozialen und sittlichen Wirkungen der Wanderarbeit, so fanden unsere Darlegungen im Bezirks- und Gouvernementsrat, in der Presse und Literatur je länger desto williger Gehör. Erkannte Missstände wurden als Aufgaben anerkannt, die gemeinsam zum Wohl der Eingeborenen zu lösen seien.
Auch englische Missionare, die in Deutsch-Ostafrika arbeiteten, sprachen gelegentlich ihre ehrliche Freude über diese Entwicklung und das deutsche Regiment aus, und solche aus benachbarten englischen Kolonien konnte man Vergleiche ziehen hören, die nicht zugunsten der eigenen Schutzgebiete ausfielen. Wir könnten auch hier Namen nennen. Wenn aber nach Bischof Westons Meinung die Behandlung der Eingeborenen so himmelschreiend war, warum hat der edle Bischof, dem gleichfalls die Tür des Gouvernements und jedes Bezirksamtmanns auch der Weg in die Presse offenstand, in früheren Zeiten hierüber völlig geschwiegen, solange geschwiegen, bis der Nachweis dieser angeblichen Ungeheuerlichkeiten — dazu helfen konnte, dass Deutsch-Ostafrika in britischen Besitz geriet?
Ja, dieser Nachweis! Wir Missionare sind von jeher unnachsichtig gegen Missbrauch der Prügelstrafe aufgetreten und werden dies auch künftig tun. Aber wir fanden dazu in britischen Besitzungen ebenfalls reichlichen Grund, wie denn die Ausdrücke „Twentyfive on backside“ und „Sjambock“ von englischem Boden stammen. Weiß Bischof Weston wirklich nichts davon, wie sich die Regierung in Deutsch-Ostafrika, zumal im letzten Jahrzehnt, erfolgreich bemühte, auch gerade in der Bestrafung der Eingeborenen eine mildere Praxis und gerechtere Behandlung sicherzustellen? Man mag gegen die in Deutsch-Ostafrika übliche Kettenstrafe Bedenken erheben; gegen die in den britischen Kolonien gebrauchte Fußkette und gegen die im Kongostaat übliche Kette ohne Halseisen sind mindestens ebenso schwere Bedenken vorhanden. Der „Eiserne Hut“ und die Fingerspannung waren Mittel der Tortur in der Rechtspflege der Häuptlinge vor der Zeit der europäischen Herrschaft. Die meisten Weißen im Schutzgebiet werden von diesen Dingen nie etwas gehört oder gesehen haben. Es mag sein, dass Eingeborene, se! es farbige Unterbeamte, sei es Häuptlinge, solche Folter hie und da noch einmal angewandt haben. Auch derartige Vorkommnisse könnten wir aus britischen Kolonien belegen. Aber scheut sich der Bischof wirklich nicht, sie als Beweise der deutschen Rechtspflege hinzustellen? In zwei Bezirken war vor dem Kriege ein gelinder „Arbeitszwang“, wenn man dies Wort dafür anwenden will, eingeführt. Innerhalb von vier Monaten des Jahres musste in Usambara jeder Eingeborene 30 Tage bei einem Europäer oder bei der Regierung Arbeit nehmen, es sei denn, dass er als Beamter, Soldat, Missionslehrer oder dergleichen bereits eine wertvolle Tätigkeit im Sinne dieser Verordnung ausübte. Die Tage seines Dienstes und den Arbeitgeber konnte er sich wählen. Bei diesen Bestimmungen hatten Missionare mitgewirkt. Selbst wer grundsätzlich völlige Arbeitsfreiheit für das bessere System hält, konnte nicht verkennen, dass diese Einrichtung auch nützliche Folgen für die Eingeborenen wie für die Europäer hatte und dass die Behandlung der Arbeiter durch sie nicht verschlechtert: sondern gebessert wurde.
Von den ersten Anfängen an hat die deutsche Verwaltung in Ostafrika den Sklavenhandel scharf bekämpft und sich bemüht, der Sklaverei ein Ende zu machen. Sie hat aber geglaubt, die Sklaven nicht durch plötzliche Beseitigung ihrer Rechtslage vor eine Lebensaufgabe stellen zu sollen, der sie nicht gewachsen waren und darum versucht; den Schaden allmählich zu überwinden. Alle Kinder von Sklaven waren ohne Entschädigung an den Sklavenbesitzer von Geburt an frei, und der Preis, mit dem sich ein Sklave freikaufen konnte, war gesetzlich so niedrig bemessen, dass es für niemand eine Schwierigkeit bedeutete, freizukommen, wenn er wollte. Mit dem Jahr 1920 aber sollte alle Sklaverei aufhören. Mancher Sklave verblieb inzwischen aus freiem Willen bei seinem Herrn, weil seine Lage ihm erträglich war, jedenfalls längst nicht so schlimm wie manche Erscheinungen moderner Lohnsklaverei etwa ?n den Minendistrikten Südafrikas. Der Bischof aber scheut sich nicht, einem deutschen Distriktschef die Behauptung in den Mund zu lesen, es werde im Jahr 1920 schwerlich ein Ersatz für die Sklaverei gefunden werden: „Der Kaiser habe scheinbar andere Anschauungen über sein Einkommen.“ Gibt es wirklich Leser, die die Niederträchtigkeit und Torheit einer solchen Verleumdung nicht erkennen?
Aus Rache sollen die Deutschen 1905 während des Aufstandes in Deutsch-Ostafrika einige 30.000 Eingeborene niedergemetzelt haben, während nur sehr wenige Weiße ums Leben kamen. Weiß Bischof Weston nichts von den vielen Eingeborenen, die durch die Aufständischen abgeschlachtet worden Sind, weil sie mit ihnen nicht gemeinsame Sache machen wollten? Weiß er nicht, wie schwer es hielt, die Empörung auf ihren Herd zu beschränken, und wie zäh sich die durch Zauberwasser und Mekkabriefe fanatisierten Aufständischen in langwierigem Guerillakrieg behaupteten, um immer wieder in friedliche Nachbargebiete sengend und mordend einzubrechen? Seine eigenen Missionare, die flüchtend auf einer 6deutschen Mission liebreiche Aufnahme fanden, haben damals anders gesprochen als er heute. Weiß er auch nichts davon, wie sich die deutsche Verwaltung bemüht hat, die Aufständischen zu friedlicher Unterwerfung zu bewegen und sie, soweit sie dies taten, teils den benachbarten Missionen zur Pflege und Beschäftigung zuzuführen, teils bis zur völligen Wiederherstellung der Ruhe in Usambara unterzubringen? Hat er nie von Eingeborenen der Aufstandsgebiete selbst nachher sagen hören, dass die aus Zanzibar herübergekommenen Drahtzieher sie in ?hr Verderben gelockt hätten? Sollen wir ihm wirklich mit Schilderungen antworten, wie in britischen Kolonien Aufstände im Blut erstickt wurden?
