Natur- und Menschengewalt, Gefahren der Schiffahrt

Unvergleichlich waren die Schwierigkeiten und Gefahren des Groß-Handels durch das ganze Mittelalter hindurch, zumal im Norden Europas. So gesetzlos und unruhig waren die Zeiten, dass Niemand sich vermessen konnte, in fremden Landen einen Handelsfreund zu gewinnen, welchem er mit Sicherheit Gut und Geld zum Verkauf und Einkauf, zur Weiterbeförderung überlassen mochte. Ein geregelter Kommissions- und Speditions-Handel, ein sicheres Botenwesen, haben erst im fünfzehnten Jahrhundert sich entwickeln können. Nur in großen Karawanenzügen durfte selbst der stets gerüstete Kaufmann die unsicheren Landstraßen und Binnengewässer befahren. Die zur Seefahrt bestimmten Kaufleute und Schiffer mussten aus verschiedenen Orten sich an einem günstigen Hafenplätze zusammenfinden, und zum Schutz gegen Wind und Wetter, gegen Seeräuber und plünderungslustige Bewohner der Küstenländer als Admiralschaft, in Flotten geordnet, auch wohl unter dem Geleite großer Vredeschiffe, die mühevolle, gefährliche Fahrt antreten, ohne Kompass und ohne sichere Sternenkunde sich den tückischen Wellen der klippenreichen Küsten der Ostsee, den Untiefen der Nordsee preisgeben.

Land- und Flussstraßen waren bedroht von ritterlichen Wegelagern und fehdelustigen Fürsten, welche willkürlich Zölle auferlegten und abzwangen, welche den Kaufmann nötigten, die gebotene schlechte und unsichere Landstraße zu fahren. Das vom Kaiser allen Kaufleuten bewilligte, das vom Landesherrn oder Burgherrn selbst mit schwerem Gelde erkaufte, freie Geleit ward gering geachtet — während der Mangel des Geleitbriefes vollkommenen Vorwand zu jeder Gewalttat bot. Jede Stadt aber suchte den vorüberziehenden Handel in ihren Kreis zu bannen durch Stapel- und Niederlagezwang ihren Bürgern den vorteilhaftesten Einkauf zu sichern, das Mitwerben entfernterer Orte zu lähmen. So waltete im Reich ununterbrochen die Fehde, die offene Räuberei und die selbstsüchtige Absperrung. Auf den Meeren aber lauerten der dänische, der slawische und friesische Pirat, die beutesüchtigen armen Herrscher, Thronprätendenten und Großen der nordischen Reiche. Auch die eigentliche Kaperei, der große und kleine Seekrieg schwiegen hier kaum auf Monate, der Handel der Neutralen ward nie geachtet, und in den beständigen Wirren waren Freund und Feind kaum zu scheiden. Altbarbarische Sitte hatte das Strandrecht und das Grundruhrrecht gefestigt. Was nicht auf unversehrtem Fahrzeug den Bestimmungsort erreichte, war unwiederbringlich dem Eigentümer verloren. Das Schiff, welches an der Klippe zerschellt war, der Frachtkahn, welcher auf den Grund geraten war, wie das ausgeworfene oder angetriebene Gut, der Wagen, welcher mit der Achse die Straße berührt hatte, wie die hinabgefallene Ware — galten als verfallen den Herren und Bewohnern des Landes, jede Bergung, selbst um Lohn, war versagt, das Selbstgeborgene ward den Schiffbrüchigen entrissen. Kaiserliche Mandate und päpstliche Bullen blieben Jahrhunderte lang machtlos gegen den räuberischen Brauch, und selbst der redliche Wille einzelner Fürsten vermochte wenig gegen die gewaltsame Gewöhnung der Untertanen.


