Volz. Schadow. Geisler.

Abb. 32. Berliner Redensarten. Von F.B. Doerbeck. (Kupferstichkabinett Berlin.)

Zwei Künstler sind es in jener Zelt, die Erwähnung verdienen: Johann Michael Volz (1784 hie 1858), Johann Gottfried Schadow (1764—1851)). Volz, der Süddeutsche, der für die Kunstanstalten in Nürnberg, Stuttgart, Regensburg, Frankfurt, für die Schweiz arbeitete; Schadow, der Berliner. Zu ihnen käme noch Geisler, der Leipziger. Karl Hagen hat (Stuttgart 1863) eine ausführliche Würdigung des süddeutschen Illustrators geboten. Und wenn er auch die Qualitäten des Zeichners durchaus überschätzt — wie man überhaupt bei längerer Beschäftigung mit einer Künstlerpersönlichkeit gern gewillt ist, sie höher einzuschätzen, als sie es verdient —, so bietet uns die Arbeit doch viel kulturell Interessantes über den deutschen Buchhandel und den Vertrieb der Einzelblätter und berührt hier ein Gebiet, von dem wir nur wenig Nachricht haben. Fast alle bekannten Napoleonkarikaturen (zahlreich in der v. Lipperheidschen Sammlung und im Berliner Kupferstichkabinett) stammen von Volz, und bis in die dreißiger Jahre hinein hält er den Markt der Karikatur mit Blättern gegen Kornwucher, mit Krähwinkliaden und anderen unschuldigen Dingen. Die Arbeiten sind handkolorierte Kupferstiche, mit leichter, nicht unharmonischer Farbengebung; eine Technik, die zum erstenmal wieder ausgiebig der Schweizer Aberli (1723—86) anwandte, und die bald in der ganzen Welt Nachahmung fand. Sie war bis hinein in die Mitte des Jahrhunderte gang und gäbe, ohne doch sich zu besonderer Höhe und Vollendung zu entwickeln; ja, bei der wachsenden Größe der Auslagen sank sie mehr und mehr zu flüchtiger, mechanischer Ausübung herab. Volz ist ein Volkskünstler, der eine starke Vielseitigkeit, ein Anpassungsvermögen für jeden von ihm geforderten Stoff besitzt; religiös, historisch, Schlachten- und Zeitbild, Karikatur, Klassikerillustration, Genrebild, Trachtenschilderung, Gebräuche, Typen, Bilderbücher, Kartonagen, Bonbonvignetten, Neujahrswünsche, Porträts und Zeichenvorlagen — für alles versteht er die richtige Form zu finden. Ihn zeichnet eine ruhige Nüchternheit und Leichtverständlichkeit aus. Hagen rühmt von ihm, daß seine Schlachten keine modernen Gemetzel sind, sondern eher in uns den Eindruck einer griechischen Ringschule erwecken. Diesem wäre ja nach der heutigen Auffassung gerade kein Vorteil. Und wenn Hagen ihn als das nachahmenswerte Vorbild eines Volkskünstlers hinstellt — so mögen wir auch dem nicht beistimmen. Seine Kunst nimmt ein so niedriges Niveau ein, ist so kühl und nüchtern, daß sie dem Geschmack der Menge nur entgegenkommt, ohne ihn im geringsten zu heben. Und gerade, daß Volz und seine Schule in Süddeutschtand die einzigen Vertreter der Karikatur sind, zeigt uns die niedere Rolle, welche die Karikatur noch zu spielen sich genötigt sah, und wie man ihren Wert und ihre Mission kaum höher anschlug, als den der Jahrmarksware. Sämtliche Napoleonkarikaturen sind von Volz für den Campeschen Verlag zu Nürnberg geschaffen worden.


Abb. 33. Berliner Witze. Von F. B.Doerbeck.
(Kupferstichkabinett Berlin.)

Abb. 34. Berliner Witze. Von F. B. Doerbeck (Kupferstichkabinett Berlin.)