Es ist ein übles Schauspiel, dass deutsche Missionare einen englischen Berufsgenossen Öffentlich der Verleumdung ihres Vaterlandes überführen müssen. Da mag im Ausland der Eindruck entstehen, als seien Kläger wie Verteidiger durch ihr vaterländisches Interesse und Ihre politische Erregung in ihrem Urteil befangen. So sei zum Schluss einem unverdächtigen Zeugen, einem Eingeborenen aus Deutsch-Ostafr?ka, das Wort gegeben. Er ist kein Soldat, kein Angestellter der Regierung oder wie Bischof Weston sagt, einer ihrer „Lieblinge“, sondern Lehrer und Prediger einer evangelischen Mission. Als Häuptlingssohn in Britisch-Njassaland geboren, wurde er als Knabe von Sklavenjägern geraubt, an der Küste verkauft, von der deutschen Truppe befreit und der evangelischen Mission zur Erziehung übergeben. Späterhin hat er zum Besuch seiner Verwandten einen guten Teil des Schutzgebietes durchwandert, und hat auch die Zustände auf britischem Boden kennen gelernt. Vor mehreren Jahren schrieb er zum Kaisersgeburtstag 1912 aus eigenem Antrieb in einem in Daressalam erscheinenden Suaheliblatt einen bemerkenswerten Artikel, in dem er mit deutlichem Rückblick auf sein eigenes Leben einen Vergleich zog zwischen der Lage der Eingeborenen vor der deutschen Herrschaft und den nunmehr bestehenden Zuständen. Das Hauptstück dieses Artikels sei hier ohne jeden Zusatz oder Abstrich wiedergegeben (vergl. Koloniale Rundschau, 1913, S. 671 ff..)
„Was ist die Bedeutung dieses Festtages, und aus welchem Grund feiern die Leute diesen Festtag und preisen ihn und machen Freude allenthalben in seinem Königreich? Dies ist die Bedeutung: Gott der Herr gab dem Kaiser Kraft und Macht, alles zu vollbringen, was es im Lande zu tun gibt, und alles zu beherrschen und in Ordnung zu halten, damit alles in Frieden und Gesundheit bleibe und er es allezeit behüte. Jeder Mensch soll zu seinem Rechte kommen, und keiner soll von seinem Feind schlecht behandelt oder seines Vermögens beraubt werden. Weiter liebt der Kaiser auch die Armen; er will nicht, dass sie von den Mächtigen verächtlich behandelt werden.
Ich nehme als Beispiel dieses Land von Deutsch-Ostafrika, unser Land, das der schwarzen Leute. Die Zustände in ihm waren früher Zustände der Ungerechtigkeit. Jeder, der die Macht hatte, behandelte ungerecht den, der keine hatte. Sklaverei war allenthalben. In jener Zeit konntest Du nicht einen Gang von vier oder fünf Tagen allein machen, da wurdest Du ergriffen, weit weg verkauft, so dass Du nicht zurückkehren konntest in Dein Land zu Vater und Mutter, sondern Du warst der Sklaverei verfallen bis zu Deinem Tode, obschon Du nichts verbrochen hattest. Oder Du trafst zusammen mit Räubern, und sie töteten Dich ohne Grund. Weiter, wenn Du viel Vermögen hattest, so kam man, um Dich abzuschlachten und Dein Gut davonzutragen, und kein Mensch war da, der es verbot. Denn da waren andere Leute, die liebten es, die Leute abzuschlachten und zu berauben, und es war niemand da, um sie zur Rechenschaft zu ziehen.
Weiter, wenn Hungersnot ins Land einzog, war kein Mensch oder König da, der es verstanden hätte, die Leute zu erretten, indem er in einer anderen Gegend Nahrungsmittel herausgab, dass sie hierher, wo die Leute Hunger litten, gebracht würden. Vielmehr war es so: Was einem jeden Menschen zustieß, das stieß ihm zu.
Weiter, wenn Krankheit ins Land kam, etwa die Pocken, oder die Wurmkrankheit, oder eine andere Krankheit, genug, sie vernichtete die Menschen, es gab keine Medizin für alle. Wenn ein Mensch Medizin hatte, so behandelte er damit die, die er liebte, sonst niemand. Im Übrigen gab er die Medizin nur gegen viel Gewinn heraus, damit er reich werde. Aber er hatte kein Erbarmen mit den Kranken, sondern sein Gut zu mehren, darauf stand ihm sein Sinn.
Aber jetzt, wie ist der Zustand des Landes heute? Gut oder schlecht? Ist ein Mensch da, der seinen Genossen tötet, ohne dass er ihm nachfolgt eben diesen Monat oder dieses Jahr? Oder wenn einer Menschen stiehlt, um sie zu verkaufen, wo will er sie verkaufen? Wer wird auf den Handel eingehen? Alle werden sich fürchten. Jetzt kannst Du eine Reise von drei oder vier Monaten machen ohne Waffe und hast nur einen Wanderstab. Deine Waffe ist die Regierung, überall kannst Du hingehen und zurückkehren.
Gehst Du weit ins Innere, wirst Du da nicht Inder sehen bei ihrer Arbeit im Kaufladen, beim Verkaufen? Dort auf den Bergen wohnt der Inder mit den Bewohnern des Landes, und er, der Inder, ist allein, er hat keine Waffen und keinen Soldaten, sondern tagsüber ist es seine Arbeit, sein Vermögen zu berechnen. Hätte der Inder früher unbewaffnet ins Inland gehen können, ohne sein Handelsgut zu verlieren? Genug — früher hätte er nicht ins Innere kommen können, man hätte ihn gemordet und seines Vermögens beraubt.
Aber jetzt ist allenthalben Frieden, es ist kein Gewalttätiger da, alle sind unter der Regierung des Kaisers. Wenn nun jetzt Hunger ins Land kommt, dann wird es kein sehr schwerer sein, der die Leute tötet. Die Regierung steht den Leuten bei, sie hat Mitleid mit ihnen, sie bestellt Speise in der Ferne und bringt sie ins Land, dahin, wo Hunger ist, damit die Leute nicht durch den Hunger sterben. Auch Saatgut bringt die Regierung, damit die Leute es bekommen und auf ihren Feldern aussäen. Früher war solches nicht da. Solch ein schwerer Hunger — genug, Ihr wäret gestorben und hättet einander verkauft und gekauft! Und wenn eine Krankheit ins Land kommt — auf einmal kommt der Herr Arzt, der die Arten der Medizin kennt, und hält die Krankheit auf. Er behandelt die Leute, er pflegt ihnen diese und jene Dinge zu verbieten, die die Krankheit hervorbringen. Genug — die Krankheit pflegt schnell aus dem Lande zu weichen, und es kehrt Gesundheit ins Land zurück.