War aber der Kaufmann, der Natur- und Menschengewalt entronnen, am fernen Gestade mit unversehrtem Schiff und Gut gelandet, so drohten ihm dort nicht minder ernste Gefahren. Für ihn galt nicht das Recht des Landes, wenn es ihm nicht vertragsmäßig zugesichert war, und es fehlte ihm die Macht, sein heimisches Recht zur Geltung zu bringen. Recht- und schutzlos war er der brutalen Willkür der Fürsten und Großen, unendlichen Zollplackereien, dem Handelsneid der einheimischen Städte preisgegeben. Zwar in allen nordischen Ländern, selbst England nicht ausgenommen, waren Kapital und Unternehmungsgeist noch weitaus zu gering, um einen aktiven Handel zu beginnen, konnte die Bevölkerung den Fremdling weder für den Absatz ihrer Produkte, noch für den Eintausch der notwendigsten Nahrungs-, Bekleidungs- und Luxusgegenstände entbehren. Dennoch suchten schon früh die Städter jeden unmittelbaren Verkehr der Fremden mit den Erzeugern, den Landleuten und Handwerkern, möglichst zu verhindern, deren Aufenthalt auf die geringste Zeit zu verkürzen — während die Langsamkeit des Ein- und Verkaufs, die Schwerfälligkeit des Rechtsgangs gegen einheimische Schuldner, die Gefahren der Schifffahrt in den Frühlings- und Herbststürmen für den Kaufmann die Notwendigkeit erzeugten, im fremden Lande zu überwintern. Starb er gar daselbst, so ward nach altem Brauch sein Gut vom Fürsten des Landes eingezogen, und nur aus besonderer Gunst den Erben ganz oder zum Teil verabfolgt. Ward im Lande oder gegen einen Angehörigen des Landes von einem Fremden, dessen Landsmann, Stadt oder Staat eine Unbill verübt, so wurden rücksichtslose Repressalien gegen alle Landsleute des Frevlers, gegen dessen Heimatland, oder gar gegen alle Fremde ergriffen, die Güter mit Beschlag belegt, konfisziert, die Personen eingekerkert, erschlagen oder des Landes verwiesen. —

Unter solchen Zuständen vermochte nur festes, korporatives Zusammenschließen Sicherheit zu gewähren. Es mussten, wie das bei entsprechenden Verhältnissen im ganzen Laufe der Geschichte sich wiederholt hat — noch jetzt in China und Japan, an der Westküste Afrikas, — dauernde Handelsniederlassungen oder Faktoreien gegründet werden, mit handfesten Leuten besetzt, welche die Interessen ihrer ab- und zugehenden Landsleute dauernd vertraten; durch Privilegien vor aller üblichen Unbill gesichert, durch Gewalt in diesen Privilegien geschützt. —

