Das Zeitalter Napoleons.

Wenn wir nun noch einmal das achtzehnte Jahrhundert überschauen, so ist die Ausbeute in künstlerischer Beziehung keine übermäßig reiche gewesen. Die politische Karikatur ist in Deutschland fast verschwunden, und die wenigen Blätter fallen kaum ins Gewicht. Die humoristische Zeichnung im heutigen Sinne ist auch fast unbekannt, höchstens ist es die Sittenschilderung, die Mode, welche stärker den Bilderspott herausfordert, und in welcher Dinge von Wert geschossen werden; diese allein können uns hier interessieren. In dem engen Rahmen, den wir für unser Thema haben, gehen wir durch unser Gebiet wie ein Spaziergänger durch eine Landschaft; werfen hier einen Blick auf die Baumgruppe, dort auf das Gebüsch, freuen uns über den murmelnden, schnellfließenden Bach, aber machen keine geologischen Studien und zählen nicht die Staubgefäße jeder Blume, die am Weg steht. Bis jetzt sind uns auf unserem Spaziergang zwei freudige Überraschungen geworden: Chodowiecki und Kortum . . .

Zuckte von der französischen Revolution hin und wieder nur ein heller Schein wie fernes Wetterleuchten über Deutschland, so zog jetzt das Unwetter vollends herauf mit grellen Blitzen und erschütterte das Land in seinen Grundfesten. Heute, wo längst die Wunden vernarbt sind, kann wohl zugegeben werden, daß die napoleonische Zeit für die politische und kulturelle Entwicklung und Stärkung Deutschlands von unendlichem Nutzen war, und daß wir sie eher als Segen, denn als Fluch ansehen müssen. Die Begeisterung, mit der man in ganz Westdeutschland und auch in Berlin dem Kaiser zujubelte, hatte — abgesehen von der übermächtigen Persönlichkeit des Eroberers — seine gute Berechtigung; denn es war nicht allein Preußen, welches vor Frankreich unterlag, sondern eine neue Zeit, die eine alte besiegte. Und wenn auch später der Sieg Frankreichs reichlich wettgemacht wurde, der Sieg der neuen Zeit ließ sich doch nicht vollends ungeschehen machen. In der napoleonischen Zeit tritt naturgemäß die politische Karikatur in den Vordergrund, während der feinere Sinn für Humor abhanden kommen muss. Die politische Karikatur steht in Deutschland ganz und gar unter dem Einfluß englischer Zeichner. Wie beschaffen diese englische Karikatur ist, und wie sie so eigentlich gar nichts Deutsches besitzt, das können wir gut in der Sonderpublikation Grand-Carterets „Napoleon I. in der Karikatur“ (deutsch Leipzig 1899) studieren. Hier wird der Lebenslauf des Kaisers von dem Ende der neunziger Jahre bis zu seinem Tode, bis nach St. Helena uns in Spottbildern voll Haß, Hohn und Wut, teuflischem Lachen und Verzerrung vorgeführt - die bittersten Satiren des modernen Léandre scheinen gegen diese Blätter nur wie gutmütige Vermahnungen. Teufel und Galgen, Verrat und Unzucht, das sind die mindesten Ingredienzien, mit denen man diese Blätter gewürzt hat. Welche Summe von Haß und Verachtung muss in diesen Zeichnern Rowlandson, Cruikshank, Gillrai gesteckt haben: man trägt Napoleons Kopf auf der Mistgabel umher; hetzt ihn als Fuchs mit Hunden zu Tode; zeigt ihn als Prahler, Feigling und Verräter, in ohnmächtiger Wut sich verzehrend, hauptsächlich aber als den kleinen armseligen Boney). Die Karikatur von Volz (Abb. 16), welche sein Antlitz aus Leichen gebildet uns zeigt, trägt nach Grand-Carteret die Unterschrift:


Napoleon der erste und letzte, durch den Zorn des Himmels Kaiser der Jakobiner, Beschützer der Confédération der Spitzbuben, Bevollmächtigter der Höllenliga, Großkreuz der Unehrenlegion, kommandierender General der Legionen von Skeletten, zurückgelassen in Moskau, Smolensk, Leipzig u. Der Schnellste an der Tête der Ausreißer, After-Priester von Sanhedrin, After-Prophet der Mohammedaner, hohle Säule des christlichen Bekenntnis.

Und wie wenig entspricht jene berühmte Karikatur Cruikshanks (Abb. 17) — die Nachahmungen und Kopien in der ganzen Welt fand —, wie wenig entspricht sie der geschichtlichen Wahrheit! Der große Wellington läßt ben kleinen Napoleon auf seinem Daumen reiten und gibt ihm Nasenstüber. Die deutsche Kopie tragt folgende Unterschrift:

Abb. 31. Postillon: Kommen Sie man ruhig, Madamken, ick habe Wasserstiebeln an. Franz Burch. Doerbeck. (Kupferstichkabinett Berlin.)

Ein Männlein kam aus Korsika,
Und meinte groß zu werden,
Und zu verschlucken fern und nah
Die Völker all auf Erden.
Allein es war sein Spiritus
Durch eines Mannes Erbsenschuß
Gar jämmerlich getroffen.

Da kam das Männlein wiederum
Aus Elba hergefahren,
Und lockte in sein Kaisertum
Von neuem unsre Scharen,
Da sah ihn gar der große Mann
Für einen Daumenreiter an
Und gab ihm Nasenstüber.


Nun ich meine, hier setzt sich die Karikatur in offenbares Unrecht, und nur der ärgsten Verblendung kann das Verhältnis zwischen dem Riesengeist Napoleons und Wellington in so falschem Sicht erscheinen.

Von alten politischen Karikaturen dünkt mich das Kapitel der Napoleonkarikaturen das unerfreulichste, und wenn man sie auch durchaus nicht alle mit Grässe erbärmlich und geistlos finden mochte, ja selbst manche der deutschen Blätter wie „der glückliche Jäger“ (Abb. 18), mit der Unterschrift: „du habe ich einen netten Bock geschossen“ und dem Teufel mit Napoleon als Wickelkind (Abb. 19): „das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe“, durch das Kurze und Schlagende der Pointe uns noch heute in Erstaunen setzen, so erscheint es uns doch, als ob sich die Gestalt Napoleons nicht zur Karikatur eignete, als ob es eine Blasphemie wäre. Und dieselbe Empfindung läßt wohl Grand-Carteret seinem Werk als Schluß eine Reproduktion des Bildes von Dabos — eine Apotheose auf Napoleon — beigeben. Der jugendliche Kopf des Kaisers schwebt in einer Gloriole über dem Erdball; Adler tragen den Purpur mit seinem Namen. „Großes, strahlendes Gestirn, es erhellt, es befruchtet, nach seinem Gefallen leitet es die Geschicke der Welt.“ Besonders aber verstimmt es uns, daß die Menge der deutschen Karikaturen ins Gewaltige wächst nach Bonapartes Fall. Das ist ein Zeichen der Unreife.

Nach dem Sturz Louis Philipps brachte der „Charivari“ in Paris, der mit allen Mitteln des Geistes und Spottes gegen ihn gearbeitet hatte, keine Karikaturen mehr auf den Entthronten, in voller Erkenntnis, daß die politische Karikatur nicht gegen Tote, sondern gegen Lebendige zu kämpfen hat, und daß es unser Gefühl beleidigt, wenn Gefallene verhöhnt werden.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die deutsche Karikatur im 19. Jahrhundert