Verfall und Auflösung des Handelsbundes

So war die Hansa in ihrer Blütezeit beschaffen. Schon gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts jedoch stellen sich die Anzeichen ihres Verfalles ein. Als die nationalrussische Politik, der drückenden Tatarenherrschaft erledigt, Nowgorod unterwirft und den Petershof schließt, ist die Blüte des vor Allem gewinnreichen russischen Handels dahin. Da der deutsche Orden in Preußen und Livland seit der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts dem Andringen der verbundenen polnischen und litauischen Macht, den Russen und den Dänen unterliegt, wird allmählich der Nordosten dem deutschen Wesen und Städtebund entfremdet. Unter der burgundisch-habsburgischen, dann der spanischen Übermacht verfällt die Blüte Flanderns. Die aufstrebenden holländischen Städte wollen sich nicht mehr an den Brügge'schen und Lübeck'schen Stapel binden, sondern direkt den gewinnreichen Verkehr mit Russland und den skandinavischen Reichen betreiben. Endlose Zwistigkeiten entfremden die bisherigen Bundesglieder, führen zu offener Feindschaft, zur definitiven Lossagung der wichtigsten holländischen Handelsplätze. Das Königtum in den nordischen Reichen erstarkt unter tüchtigen Regenten, und betreibt, ungeachtet der Auflösung der Union, gemeinschaftlich die Hebung des eigenen Handels, begünstigt die freie Konkurrenz der Holländer gegen den verhassten Städtebund.

Dieser selbst hält nur noch lose zusammen, gelähmt durch innere Unruhen, gespalten durch die auftauchenden religiösen Gegensätze, durch Lübecks Bestreben, gegen die livländischen, die preußischen und holländischen Städte das alte Übergewicht in der Ostsee zu behaupten. Lübeck allein und dessen nächste Nachbarn nahmen unter entschiedener Missbilligung der östlichen und westlichen Bundesglieder 1533 den alten Kampf um die Oberherrschaft in den skandinavischen Reichen und um die Ausschließung der Holländer vom Ostseehandel auf: wie so oft vordem, sollten der erledigte dänische und der schwedische Thron durch gefügige Werkzeuge der Städte besetzt werden. Die Rechte des Stralsunder Friedens wurden in Anspruch genommen. An der Spitze Lübecks, nach Verdrängung des aristokratisch und altkirchlich gesinnten Rates, steht der kühne und rastlose Bürgermeister Jürgen Wullenwever, das Haupt der populären und protestantischen Partei, doch ohne weiten politischen Blick und stetige Energie. Der vierjährige ungleiche Kampf gegen den neuerwählten Dänenkönig, Christian III. von Holstein, und den verbundenen holsteinischen und dänischen Adel, jene berühmte Grafenfehde, in welcher alle politischen und religiösen Interessen jener Tage ihren wechselnden Ausdruck finden, in deren wundersame kriegerischen und diplomatischen Verwickelungen alle Mächte Europas, alle Fürsten Deutschlands hineingezogen werden, endigt mit der Niederlage Lübecks, mit dem Sturze der demokratischen Partei in den norddeutschen Städten, mit der Vereitelung aller weitgesponnenen Pläne. Jürgen Wullenwever unterlag der schmählichen Rache seiner inneren und äußeren, politischen und kirchlichen Feinde, und er hat durch sein tragisches, rechtloses Ende unter Henkershand ein Märtyrertum erwerben, welches seine Vaterlandsliebe und Kühnheit mehr als seine Einsicht verdienten. Die alte Übermacht im Norden war auf immer gebrochen. Auf dem Richtplatze zu Wolfenbüttel endet in rechtlosem Prozess „ein europäischer Kampf,“ wird der Untergang der Hansa verkündet.—


Die alte Stellung war verloren. Die Entdeckung der Seewege nach Ostindien, der Aufschluss Amerikas hatten dem Handel neue Richtungen geöffnet, Spanien und Portugal, bald auch England und Holland zu gewaltiger Entwickelung ihrer Marine getrieben. Dieser neuen Zeit war der Bund nicht gewachsen. Er konnte Wohl die traditionelle Politik mit Zähigkeit festhalten, mit juristischer Hartnäckigkeit seine alten Privilegien, Zollbegünstigung und Abgabenfreiheit als wohlerworbene Rechte verteidigen. Allein, was vermochte er gegenüber der erstarkten skandinavischen, russischen, englischen Königsgewalt auszurichten, welche nicht geneigt war, sich forthin einen Staat im Staate gefallen zu lassen, noch dergleichen wohlerworbene Rechte auf Kosten ihrer Finanzen und ihrer eigenen Untertanen zu respektieren?! Unter der straffen Nationalpolitik der neuen skandinavischen Herrscher verlor das Deutschtum in den schwedischen und dänischen Städten immer mehr seinen Halt und seine bisherige einflussreiche Stellung, wurde das Monopol zu Bergen gebrochen. Als Elisabeth von England das ganz gerechte, ja vertragsmäßig gewährleistete Begehren erhob, dass ihre Untertanen in den Bundesstädten gleiche Freiheiten genießen sollten, wie die Hansen in England, da vermochte sich der engherzige Sinn der Wendenstädte in diese gefährliche Neuerung nicht zu finden, und verschuldete durch zähe Hartnäckigkeit die vieljährige Schließung des Londoner Stahlhofes — während weder der Bund selbst, noch ohnmächtige Mandate von Kaiser und Reich die englischen Kaufmannskompanien verhinderten, sich dauernd in den Hansestädten selbst festzusetzen. —