Wem liegt das alles auf? Es liegt das auf der Regierung, welche Leute eingesetzt hat, die die Medizin kennen, damit sie die Menschen insgesamt heilen, die im Reich des Kaisers sind. Ferner hütet die Regierung das Eigentum aller Leute, dass es sicher bleibe. Auch die Leute, die das Vermögen ihrer Väter erben, bekommen das, was ihnen vom Vater her zusteht. Und wenn einer ein kleines Kind ist, und noch nicht Verstand hat, sein Gut zu kennen und zu gebrauchen, — die Regierung hütet ihm sein Eigentum, bis er Verstand hat, dann wird er alles bekommen. Weiter, die Regierung legt das Geld der Leute in die Sparkasse. Dort liegt das Geld sicher, ohne gestohlen zu werden. Ihre Absicht ist, dass jeder Mensch möge anfangen zu sparen und Vermögen zu haben.
Weiter, wenn ein wildes Tier im Lande ist, und es schädigt die Leute, etwa ein Löwe, ein Leopard, Wildschwein oder ein anderes — die Regierung pflegt einen Backschisch jedem zu geben, der ein wildes Tier getötet hat; sie pflegt ihn zu erfreuen. Viel Geld wird ausgegeben für diese Arbeit des Tötens wilder Tiere.
Genug, das Land hat angefangen, sich wohl zu befinden, und die Leute wohnen in Frieden. Durch wen ist es dahin gekommen, dass Friede herrscht und die Leute in Ruhe leben? Genug, durch den Kaiser, den Besitzer seines Reiches, der befiehlt, dass gute Zustände herrschen unter seiner Regierung. Wenn ein Mensch nicht will Frieden halten und mit Frieden in seinem Lande wohnen, ja, wenn er das Land zu verunreinigen sucht, dieser Mensch wird sehr bestraft werden; denn der Kaiser hat viele Soldaten, es fehlt ihm an nichts. Seine Kraft und Macht ist groß. Ihr habt gesehen jene Aufständischen, die Majimaji — oder Honga-Hongaleute, wie sie besiegt wurden in den Jahren 1905 und 1906!
Genug, sein Tag, an dem man sich seiner Kraft und Macht, seiner Güte und seines Lebens erinnert, ist sein Geburtstag, der 27. Januar. Genug, gute Menschen danken für den Frieden und für seine Güte und dass die Regierung eine gute ist. Und alle, welche Christen sind, danken noch mehr, weil er ein Christ ist, ein Mensch unserer Gemeinschaft Wir beten für ihn zu Gott, dass er ihm Kraft gebe, seine Feinde zu besiegen, und dass seine Regierung gut sei, und sein Königreich zunehme im Lande, und alle Menschen mögen unter seiner Regierung wohnen im Frieden und in Ruhe!“
So dachte ein urteilsfähiger Eingeborener von Deutsch-Ostafrika vor dem Kriege über das deutsche Regiment im Lande. Es ist der sehnliche Wunsch der deutschen evangelischen Missionen, dass die Eingeborenen, wenn sie dereinst einen neuen Vergleich ziehen können, nämlich den zwischen der wiedergekehrten deutschen Herrschaft und unsrer Gegenwart, in der ihr Volk unter dem britischen Kriegsdruck leidet und in ungeheurer Zahl dahinstirbt, sich ebenso dankbar, überzeugt und freudig zum schwarz-weiß-roten Banner bekehren werden. Die deutschen Missionen verlangen danach, alsbald nach Friedensschluss wieder hinauseilen und in gutem Einvernehmen mit der deutschen Regierung, die den Eingeborenen Ostafrikas ihre Treue in der Not nicht vergessen wird, die Wunden heilen zu helfen, die der Krieg geschlagen hat. Gott segne dann die neue Zeit deutscher Kolonialpolitik auch für das äußere und innere Wohl der Eingeborenen.
Dass Ew. Exzellenz den Samariter- und Lehrdienst der christlichen Missionen ohne Unterschied der Nation, sofern sie sich ehrlich auf ihre geistliche Aufgabe beschränken, auch fernerhin willkommen heißen und verständnisvoll fördern werden, dessen ist mit den deutschen evangelischen Missionen in aufrichtiger Dankbarkeit gewiss
Ew. Exzellenz sehr ergebener
Dr. theol. A.W. Schreiber,
Direktor der evangelischen Missions-Hilfe
Staatssekretär des Reichs-Kolonialamts,
Herrn Wirkl. Geh.-Rat Dr. Solf, Exzellenz. Berlin.
Euer Exzellenz!
Zu dem offenen Brief, den Frank Weston, der Bischof der Britischen Universitäten-Mission in Zanzibar, unter dem 7. November 1917 an General Smuts gerichtet hat, um als angeblich berufener Vertreter der Eingeborenen gegen die Rückgabe Deutsch-Ostafrikas an Deutschland Einspruch zu erheben, kann auch die deutsche evangelische Mission nicht schweigen. Nicht nur deutsche, auch christliche, missionarische Interessen werden durch sein skrupelloses Vorgehen gefährdet. Die deutsche evangelische Mission hat sich von jeher so bewusst und streng auf ihre in der Heiligen Schrift ihr gewiesene religiös-sittliche Aufgabe beschränkt, dass es in unseren Kreisen schier unverständlich ist und sehr schmerzlich berührt, dass gerade ein Missionsbischof diese unwürdige, ja geradezu unwahrhaftige Rolle spielt, im Gewande edler Fürsorge für die Eingeborenen die Dienste politischer Eroberungssucht zu besorgen.
In England wird man sich freilich nicht gewundert haben, gerade von Bischof Weston einen solchen Brief zu lesen. Man ist es drüben von ihm gewohnt, dass er, weder durch Bescheidenheit noch durch Weisheit gezügelt, sich mit Anklagen und Herausforderungen in den Vordergrund der öffentlichen Meinung drängt. Aber mit Erstaunen wird man auch dort gelesen haben, dass er als Diener Christi ein Diener des Friedens sein will, Er war es nie. Wohin er kam, dahin kam der Unfriede, auch in seinem engsten Kreis. Es sei hier nur an die Anmaßung und Engherzigkeit erinnert, mit der er 1913 die englische Staatskirche dadurch in Aufregung versetzte, dass er in einem offenen Brief an den Erzbischof von Canterbury die Absetzung seiner bischöflichen Kollegen von Mombasa und Uganda wegen „Haeresie und Schisma” verlangte, weil sie sich auf einer Konferenz in Kikuyu nach seiner Meinung in eine zu enge Gemeinschaft mit anderen Missionen eingelassen hatten.