Unter den deutschen Städten war jedoch keine einzige mächtig genug, um, nach Art der Genueser oder Venetianer, allein eine große Faktorei zu begründen, oder gar auf die Dauer zu behaupten. Es treten wohl Vereine der Kaufleute von einzelnen hervorragenden Städten und der diesen zugewendeten Handelsorte, früh im Auslande auf — aber auch die deutschen Kaufleute insgesamt als Eine große Genossenschaft. Die erworbenen Privilegien kommen der Gesamtheit zu Gute, und werden von Allen geschützt. Diese große Genossenschaft erlangt durch Geld, durch Verwendung von Kaiser und Landesherr, unter kluger Benutzung der Umstände, das Recht der freien Niederlassung und des dauernden geschützten Verkehrs im ganzen Lande, völlige Abgabenfreiheit oder doch große Zollbegünstigungen, Befreiung vom Strandrecht und von Repressalien, Grundeigentum mit Wohnung, Speichern, Landungsplätzen und Kirche; die Befugnis, sich selbst Älterleute zu wählen, welche die gemeinschaftlichen Anstalten verwalten, die Genossenschaft nach außen vertreten, und unter den Landsleuten nach heimischem Satz und Brauch, wie nach selbstgegebenen Statuten, Recht sprechen. In den meisten dieser Faktoreien gibt es einen festen Stamm von selbständigen Kaufleuten oder von Bevollmächtigten deutscher Handlungshäuser, welche dauernd oder doch längere Zeit auf der Faktorei bleiben — daneben aber die bei offener Schifffahrt kürzere oder längere Zeit verweilenden Kaufleute und Kaufmannsgesellen aus den Heimatorten. An diesem auswärtigen Verkehr, welcher in den Niederlassungen seinen Mittelpunkt findet, nehmen nicht allein die Bürger der Seestädte, sondern auch aus den Binnenorten, namentlich aus den alten Gemeinden Westfalens und Niedersachsens, direkten Anteil. Die Kaufleute von Soest und Münster, von Braunschweig und Salzwedel fahren selbst mit ihren Waren über Meer, auf gemieteten, erkauften, oder in den Hafenplätzen für ihre Rechnung erbauten Schiffen. Die Niederlassung als solche aber treibt keine Geschäfte, sie schützt und sichert nur den Einzelhandel der deutschen Kaufleute in dem großen Gebiete, für welchen sie den Mittelpunkt bildet. Auch die großen Gilden, welche sich in den Seestädten und selbst im Binnenlande für den Handel nach diesen Niederlassungen ausbilden, die Bergen- und Englandfahrer, die Schonen- und Nowgorodfahrer, die uralte Schleswiger Brüderschaft sind nicht große Handelskompanien im heutigen Sinn, wo auf gemeinschaftlichen Gewinn oder Verlust, etwa mit einem großen Aktienkapital, Handel getrieben wird — sondern es sind nur Verbindungen zur besseren Ordnung und Sicherung des von jedem einzelnen Mitglied für sich betriebenen Geschäfts. —

Als die geschichtlichen Ausgangspunkte dieses Handelsnetzes erscheinen nun die Gildhalle der Kölner in London, und die große deutsche Handelsgesellschaft auf Wisby; die geographischen und merkantilen End- und Zielpunkte bilden der St. Petershof in Nowgorod und die Faktorei zu Brügge. Politisch die wichtigsten sind die dazwischen liegenden Niederlassungen in den drei skandinavischen Reichen: in Schweden, auf Schonen und die merkwürdigste und jüngste unter allen: die Brücke von Bergen.

Jede dieser Faktoreien hat nach der Art des Landes eine eigentümliche Färbung angenommen, und bis in die späteste Zeit bewahrt. —

In London, dem Hauptsitz des englischen Handels seit der Römerzeit, sind bereits unter dem Angelsachsenkönig Aethelred gegen Ende des zehnten Jahrhunderts die Kauffahrer von Köln und vom Niederrhein, des Kaisers Leute, hochbegünstigt vor den übrigen seefahrenden Nationen, — nicht mehr als ab- und zufahrende Gäste, sondern in engem Verbände überwinternd. Zwei Jahrhunderte später sind dort die Kölner im Besitz einer eigenen Gildhalle, abgabenfrei im ganzen Reich. Sie bilden eine Hansa, d. h. nach altem deutschem Ausdruck: eine Gemeinschaft, insbesondere eine nach auswärts handelnde Genossenschaft. Ihre Privilegien aber müssen sie, auf Befehl des Kaisers, auch den übrigen Deutschen zu Gute kommen lassen, welche immer zahlreicher aus Westfalen, aus Hamburg und Lübeck dem Themsestrand zueilen. Bereits um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts ist das Haus der Kölner zur Gildhalle des gemeinen deutschen Kaufmanns geworden. Hart an der Themse gelegen, wo jetzt die Westindischen und London-Docks sich erheben, im verkehrsreichsten Teile der City, hat diese Gildhalle sich während der nächsten Jahrhunderte durch Ankäufe und Abtretungen der Könige zu einem umfassenden Grundbesitz ausgedehnt, welcher den Gesamtnamen des Steelyard oder Stahlhofes erhielt, vermutlich nach einem dort belegenen Markt- oder Stellplatz. Dieser Stahlhof, im Laufe der Zeit viel verändert, und nach dem großen Londoner Brande von 1666 nur dürftig erneuert, bestand zu Elisabeths Zeiten aus einer beträchtlichen Zahl größerer und kleinerer Gebäude: Speichern, Schuppen, Wohnhäusern, Buden, der Werft mit dem Kran, dem Garten, in welchem Fruchtbäume und Reben vom Rhein gepflanzt waren. In dem großen steinernen Hauptgebäude befand sich die Versammlungs- und gemeinschaftliche Speisehalle, von der Meisterhand des jüngeren Holbein mit zwei hochberühmten Gemälden geschmückt, den Triumph des Reichtums und der Armut darstellend. Nicht weit davon das rheinische Weinhaus, eine der besten Trinkstuben Londons, wo Prinz Heinz und seine lustigen Gesellen, Shakespeare und seine Freunde sich den trefflichen Rheinwein und die geräucherte Ochsenzunge schmecken ließen.