Je unausbleiblicher sein Verfall, um so ängstlicher und kurzsichtiger ward der Bund. Gegen den freieren und weiteren Blick von Hamburg, Danzig und Köln gab bald die zwar bundesgetreue, aber engherzige Politik Lübecks hier allein den Ausschlag. Immer mehr lockerte sich der Zusammenhang zwischen den Bundesgliedern, immer tiefer sank, in den gesicherteren und freieren Zuständen Europas, die Bedeutung der großen Comtoire, welche nur mit schweren Opfern aufrecht erhalten werden konnten. Die verlorene Macht im Norden konnte nicht ersetzt werden durch erweiterte Handelsbeziehungen nach Spanien und Portugal, welche durch vorübergehende politische Konstellationen begünstigt waren. Mit der Bildung größerer Territorialmächte in Niederdeutschland, insbesondere der brandenburgischen und sächsischen, war das enge Band zwischen den Binnen- und Seestädten unvereinbar. Zuletzt beteiligten sich nur die Seestädte, allenfalls Köln, Braunschweig und Magdeburg an den hansischen Angelegenheiten. Zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts zählte der Bund nur noch 14 stimmberechtigte Mitglieder.

So ging jede Stadt und Landschaft ihren eigenen Weg, und alle Beschlüsse der Hansetage, ja der ehemals sicher treffende Bann waren erfolglos, da die Freiheiten und Rechte des Bundes nur noch geringen Wert besaßen, und die entsprechenden Opfer nicht lohnten; die Obergewalt des Bundes war gebrochen, da im Reiche eine festere Ordnung, und ein unparteiischer Rechtsgang durch Kreisverfassung und Reichsgericht hergestellt war. Auf den Hansetagen machten sich juristische Spitzfindigkeit und törichte Rangeifersucht breit — während der Bund seinen Todeskampf kämpfte, beklagten die Gesandten der Städte sich bitter über den Mangel des altüblichen Ehrenweins, des Konfekts und der Empfangsgeschenke. So weit ging schon zu Ausgang des sechszehnten Jahrhunderts die Ohnmacht und die Opferscheu, dass die wichtigsten Gesandtschaften aus Mangel an Mitteln unterblieben, die Comtoire nicht mehr unterhalten werden konnten, die verdientesten Männer, die Syndici der Hansa, schwersten Undank beklagen mussten.

Immer selbstsüchtiger schlossen nun auch die Bundesglieder sich gegen einander ab durch Zunft- und Monopolienzwang, durch Stapel- und Niederlagsrechte.

Als zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts von den alten Feinden, den holländischen Generalstaaten, eine enge Verbindung gegen Spanien und Kaiser zum Schutze des Handels und der protestantischen Religion angeregt wird — da war der Bund, engherzig und zaghaft, schon längst irgend einer großen Aufgabe nicht mehr gewachsen. Da begehrte er nur die freundliche Vermittelung der Generalstaaten, um die alten Freiheiten bei den fremden Mächten wiederzugewinnen! Als ob diese Freiheiten noch etwas gefruchtet, oder auch nur wiederzuerlangen gewesen wären!

Unter den entsetzlichen Wirren des dreißigjährigen Krieges verfiel dann auch das norddeutsche Städtetum, ging mit der Blüte des Gewerbes und Handels, mit dem ganzen bürgerlichen Wohlstand, mit der Verknöcherung des Zunftwesens, auch der feste, bürgerliche Sinn und Mannesmut, die trotzige, kräftige Selbständigkeit der Einzelnen wie der Gemeinden unrettbar verloren. Unter dem neuen Staatsabsolutismus war kein Raum für ein selbständiges Bürgertum und eine selbständige städtische Politik.

Während des Krieges war den drei Städten Lübeck, Hamburg und Bremen eine gewisse Oberleitung der hansischen Angelegenheiten, die Wahrung der noch bestehenden Comtoire übertragen worden. Auch sonst verbanden sich dieselben enger zu gegenseitigem Schutze. Nach dem westfälischen Frieden trat noch einmal zu Lübeck eine Tagsatzung zusammen, 1669. Doch nur Lübeck, Hamburg, Bremen, Danzig, Köln und Braunschweig waren vertreten, und in vielen Sitzungen kam man zu keiner Entscheidung. Das schon früher aufgetauchte Projekt einer Verbindung mit den oberdeutschen Reichsstädten stieß auf ängstliche Bedenken. Man wollte noch überlegen und prüfen — ging so ohne Beschluss auseinander. Doch das war der letzte Hansetag.

Einzelne Städte retteten für sich noch manche Vorrechte in fremden Reichen. Der neue hanseatische Bund der 3 Städte genoss im Reiche völkerrechtliche Begünstigungen, und bewahrte das Eigentum der ältesten und der jüngsten Niederlassung des gemeinen deutschen Kaufmanns bis auf unsere Tage. Das Oster'sche Haus zu Antwerpen ist noch jetzt in seinem Besitz, der Stahlhof zu London erst 1853 an englische Kaufleute veräußert.

Aber der alte Bund war für immer dahin. Aus dem großen Schiffbruche der deutschen Seemacht und des deutschen Welthandels haben nur Hamburg und Bremen ihre europäische Stellung gerettet, und sind durch lebhafte Beteiligung an dem Handel der nun obherrschenden Nationen, der Holländer und der Engländer, zu größerer Bedeutung als je, zu Deutschlands Hauptemporien herangewachsen, während das ehemalige Haupt des Bundes, auf die überlieferten Handelswege beschränkt, kaum einen Teil seines nordischen Handels sich bewahrt hat. —
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die deutsche Hansa