In Deutsch-Ostafrika ist Bischof Westen oft genug und keineswegs unter der Zustimmung seiner eigenen Mitarbeiter mit geflissentlicher Unfreundlichkeit von den anderen Missionen abgerückt, auch von denjenigen seiner eigenen englischen Kirche. Der deutschen Verwaltung hat er starke Geduldsproben zugemutet und reichlich Anlass zu Misstrauen gegeben, obschon gerade die Universitäten-Mission eine in der Kolonial- und Missionsgeschichte außerordentliche Rücksicht erfuhr. Seit Jahrzehnten nämlich wurde es geduldet, dass sie ihre Lehrer und Prediger für Deutsch-Ostafrika in ihren Anstalten in Kiungani auf Zanzibar, also auf britischen Boden, durch britische Lehrer mit britischen Lehrmitteln ausbildete, ohne dass die deutsche Regierung irgendwelche Kontrolle über den Geist dieser Erziehung ausüben konnte. So fest baute man auf deutscher Seite auf die Unverbrüchlichkeit der Kongoakte und auf das ungeschriebene Gesetz der Solidarität der weißen Rasse, so wenig rechnete man mit der Möglichkeit eines kriegerischen Zusammenstoßes mit England in Afrika, so rückhalllos vertraute man auch auf die Lauterkeit und Gewissenhaftigkeit christlicher Missionen, dass man einen solchen Kanal britischen Einflusses auf die eingeborene Bevölkerung Deutsch-Ostafrikas mehr als ein Menschenalter hindurch ungestört ließ.
Die Universitäten-Mission aber und zumal ?hr Leiter Bischof Weston haben sich dieses Vertrauens leider nicht würdig gezeigt. Ihre eingeborenen Zöglinge haben sich während des Krieges nicht so verhalten, wie man es von Christen erwarten darf, die nach der Regel der Heiligen Schrift erzogen sind, ihrer Obrigkeit untertan zu sein. Die Missionare dieser Gesellschaft haben zu einer Zeit, in der andere fremdländische Missionare, auch Franzosen und Belgier, noch in Freiheit belassen werden konnten, interniert werden müssen, weil ihr Verhalten politisch nicht einwandfrei war. Die heimatliche Leitung der Universitäten-Mission hat sich schon in ihrem 1917 veröffentlichten Jahresbericht (Church Times, 25. Mai 1917) nicht gescheut, eine dreiste deutschfeindliche Propaganda mit schweren Beleidigungen gegen Deutschland zu treiben. Bischof Weston hat sich, obschon Leiter einer überwiegend in Deutsch-Afrika tätigen Mission, am Kriege gegen Deutsch-Ostafrika hervorragend beteiligt und den Einfluss, den er durch die Missionstätigkeit seiner Gesellschaft und besonders durch ihre eingeborenen Lehrer besaß, dazu benutzt, um deutsche eingeborene Untertanen zur Kriegshilfe gegen ihre rechtmäßige Obrigkeit zu verleiten und zu organisieren. Er weiß daher nur zu gut, dass, wenn Deutsch-Ostafrika wieder in deutsche Hände zurückfällt, für ihn und seine Mission dort kein Raum mehr sein dürfte. Er kann sein Lebenswerk nur behalten, wenn dasselbe der deutschen Herrschaft dauernd entzogen bleibt. Muss ihm unter solchen Umständen nicht daran liegen, mit allen Kräften dahin zu wirken, dass es nicht wieder deutsch werde? Aber statt dies ehrlich auszusprechen, besteigt er lieber mit dem offenen Brief an General Smuts aus selbstloser Sorge um das Geschick der Eingeborenen „den Scheiterhaufen“, auf dem das Teuerste, was er besitze, sein Missionswerk, verbrennen müsse, wenn die schwarz-weiß-rote Flagge über Deutsch-Ostafrika wieder hochsteigen dürfe. So sei zur Steuer der Wahrheit zunächst dies eine hier ausgesprochen: Nicht um der Eingeborenen, die seines Schutzes bedürfen, um seiner eigenen Stellung und Mission willen hat der Bischof diesen Brief geschrieben.
Ob der Brief nicht auch bestellte Arbeit der britischen Regierung gewesen ist? „Aus maritimen wie militärischen Gründen“, sagt der Bischof selbst, aber wie nebensächlich am Schlusse, „werde kein vernünftiger Mann für die Rückerstattung Deutsch-Ostafrikas, dieses strategischen Angriffspunktes, an den Kaiser stimmen.“ In der Tat, die Aufrichtung einer unumstrittenen Herrschaft über den Indischen Ozean, die Abwehr jeder Bedrohung des Verkehrs durch den Suezkanal durch eine fremde Macht und die Herstellung der Verbindung Kapstadt-Kairo ist eines der vornehmsten Kriegsziele Englands. Aber dem Egoismus britischer Politik hat von jeher der Mut der Wahrhaftigkeit gefehlt. Um die kolonialen Eroberungspläne vor dem Auslande und der eigenen öffentlichen Meinung zu rechtfertigen, um den Schein selbstloser Kriegsführung zur Befreiung und zum Schutz schwacher und bedrückter Nationen aufrechtzuerhalten, musste hier das Interesse der Eingeborenen vorgeschützt werden. Es war nicht leicht. Zu deutlich hatte im letzten Jahrzehnt die Berichterstattung der Afrikareisenden ohne Unterschied der Nationalität und die koloniale Literatur, auch die britische, die großen kulturellen Fortschritte der deutschen Schutzgebiete und die mehr und mehr eingeborenen-freundliche Haltung ihrer Verwaltung anerkannt. In Britisch-Ostafrika und Britisch-Njassaland mussten während des Krieges nicht unbedenkliche Eingeborenenaufstände gewaltsam unterdrückt werden. Die bewundernswerte Treue aber der Eingeborenen Deutsch-Ostafrikas während des Krieges lieferte vor aller Welt den denkbar stärksten Beweis dafür, dass hier eine allgemeine Unzufriedenheit mit einer ungerechten, grausamen Regierung nicht verbreitet sein konnte. Wie hätte sonst das kleine, so völlig unzureichend bewaffnete Häuflein der weißen Verteidiger in dem großen Lande sich auch nur etliche Monate gegen eine so ungeheure Übermacht und so gewaltige Überlegenheit an Kampfmitteln aller Art behaupten können!
Der Vorschlag Lloyd Georges, die Eingeborenen selbst über ihre künftige Obrigkeit abstimmen zu lassen, war überall, auch in England selbst, dem Fluch der Lächerlichkeit verfallen. Die wiederholten Aufstände deutsch-ostafrikanischer Eingeborenen gegen die britischen Eroberer zeigten obendrein, dass trotz alles Druckes, mit dem das Joch der neuen Herrschaft auf der Bevölkerung lastete und ihr eine ehrliche Äußerung unmöglich machte, ihre Befragung vom Standpunkt der englischen Regierung aus nicht ungefährlich erschien. Da war es freilich ein willkommener Dienst, wenn in Gestalt dieses Bischofs die christliche Mission, die selbstloseste Vertreterin der Eingeborenen, aus Menschlichkeitsgründen die Beseitigung der deutschen Herrschaft verlangte. Das war es ja gerade, was man brauchte!