Auf dem Stahlhof nun wohnen die dauernd in London verweilenden deutschen Kaufleute und Gesellen, wie die Gäste aus der Heimat, sind die ab- und zugehenden Waren gespeichert. Unter den Bewohnern herrscht, nach fester Sitte und den Beschlüssen des gemeinen Kaufmanns, strenge Zucht, klösterliche Ordnung und Abschließung. Nur Unverheiratete durften hier leben, kein Fremdling anders als zu Geschäften in die Halle geführt werden. Den Anordnungen des frei gewählten Oldermanns und des Kaufmannsrats, den gemeinsam festgestellten Statuten muss ein Jeder sich unweigerlich fügen, bei schwerer Buße, oder gar bei Ausstoßung aus der Gemeinschaft. Streng untersagt ist jede dauernde Handelsgemeinschaft mit Fremden, jede Anrufung englischer Gerichte in Streitigkeiten unter den Genossen. Zur Erhaltung der Niederlassung dienen die Geldbußen, und der von allen in englischen Häfen ein- und auslaufenden deutschen Schiffe unweigerlich zu entrichtende Schoß. —

Neben dieser Hauptniederlassung bestehen dann in den anderen englischen Häfen zahlreiche kleinere Faktoreien und Stahlhöfe unter eigenen Oldermännern, sind jedoch dem Londoner Hof in allen gemeinschaftlichen Angelegenheiten untergeordnet. —

Dieser so festgegliederte Gesamtverein der deutschen Englandfahrer ward zuerst 1282 durch den Londoner Magistrat als „die Kaufleute von der deutschen Hansa“ bezeichnet, und von dort aus ist der Name allmählich in die übrigen Niederlassungen und nach Deutschland selbst gedrungen. Der Volksmund nannte sie die Osterlinge (Easterlings).

Zahlreiche Privilegien der englischen Könige und der Londoner Gemeinde haben dann der Genossenschaft ihre alten Freiheiten, ihre hohen Zollbegünstigungen vor den eigenen Kaufleuten bis in die Mitte des sechszehnten Jahrhunderts bestätigt und erweitert. Trotz des Handelsneides der englischen Kaufleute, ungeachtet ihrer eigenen monopolistischen Bestrebungen, trotz aller Bedrückungen und Gewalttaten in den englischen Bürgerkriegen, blieben die Osterlinge als werte Freunde geachtet und geehrt. Den wehrhaften Fremden lag sogar, nach uralten Verträgen, die Verteidigung und Unterhaltung eines der städtischen Haupttore ob. Sie vermittelten fast die gesummte Ein- und Ausfuhr in den englischen Häfen. Der englische Adel und Landmann, der Handwerker und Fabrikant fanden bei ihnen für Wolle und Gewebe einen sicheren und lohnenden Absatz, reiche Zufuhr von Korn, Holz, an Erzeugnissen des Nordens und Südens.