Hagen zahlt aus den Jahren 1914/15 deren dreißig Blatt auf. Sie haben vor den englischen, denen sie an Ausdrucksfähigkeit und künstlerischer Persönlichkeit so weit nachstehen, doch den Vorzug klarer und einheitlicher Anordnung voraus. Besondere verfallen sie nicht in den Fehler, daß die Worte, welche ein jeder ausruft, wie in Hauchwolken aus dem Munde der Personen ausgehen, und das Blatt mit dem Gewirr von Buchstaben bedecken, so daß man, anstatt das Bild als Ganzes zu betrachten, rechts, links, oben und unten die Ausrufe und Inschriften zu entziffern sich bemüht. Solange eine Karikatur diese Hilfe braucht, ist sie sich ihrer Mittel noch nicht bewußt. Die Arbeiten von Volz möchten, wenn sie nicht so ledern und trocken wären, sicherlich in ihrer Geschlossenheit und in der Prägnanz des Gedankens angetan sein, uns auch noch heute beachtenswert zu erscheinen, aber der Mangel jeglicher Handschrift, die handwerksmäßige Flachheit läßt dieses Interesse nicht zu. Wenn man Napoleon auf St. Helena als wildes Tier im Käfig darstellt ober ihn im Höllenfeuer jammern läßt — wenn man, wie in einer moralischen Kindererzählung, sein Leben in zehn Stufen vorführt, mit Hirtenknabe beginnend und mit Höllenpein endigend, so können wir diesen Dingen nur sehr wenig Geschmack abgewinnen. Der Spott auf den unglücklichen russischen Feldzug aber — in dem auch Tausende von Deutschen umkamen vor Kälte und Hunger — scheint uns erst recht deplaziert. Wie diese in Lumpen gehüllten Gestalten über das tote Pferd herfallen (s. Abb. 20), das kann, im Gegensatz zu ihrem sonstigen Verhalten, nur unser Mitleid wecken; während andere Blätter, welche Napoleons Flucht von der Armee geißeln, schon eher den angreifbaren Punkt herausgefunden haben. Einen gewissen seelischen Takt muss eben selbst die politische Karikatur bewahren, und nur in Zeiten äußerster Erregung, lote hier, läßt es sich verstehen, wenn auch nicht entschuldigen, daß dieser letzte Rest von Menschlichkeit über Bord geworfen wird, und alle unterirdischen Kräfte sich hervorwagen, die tief in uns gefesselt liegen sollen, letzte tierisch-atavistische Regungen. Auch wenn Hagen vorschlägt, man sollte Volz in den Kabinetten als Sittenschilderer sammeln, wie Chodowiecki, so weiß man wohl zur Genüge, weshalb man es nicht tut. Von den sonstigen Blättern wäre noch das „Kaffeelisel“, gegen die Kontinentalsperre gerichtet, eine breite, rohe, aber nicht uncharakteristische Arbeit zu erwähnen. Auch ist es interessant, daß jetzt wieder die Karikaturen gegen die Juden an Boden gewinnen; selbst eine Napoleonkarikatur zeigt einen Juden, welcher der hinter dem Hügel niedergehenden Sonne zuruft: „Au weih! Sonne von Austerlitz, wie biste gesunken!“ Daß gerade in diesem Zeitpunkt sich das Spottbild von neuem nachdrücklich gegen die Juden wandte, ist darin begründet, daß Napoleon ihnen als Bürger des Staates die gleichen Rechte wie den Christen einräumte.

Abb. 35. Der Totengräber. Von F. B. Doerbeck. (Kupferstichkabinett Berlin.)

Künstlerisch aus bedeutend höherer Stufe stehen die Arbeiten von Schadow, dem Berliner Bildhauer; die Akademie der Künste bewahrt viele von diesen Blättern, dergleichen das Königliche Kupferstichkabinett und die v. Lipperheidesche Sammlung zu Berlin. Auch im Handel begegnet man ihnen häufiger. Sie sind entweder im scharfen Umrissstich gestochen, oder wie die Abb. 21 mit tonigen Flächen in Licht und Schatten gesetzt. Bezeichnet sind sie „Gilrai à Paris“, während sich der englische Zeichner James Gillrai mit ll schreibt. Zwar kann man auch in Schadow den englischen Einfluß nicht verkennen, aber die Dinge sind doch geistreich in der Erfindung, wie in der Behandlung, und voll Leben. Jedenfalls ist es hier schon ein Spott, der auf einer scharfen Beobachtung der Schwächen des Gegners beruht und nicht in jene infernalischen Verzerrungen ausartet, wie bei den Engländern.

Abb. 36. „Wat? Sie will mir?“ Von F. B. Doerbeck. (Kupferstichkabinett Berlin.)

Abb. 37. Karikatur um 1830. Die zu enge Straße.


Der Preußische Grenadier (Abb. 21), der russische Bär und John Bull haben den Feind aus Berlin herausgejagt und sperren nun mit ihren drei gewichtigen Gestalten das Hallesche Thor. Draußen empfangen die Fliehenden die Kanonen vom Windmühlenberg aus, und ein Grenadier mit erhobenem Kolben schlägt auf sie ein. Die Figuren des französischen Militärs im Vordergrund, das erstaunte Äffchen mit den langen Armen, und der lange Gardist mit den kurzen Armen sind von stark komischer Wirkung. Auch die „Klage der Napoleonsfreunde bei seiner Gefangennahme“ soll Schadow zum Urheber haben (Abb. 22). Sie scheint gut genug, um von ihm herrühren zu können. Außer dem Interesse, das wir dem Gegenstand abgewinnen, eint dieses Blatt noch alle damals gebräuchlichen Moden der Herrenkleidung und ist uns so zugleich kulturell von Wichtigkeit. (Hier sollen auch die genialen Zeichnungen von Orlowski (Abb. 23 u. 24) (Berlin, Nationalgalerie, Handzeichnungssaal) ihre Stellen finden; die vorzüglichsten Modekarikaturen jener Zeit, Blätter von einer Kühnheit und breiten Wucht des Striches, wie sie erst viel späteren Zeichnern eigen sind.) Außer jener Serie von Napoleonkarikaturen, auf denen es nicht gerade immer anständig zugeht, hat Schadow noch manches Humoristische in Einladungen zu Künstler festen geschaffen und einzelne merkwürdige Typen vom Jahrmarkt des Lebens, eigenartige Käuze, scharf und treffend wiedergegeben. Die Raczynski-Sammlung bewahrt ein derartiges kleines, in Wasserfarben ausgeführtes, karikaturistisches Gemälde (Abb. 25). In diesen Dingen spricht sich noch mehr eigner Stil aus, wie in der politischen Karikatur Schadows.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die deutsche Karikatur im 19. Jahrhundert