Die eigenen Interessen des Bischofs und die Eroberungssucht Englands, aber nicht irgendwelche ehrlichen Regungen der Liebe zu den Eingeborenen sind die Wurzeln, aus denen dieser Brief erwachsen Ist.
Für die Eingeborenen droht, davon bin ich fest überzeugt, von der Rückkehr der deutschen Regierung nicht die geringste Gefahr. Die Behauptung des Bischofs, die deutschen Behörden hätten vor ihrem Rückzug allen Eingeborenen bei Todesstrafe verboten, den Engländern irgendwelche Hilfe zu leisten, ist unrichtig. Sie haben vielmehr, wie mir ein deutsch-ostafrikanischer Missionar aus eigenem Miterleben versichert, den Eingeborenen als „selbstverständliche Notwendigkeit nicht nur erlaubt, sondern sogar empfohlen, Forderungen der Feinde auf Trägerdienste und Lieferung von Verpflegung willig Folge zu leisten“. Es lag der deutschen Verwaltung daran, dass die brave, durch den Krieg bereits so schwer in Mitleidenschaft gezogene Bevölkerung nicht noch durch Strafexpeditionen der Feinde weiter zu leiden hätte. Vor Verrat, z. B. Mitteilung von deutschen Truppenbewegungen, wurden die Eingeborenen allerdings ernstlich gewarnt, und notorische Verräter sind bestraft worden. Soweit aber Eingeborene auch über jene Dienste hinaus unter feindlichem Zwang sich schließlich haben missbrauchen lassen, werden sie nach Rückkehr der deutschen Herrschaft eine milde Prüfung der Vorgänge erwarten dürfen. Ich bin gewiss, dass Euer Exzellenz zwischen den feindlichen Machthabern mit ihren Helfershelfern, den Verführern im geistlichen Gewand, und zwischen den hilflosen, in die schwerste Bedrängnis geratenen Eingeborenen hochherzig zu unterscheiden wissen. Sollte es im einzelnen Fall dessen bedürfen, so werden die deutschen Missionen seinerzeit sich nicht scheuen, mit der Bitte um äußerste Milde auch für solche Eingeborene einzutreten, die unter den Versuchungen und Nöten der Zeit sich etwa zu Pflichtwidrigkeiten haben fortreißen lassen, und ich bin gewiss, dass die deutsche Kolonialregierung, zu deren obersten Zielen die Förderung des Wohles der Eingeborenen gehört, solcher Fürsprache sich nicht verschließen wird.
Bischof Weston freilich behauptet, er befürchte das Gegenteil, und meint, aus seiner Erfahrung mit der deutschen Herrschaft seine Besorgnis begründen zu können. Es ist mir schmerzlich, von einem Missionsbischof öffentlich aussprechen zu müssen: „Diese Besorgnis ist unaufrichtig!“ Gerade weil er die deutsche Verwaltung kennt, weiß er, dass das Bild, das er von ihr gezeichnet hat, ein für den politischen Bedarf berechnetes Zerrbild ist. Noch nie ist eine Kolonie erworben und entwickelt worden, ohne dass seitens der weißen Eroberer und Herren Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten unterliefen. Weiß Bischof Weston nichts von derartigen Vorfällen aus der Kolonialgeschichte seines eigenen Volkes? Dann würde es uns deutschen Missionaren nicht schwerfallen, aus unserer Erfahrung in britischen Kolonien seiner Unwissenheit abzuhelfen. Zu seinen Beweisen für die angebliche deutsche Grausamkeit, Ungerechtigkeit und Unsittlichkeit könnten wir ihm reichliche Seitenstücke von seinen eigenen Landsleuten, Beamten wie Privatleuten, hier öffentlich aufführen und könnten auch Namen nennen. Aber aus solchen Einzelvorkommnissen leichthin ein Verdammungsurteil über ein ganzes Volk abzuleiten, halten wir für unwahrhaftig, unsittlich und unchristlich. Mit dieser Methode ist es ein Leichtes, jede der kolonisierenden Nationen dieses ihres Berufes für unwürdig zu erklären. Man mag uns deutsche evangelische Missionare um unseres Dienstes willen loben oder tadeln — dessen hat uns noch niemand zu beschuldigen gewagt, dass wir, wo wir Ausschreitungen unserer Landsleute und Missgriffe unserer Behörden zu bemerken glaubten, darüber geschwiegen und uns dadurch mitschuldig gemacht hätten, zumal wo es sich um die Eingeborenen handelte. Die deutschen Missionen haben gegenüber der deutschen Kolonisation eine freimütigere, schärfere Sprache geführt, als es britische Missionen gegenüber ihrem Volke zu tun pflegten. Es war uns recht auffällig und befremdlich, wie plötzlich, und doch offenbar aus politischen Rücksichten, die Sprache der britischen Missionen gegenüber den Kongogräueln sich milderte! In unserem Lande aber wurde in Parlament, Presse und Literatur, was irgend an Schäden und Ausschreitungen in den Kolonien vorkam, rückhaltlos erörtert, Die Missionskreise befanden sich demgegenüber oft in einer peinlichen schmerzlichen Lage. Sie teilten den entschiedenen Wunsch, dass die Behandlung der Eingeborenen in den deutschen Schutzgebieten in jeder Hinsicht wohlwollend, gerecht und fürsorglich sei und darin von keiner fremden Kolonie übertroffen werde, dass das Leben der Weißen den Anforderungen christlicher Sittlichkeit entspreche. Sie wirkten daher lebhaft in Vereinigungen wie die Deutsche Liga zum Schutz der Eingeborenen mit. Aber sie konnten es als bewusste Mitarbeiter und freudige Gehilfen der kolonialen Betätigung unseres Volkes nicht billigen, wenn Einzelvorkommnisse durch ungerechte Verallgemeinerung dazu benutzt wurden, über die ganze deutsche Kolonialpolitik den Stab zu brechen. Dass indessen die deutsche Kolonialkritik so unerbittlich scharf war und es durch ihre öffentlichen Äußerungen der gegenwärtigen britischen Propaganda so leichtgemacht hat, deutsche Gewährsmänner aufzuführen, beweist doch im Grunde nur, wie wach und empfindlich auch auf kolonialem Gebiete das deutsche Gewissen war. Darauf kommt es aber an! Bischof Weston konstruiert aus vorgekommenen und angeblichen Ausschreilungen ein vermeintliches deutsches „System“ und behauptet, er wisse wohl, dass manche Deutsche dieses System missbilligen; es bleibe aber nichts desto weniger eine Wahrheit, dass die Deutschen als Volk es billigen. Diese vermeintliche Wahrheit ist in Wirklichkeit eine grobe Unwahrheit.