Die Englischen begnügten sich mit den sicheren Zolleinkünften, empfingen von den Deutschen Unterstützung durch Geld, Schiffe, Waffen und Lebensmittel. Selbst der große Eduard III. stand so lief in ihrer Schuld, dass er ihnen seine Einkünfte verpachtete, seine Kleinodien, seine große und kleine Krone verpfändete. Ernste Konflikte wurden selten durch rohe Gewalt, meist durch Spruch der englischen Rechte und des Parlaments ausgeglichen. Völlige Nichtachtung ihrer Freiheiten, schwere Gewalttaten vergalten die deutschen Städte durch Abbruch des Verkehrs, durch Repressalien, durch offenen Seekrieg, in welchem die Überlegenheit der deutschen Marine noch zu Ende des fünfzehnten Jahrhunderts glänzende Siege davontrug. Erst in dem glorreichen Zeitalter Elisabeths waren der Wohlstand des Landes, und der einheimische Kaufmannsstand ehrenreicher gefestigt, um mit gleichen Mitteln, aber mit überlegener Macht sich des fremden Lehrmeisters zu entledigen. —

In London hat die erste deutsche Handelsniederlassung bestanden, von dorther hat der deutsche Kaufmannsbund seinen Namen empfangen. Allein seine eigentliche Geburtsstätte liegt weit ab auf dem gotischen Felseneiland, in dem uralten Mittelpunkt des nordischen Handels. Dort sind schon zu Anfang des zwölften Jahrhunderts die Kaufleute Westfalens und Niedersachsens, später von Livland und Preußen, in zahlreichen landsmannschaftlichen Vereinen unter selbstgewählten Vögten versammelt. Diese Sondervereine treten dann zu einer großen Handelsgenossenschaft zusammen, als der „gemeine deutsche Kaufmann auf Gotland,“ und fassen von Zeit zu Zeit bindende Beschlüsse für alle Ostseefahrer. Diese große Genossenschaft führt ein besonderes Wappen, den Lilienbusch, und behauptet sich Jahrhunderte hindurch als das Zentralorgan des norddeutschen Großhandels. Sie erwirbt um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts Privilegien gleichzeitig in England und in Flandern, gründet den deutschen Hof zu Nowgorod, und führt ursprünglich allein, dann im Verein mit Lübeck, die Oberleitung des russischen Handels. Einer besonderen Faktorei hat dieselbe nicht bedurft, denn so zahlreich ließen sich die deutschen Kaufleute dauernd auf Wisby nieder, dass neben der alten schwedischen Gemeinde sich eine selbständige und alsbald mächtigere, deutsche Stadtgemeinde, eine eigentlich deutsche Handelskolonie bildete, welche dem deutschen Kaufmann allen erforderlichen Halt und Schutz gewährte. Erst gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts, als Lübeck an die Spitze des fest organisierten Städtebundes tritt, als die Städte Livlands und Estlands selbständig den russischen Handel vermitteln, verlieren der große gotländische Verein und die Insel ihre merkantile Bedeutung. Ihre Stellung im nordischen Handel geht auf Danzig über. Die Stadt Wisby selbst unterliegt den Bedrückungen ihrer schwedischen und dänischen Herren, der Zerstörung Waldemars III. und den Plünderungen der Seeräuber. Verödet und vereinsamt weist sie nur noch in den Marmorruinen ihrer Kirchen und Prachtbauten auf lang entschwundenen Glanz. Der Name Wisbys aber lebt fort in dem über alle seefahrenden Nationen weit verbreiteten Seerecht, der vollständigsten Zusammenstellung nordeuropäischer Seegebräuche, welche um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts dort entstanden zu sein scheint. —