Es hat Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten einzelner Deutschen in den Kolonien gegeben, wie es ebensolche Vorkommnisse in britischen Kolonien und nun gar in belgischen, französischen und portugiesischen gab. Aber das deutsche Volk als solches hat sie nie gebilligt, und die deutsche Kolonialverwaltung hat sie, unterstützt von der öffentlichen Meinung, dem Parlament, der Presse und nicht zuletzt der Mission, ehrlich zu bekämpfen sich bemüht. Ob ein Volk innerlich berechtigt ist, Kolon?albesitz zu verwalten, hängt nicht von einzelnen Ausschreitungen ab, die je und dann vorgekommen sind, noch auch von zeitweiligen Missständen in seiner Verwaltung oder gar von den physischen, wirtschaftlichen und sittlichen Gefahren, die mit der fortschreitenden Zivilisation für das Leben und die Wohlfahrt der Eingeborenen entstehen, sondern davon, ob die Regierung bestrebt ist, dem allem tatkräftig entgegenzuwirken, und ob die öffentliche Meinung sie hierin wirksam unterstützt. Wer die Verhältnisse kennt und ein ehrlicher Mann sein will, kann der deutschen Kolonialverwaltung und dem deutschen Volk solchen guten Willen nicht bestreiten, noch die wachsenden wohltätigen Wirkungen dieses Bemühens ableugnen. Die deutschen Missionen haben auch darum mit wachsender Freude in den deutschen Kolonien gearbeitet, weil sie eine sehr erhebliche Besserung der Verhältnisse, zumal im letzten Jahrzehnt, in erfreulicher Weise wahrnehmen konnten. Das Verständnis für eine richtige Behandlung der Eingeborenen nahm zu. Es wuchs ein Stamm vortrefflicher deutscher Beamter heran, die bei gründlicher Kenntnis der Sprache und des Lebens der Eingeborenen und warmem Wohlwollen für sie eine für Land und Volk gesegnete Wirksamkeit ausübten. Die Rechtspflege in den Schutzgebieten, eine überaus schwierige Aufgabe in großen Kolonien mit buntgemischter Bevölkerung, machte bemerkenswerte Fortschritte. Die Gesundheitsfürsorge für d?e Eingeborenen, wie sie von der Verwaltung und von den Missionen in vielseitiger Arbeitsgemeinschaft betrieben wurde; übertraf weit, was in benachbarten britischen Kolonien in dieser Hinsicht geschah. Wenn wir Missionare auf die Gefahren hinwiesen, die dem Leben der Eingeborenen in der neuen Zeit aus dem schnellen Eindringen fremder Einflüsse und der unvermeidlichen Umgestaltung ihrer Lebensordnungen drohten, z. B. auf die gesundheitlichen, sozialen und sittlichen Wirkungen der Wanderarbeit, so fanden unsere Darlegungen im Bezirks- und Gouvernementsrat, in der Presse und Literatur je länger desto williger Gehör. Erkannte Missstände wurden als Aufgaben anerkannt, die gemeinsam zum Wohl der Eingeborenen zu lösen seien.
Auch englische Missionare, die in Deutsch-Ostafrika arbeiteten, sprachen gelegentlich ihre ehrliche Freude über diese Entwicklung und das deutsche Regiment aus, und solche aus benachbarten englischen Kolonien konnte man Vergleiche ziehen hören, die nicht zugunsten der eigenen Schutzgebiete ausfielen. Wir könnten auch hier Namen nennen. Wenn aber nach Bischof Westons Meinung die Behandlung der Eingeborenen so himmelschreiend war, warum hat der edle Bischof, dem gleichfalls die Tür des Gouvernements und jedes Bezirksamtmanns auch der Weg in die Presse offenstand, in früheren Zeiten hierüber völlig geschwiegen, solange geschwiegen, bis der Nachweis dieser angeblichen Ungeheuerlichkeiten — dazu helfen konnte, dass Deutsch-Ostafrika in britischen Besitz geriet?
Ja, dieser Nachweis! Wir Missionare sind von jeher unnachsichtig gegen Missbrauch der Prügelstrafe aufgetreten und werden dies auch künftig tun. Aber wir fanden dazu in britischen Besitzungen ebenfalls reichlichen Grund, wie denn die Ausdrücke „Twentyfive on backside“ und „Sjambock“ von englischem Boden stammen. Weiß Bischof Weston wirklich nichts davon, wie sich die Regierung in Deutsch-Ostafrika, zumal im letzten Jahrzehnt, erfolgreich bemühte, auch gerade in der Bestrafung der Eingeborenen eine mildere Praxis und gerechtere Behandlung sicherzustellen? Man mag gegen die in Deutsch-Ostafrika übliche Kettenstrafe Bedenken erheben; gegen die in den britischen Kolonien gebrauchte Fußkette und gegen die im Kongostaat übliche Kette ohne Halseisen sind mindestens ebenso schwere Bedenken vorhanden. Der „Eiserne Hut“ und die Fingerspannung waren Mittel der Tortur in der Rechtspflege der Häuptlinge vor der Zeit der europäischen Herrschaft. Die meisten Weißen im Schutzgebiet werden von diesen Dingen nie etwas gehört oder gesehen haben. Es mag sein, dass Eingeborene, se! es farbige Unterbeamte, sei es Häuptlinge, solche Folter hie und da noch einmal angewandt haben. Auch derartige Vorkommnisse könnten wir aus britischen Kolonien belegen. Aber scheut sich der Bischof wirklich nicht, sie als Beweise der deutschen Rechtspflege hinzustellen? In zwei Bezirken war vor dem Kriege ein gelinder „Arbeitszwang“, wenn man dies Wort dafür anwenden will, eingeführt. Innerhalb von vier Monaten des Jahres musste in Usambara jeder Eingeborene 30 Tage bei einem Europäer oder bei der Regierung Arbeit nehmen, es sei denn, dass er als Beamter, Soldat, Missionslehrer oder dergleichen bereits eine wertvolle Tätigkeit im Sinne dieser Verordnung ausübte. Die Tage seines Dienstes und den Arbeitgeber konnte er sich wählen. Bei diesen Bestimmungen hatten Missionare mitgewirkt. Selbst wer grundsätzlich völlige Arbeitsfreiheit für das bessere System hält, konnte nicht verkennen, dass diese Einrichtung auch nützliche Folgen für die Eingeborenen wie für die Europäer hatte und dass die Behandlung der Arbeiter durch sie nicht verschlechtert: sondern gebessert wurde.
Von den ersten Anfängen an hat die deutsche Verwaltung in Ostafrika den Sklavenhandel scharf bekämpft und sich bemüht, der Sklaverei ein Ende zu machen. Sie hat aber geglaubt, die Sklaven nicht durch plötzliche Beseitigung ihrer Rechtslage vor eine Lebensaufgabe stellen zu sollen, der sie nicht gewachsen waren und darum versucht; den Schaden allmählich zu überwinden. Alle Kinder von Sklaven waren ohne Entschädigung an den Sklavenbesitzer von Geburt an frei, und der Preis, mit dem sich ein Sklave freikaufen konnte, war gesetzlich so niedrig bemessen, dass es für niemand eine Schwierigkeit bedeutete, freizukommen, wenn er wollte. Mit dem Jahr 1920 aber sollte alle Sklaverei aufhören. Mancher Sklave verblieb inzwischen aus freiem Willen bei seinem Herrn, weil seine Lage ihm erträglich war, jedenfalls längst nicht so schlimm wie manche Erscheinungen moderner Lohnsklaverei etwa ?n den Minendistrikten Südafrikas. Der Bischof aber scheut sich nicht, einem deutschen Distriktschef die Behauptung in den Mund zu lesen, es werde im Jahr 1920 schwerlich ein Ersatz für die Sklaverei gefunden werden: „Der Kaiser habe scheinbar andere Anschauungen über sein Einkommen.“ Gibt es wirklich Leser, die die Niederträchtigkeit und Torheit einer solchen Verleumdung nicht erkennen?
Aus Rache sollen die Deutschen 1905 während des Aufstandes in Deutsch-Ostafrika einige 30.000 Eingeborene niedergemetzelt haben, während nur sehr wenige Weiße ums Leben kamen. Weiß Bischof Weston nichts von den vielen Eingeborenen, die durch die Aufständischen abgeschlachtet worden Sind, weil sie mit ihnen nicht gemeinsame Sache machen wollten? Weiß er nicht, wie schwer es hielt, die Empörung auf ihren Herd zu beschränken, und wie zäh sich die durch Zauberwasser und Mekkabriefe fanatisierten Aufständischen in langwierigem Guerillakrieg behaupteten, um immer wieder in friedliche Nachbargebiete sengend und mordend einzubrechen? Seine eigenen Missionare, die flüchtend auf einer 6deutschen Mission liebreiche Aufnahme fanden, haben damals anders gesprochen als er heute. Weiß er auch nichts davon, wie sich die deutsche Verwaltung bemüht hat, die Aufständischen zu friedlicher Unterwerfung zu bewegen und sie, soweit sie dies taten, teils den benachbarten Missionen zur Pflege und Beschäftigung zuzuführen, teils bis zur völligen Wiederherstellung der Ruhe in Usambara unterzubringen? Hat er nie von Eingeborenen der Aufstandsgebiete selbst nachher sagen hören, dass die aus Zanzibar herübergekommenen Drahtzieher sie in ?hr Verderben gelockt hätten? Sollen wir ihm wirklich mit Schilderungen antworten, wie in britischen Kolonien Aufstände im Blut erstickt wurden?
Es ist ein übles Schauspiel, dass deutsche Missionare einen englischen Berufsgenossen Öffentlich der Verleumdung ihres Vaterlandes überführen müssen. Da mag im Ausland der Eindruck entstehen, als seien Kläger wie Verteidiger durch ihr vaterländisches Interesse und Ihre politische Erregung in ihrem Urteil befangen. So sei zum Schluss einem unverdächtigen Zeugen, einem Eingeborenen aus Deutsch-Ostafr?ka, das Wort gegeben. Er ist kein Soldat, kein Angestellter der Regierung oder wie Bischof Weston sagt, einer ihrer „Lieblinge“, sondern Lehrer und Prediger einer evangelischen Mission. Als Häuptlingssohn in Britisch-Njassaland geboren, wurde er als Knabe von Sklavenjägern geraubt, an der Küste verkauft, von der deutschen Truppe befreit und der evangelischen Mission zur Erziehung übergeben. Späterhin hat er zum Besuch seiner Verwandten einen guten Teil des Schutzgebietes durchwandert, und hat auch die Zustände auf britischem Boden kennen gelernt. Vor mehreren Jahren schrieb er zum Kaisersgeburtstag 1912 aus eigenem Antrieb in einem in Daressalam erscheinenden Suaheliblatt einen bemerkenswerten Artikel, in dem er mit deutlichem Rückblick auf sein eigenes Leben einen Vergleich zog zwischen der Lage der Eingeborenen vor der deutschen Herrschaft und den nunmehr bestehenden Zuständen. Das Hauptstück dieses Artikels sei hier ohne jeden Zusatz oder Abstrich wiedergegeben (vergl. Koloniale Rundschau, 1913, S. 671 ff..)
„Was ist die Bedeutung dieses Festtages, und aus welchem Grund feiern die Leute diesen Festtag und preisen ihn und machen Freude allenthalben in seinem Königreich? Dies ist die Bedeutung: Gott der Herr gab dem Kaiser Kraft und Macht, alles zu vollbringen, was es im Lande zu tun gibt, und alles zu beherrschen und in Ordnung zu halten, damit alles in Frieden und Gesundheit bleibe und er es allezeit behüte. Jeder Mensch soll zu seinem Rechte kommen, und keiner soll von seinem Feind schlecht behandelt oder seines Vermögens beraubt werden. Weiter liebt der Kaiser auch die Armen; er will nicht, dass sie von den Mächtigen verächtlich behandelt werden.
Ich nehme als Beispiel dieses Land von Deutsch-Ostafrika, unser Land, das der schwarzen Leute. Die Zustände in ihm waren früher Zustände der Ungerechtigkeit. Jeder, der die Macht hatte, behandelte ungerecht den, der keine hatte. Sklaverei war allenthalben. In jener Zeit konntest Du nicht einen Gang von vier oder fünf Tagen allein machen, da wurdest Du ergriffen, weit weg verkauft, so dass Du nicht zurückkehren konntest in Dein Land zu Vater und Mutter, sondern Du warst der Sklaverei verfallen bis zu Deinem Tode, obschon Du nichts verbrochen hattest. Oder Du trafst zusammen mit Räubern, und sie töteten Dich ohne Grund. Weiter, wenn Du viel Vermögen hattest, so kam man, um Dich abzuschlachten und Dein Gut davonzutragen, und kein Mensch war da, der es verbot. Denn da waren andere Leute, die liebten es, die Leute abzuschlachten und zu berauben, und es war niemand da, um sie zur Rechenschaft zu ziehen.
Weiter, wenn Hungersnot ins Land einzog, war kein Mensch oder König da, der es verstanden hätte, die Leute zu erretten, indem er in einer anderen Gegend Nahrungsmittel herausgab, dass sie hierher, wo die Leute Hunger litten, gebracht würden. Vielmehr war es so: Was einem jeden Menschen zustieß, das stieß ihm zu.
Weiter, wenn Krankheit ins Land kam, etwa die Pocken, oder die Wurmkrankheit, oder eine andere Krankheit, genug, sie vernichtete die Menschen, es gab keine Medizin für alle. Wenn ein Mensch Medizin hatte, so behandelte er damit die, die er liebte, sonst niemand. Im Übrigen gab er die Medizin nur gegen viel Gewinn heraus, damit er reich werde. Aber er hatte kein Erbarmen mit den Kranken, sondern sein Gut zu mehren, darauf stand ihm sein Sinn.