Noch weiter hin nach Osten, an dem äußersten Vorposten der europäischen Zivilisation, begründet der deutsche Kaufmann auf Wisby gegen Ende des zwölften Jahrhunderts den hochprivilegierten deutschen St. Petershof in der alten Warägerhauptstadt, der mächtigen Handelsrepublik Nowgorod am Wolchow — einen weiten, wohl umschlossenen Raum mit zahlreichen Wohngebäuden, Speichern, Buden und einer Kirche, welche zugleich als festes Warenmagazin diente. Die Herrschaft Nowgorods erstreckte sich vom Ural bis zum Eismeer, hier war der Hauptmarkt für die Erzeugnisse des nördlichen und mittleren Russlands. Eine gute Wasserstraße die Newa hinab und zahlreiche Landwege durch Livland, Kurland, Litauen führen hier zur Ostsee. So zogen in großen Admiralschaften und Karawanen die deutschen Wasserfahrer und Landfahrer zum Petershof. Die Wasserfahrer in zwei Zügen: ein jeder von seinem Priester begleitet: im ersten Frühjahr die Sommerfahrer, im Herbst die Winterfahrer. Jeder Zug wählte nach der Ankunft seine Oldermänner und Ratsmänner für Gerichtsbarkeit und Verwaltung des Hofes, die Einwohnerschaft desselben wechselte halbjährlich. Die Oberleitung des Hofes stand bei der Handelsgenossenschaft auf Wisby, später mit Lübeck geteilt, bis allmählich der Städtebund dieselbe an sich zieht. Die Ordnung des Hofes ist durch Statuten geregelt, die klösterliche Zucht und Abschließung noch strenger als in London durchgeführt. Die sämtlich unverheirateten Bewohner, Meister, Knechte und Jungen führen in ihren Wohnungen kleinere gemeinschaftliche Haushaltungen. —

An Unterbrechungen dieses äußerst gewinnreichen Verkehrs, welcher die Russen selbst von aller Seefahrt ferne hielt, an rohen Gewalttaten durch die unruhige Bevölkerung der Stadt und die russischen Großfürsten hat es auch hier nicht gefehlt. Aber eine dauernde Schließung der Niederlage ist erst zu Ende des fünfzehnten Jahrhunderts erfolgt, als die Selbständigkeit und Blüte Nowgorods durch Iwan III. (I.) gebrochen war. —

Wie der deutsche Kaufmannsverein auf Gotland die russische Niederlassung gegründet, so hat er auch im äußersten Nordwesten, auf dem flandrischen Weltmarkt, zuerst die norddeutschen Handelsbestrebungen zur Einheit zusammengeschlossen. In Brügge hatten alle europäischen Nationen ihre geschützten und privilegierten Faktoreien. Hier war die hohe Schule des Welthandels für den norddeutschen Kaufmann, hier trat er mit den vorgeschrittensten Völkern des Westens und Südens in Verbindung, lernte die geschickteste Benutzung der Handelswege, die richtigste Verwendung von Arbeit und Kapital, Wechsel und Assekuranzen kennen. Sein Ziel konnte hier nicht Beherrschung des Handels, nur friedliche und eifrige Mitwirkung sein. Seit der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts bilden hier die Kaufleute des römischen Reiches eine begünstigte Faktorei. Ihr untergeordnet sind die zahlreichen besonderen Hansen der einzelnen deutschen Städte an anderen Plätzen, die Niederlassungen in Frankreich und im ganzen Südwesten. Der Grundtypus der Londoner Faktorei findet sich auch hier, nur ist sie bei der größeren Wichtigkeit des flandrischen Handels, und der größeren Zahl der Genossen reicher gegliedert: 6 Olderleute und ein Kaufmannsrat von 18 Mitgliedern stehen an der Spitze von mehr als 300 Kaufleuten und Kaufmannsgesellen, welche dauernd hier verweilen. Die einheitliche Leitung des nordischen Handels und die feste Vertretung der gemeinsamen Interessen wurde durch einen Zwangsstapel ermöglicht. Alle westlich segelnden Schiffe mussten ihre nordischen Waren hier zum Verkaufe stellen, wenige ausgenommen. Und willig fügte sich der deutsche Kauffahrer dem beschwerlichen Zwange, so lange er in der Gemeinschaft Schutz und reichen Absatz fand. — Unbill der Stadt oder der Fürsten führten auch hier zum Abbruch des Verkehrs, zur Verlegung des Stapels nach Dortrecht oder Antwerpen — aber immer wieder wurde der unentbehrliche Fremdling, unter günstigeren Bedingungen, mit demütiger Bitte zurückgeholt, da ohne ihn der Markt verödete und die Konkurrenzstädte erblühten.

Erst gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts verfällt unter politischen Wirren die Stadt und ihr Handel, ihr Hafen bei Damme verschlammt. Die Deutschen verlegten nun ihren Stapel nach Antwerpen, und erbauten dort eine neue prächtigere Residenz, das Oster'sche Haus. Allein die Zeiten der Handelsblüte waren bereits dahin, und die Antwerpener Niederlage ist nur schwach gediehen. —

Betrachten wir die Endpunkte der deutschen Handelsniederlassungen: Brügge und London einerseits, Wisby und Nowgorod andererseits, so ging die natürliche Tendenz des niederdeutschen Kaufmanns dahin, den ganzen Zwischenhandel von Osten zu Westen in seiner Hand zusammenzufassen. Indem er durch überlegeneres Kapital und entwickeltere Bildung sich die Herrschaft über den russischen und englischen Handel sicherte, war er im Stande, die vielbegehrten Produkte dieser Länder allein auf den flandrischen Weltmarkt zu führen, und gewann so die Mittel zu einem äußerst vorteilhaften Eintausch der südlichen und westlichen Waren, der hochgeschätzten flandrischen und brabantischen Tuche und Gewebe, welche er nun von Flandern aus dem Norden allein zubrachte. In dieser einfachen Rechnung bildeten aber ein höchst wichtiges Mittelglied die drei skandinavischen Reiche. Auch abgesehen von dem Hering und Stockfisch, welche ihre Küsten in größter Menge darboten, von dem norwegischen Pelzwerk und dem schwedischen Eisen, — sperren diese Ländermassen die Straße von der Ostsee zur Nordsee, ihre Küsten beherrschen beide Meere, der direkte Seeweg führt nur durch den Sund und die Belte. Waren die skandinavischen Reiche mächtig genug, um dem deutschen Handel diese Wege zu verschließen, oder andere handeltreibende Nationen in höherem Grade zu begünstigen, konnten skandinavische Fürsten oder Piraten das Meer unsicher machen, so war es um die Blüte des deutschen Zwischenhandels geschehen. In der Stellung zu den skandinavischen Reichen lag daher der jedes malige Schwerpunkt der deutschen Handelspolitik. An ein friedliches Nebeneinanderwerben war hier in jenen friedlosen Zeiten nicht zu denken, die Begehrlichkeit der Dänen nach den deutschen Ost- und Nordseeländern drohte jederzeit ernste Gefahr. So erklärt es sich, dass die Deutschen genötigt waren, in den skandinavischen Reichen eine übergewaltige, auch politische Herrschaft anzustreben, und dass sie jeder Kräftigung derselben mit aller Entschiedenheit widerstritten. Fast andauernde Anarchie in diesen Ländern, beständige Thronstreitigkeiten und gegenseitige Fehden, durch wenig erfolgreiche Unionsgesuche nur zeitweise unterbrochen, machten hier die Stellung der Deutschen besonders gefährlich, hielten aber zugleich die betriebsamen Nordländer von jeder erfolgreichen Mitbeteiligung am auswärtigen Handel fern.

Indessen waren die Beziehungen der deutschen Kaufleute zu den drei skandinavischen Reichen sehr verschieden.