Aber jetzt, wie ist der Zustand des Landes heute? Gut oder schlecht? Ist ein Mensch da, der seinen Genossen tötet, ohne dass er ihm nachfolgt eben diesen Monat oder dieses Jahr? Oder wenn einer Menschen stiehlt, um sie zu verkaufen, wo will er sie verkaufen? Wer wird auf den Handel eingehen? Alle werden sich fürchten. Jetzt kannst Du eine Reise von drei oder vier Monaten machen ohne Waffe und hast nur einen Wanderstab. Deine Waffe ist die Regierung, überall kannst Du hingehen und zurückkehren.
Gehst Du weit ins Innere, wirst Du da nicht Inder sehen bei ihrer Arbeit im Kaufladen, beim Verkaufen? Dort auf den Bergen wohnt der Inder mit den Bewohnern des Landes, und er, der Inder, ist allein, er hat keine Waffen und keinen Soldaten, sondern tagsüber ist es seine Arbeit, sein Vermögen zu berechnen. Hätte der Inder früher unbewaffnet ins Inland gehen können, ohne sein Handelsgut zu verlieren? Genug — früher hätte er nicht ins Innere kommen können, man hätte ihn gemordet und seines Vermögens beraubt.
Aber jetzt ist allenthalben Frieden, es ist kein Gewalttätiger da, alle sind unter der Regierung des Kaisers. Wenn nun jetzt Hunger ins Land kommt, dann wird es kein sehr schwerer sein, der die Leute tötet. Die Regierung steht den Leuten bei, sie hat Mitleid mit ihnen, sie bestellt Speise in der Ferne und bringt sie ins Land, dahin, wo Hunger ist, damit die Leute nicht durch den Hunger sterben. Auch Saatgut bringt die Regierung, damit die Leute es bekommen und auf ihren Feldern aussäen. Früher war solches nicht da. Solch ein schwerer Hunger — genug, Ihr wäret gestorben und hättet einander verkauft und gekauft! Und wenn eine Krankheit ins Land kommt — auf einmal kommt der Herr Arzt, der die Arten der Medizin kennt, und hält die Krankheit auf. Er behandelt die Leute, er pflegt ihnen diese und jene Dinge zu verbieten, die die Krankheit hervorbringen. Genug — die Krankheit pflegt schnell aus dem Lande zu weichen, und es kehrt Gesundheit ins Land zurück.
Wem liegt das alles auf? Es liegt das auf der Regierung, welche Leute eingesetzt hat, die die Medizin kennen, damit sie die Menschen insgesamt heilen, die im Reich des Kaisers sind. Ferner hütet die Regierung das Eigentum aller Leute, dass es sicher bleibe. Auch die Leute, die das Vermögen ihrer Väter erben, bekommen das, was ihnen vom Vater her zusteht. Und wenn einer ein kleines Kind ist, und noch nicht Verstand hat, sein Gut zu kennen und zu gebrauchen, — die Regierung hütet ihm sein Eigentum, bis er Verstand hat, dann wird er alles bekommen. Weiter, die Regierung legt das Geld der Leute in die Sparkasse. Dort liegt das Geld sicher, ohne gestohlen zu werden. Ihre Absicht ist, dass jeder Mensch möge anfangen zu sparen und Vermögen zu haben.
Weiter, wenn ein wildes Tier im Lande ist, und es schädigt die Leute, etwa ein Löwe, ein Leopard, Wildschwein oder ein anderes — die Regierung pflegt einen Backschisch jedem zu geben, der ein wildes Tier getötet hat; sie pflegt ihn zu erfreuen. Viel Geld wird ausgegeben für diese Arbeit des Tötens wilder Tiere.
Genug, das Land hat angefangen, sich wohl zu befinden, und die Leute wohnen in Frieden. Durch wen ist es dahin gekommen, dass Friede herrscht und die Leute in Ruhe leben? Genug, durch den Kaiser, den Besitzer seines Reiches, der befiehlt, dass gute Zustände herrschen unter seiner Regierung. Wenn ein Mensch nicht will Frieden halten und mit Frieden in seinem Lande wohnen, ja, wenn er das Land zu verunreinigen sucht, dieser Mensch wird sehr bestraft werden; denn der Kaiser hat viele Soldaten, es fehlt ihm an nichts. Seine Kraft und Macht ist groß. Ihr habt gesehen jene Aufständischen, die Majimaji — oder Honga-Hongaleute, wie sie besiegt wurden in den Jahren 1905 und 1906!
Genug, sein Tag, an dem man sich seiner Kraft und Macht, seiner Güte und seines Lebens erinnert, ist sein Geburtstag, der 27. Januar. Genug, gute Menschen danken für den Frieden und für seine Güte und dass die Regierung eine gute ist. Und alle, welche Christen sind, danken noch mehr, weil er ein Christ ist, ein Mensch unserer Gemeinschaft Wir beten für ihn zu Gott, dass er ihm Kraft gebe, seine Feinde zu besiegen, und dass seine Regierung gut sei, und sein Königreich zunehme im Lande, und alle Menschen mögen unter seiner Regierung wohnen im Frieden und in Ruhe!“
So dachte ein urteilsfähiger Eingeborener von Deutsch-Ostafrika vor dem Kriege über das deutsche Regiment im Lande. Es ist der sehnliche Wunsch der deutschen evangelischen Missionen, dass die Eingeborenen, wenn sie dereinst einen neuen Vergleich ziehen können, nämlich den zwischen der wiedergekehrten deutschen Herrschaft und unsrer Gegenwart, in der ihr Volk unter dem britischen Kriegsdruck leidet und in ungeheurer Zahl dahinstirbt, sich ebenso dankbar, überzeugt und freudig zum schwarz-weiß-roten Banner bekehren werden. Die deutschen Missionen verlangen danach, alsbald nach Friedensschluss wieder hinauseilen und in gutem Einvernehmen mit der deutschen Regierung, die den Eingeborenen Ostafrikas ihre Treue in der Not nicht vergessen wird, die Wunden heilen zu helfen, die der Krieg geschlagen hat. Gott segne dann die neue Zeit deutscher Kolonialpolitik auch für das äußere und innere Wohl der Eingeborenen.
Dass Ew. Exzellenz den Samariter- und Lehrdienst der christlichen Missionen ohne Unterschied der Nation, sofern sie sich ehrlich auf ihre geistliche Aufgabe beschränken, auch fernerhin willkommen heißen und verständnisvoll fördern werden, dessen ist mit den deutschen evangelischen Missionen in aufrichtiger Dankbarkeit gewiss
Ew. Exzellenz sehr ergebener
Dr. theol. A.W. Schreiber,
Direktor der evangelischen Missions-Hilfe
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die deutsche Kolonialpolitik vor dem Gerichtshof der Welt