In den schwedischen und mehreren d?nischen Städten hatten sich frühzeitig zahlreiche deutsche Kaufleute dauernd niedergelassen, das Bürgerrecht gewonnen, und bildeten einen sehr beträchtlichen, höchst einflussreichen, im städtischen Regiment mitherrschenden Teil der Bevölkerung. In ihren Händen befand sich fast allein der Aktivhandel, durch sie konnten dauernde Geschäftsverbindungen mit den deutschen Städten gepflegt werden. Das Recht der freien Niederlassung, des direkten Verkehrs in allen Reichen, Befreiung von den gewöhnlichen Bedrückungen sicherten ohnehin zahlreiche Freiheitsbriefe, deren stete Beobachtung in der Regel freilich durch Gewalt erzwungen werden musste. —

Ebenso besuchten die deutschen Kaufleute die großen Märkte auf Schonen zur Zeit des ergiebigen Heringsfanges. Überdies hatten hier viele Städte besondere Fischlager (Vitten) erworben, wo sie zur Sommerzeit unter eigenen Vögten und einer gewissen Vorsteherschaft des Vogts von Lübeck den Fischfang betrieben, die Bereitung und den Transport des Herings besorgten, mit den von nahe und ferne zuströmenden Eingebornen und Fremden einen gewinnreichen Verkehr unterhielten. Die Blüte dieser Vitten ist erst gegen den Anfang des sechszehnten Jahrhunderts erloschen, als die Heringszüge sich weiter nordwestlich wendeten.

Am drückendsten machte sich die deutsche Handelsherrschaft in Norwegen geltend. Bergen war hier von jeher der Hauptstapelplatz gewesen, sowohl für die Einfuhr, als für das gesuchte Pelzwerk, die Heringe und Stockfische, welche die Nordlandsfahrer alljährlich aus dem hohen Norden hinabführten. Hier sind im dreizehnten Jahrhundert zahlreiche deutsche Handwerker angesiedelt, von den Königen hinberufen, insgesamt die Schuster genannt. Deutsche Kaufleute folgen ihnen nach, lassen sich in der Altstadt, der sogenannten Brücke, dicht am Meere, nieder, verdrängen allmählich durch Ankauf und durch Geldvorschüsse die einheimischen Bürger, und errichten hier im fünfzehnten Jahrhundert ein völlig deutsches Gemeinwesen. Die alte Stadtbevölkerung muss sich auf der anderen Seite des Meerbusens ansiedeln. In deutschen Händen konzentriert sich der gesamte auswärtige Handel, wie aller Verkehr mit den Nordlandsfahrern. Den Eingriffen der königlichen Beamten, den begründeten Klagen der Einheimischen treten sie mit überwältigender Macht entgegen: den 3.000 Kaufleuten, Kaufmannsjungen und Schiffern stehen die deutschen Handwerker als stets schlagfertige Gesellen zur Seite. Keine andere Niederlassung hat eine so geschlossene Ordnung, einen so gewalttätigen Charakter aufzuweisen. Wer zur Niederlassung kam, musste dort meist zehn Jahre verweilen, und alle Stufen des zünftigen Lehrganges durchmachen. Derbe Lehrlings- und Gesellenproben, nach Art der Zeit, aber durch die mönchische Abgeschlossenheit und die einförmige Lebensweise in einem rauen Klima und mitten in feindlicher Bevölkerung bis zur grotesken Rohheit karikiert, waren die Spiele, an welchen diese raue Gesellschaft sich ergötzte, den Mut und den Trotz ihrer Mitglieder entwickelte. Eine fast zynische Sittenlosigkeit trat dem Gesetz der Ehelosigkeit zur Seite. So ganz anders hat diese Faktorei sich entwickelt, als der Stahlhof in dem lustigen Altengland und das Oster'sche Haus in dem üppigen Brügge. — Um die Mitte des sechszehnten Jahrhunderts verfiel auch sie. Der Trotz der Kaufmannschaft und der Handwerker ward durch die königlichen Statthalter gebrochen. Die nicht mehr abzuwehrende Konkurrenz der Bergener Bürger, der Holländer und Engländer trieb den deutschen Kaufmann allmählich von der Brücke, welche nun wieder in einheimische Hände überging. —
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die deutsche Hansa